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Prolog

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Wyoming. 1862

Unermüdlich schob sich die Wagenkolonne Meile für Meile durch die endlosen Weiten der Prärie. Mit ihr die Hoffnung vieler Reisender, auf die Erfüllung ihrer Träume oder auf ein besseres Leben, welches bisher von Armut und Verzweiflung geprägt war. In diesen Tagen des Jahres 1862 zog es eine Gruppe von Menschen, die aus allen Gesellschaftsschichten zusammen gewürfelt war, Richtung Westen. Aristokraten und Geschäftsleute zogen Seite an Seite mit Menschen, die sie in der alten Welt nur als Leibeigene und Bedienstete in ihre Nähe gelassen hätten. Doch hier, in der neuen Welt, war alles anders. Hier zählte nicht die Herkunft eines Menschen, sondern wer er selber war. Man musste sich untereinander unterstützen und helfen und ein jeder musste seine Fähigkeiten mit einbringen. Nur so konnten sie es bis ans Ende, bis nach Oregon schaffen. Dieser Trail war hart und unerbittlich und würde seine Opfer fordern, wenn man nicht zusammenhielt. Beweise dafür hatten sie auf dem Weg schon viele gesehen. Skelette von gestorbenem Vieh, umgestürzte Planwagen die langsam verrotteten oder gar Kreuze, die am Wegesrand standen. Jeder von ihnen kannte das Risiko und doch hatte es diese Gruppe nicht abschrecken können, mit ihrem Hab und Gut, Rindern und Pferden sich der Herausforderung zu stellen.

30 Planwagen rollten in der bereits warmen Frühlingssonne, auf einem vorgegebenen Pfad, über die Prärie. Seit Wochen waren sie schon unterwegs und befanden sich jetzt auf dem Weg nach Fort Laramie, wo sie ihren Proviant auffüllen wollten. Es war die letzte Möglichkeit, bevor Sie über die Rocky Mountains nach Oregon kamen. Auch Robert war mit seiner Familie in diesem Treck unterwegs. Doch im Gegensatz zu all den anderen Reisenden unter ihnen fuhr er nicht einer ungewissen Zukunft entgegen, sondern wusste, was ihn an seinem Ziel erwartete. Er machte diesen Treck schon zum zweiten Mal mit und hatte genau gewusst, welche Strapazen er seiner kleine Familie zumuten würde.

Vor 20 Jahren war er im Alter von zehn Jahren zusammen mit seinen Eltern in eben solch einem Treck nach Wyoming gekommen. Damals war das für ihn alles spannend und aufregend gewesen. Er hatte zuvor in seiner Heimat in Schottland, Bücher über Cowboys und Indianer gelesen und war ganz versessen darauf gewesen, selber welche zu sehen. Seine Eltern, beide zur schottischen Aristokratie gehörend, hatten sich mit ihrem Vermögen auf den Weg nach Oregon gemacht, wo sie den Traum vom Aufbau einer großen Pferdezucht geträumt hatten.

Bis nach Oregon hatten sie es nicht geschafft. Sie waren in der Nähe von Fort Laramie geblieben, weil sie dort das Land gefunden hatten, welches bestens für ihr Vorhaben geeignet gewesen war. Außerdem hatten sie damit spekuliert, dass die Armee immer neue Pferde benötigen würde. Der Plan seiner Eltern war ungewöhnlich gewesen aber er hatte funktioniert.

Elf Jahre später waren sie stolze Besitzer der besten und größten Pferdezucht in Wyoming gewesen. Sie hatten aus dem Nichts eine große Farm errichtet, die sich in den Jahren immer vergrößert hatte.

Mittlerweile arbeiteten und wohnten etliche andere Familien mit auf der Ranch. Robert freute sich darauf zu sehen, was sich in seiner Abwesenheit verändert hatte. Neun Jahre war er weg von daheim gewesen, aber jetzt war es an der Zeit einen Besuch abzustatten und seinen Eltern seine Frau und seinen kleinen Sohn vorzustellen.

