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3.Die einzelnen Mordmerkmale

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31a) Persönlichen Mordmerkmale der 1. Gruppe. Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier und sonstige niedrige Beweggründe knüpfen die Strafschärfung an besonders verwerfliche Motive (Beweggründe) des Täters. Hierbei handelt es sich nach h. M. um Merkmale des subjektiven Tatbestandes46. Die Merkmale Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind gesetzlich genannte Beispiele für niedrige Beweggründe („sonst ein niedriger Beweggrund“). Soweit eines der erstgenannten Merkmale verwirklicht ist, gelangt die Auffangvariante des sonstigen niedrigen Beweggrundes nicht zur Anwendung; vielmehr bedarf es hierfür eigenständige weitere Motive. Kommen verschiedene, möglicherweise zusammenwirkende Motive des Täters in Betracht (sog. Motivbündel), so ist das bewusstseinsdominante Motiv entscheidend, d. h. der die Tat prägende Handlungsantrieb muss für sich betrachtet „niedrig“ sein und so eines der genannten Mordmerkmale begründen47.

32Der Täter muss die persönlichen Mordmerkmale stets auch subjektiv in ihren tatsächlichen Voraussetzungen erfassen, muss also etwa die tatsächlichen Umstände kennen, aus denen der Schluss auf habgieriges Handeln gezogen wird. Es ist daher erforderlich, dass er sich derjenigen Tatumstände bewusst ist, die der Bewertung seines Handlungsantriebes als „niedrig“ zugrunde liegen48. Die rechtliche Bewertung als „niedrig“ (Subsumtion) braucht der Täter hingegen nicht nachzuvollziehen. Soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen (wie Wut, Hass oder Zorn) als Handlungsantriebe in Betracht kommen, muss der Täter diese auch gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern können49.

33aa) Mordlust. Fälle der Mordlust sind nicht nur in der Praxis recht selten, sondern dürften auch in Prüfungsarbeiten eher die Ausnahme darstellen. Eroforderlich ist, dass es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen50.

Definition

Aus Mordlust handelt der Täter, wenn er aus reinem Mutwillen, aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens oder aus Zeitvertreib tötet51.

34bb) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs. Von größerer praktischer Bedeutung ist die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs im Zusammenhang mit Sexualstraftaten.

Definition

Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs handelt, wer die geschlechtliche Befriedigung durch oder im Zusammenhang mit dem Tötungsakt sucht.

Erfasst werden zunächst (1) Fälle des Sexualmords, bei denen der Täter die geschlechtliche Befriedigung durch die Tötung des Opfers, d. h. im Tötungsakt selbst sucht52. Ob der Täter die angestrebte sexuelle Befriedigung tatsächlich erreicht, ist für die Verwirklichung des subjektiven Merkmals, das lediglich eine entsprechende Zielrichtung verlangt, unerheblich. Weiter verwirklicht dieses Merkmal, (2) wer eine andere Person tötet, um sich anschließend an der Leiche sexuell zu befriedigen53. Letztlich erfüllt dieses Mordmerkmal auch, (3) wer bei einer Sexualstraftat Gewalt anwendet und dabei mit Eventualvorsatz hinsichtlich des Todes des Opfers handelt54.

35cc) Habgier. Für Klausuren bedeutsam ist vor allem das Merkmal der Habgier.

Definition

Das Mordmerkmal Habgier setzt ein ungezügeltes, rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis – auch um den Preis eines Menschenlebens – voraus55.

Habgier ist insbesondere dann gegeben, wenn der Täter den Tod eines Menschen deshalb anstrebt oder in Kauf nimmt, weil er sich unter völliger Missachtung seiner elementaren Rechte und Interessen in den Besitz seiner Habe setzen will56. Das Gewinnstreben kann mit anderen Beweggründen wie Hass, Verzweiflung oder Angst zusammentreffen, solange bei Motivbündeln nur das Gewinnstreben das Bewusstsein dominiert57.

Bsp.: T tötet den O, der ihn testamentarisch zum Erben eingesetzt hat, um „vorzeitig“ an die Erbschaft zu gelangen. – Unerheblich für die Verwirklichung des Mordmerkmals wäre es, wenn T den O nebenbei hasst, weil er ihn in der Vergangenheit mehrfach schikaniert hat.

