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2.2.5 Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt (integrationspolitische Bedeutungsdimension)

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Migration als allgemeines Phänomen der Moderne betrifft alle gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Lebenszusammenhänge. Hieraus folgt, dass die Unterstützung bei Integrationsprozessen inzwischen ein bedeutendes Feld in der Sozialen Arbeit geworden ist, da sie als professionelle Praxis mit der Bearbeitung von Migrationsfolgen – also der Integration – befasst ist (Filsinger 2017: 6). Durch vermehrte Migrationsbewegungen rückte auch der Zusammenhang zwischen vorhandener Vielfalt und gesellschaftlicher Kohäsion in den näheren Fokus der Betrachtung. Die entstehende Unübersichtlichkeit von Situationen und Handlungsoptionen kollidiert dabei mit einer bestehenden Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion bei allen Beteiligten.

»Vielfalt ist also nicht nur Zugewinn, sondern auch Zumutung. Dieser Zumutung wird begegnet mit verstärkten Formen des Zusammenhalts. Die Erfahrung von entgrenzten Arbeits- und Lebenssituationen geht einher mit dem Knüpfen von neuen, vor allem aber dem Festhalten an alten Bindungen; soziale Bindungen verlieren nicht an Bedeutung, im Gegenteil« (Manning/Wolf 2005; Gottschall/Henninger 2005). Wie kann unter diesen Bedingungen gesellschaftlicher Zusammenhalt hergestellt werden? Strategien zur Förderung der Kohäsion könnten wir bei den Überlegungen zur System- und Sozialintegration bei J. Habermas (1988) und H. Esser (2001a) finden. Um Systemintegration zu erreichen sind nach Esser sowohl die materielle Abhängigkeit der unterschiedlichen Akteur_innen auf den Märkten (spezialisierte Dienstleistungen, Produktion von Gütern) als auch die vertikale Organisation durch steuernde Institutionen und eine bestimmte Orientierung der Akteur_innen z. B. in Form von Loyalität notwendig. Sozialintegration bezieht sich in erster Linie auf die Eingliederung einzelner Menschen und durchläuft idealtypischer Weise die Stadien der Kulturation, d. h. des Erwerbs von Wissen und Fertigkeiten wie bspw. der Sprache, der Platzierung im Sinne der Übernahme von Positionen und der Verleihung von Rechten, der Interaktion in Form der Aufnahme sozialer Beziehungen in Alltagssituationen sowie der Identifikation, also der emotionalen Zuwendung zum System.

Kritisch ist allerdings anzumerken, dass es sich hierbei im Wesentlichen um ein Modell der Assimilation handelt. Für Esser (2001) bedeutet Integration eine Angleichung an die Einwanderungsgesellschaft über mehrere Generationen hinweg, die in die vier Dimensionen der kulturellen, strukturellen, sozialen und emotionalen Assimilation unterschieden werden kann; Mehrfachintegration (in Herkunftsgesellschaft und Aufnahmeland) und Marginalisierung (Fehlen jeder Sozialintegration) sowie Segmentation (dauerhafte Etablierung eines eigenen gesellschaftlichen Systems der Einwanderungsgruppe) sind nach Esser eher seltene Integrationsverläufe (ebd.: 2).

Hier wird deutlich, dass der Integrationsbegriff häufig synonym mit dem Assimilationsbegriff verwendet wird; genaugenommen stellt letzterer aber nur eine Unterkategorie des Integrationsprozesses mit einem sehr hohen Ausprägungsgrad von Integration dar. Parallel zum Mainstreamdiskurs über Integration haben sich andere Sichtweisen zu Integrationsprozessen wie bspw. die multiethnische Gesellschaft in Anlehnung an Benhabib (Grote 2011) entwickelt. Unter dem Terminus multiethnische Gesellschaft sind verschiedene Forschungsstränge zu verstehen, die sich klar gegenüber Assimilationstheorien abgrenzen. Sie sind aus der Kritik an diesen heraus entstanden und werfen ihnen vor, »noch zu ethnozentrisch und zu sehr auf die Bringschuld der Einwander_innen konzentriert zu sein« (Hoesch 2018: 93). Die Grundidee einer multiethnischen Gesellschaft ist die »Wertschätzung von Diversität und die Anerkennung unterschiedlicher Kulturen als gleichwertig« (Hans 2016: 39). Gerade dies sieht Hans für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in einer Gesellschaft als zentral an, da hierbei religiöse Minderheiten gefördert sowie deren kulturelle Eigenständigkeit und Lebensweise unterstützt werden können (ebd.: 39). Dennoch gibt es auch Grenzen, denn bspw. autoritäre und diskriminierende Praktiken wie Kinder- oder Zwangsverheiratungen sind auch in diesem Integrationsverständnis stets zu verurteilen (Bielefeldt 2007: 18f.). Eine multiethnische Gesellschaft zielt darauf ab, dass verschiedene ethnische Gruppen unter einem politischen bzw. staatlichen Dach koexistieren und ihre kulturelle Eigenständigkeit behalten können, ohne diskriminiert zu werden. Als Basis hierfür müssen die Grund- und Menschenrechte angesehen werden. Somit fördert diese Form der Sozialintegration Teilhabe, Partizipation und Chancengleichheit.