Er hatte einen Brief mit einem Familienfoto von ihnen ihrem Besuch vorausgeschickt und hoffte inständig, dass dieser auch seinen Empfänger erreicht hatte. Was vor zwanzig Jahren noch spannend war, zerrte allmählich an seinen Nerven. Seit Wochen waren sie unterwegs und jeden Tag war es das gleiche Bild. Morgens reihte man sich mit seinem Wagen in die Reihe ein und sah den ganzen Tag über nichts anderes als den Planwagen vor sich. Bemühte sich den Anschluss zu halten, bis man abends zur Ruhe die Wagen im Kreis aufstellte und sich zur Nachtruhe begab. Komfort gab es nicht. Die Wagen waren schlicht und schützten nur notdürftig gegen die Naturgewalten. Staub, Hitze, Regen und Wind zerrten an den Kräften. Noch immer gab es keine andere Methode, den langen Weg zu bestreiten. Eine Eisenbahnlinie in diese Richtung gab es noch nicht und auch Kutschen fuhren noch nicht, da es an Zwischenstationen mangelte.

Wie viel einfacher war da doch das Reisen in Europa. Diese grenzenlose Weite konnte einem schier um den Verstand bringen. Er bewunderte die Leute hier, die voller Vorfreude und Tatendrang sich jeden Morgen wieder auf den Weg ins Ungewisse machten. Er hätte diesen Schritt nie gewählt. Er fühlte sich inzwischen wohl in Schottland.

In den letzten sieben Jahren hatte er dort seine Erfüllung gefunden und so würde dieser Besuch bei seinen Eltern gleichzeitig auch ein Abschied werden, denn er hatte nicht vor, diesen Weg noch ein drittes Mal zu gehen.

Mittlerweile war es Mittag geworden und seine Frau saß mit ihrem Sohn neben ihm auf dem Kutschbock. Moira, wie seine Frau hieß, war ein Geschenk Gottes. Er hatte sie vor sieben Jahren bei einem Ball in seinem Hause kennen gelernt. Mit Ihrem eleganten Auftreten und dem strahlenden Lächeln, mit dem sie ihm vorgestellt worden war, hatte sie ihn damals sofort in ihren Bann gezogen. Ihr liebreizendes Wesen und die Schönheit, mit der sie bedacht worden war, hatten ihn schnell davon überzeugt, dass sie die Frau seines Lebens war. Nun waren sie seit sieben Jahren verheiratet und sie war bisher immer an seiner Seite gewesen. Vor fünf Jahren hatte sie ihm seinen ganzen Stolz geboren, seinen Sohn. Etwas schläfrig saß dieser nun an den Arm seiner Mutter gekuschelt neben ihm.

„Papa dauert es noch sehr lange, bis wir Granny sehen? Und darf ich da auch mal auf einem Pony reiten, bitte ja?“

Robert musste schmunzeln. Sein Sohn schien sich schon zu einem echten MacIntyre zu entwickeln. In dieser Familie lag das Gespür für die für ihn schönsten Tiere der Welt. Für die Pferde. Sein Vater hatte ein außergewöhnliches Gespür für diese Tiere und auch er konnte sehr gut mit ihnen umgehen. Scheinbar war diese Gabe genauso wie die strahlend blauen Augen weitervererbt worden.

„In zwei Tagen sollten wir Fort Laramie erreicht haben und dann sind es noch einmal zwei Tage bis zu deinen Großeltern. Großvater nimmt dich bestimmt mal mit und Großmutter wird für dich bestimmt ihre leckeren Kekse backen. Es wird mit Sicherheit eine schöne Zeit werden, mein Sohn.“

„Hast du das gehört, Mama. Ich darf mit Großvater reiten.“ Der kleine Junge war ganz aufgeregt geworden und strahlte seine Mutter an.