36(1) Habgier kann in jedem Streben nach einem Vermögenswert liegen. Es muss nicht beabsichtigt sein, einen beträchtlichen Gewinn zu erzielen. Denn gerade auch die Tötung eines Menschen zur Erlangung geringer Vermögenswerte kann als besonders verwerflich zu qualifizieren sein.

Bsp.:58 T tötet nach einem Banküberfall den O, um mit dessen Wagen die Beute in Sicherheit zu bringen.

37(2) Erfasst werden auch Fälle, in denen es dem Täter darum geht, Zahlungen an das Opfer zu vermeiden. Richtigerweise kann es nämlich nicht darauf ankommen, ob der Täter einen positiven Gewinn erzielen oder nur Aufwendungen bzw. Verluste vermeiden möchte, da es ihm per saldo in beiden Fällen darum geht, seine Vermögenslage zu verbessern. Nicht erforderlich ist demnach, dass durch die Tat ein „Mehr“ in das Vermögen fließen soll. Vielmehr wird auch ein Handeln zur Besitzstandswahrung erfasst59.

Bsp.: Der Ehemann tötet seine Frau, um nach der Trennung keinen Unterhalt zahlen zu müssen. – Der Schuldner tötet seinen Gläubiger, um die Rückzahlung eines Darlehens zu vermeiden.

38dd) Sonstige niedrige Beweggründe. Solche liegen nur vor, wenn diese im Unrechts- und Schuldgehalt mit den drei im Gesetz zuvor genannten Merkmalen vergleichbar sind und sich daher entsprechend vom Totschlag des § 212 abheben.

Definition

Ein niedriger Beweggrund liegt vor, wenn die Tatantriebe nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und daher besonders verachtenswert sind60.

Bsp.: Rachsucht61, Neid und Hass62, Selbstjustiz63, Imponiergehabe64, Ausländerfeindlichkeit65 oder Blutrache66.

39Auch Gefühlsregungen wie Verärgerung, Wut oder Enttäuschung können niedrige Beweggründe darstellen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen67. Erforderlich ist aber immer, dass diese Motive menschlich nicht verständlich und Ausdruck der niedrigen Gesinnung sind. Hierzu ist eine Gesamtwürdigung der Umstände der Tat sowie der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit vorzunehmen. Dabei sind nach h. M. die besonderen Lebensanschauungen und Wertvorstellungen in die Bewertung mit einzubeziehen68. Auch das Verhältnis des Anlasses der Tat und der Folgen ist von Bedeutung69. Freilich begründet ein Missverhältnis oder die Verfolgung eigener Interessen für sich genommen noch nicht den erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Auch Fälle, in denen eine Verdeckungsabsicht verneint wird, weil etwa der Täter mit der Tötung nur die Flucht erleichtern möchte, können hier Bedeutung erlangen70.

40Handelt der Täter aus verschiedenen Motiven (Motivbündel), so sind die bewusstseinsdominanten Beweggründe, die die Tat prägen, maßgeblich71. Zumindest eines dieser Motive muss den Voraussetzungen des niedrigen Beweggrundes entsprechen.

Bsp.: Die Frau des T geht mit O, einem alten Studienfreund, ins Kino. T ist deshalb rasend eifersüchtig und tötet O aus krasser Eigensucht. – Die Eifersucht kann im Einzelfall einen niedrigen Beweggrund i. S. d. § 211 Abs. 2 Gruppe 1 darstellen. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, da für T kein menschlich nachvollziehbarer Anlass zu einer solch maßlos übersteigerten Eifersucht vorlag und er aus krasser Eigensucht handelte. Im Einzelfall kann jedoch auch in solchen Fällen anders zu entscheiden sein, wenn Umstände zugunsten des Täters vorliegen, die im Wege der Gesamtwürdigung zur Verneinung des niedrigen Beweggrundes führen; so etwa wenn der Täter zuvor gekränkt oder gedemütigt wurde oder bei einer Spontantat die Ehefrau mit dem Liebhaber „auf frischer Tat ertappt“.

