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2. Inspiration


Manchmal küsst mich die Muse. Zuerst bin ich ergriffen von einer Einsicht in Zusammenhänge, von mir bedeutsamem Aufscheinen von Hintergründen, eine Verbindung zu Sphären und Welten, die mir so noch nicht klar gewesen ist.

Manchmal spreche ich dann direkt mit Menschen in meiner Umgebung. Die Erkenntnisse, besser die Bewegtheit durch Verstehen von Zusammenhängen, etwas, was ich unterschwellig schon irgendwie wusste, tritt klar in den Vordergrund, kommt frisch rüber. Eine Atmosphäre der Inspiration, dem Erhoben sein durch Anteilnahme an so wichtigen Einsichten und Erfahrungen ist ansteckend. Dann setze ich mich hin und will genau das festhalten. Und dann gerinnt es zu Aussagen, die nicht mehr tragen. Asche! Das Feuer ist schon erloschen.

Manchmal lasse ich, durch Erfahrung gewitzt, gleich bei den frischen Gesprächen oder im Seminar ein Tonband mitlaufen. Und tatsächlich ist es danach leichter die Bahn sprachlich nachzuzeichnen, die sich der Gedankenfluss gesucht hat. Die Frische dieser Bewegung erzeugt beim Schreiben neue Gedanken. Damit sie nicht wegsprudeln, müssen sie in Worte gefasst werden. Ein weiterer Strom entsteht und die Gedanken folgen dem sich neu bahnenden Bett. Dort vermischen sie sich mit den Gedanken auf dem Tonband, doch in neue Worte gefasst, in andere Zusammenhänge verschoben, orientiert an anderen Horizonten.

Oft kommen mir die Gedanken schon morgens unter der Dusche. Es ist, als würden die unterschwelligen Denkvorgänge des letzten Tages und der Nacht gerade jetzt auftauchen und sich in Worten fassen. Ich weiß, dass es dann Zeit ist, mich gleich hinzusetzen, um sie in aller Frische festzuhalten. Es ist oft besser, wenn ich sie nicht vorher formuliere. Sie schweben um mich herum. Ich habe ein paar Wörter als Bojen für das Fischernetz, dessen Ausdehnung unter Wasser ich nicht kenne. Dann, so wie ich mit dem Aufschreiben vorankomme, hole ich es allmählich ein und lasse mich vom Auftauchen des Fanges überraschen.

Ich habe gelernt diesem Vorgang einen Rhythmus zu geben. Manchmal schien das Netz oder der Fang zu groß und mir gingen die Kräfte aus, bevor ich den Fang einbringen konnte. Zu groß, zu weit schweifend, zu viele Ebenen, noch nicht die richtigen Worte. Früher überschwemmten mich oft die Gedanken, bevor ich bereit war, den Fang einzuholen und weiterzuverarbeiten. So ging vieles verloren und mancher Fisch fand den Weg zurück ins Wasser, ohne dass ich ihn auch nur richtig zu Gesicht bekommen hätte.

Doch schaffe ich heute meist äußeren Raum und hole die Ernte soweit ein, dass ich sie frisch konservieren kann, so, dass ich sie auch nach Tagen noch verwerten kann. Und verbessern: etwas mehr Systematik und Treffsicherheit in den Worten, etwas mehr ausgewogenes Maß in den Urteilen, etwas mehr Abstand und Offenheit in den Aussagen, Ausdruckslebendigkeit und Bescheidenheit.

Dann entstehen Texte, in denen zumindest ich mich auch nach Jahren noch gerne wieder finde. Und die einen Kreis von Menschen um mich erreichen.

Wie wir unsere Zeit verbringen

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