„Ja, ich bin auch schon ganz gespannt. Dein Papa hat uns immer soviel von der Ranch erzählt, dass ich es kaum noch abwarten kann.“

Liebevoll schlang sie die Arme um ihren kleinen Jungen und musste wieder einmal feststellen, dass sein strahlendes Lächeln ihr Herz erwärmte. Mit seinen fünf Jahren war der kleine Knirps schon ausgesprochen eigenwillig. Er entwickelte einen starken Willen und konnte sie mit seinem Lächeln so manches Mal bezaubern. Ganz wie der Vater dachte sie im Stillen und schaute zu ihm rüber. Robert war ihr damals sofort ins Auge gestochen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Er hatte in seinem schwarzen Anzug damals so atemberaubend gut ausgesehen. Mit seiner großen, schlanken Figur hatte er etliche andere Männer überragt. Sein schwarzes Haar, das wie Samt in der Sonne geglänzt hatte, war ein starker Kontrast gewesen zu den strahlend blauen Augen, die sie warm angelächelt hatten. Auch jetzt merkte sie, wie ein leichtes Kribbeln durch ihren Körper floss, als er ihren Blick erwiderte und sie anlächelte. Sie liebte diesen Mann wie am ersten Tag und diese Liebe zu ihm zusammen mit Neugierde hatte sie dazu gebracht, sich diesen Strapazen auszusetzen. Doch auch sie fieberte nun endlich dem Ende der Reise zu.

„Indianer!“

Plötzlich wurde es unruhig und Panik brach aus. Immer wieder schrie der Treckführer das Wort, als er an allen Wagen im scharfen Galopp vorbei preschte. Die vorderen Wagen fuhren nun schneller und der Treckführer kam im wilden Galopp zurück und befahl Ihnen eine Wagenburg zu bauen.

„Oh mein Gott, Robert! Indianer! Was sollen wir tun?“

„Geht beide nach hinten und legt euch flach auf den Boden. In der einen Kiste sind meine Patronen, hol sie mir und dann geht in Deckung.“

Schnell kletterte Moira mit ihrem Sohn ins Innere des Wagens. Durch die hintere Öffnung konnte sie sehen, das alle Wagen hinter ihr versuchten, mit ihrer Geschwindigkeit mitzuhalten.

Sie drückte ihren Sohn auf den Boden und gab ihm ein Zeichen dort zu bleiben. Schnell suchte sie in der Kiste die Packung mit den Patronen und reichte sie ihrem Mann nach vorne. Dann legte sie sich dicht neben ihren Sohn auf den Boden. Durch das Tempo der galoppierenden Pferde wurde der Wagen hart durchgeschüttelt. Von draußen konnte sie jetzt das Kriegsgeschrei von näher kommenden Indianern hören. Die Angst stieg in ihr hoch. Ganz unbewusst zog sie ihren Sohn stärker zu sich ran. Wieder hörte sie den Treckführer Kommandos brüllen und merkte sofort, wie der Wagen im Kreis fuhr.

Alle Wagen schafften es gerade noch rechtzeitig einen Kreis zu bilden, den sie so eng hielten, dass zwischen den einzelnen Wagen niemand durchkam. Dann brach der Tumult los. Eine riesige Horde von Sioux Indianern griff die Wagenburg an. Mit großem Gebrüll galoppierten sie um die Wagenburg herum. Schnell brachten sich die Menschen des Trecks in Sicherheit. Kinder und Frauen wurden in die Wagen geschickt, während die Männer sich bewaffnet unter die Wagen legten und auf das Kommando zum Angriff warteten. Dieses ließ nicht lange auf sich warten. Als der erste Pfeil der Indianer die Wagenburg traf, gab der Führer den Befehl zum Schießen.

Der ersten Gewehrfeuer Salve folgte sogleich ein Pfeilregen der Indianer. Nach den ersten Verlusten aufseiten der Indianer änderten diese Ihre Taktik und schossen nun Brandpfeile auf die Wagen, die sofort Feuer fingen. Frauen und Kinder darin drangen nach draußen um sich vor den Flammen in Sicherheit zu bringen, wo sie von den Pfeilen der Indianer in Empfang genommen wurden.