Klausurhinweis

In Klausuren sind für die notwendige Gesamtwürdigung dem Sachverhalt alle relevanten Angaben zu entnehmen und abzuwägen.

41b) Objektive Mordmerkmale der 2. Gruppe. Die Merkmale heimtückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln sind tatbezogen. Sie betreffen die Art und Weise der Tötung und damit das Unrecht der Tat; sie sind im objektiven Tatbestand zu prüfen.

42aa) Heimtücke. Die größte Bedeutung erlangt das Merkmal der Heimtücke. Die „Aufstufung“ des Totschlags zum Mord ist in dem Umstand begründet, dass der Täter in hinterhältiger Weise das Überraschungsmoment ausnutzt und dadurch das Opfer hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder diesen doch wenigstens zu erschweren72.

Definition

Heimtückisch tötet, wer die Arg- und daher Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung ausnutzt73.

43(1) Arglos ist dabei, wer sich zum Zeitpunkt der mit Tötungsvorsatz vorgenommenen Tathandlung keines Angriffs versieht74. Das Opfer kann erstens überhaupt nur arglos sein, wenn es die Fähigkeit zum Argwohn besitzt. Auch ein Schlafender soll nach h. M. arglos sein können, da dieser seine Arglosigkeit „mit in den Schlaf nimmt“, indem er sich bewusst dem Schlaf im Vertrauen darauf hingibt, dass ihm nichts geschehen werde75. Die Arglosigkeit fehlt hingegen bei Besinnungslosen, weil diese dem Angriff nicht entgegentreten können76. Ferner wird diese auch bei sehr kleinen Kindern verneint, sofern deren Wahrnehmungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist und diese deshalb nicht fähig sind, anderen Vertrauen entgegen zu bringen77. Das bloße Überlisten natürlicher Abwehrinstinkte von Kleinstkindern genügt dabei nicht78.

Bsp.:79 T süßt den Brei des Kleinkindes K, damit dieses das tödliche Gift nicht bemerkt. – T macht sich nach § 212, nicht aber § 211 strafbar, da K noch nicht zum Argwohn fähig war.

44Ggf. kann bei Kleinstkindern und Bewusstlosen auf die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter (z. B. Eltern, Aufsichtspersonal oder Ärzte) abgestellt werden80. Schutzbereit ist dabei derjenige, der den Schutz vor Leibes- und Lebensgefahren dauernd oder vorübergehend übernommen hat und ihn im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies unterlässt, weil er dem Täter vertraut81. Voraussetzung ist, dass der Dritte den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe82 und eine überschaubare Anzahl anvertrauter Personen erforderlich sind83.

Bsp.:84 Vater T tötet seinen einjährigen Sohn O im Schlaf; im Nebenzimmer ist der 7 Jahre alte Bruder anwesend. – Heimtücke ist zu verneinen, wenn der ältere Bruder keine Schutzfunktion übernommen hat; O selbst fehlt die Fähigkeit zum Argwohn.

45Der Täter muss den schutzbereiten Dritten aber nicht gezielt ausschalten, vielmehr genügt es, wenn der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit des Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Bedeutung hat dies vor allem bei der Tötung bewusstloser Patienten erlangt.

Bsp.:85 Krankenschwester T spritzt in Anwesenheit von nahen Angehörigen oder Ärzten eigenmächtig ein Mittel, um den bewusstlosen und schwerkranken Patienten O, der zuvor nicht in die Tötung eingewilligt hat, zu töten; zudem schaltet sie an den Geräten eine Vorrichtung ab, die bei einer Verschlechterung des Zustandes Alarm auslöst. – T macht sich nach §§ 212, 211 strafbar, da sie heimtückisch handelte. O selbst war zwar zum Argwohn nicht fähig, jedoch nutzte T die Arg- und daher Wehrlosigkeit der schutzbereiten Dritten aus. Hätten die Anwesenden den Angriff bemerkt, wären sie eingeschritten; dies unterblieb aber, weil sie T als behandelnder Krankenschwester vertrauten und auch der Alarm unterdrückt war. Zu prüfen bleibt, ob T auch in feindseliger Willensrichtung handelte; das kann in engen Grenzen zu verneinen sein, wenn sie dem Patienten individuell weiteres Leid ersparen möchte86.