Aschenbrenner-Wellmann (2003: 68f.) geht jedoch einen Schritt weiter, indem sie zu bedenken gibt, dass auch eine multiethnische Gesellschaft von einem statischen und geschlossenen Kulturbegriff geprägt ist, wodurch eine gegenseitige Annäherung und Veränderung der Individuen erschwert ist. Da es innerhalb einer multiethnischen Gesellschaft lediglich um das ›Nebeneinander-her-Leben‹ und nicht um das voneinander und miteinander Lernen geht, sind wechselseitige Integrationsprozesse in dieser Form immer nur begrenzt möglich. Nach Aschenbrenner-Wellmann (2003: 37) muss es jedoch darum gehen, dass Migrant_innen »weder unter dem Primat der formalen Gleichheit als unvollkommene Deutsche betrachtet noch Multikulturalismus als ein Nebeneinander verschiedener Gruppen mit teilweise unterschiedlichen bzw. gegensätzlichen Werten präferiert werden [dürfen]. Vielmehr geht es um eine Politik der Anerkennung, die den Eigenwert kultureller Differenz und die darauf aufbauende Identität schätzt«. Insofern muss der Begriff Interkulturalität aufgenommen werden, der Prozesse »des Austausches, der Verständigung, der Konstruktion, der Irritation wie auch Prozesse der Selbstvergewisserung, der Deformation, der Erweiterung und des Wandels [bezeichnet], die dann bedeutsam werden, wenn Kulturen auf der Ebene von Gruppen, von Individuen und Symbolen in Kontakt miteinander treten« (Mecheril 1998: 287). Unter Interkulturalität wird also ein gegenseitiger Prozess des Austauschs der Interaktion und der Interpretation verstanden, der dann relevant wird, wenn Individuen und Gruppen miteinander agieren und nicht über dieselben Wertorientierungen, Bedeutungssysteme und Wissensbestände verfügen (Barmeyer 2012: 81).

Ziel der Auseinandersetzung mit Interkulturalität in der Sozialen Arbeit sind vor allem gegenseitige Lernprozesse sowie die Gestaltung einer multiethnischen Gesellschaft, in der Herkunftsdeutsche und Neubüger_innen gleiche Rechte und Chancen haben (Freise 2017: 68). Gleichzeitig hilft diese Auseinandersetzung, Tendenzen zur gegenseitigen Abschottung von Mehr- und Minderheiten abzubauen, wechselseitige Akzeptanz gegenüber kultureller Besonderheiten weiterzuentwickeln und Probleme, die sich aus der Zuwanderung für Migrant_innen und die Aufnahmegesellschaft ergeben, auf der Grundlage humanitärer Grundsätze zu bearbeiten (FH Düsseldorf 2004, zitiert nach Freise 2007: 19). Interkulturalität ist aber auch gerade für eine postmoderne Gesellschaft wichtig, da »heutzutage […] Kulturen nicht isoliert und losgelöst voneinander [existieren], sondern […] in ständigem Kontakt und Austausch miteinander [sind]« (Aschenbrenner-Wellmann 2003: 64).

Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld »Integration« sollte es nicht vorrangig um politische Zielvorstellungen, die Formulierung von Sollens-Vorstellungen für die Zukunft der Gesellschaft oder um die Bewertung von Zuständen der Integration oder Desintegration gehen. Vielmehr sollen in reflexiver Weise die Positionen bestimmter Gruppen im gesellschaftlichen Kontext beschrieben und verstanden werden und betrachtet werden, wie und warum sich Lebenslangen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden, inwieweit Menschen in die gesellschaftlichen Funktionsbereiche (Arbeitsmärkte, wohlfahrtsstaatliche Strukturen, Kulturbetrieb etc.) einbezogen oder ausgeschlossen sind. Der Integrationsbegriff (aber auch der Inklusions- oder Inkorporationsbegriff) ist nicht frei von Assoziationen zu normativen Vorstellungen von einer einseitigen Anpassung. Sinnvoller wäre es jedoch von einem bereichs- und teilhabeorientierten Integrationsverständnis auszugehen: Integration ist die »empirisch messbare Teilhabe an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Sie reicht von Erziehung, Bildung beruflicher Ausbildung und Zugang zum wirtschaftlichen Leben, insbesondere zum Arbeitsmarkt, über die sozialen Schutz- und Sicherheitssysteme bis hin zur (statusabhängigen) politischen Partizipation« (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2012: 17).

