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4. Vom langen Mut


Vor kurzem begegneten mir wieder unsere 70er Jahre und das Gedicht von Bert Brecht: „An die von Nachgeborenen“. Es hat mich berührt. Was hätte ich anstelle Brechts zu sagen? Mein leider längst verstorbener Freund Gerhard Portele hat oft von Brecht und von der langen Wut gesprochen. Mutter Courage: „Ihre Wut ist nicht lang genug, mit der können Sie nix ausrichten, schad.“

Nun weiß ich nicht, ob es heute Wut braucht. Hat sie bislang viel gebracht? Wird nicht eh zu viel polemisiert und polarisiert? Wird nicht in breiten Kreisen chronisches Schwelgen in Empörung und Wüten eh zu viel gepflegt? Von den Wütenden damals sind immerhin auch viele zur Vernunft gekommen, haben auf ihrem langen Marsch gelernt und gewirkt ohne ihre Leitsterne aus den Augen zu verlieren.

Ich halte es eher mit Mut, also der Haltung, mit der wir kritischen Situationen mit Kraft und Zuversicht begegnen können. Und langer Mut? Was könnte das meinen? Ist nicht jeder hin und wieder mutig, wächst über Kleinmut hinaus und tritt für das Größere oder das Verletzliche ein? Doch, bestimmt. Und wie geht es dann weiter? Wie oft habe ich geglaubt, dass mein Engagement -mit zumindest kleinem Mutunmittelbar Bewegung auslösen müsste und sich die Verhältnisse schon bald ändern würden. Und dann geschah nichts oder lange nichts und dann doch ein bisschen was, Resonanz bei einigen, zumindest teilweise und in etwa in der Richtung, die ich mir vorgestellt hatte, … oft erst viele Jahre später. Der Samen der besseren Ideen muss meist lange auf den Pflug des Umbruchs warten2.

Da muss man geduldig sein, Langmut entwickeln und dranbleiben, trotz vermeintlichem Stillstand nicht einschlafen, sondern alert bleiben, vorbereitet, wenn der Wind sich endlich dreht. Das ist nicht so einfach, zumal ein Thema oft erst dann Kraft bekommt, wenn man selbst schon woanders ist. Oft ist es wie Samen in den Wind streuen und halt irgendwie auf Wirkung hoffen. Oft entdeckt man erst später, dass doch etwas gewachsen ist -meist eher beiläufig. Wer kennt es nicht, dass einem Jahre später fast zufällig erzählt wird, wie wichtig ein Impuls, eine Hilfestellung waren. Nicht so leicht daraus Mut zu schöpfen. Und doch macht Engagement Sinn, und Passionen halten uns in Gang.

Wir sind biologische Wesen und das beschert uns Leidenschaften. Und Sinnsuchende Wesen sind wir auch. Und Sinn kann ohne Leidenschaften kaum empfunden werden? Wie sollen Menschen aber herauskristallisieren, was sie wirklich treibt? Danach lohnt sich, das eigene Leben zu befragen. Maschinen brauchen sowas nicht. Denn wir wären ohne Passionen verloren, wüssten nicht wer wir sind und was wir sollen. Ein Segen, wenn uns etwas wirklich umtreibt, auch wenn es sich noch in unerlöster Form zeigt. Toll, wenn man so seinem Genius auf die Spur gekommen ist. Ab dann geht es ums Balancieren zwischen heißem Engagement und Apathie.

Mit dem stoischen Ideal der Apathia ist weniger Abgestumpft Sein und Gleichgültigkeit gemeint, sondern gelassenes Engagement. Nicht zufällig ist Vortrefflichkeit ein weiterer Wert im stoischen Menschenbild, also Tugend oder Kompetenz. Als „didaktische Orientierung“ diente den Stoikern die Metapher vom Ei. Die Schale steht für Wissen und Vernunft, Eiweiß für Ethik und Lebenskunst und Dotter für die reale Welt draußen. Für Charakterschulung gehört alles zusammen. Ohne Vernunft und Kompetenz keine tragfähige Ethik, ohne ethische Ausrichtung weder Vernunft noch verantwortliche Kompetenz! Ohne Bewährung im konkreten Leben keine Fruchtbarkeit.

Vernunft ist in unseren Sphären ohne Denkschulung nicht zu haben. Unsere Denkschemata immer wieder infrage zu stellen, kann harte Arbeit bedeuten. Geht es nicht leichter? Man fühlt doch, was richtig ist. Für Stoiker sind Gefühle Meinungen. Gefühle sind mit Urteilen und Weltbildern verbunden und insofern zu verantworten. In den 70er-Jahren hat man uns beigebracht, alle Gefühle für natürlich zu halten und uns an ihnen zu orientieren, wohl ein Irrweg. Schon das griechische Theater habe wesentlich der Gefühlserziehung des Volkes gedient. Lernen bei Gefühlen würde für einen praktizierenden Stoiker z.B. bedeuten, Ängste vor einem Flugzeugabsturz ab- und vor der Umweltbelastung durch Fliegen aufzubauen. Letzteres tritt mit höchster Wahrscheinlichkeit ein, ist für Menschen gefährlich und man kann etwas tun.

Es geht auch um ein neues Verständnis von Problemen. Entwicklungskonflikte verschwinden durch Lösungen meist nicht. Sie sind eher verlagert, hoffentlich auf eine weiterführende Ebene.

„I’m still myself, but on a higher level!‘3

Und ganz nebenbei wollen wir auch ein gutes Leben, zumindest Inseln der Unbeschwertheit haben. Lebenskunst zwischen Skylla und Charybdis. Auf der einen Seite Untergangstimmung, die schwermütig und zynisch machen kann, auf der anderen Seite Schönfärberei und Schwärmerei, die zu „glückseliger Dummheit“ führen kann. Für den Kurs dazwischen brauchen wir viel langen Mut.

2 Bernd Schmid Originalton, siehe Quellverweis im Buchanhang.

Wie wir unsere Zeit verbringen

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