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9. Kampf um Anerkennung


Warum eskalieren Konflikte in irrationale Kämpfe? Warum sind die Parteien selten in der Lage, solche Kämpfe zu unterlassen oder aus ihnen auszusteigen? Zwecklos werden Kämpfe spätestens dann, wenn sie nicht nur das Umkämpfte zerstören, sondern zusätzliche Schäden hervorrufen? Ganz zu schweigen von verpulverter Kraft. Dennoch muss ihre Fortsetzung von irgendetwas getrieben sein.

Ein naheliegendes Etikett ist „Machtkampf“. Unterwerfung um jeden Preis? Gelegentlich mag diese Annahme plausibel sein. Doch ist es originär das Streben nach Überlegenheit? Oder eher die Abwehr von entwürdigender Unterlegenheit? Also Notwehr? Da dieses Empfinden subjektiv ist, nehmen gerne mehrere Parteien gleichzeitig Notwehr für sich in Anspruch. Viele Kämpfe werden wohl von diesem Empfinden getragen oder könnten ohne dieses ein Ende finden. Hierzu empfiehlt es sich, nach Möglichkeiten für wechselseitige Beruhigung und Anerkennung Ausschau zu halten.

Anerkennung ist ein Grundbedürfnis und die Suche danach kann in jeder Beziehung als hintergründige Strebung angenommen werden. Menschen wollen sich in Beziehungen gespiegelt sehen, in dem was sie sind und werden könnten. Kluge Partner hören hin und prüfen. Was kann man positiv sehen? Wo und wie findet man zueinander? Und kluge Gegner tun dies auch im Konflikt und im Kampf. Dabei gibt es so viele Eigenarten wie eben Menschen verschieden sind. Es lohnt sich fast immer, zumindest herauszufinden, worin Menschen anerkannt werden wollen. Sensibilität dafür, gehört zu Grundkompetenzen im Konflikt. Destruktiv eingesetzt zeigt sie sich in verletzenden Schmähungen. Entwürdigung gehörte zu allen Zeiten zum Repertoire der Gewalttätigkeit. Sie treiben den Gegner in Notwehr. Die Bereitschaft auch Konfliktgegner anzuerkennen kann zumindest der Deeskalation dienlich sein. Sie ist außerdem Ausdruck von prinzipieller Friedfertigkeit, auch im Kampf. Das teilt sich mit.

„Soziale Konflikte können nicht allein als ein Kampf um Lebens- und Überlebenschancen, um die Durchsetzung des jeweiligen Gruppeninteresses verstanden werden.“8 Sich benachteiligt Fühlende „begehren auch auf, weil sie sich durch die Gegebenheiten gedemütigt, erniedrigt, „beschämt“, das heißt in ihrer Selbstachtung getroffen fühlen.“ Es fehlt an Anerkennung. Doch anerkennen worin? Als jemand, dessen Eigenarten, dessen Eigenständigkeit und dessen Lebensentwurf unabhängig von den Streitpunkten respektiert werden. Soweit es sich um einen Verteilungskonflikt handelt, ist entscheidend, den Beitrag anderer zu würdigen. Hierbei muss man nicht unbedingt teilen, wie andere Verdienste und Beiträge bewerten. Ihre Beurteilung respektvoll zur Kenntnis zu nehmen kann ausreichen.

Menschen haben gelegentlich das Gefühl, ohne Verschulden einseitig die Lasten von schwierigen Entwicklungen zu tragen. Auch dies kann anerkannt werden, insbesondere, wenn etwas daran ist. Dennoch wird dies oft in der Kommunikation vermieden, weil man fürchtet, damit Ansprüche zu rechtfertigen. Z.B. wird zur Entlassung anstehenden Mitarbeitern gerne die Schuld an ihrem Schicksal zugeschoben. Zur eigenen Dissonanz-Reduktion neigt man dazu, diese Version dann auch selbst zu glauben. Entsprechend werden Begründungen vorgebracht, die die Selbstachtung des Gegenübers mindern.

Trennungs-Auseinandersetzungen können gerade dadurch unnötig verbissen und teuer werden. Trotz hoher Ablösung bleibt Verbitterung. Ist das klug? Ist das human? Warum für empfundenes Unrecht und Benachteiligung nicht Mitgefühl ausdrücken? Daraus müssen nicht immer Ansprüche abgeleitet werden. Oft im Gegenteil: Anerkennung kann die Neigung, aus der Situation Kapital zu schlagen, erheblich mindern. Nicht immer, aber öfter als vermutet: Großmut weckt Großmut. Und was vergibt man sich schon, wenn man selbst die ersten Schritte tut? Welche Anerkennung braucht man selbst?

8 Axel Honneth: Kampf um Anerkennung - Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte; Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1992.

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