Integration ist unserem Verständnis nach ein langfristig angelegter, wechselseitiger Prozess, an dem einzelne Personen oder Gruppen und die sog. Mehrheitsgesellschaft aktiv beteiligt sind. Dabei verändern sich sowohl die Migrant_innen als auch die Mehrheitsgesellschaft. F. Heckmann geht es unter dem Stichwort »ethnischer Pluralismus« um das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft (Heckmann 1992). Das Zusammenleben der Menschen beruht dabei auf einer Politik der Anerkennung kultureller Vielfalt und auf einer anzustrebenden Einheit in der Verschiedenheit, wobei unabdingbar für eine multikulturelle Gesellschaft die politische Auseinandersetzung und Strategien gegen Diskriminierung sind. Ziel ist hierbei »die bestmögliche Gestaltung der Lebensverhältnisse von Zuwanderern unter den gesellschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland. Dabei soll die nationale, kulturelle und religiöse Identität der Zuwanderer gewahrt bleiben« (Aric 2001: 4). Es geht also keinesfalls um die Anpassung einer Minderheit an die herrschende Mehrheit oder die Herstellung von Gleichartigkeit. Die Grundidee ist vielmehr die »Wertschätzung von Diversität und die Anerkennung unterschiedlicher Kulturen als gleichwertig« (Hans 2016: 39).

Chancengerechtigkeit und Partizipation sind damit Schlüsselbegriffe zur Beschreibung erfolgreicher Integrationsprozesse. »Übertragen auf die Ebene konkreter Lebenswelten bedeutet Integration, dass Einzelpersonen oder ganze Gruppen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Artikulation ihrer Interessen erhalten und vor individueller und kollektiver Ausgrenzung geschützt werden. Integrationspolitik ist im Kern Herstellung von Chancengleichheit« (Piening 2005).

Teilhabe bzw. Partizipation ist ein demokratietheoretischer Begriff und bezeichnet die Beteiligung und bewusste Mitwirkung von Einzelnen und Gruppen an Entscheidungen und Entscheidungsprozessen. Sie ist sowohl im alltäglichen sozialen wie auch im politischen Leben möglich. Zusammenfassend handelt es sich bei Partizipation um einen Prozess von der Nichtinformation über Information, Mitsprache und Mitbestimmung hin zur Selbstbestimmung. Betroffene zu Beteiligten zu machen schafft Identifikation und Bindung. Somit kann Partizipation definiert werden »als verantwortliche Beteiligung der Betroffenen an der Verfügungsgewalt über ihre Gegenwart und Zukunft« (Stange/Tiemann 1999: 215). Hierzu muss die Gesellschaft jedoch gewillt sein,

»sich als Gefüge von Vielfältigkeiten zu verstehen und sich auf die Eigenheiten der jeweiligen Lebenswelten einlassen, sie muss die in ihnen erbrachten spezifischen und eigensinnigen Bewältigungsleistungen respektieren. Das scheint trivial, ist es aber in gegebenen Verhältnissen durchaus nicht. Die Eigenheit von Lebenswelten muss behauptet werden gegen die Normierungszwänge im Zeichen einer dominanten Lebenswelt; wie schwierig das ist, zeigen die Auseinandersetzungen um Integration und Leitkultur« (Thiersch 2011: 54).

In Zeiten der Globalisierung und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse kann heute nicht mehr von einer »Leitkultur« ausgegangen werden. Denn es bestehen »verschiedene Normen und Werte nebeneinander, die durch Schicht- und Milieuzugehörigkeit, bestimmte Interessenslagen oder Lebenseinstellungen geprägt sind, […] die sich stetig ändern. Auch Migranten sind keine einheitliche kulturelle Gruppe« (Brinkmann/Sauer 2016: 5). Doch »die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden […]. Dominanz macht rücksichtslos und stark« (Thiersch 2011: 54).

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