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5. Horizonte


Eigentlich habe ich auch Glück gehabt.

So hatte ich das Glück, dass mir meine persönlichen Horizonte meist weiter schienen als die meines Umfeldes bzw. ich mir andere Horizonte nur selten zum Maßstab machen musste. So steuerte ich meinen (frei-)beruflichen Flieger meist in dem Bewusstsein, überall hinzureichen, wo ich eine interessante Landschaft sah und mich auf einen Horizont zu zu bewegen, hinter dem Neu-Land zu entdecken war.4

Dieser verschob sich zwar, je weiter ich kam und je mehr Höhe ich gewann, schien mir aber immer irgendwie dafür geschaffen zu sein durch mich erobert zu werden. Diese Vorstellungen weckten in mir schöpferische Lust und ein wachsendes Selbstbewusstsein als Pionier neues zu erschließen. Natürlich hatte ich wie alle Menschen auch Frustrationen zu erleiden und Niederlagen zu ertragen. Doch blieb die Pionieridentität vorherrschend und die Rückschläge und fehlende Resonanz gehörten eben dazu.

Natürlich waren diese Selbstbilder in einer Weise trügerisch und einiges müsste im Nachhinein einem Stadium der unbewussten Inkompetenz zugerechnet werden, doch gaben sie Kraft, Selbstvertrauen und Ausstrahlung in relevante Kreise hinein. Die Ansprüche aus den Welten, in denen ich mich bewegte, waren in den 70er und 80er-Jahren auch noch nicht so hoch oder ich bewegte mich eben in Welten, die für mich attraktiv waren und in denen eher ich mithalf höhere Standards zu etablieren. So hatte ich günstige Bedingungen, um mit meinem etwas gehobenen Mittelmaß einen etwas herausgehobenen Weg zu beschreiten.

Ohne Zweifel haben es viele Professionelle heute schwerer, die von vorne herein mit viel höheren und komplexeren Ansprüchen konfrontiert sind und weit mehr damit zu tun haben, überhaupt mithalten zu können.

Rückblick:

Meine Mutter war Schneidermeisterin mit eigenem Betrieb und stammte aus einem zerbrochenem Juristen-Zuhause mit geistigen Interessen. Zu meinen Erinnerungen als Bub gehört, mit welcher Sehnsucht sie Taillard de Chardin erwähnt hat.

Mein Vater war technischer Leiter einer Kleinmöbelfabrik. Er stammte aus einem handwerklichen Milieu, das sich in die kleinindustrielle Welt hinein entwickelte. Intellektuelle Interessen gab es da nicht, wohl aber ein eher stilles Sinnieren über die Dinge.

Ich stamme also nicht gerade aus einer gebildeten Familie. Bildungsfern wäre auch falsch. Halt so Mittelmaß. Wir hatten Bücher zuhause, die allerdings kaum gelesen wurden. Wir beiden jüngeren Buben durften uns im neusprachlichen Gymnasium in einem Kleinstadtmilieu durchschlagen. Immerhin fand ich Freude am Schultheater und suchte meine Bewährungen eher außerhalb, sei es als begeisterter Reiter oder als Leader einer Provinz-Beat-Band.

Meine Geschwister beschritten beruflich eher technisch-naturwissenschaftliche Wege. Ich studierte Wirtschaftspädagogik. Durch Zufall und Neigung driftete ich mehr und mehr Richtung Erziehungswissenschaften und Psychologie, um schließlich in diesen Fächern zum Doktor der Philosophie zu promovieren.

Mit einem Selbstverständnis als akademischer Philosoph hatte das allerdings nicht viel zu tun. Meine Interessen, zu hinterfragen richteten sich ganz auf die Bereiche, die ich mir nach und nach erschließen konnte; Hochschuldidaktik, Gruppendynamik und Psychotherapie. Zu den Gesellschaftsfragen führte mich die Freundschaft mit dem deutlich älteren Soziologen Gerhard (Heik) Portele. In seinem Schlepptau durfte ich an meiner ersten Veröffentlichung im sozialwissenschaftlichen Bereich mitwirken5.

Den Lebensphilosophischen Fragen begegnete ich durch die Schicksale, die ich als Psychotherapeut kennen lernen durfte. Ich machte mir dazu meinen eignen Gedanken, die immer häufiger über die Horizonte, die aus meinen Weiterbildungen nahe lagen, hinausführten. Viel Hinterfragen und eigene Antwortversuche wurden auch dadurch ausgelöst, dass ich mich immer wieder an Konventionen verschiedener Schulen und Verbände, an eher dogmatischen Berufs- oder Wissenschafts-Vorgaben rieb.

Und dann?:

Ich habe seit vielen Jahren zunehmend das Bedürfnis und die Zeit, mich jenseits der aktuellen Gestaltungsfragen mit Philosophie, Gesellschaftsfragen und Literatur zu befassen. Das führte dazu, dass ich wahrnahm, wie überwältigend umfangreich und qualifiziert sich auch andere mit meinen Themen auseinandergesetzt haben. Ich entdeckte, dass die Fragen, die mich beschäftigten, schon viele Generationen und herausragende Denker vor mir beschäftigt haben, dass Erkenntnisse, zu denen ich gelangt bin, zum Grundbestand kultureller Einsichten gehören.

Solche Horizonte begeistern mich. Sie entmutigten mich auch, aber nur gelinde, weil ich in meinem Feld so etabliert bin, dass ich das Pioniergefühl nicht mehr so für mein Selbstverständnis brauche. Ja es gibt mir sogar eine gewisse Befriedigung, mich in größere Diskussions- und Reflexionsströme einzubinden. Allerdings bekam ich auch mehr Skrupel, mich zu großen Fragen öffentlich zu äußern.

So recht betrachtet, war ich froh, dass mir die Unschuld nicht früher genommen wurde, und mir die Enge meiner Horizonte nicht bewusst war. Woher hätte ich bei meiner Biographie und mit meiner Ausstattung den frischen Mut und die Gestaltungsfreude nehmen sollen? Da fällt mir eine Erzählung ein, die mir im Gedächtnis hängen geblieben ist.

Ein Hirte klopfte an die Hinterpforte des Sultan-Palastes eines Wüstenstaates. Nach seinem Anliegen gefragt, erklärte er, er habe eine Quelle mit so frischem Wasser gefunden, wie es sonst nirgends zu finden wäre. Er wolle dem Sultan davon bringen, da nur dieser dieses Wassers würdig wäre. Er wurde vorgelassen. Der Sultan nahm die Huldigung dankend entgegen und würdigte seinerseits die Einmaligkeit des Geschenkes und seinen Untertan. Er war ein weiser und gütiger Herrscher und veranlasste, dass der Hirte auf demselben Wege wieder hinausbegleitet wurde. Er sollte die herrlichen Brunnen und Wasserspiele des Palastes nicht sehen.

3 Bernd Schmid Originalton, siehe Quellverweis im Buchanhang.

4 www.coaching-magazin.de/portrait/interview-bernd-schmid

5 B. Schmid / G. Portele Brechts Verfremdungseffekt und soziales Lernen. Zeitschriftenveröffentlichung, 1976.

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