Die entsetzten Männer schossen, was die Gewehre hergaben. Die Mittagssonne schien auf ein Bild des Grauens nieder. Schüsse und Todesschreie wollten nicht enden. Moira kramte aus einer Tasche einen kleinen Beutel hervor und gab diesen ihrem kleinen Jungen. Darin befand sich ein kleines Amulett, welches Sie von Robert zur Hochzeit bekommen hatte. In diesem Amulett waren die Bilder von ihr und von Robert. Weiterhin waren dort noch eine Fotografie, die sie alle drei zusammen zeigte und der kleine Teddybär, den schon Robert von seiner Mutter bekommen hatte. Sie hängte den Beutel ihrem Sohn um den Hals.

„Pass gut darauf auf. Sollte uns etwas passieren, geh zu Großmutter, hörst Du? Ich bete zu Gott, dass wir das hier überleben.“

Moira versuchte die Tränen, die in ihr aufstiegen zu verdrängen. Ihr kleiner Sohn brauchte ihre Stärke. Verängstigt kroch er näher an seine Mutter heran. Noch war sie auf dem Fußboden in ihrem Wagen und sie hörte von draußen die Schreie der Menschen, die von Pfeilen getroffen waren. Plötzlich fing auch ihr Wagen an zu brennen. Wenn sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen wollten, musste sie aus dem Wagen raus.

Schnell aber vorsichtig robbten beide zum Ausgang. Sie schrie nach Robert, der darauf sofort aus seiner Deckung kam und seinen Sohn zu sich runter riss. Er gab ihm den Wink sich unter dem Wagen flach auf den Bauch zu legen. Gerade als Robert seiner Frau aus dem Wagen helfen wollte, flog ein Pfeil in seine Richtung und er konnte gerade noch in Deckung gehen, bevor er sich vor ihm ins Holz bohrte.

Sofort legte er sein Gewehr an und zielte auf den nächsten Indianer, der an ihm vorbei galoppierte. Er drückte ab und sah, wie der Sioux vom Pferd flog. Diese Sekunde genügte ihm, um seine Frau ebenfalls vom Wagen zu heben. Doch gerade, als sie unter den Wagen kriechen wollte, traf, sie ein Pfeil mitten ins Herz. Sie brach vor den Augen ihres Sohnes tot zusammen.

„Neeiin!“, schrie Robert vor Entsetzen. In seinem Schmerz dachte er nicht mehr an seinen Sohn und nahm das Gewehr, feuerte, ohne selber in Deckung zu gehen, auf die wilden Indianer. Drei von ihnen nahm er noch mit, bevor er selbst von einem Pfeil im Rücken getroffen tot zusammenbrach. Der kleine MacIntyre saß zitternd vor Angst, zusammengekauert unter dem Wagen seiner toten Eltern. Er vergrub weinend und schluchzend das Gesicht zwischen seinen Knien und verschloss die Ohren mit seinen Händen. Den letzten Todeskampf der anderen Mitreisenden bekam er nur vage mit. Der Siegesschrei der Indianer übertönte alles andere.

Mit einem Mal war es still. Keine Schüsse fielen mehr, kein Geschrei war mehr zu hören. Nur ein kleines Wimmern drang von irgendwo her. Sollte er sich trauen, unter dem Wagen hervor zu kommen oder sollte er lieber dort bleiben. Er verhielt sich mucksmäuschenstill und traute sich nicht einmal Luft zu holen. Wie lange er da so still gesessen hatte, wusste er nicht. Gerade als er aufatmen wollte, griff eine Hand nach seinem Arm und zog ihn mit Gebrüll unter dem Wagen hervor. Entsetzt schrie er auf und schaute in das kriegsbemalte Gesicht des Sioux Indianers, bevor er die kalte Klinge seines Messers an seinem Hals spürte.

Der Wind in meinen Federn

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