Читать книгу Inseldämmerung - Bent Ohle - Страница 10

Hamburg-Ahrensburg, Fritz-Reuter-Straße, 16:41 Uhr

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Martin schloss mit dem kleinen Piet auf dem Arm die Haustür auf und zog den Kinderwagen hinter sich her die Stufen hinauf, raus aus dem Regen, der sie überrascht hatte.

»So eine Scheiße«, fluchte er, als sein Sohn Joshua von oben die Treppe heruntergepoltert kam.

»Was’n los?«

»Na, es regnet!«, rief Martin und wischte Piet das Gesicht trocken. »Hab dieses Regendings vergessen … das Cape, den Umhang, die Hülle …«

»Ja, ja, hab schon verstanden«, entgegnete Joshua gelangweilt und wollte weiter in den Keller.

»Kannst du ihn kurz halten?«

»Ich muss zum Training!«

»Nur einen Moment, hier ist alles nass, ich wische nur schnell.«

Joshua streckte die Hände aus und lächelte seinen kleinen Bruder an. Erleichtert gab Martin Piet an Joshua ab, der sogleich Grimassen machte und Piet zum Lachen brachte.

»Gar nicht so einfach, die Elternzeit, was?«, fragte Joshua, während Martin den Flur wischte.

»Was soll das heißen?«

»Nichts, ich meine nur. Du siehst gestresst aus.«

»Na, Zuckerschlecken mit Füßehochlegen ist es jedenfalls nicht.«

»Hast du es deshalb bei mir und Dani nicht gemacht?«

Martin stützte sich auf den Stiel des Wischers.

»Ach, damals war das noch nicht so gang und gäbe, weißt du? Die Zeiten haben sich geändert.« Er wischte weiter.

»Ja, eben denkst du noch, du bist Manager, und schon wachst du als Hausfrau wieder auf, was?«

Martin blickte auf. Hatte Joshua einen Scherz machen wollen, oder meinte er das ernst? In letzter Zeit fiel er mit sehr zynischen Kommentaren ihm gegenüber auf. Martin hatte das auf die Pubertät geschoben und auf seine beginnende rebellische Ader, die wohl in jedem einmal aufkeimt.

»Wann kommt Mama nach Hause?«, fragte Martin.

»Das musst du doch wissen, ist doch deine Frau«, sagte Joshua und hob seinen Bruder in die Luft.

»Hast du irgendwas?«, hakte Martin nach. Er folgte seinem Sohn in die Küche.

»Nein, ich muss nur zum Training.«

»Schon gut, ich nehm ihn wieder«, sagte Martin.

Er legte Piet auf seine Decke im Wohnzimmer und begann, in der offenen Küche ein Fläschchen Milch für ihn warm zu machen. Daniela glitt lautlos auf ihren Plüschhausschuhen ins Wohnzimmer, den Blick auf ihr Handy gerichtet und trotzdem den Weg zum Sofa findend.

»Hallo, Dani«, grüßte Martin.

»Hi, Dad.«

»Weißt du, wann Mama heute nach Hause kommt?«

»No«, antwortete sie, ohne aufzublicken.

Die Haustür wurde aufgeschlossen.

»Da ist sie«, sagte Daniela beiläufig und ganz auf ihr Handy konzentriert.

»Danke, Schatz.« Martin grinste und lugte um die Ecke in den Flur. »Hi, wie war’s?«

»Sogar am letzten Schultag können einem die Ferien noch verdorben werden«, schimpfte Alexandra und warf ihre Jacke über den Garderobenhaken. Sie fiel herunter. Alexandra blieb mit hängenden Schultern stehen.

»Na, komm, ich helf dir.«

Martin hob die Jacke auf und hängte sie an den Haken. Dann nahm er seine Frau in den Arm.

»Was war los?«

»Dieser Vater besitzt doch tatsächlich die Frechheit und beschuldigt mich, seinen Sohn angestachelt zu haben. Ich hätte mich wohl falsch verhalten und seinen Jungen dazu gebracht, im Unterricht mit seinem Etui nach mir zu werfen.«

»Ich wusste, du bist schuld«, sagte Martin, und Alexandra lachte traurig in seine Schulter hinein. »Jetzt sind Ferien. Morgen fahren wir in den Urlaub. Du brauchst dir um nichts mehr Gedanken zu machen.«

»Gibt’s Probleme?«, fragte Joshua, der mit einem Wäscheberg auf dem Arm aus dem Keller kam.

»Joshi, ich denk, du bist längst beim Training«, sagte Martin leicht vorwurfsvoll.

»Josha, Papa, Josha. Ich musste erst meine ganzen Klamotten abhängen.«

»Ach, du Armer.«

»Was ist mit dir, Mama?«

»Alles gut«, wiegelte Alexandra ab. Sie löste sich aus Martins Umarmung. »Da war nur so ein Vater, der mich angegriffen hat …«

»Angegriffen?«, fragte Joshua alarmiert.

»Nur verbal.«

»Und lässt du dir das gefallen?«

»Ich muss mich in Vernunft und Ruhe üben, ich bin die Lehrerin.«

»Und du, Pa, was hättest du gemacht?«

»Ich? Na, das Gleiche. Man muss immer ruhig bleiben.«

»Bloß nicht wehren, was?«

»Ach, Joshi … äh … Josha, entschuldige, aber in deinem Alter sieht man das etwas … mehr schwarz und weiß.«

»Stell dir vor, dieser Typ beleidigt Mama. Würdest du sie nicht verteidigen? Wenn du ihm jetzt gleich auf der Straße begegnest, was würdest du machen?«

»Ihn grüßen.«

Joshua lachte verächtlich auf und ging mit seiner Wäsche die Treppe hinauf in den ersten Stock. »Du bist doch nur zu feige.«

»Was war das?«, fragte Alexandra erbost.

»Lass ihn.« Martin winkte ab. »Er ist grad in so einer Testosteron-Phase, verstehst du?«

»Aber deswegen muss er keinen beleidigen.«

»Komm, sag deinem anderen Sohn Guten Tag, der ist sonst ähnlich schlecht gelaunt wie der große.«

Martin zog seine Frau an der Hand ins Wohnzimmer, wo Alexandra sich sogleich vor Piet auf die Knie fallen ließ.

»Pieti, hallo«, begrüßte sie ihn.

»Hi, Mom«, sagte Daniela, auf ihr Handy starrend.

»Hi, Schatz. Passt du auf ihn auf?«

»Nee, sitz hier nur zufällig rum.«

»Ich hab ein Fläschchen für ihn gemacht«, schaltete Martin sich ein und nahm die Milch aus dem Hitzebad.

»Papa hat für dich gekocht?«, fragte sie den Kleinen und hob ihn immerzu küssend hoch.

Alexandra und Martin nahmen am Esstisch Platz, und Martin schob seiner Frau die Flasche hin. »Die haben so viel Sturm angesagt, dass wir die Fahrräder besser hierlassen«, sagte er. »Die krachen uns sonst vom Dach.«

»Oh, oh, das wird Josha nicht gefallen«, rief Daniela.

»Da muss er mit leben. Papa hat recht. Sicher ist sicher.«

»Natürlich. Immer schön vorsichtig sein, bloß nichts riskieren.«

Beide drehten sich zu ihrer Tochter um.

»Fängst du jetzt auch damit an?«, wollte Alexandra wissen. Piet öffnete den Mund, aber der Sauger schwebte unerreichbar vor seiner Nase.

»Womit?«

»Mit diesen sarkastischen Kommentaren.«

»Nein, ich hab nur …«

Piet verzog das Gesicht und fing an zu heulen. Alexandra steckte den Nuckel in seinen Mund. »Ich will nichts mehr hören, klar?«, sagte sie abschließend und konzentrierte sich wieder auf ihren jüngsten Sohn.

»Also«, setzte Martin an, »ansonsten ist eigentlich alles da. Es fehlt nur noch …« Er machte eine heimlichtuende Grimasse.

Alexandra verstand sofort.

»Hoffentlich klappt das, sonst werden wir richtig dicke Luft haben.«

»Von was redet ihr?«, wollte Daniela wissen.

»Nichts, gar nichts«, entgegnete Martin schnell.

Es klingelte an der Tür. Martin ging nach vorn in den Flur und erkannte die rot-gelbe Kleidung des Paketboten hinter der Milchglasscheibe.

»Guten Tag, ein Paket für Trender«, sagte der Bote und tippte dabei mit einem Stift auf dem Lesegerät herum.

Martin nahm das Päckchen entgegen und unterzeichnete auf dem verkratzten Display.

»Halt, stopp«, rief Alexandra und kam mit Piet auf dem Arm herbeigeeilt. Sie streckte dem Boten eine Tüte mit Keksen und etwas Trinkgeld entgegen.

»Oh, das ist aber nett«, freute der sich und schob seinen Mützenschirm höher. »Vielen Dank und frohe Weihnachten für Sie.«

»Ebenso. Frohe Weihnachten.«

Martin schloss die Tür und blickte auf den Absender.

»Ist es das?«

»Ja, Weihnachten ist gerettet.«

»Wusste gar nicht, dass das Christkind für den Mindestlohn beim Paketdienst arbeitet«, sagte Daniela im Vorbeigehen und verschwand im Gästebad. Das Schloss schnappte ein.

Martin und Alexandra sahen sich verdutzt an.

»Mit denen sollen wir in den Urlaub fahren?«, fragte Martin Piet und pikste ihm in den Bauch. »Du bist das einzig nette Kind hier im Haus.«

Der Kleine lachte, und sie gingen zurück ins Wohnzimmer.

Inseldämmerung

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