46Besitzt das Opfer die Fähigkeit zum Argwohn, so muss es zum Zeitpunkt der Tathandlung grundsätzlich auch tatsächlich arglos sein. Ein bloß generelles Misstrauen oder eine latente Angst vor Angriffen steht der Annahme der Arglosigkeit nicht entgegen87. Selbst eine auf früheren Streitigkeiten und einer feindseligen Beziehung beruhende Angst des Opfers beseitigt dessen Arglosigkeit nicht. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Arglos kann das Opfer auch bei einem offenen, aber überraschenden Angriff sein, wenn die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen88. Das Opfer muss also keineswegs „hinterrücks“ angegriffen werden. Die Arglosigkeit kann im Einzelfall selbst dann vorliegen, wenn der Tat zwar ein Angriff des Täters vorausgegangen ist, dieser aber bereits wieder beendet war89. Entscheidend ist demnach, ob das Opfer im konkreten Fall mit einem Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Integrität tatsächlich gerechnet hat90. Ein der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangener, allein verbal geführter Angriff oder eine feindselige Atmosphäre schließen die Heimtücke nicht aus91.

47Für die Beurteilung der Arglosigkeit ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Tathandlung abzustellen92. Eine Ausnahme wird jedoch für Fälle zugelassen, in denen der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt oder ihm eine Falle stellt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob das Opfer arglos ist, soll hier nicht der Beginn der Tötungshandlung, sondern bereits das im Vorbereitungsstadium liegende hinterhältige Vorgehen sein. Selbst wenn das (wehrlose) Opfer bei Eintritt des Täters in das Versuchsstadium inzwischen argwöhnisch ist, soll Heimtücke zu bejahen sein93. Begründet wird diese Ansicht damit, dass das Heimtückische in den Maßnahmen liegt, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, soweit diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Für die Annahme von Heimtücke lässt sich ferner anführen, dass dem Opfer durch die raffinierte Vorgehensweise des Täters bei der Vorbereitung bereits in diesem Stadium die Verteidigungsmöglichkeiten genommen werden.

48(2) Gerade aufgrund der Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein, d. h. es muss nur deshalb nicht zur Verteidigung im Stande sein. Beruht die Wehrlosigkeit auf anderen Gründen, etwa der körperlichen Unterlegenheit des Opfers, so scheidet Heimtücke aus.

Bsp.:94 O lässt sich von T beim Liebesspiel fesseln. T beschließt erst dann, diese Situation auszunutzen und die O zu töten. – Die Wehrlosigkeit der O beruht nicht auf deren Arglosigkeit, sondern auf der vorangegangenen Fesselung, bei der T noch keinen Tatentschluss besaß.

49(3) Der Täter muss ferner die Arg- und Wehrlosigkeit in tückisch verschlagener Weise zur Tötung bewusst ausnutzen95. Hierfür genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Sorglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen96. Dies kann vor allem zu verneinen sein, wenn der Täter spontan in hoher Erregung handelt oder ein psychischer Ausnahmezustand vorliegt97.

50(4) Problematisch ist der Tatbestand des Mordes deshalb, weil er sich nach der gesetzgeberischen Konzeption durch eine starre Kombination von abschließender Kasuistik der Mordmerkmale mit zwingend vorgesehener lebenslanger Freiheitsstrafe auszeichnet. Im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG) ist diese Ausgestaltung bedenklich. Denn zweifelsfrei wäre sie nur, wenn die lebenslange Freiheitsstrafe stets bei Vorliegen eines vom Gesetz genannten Mordmerkmals verhältnismäßig wäre. Dies ist aber keineswegs so. Denn auch bei Verwirklichung eines Mordmerkmals kann der Fall im Unrechts- und Schuldgehalt so gelagert sein, dass die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre. Gegenüber den §§ 212, 213 mit einer Strafrahmenspannweite von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe liegt zudem ein erheblicher „Sanktionensprung“ vor98.

(a) Das Merkmal in feindseliger Willensrichtung schränkt daher das Merkmal der Heimtücke ein und soll Fälle vom Mord ausnehmen, in denen der Täter „zum Besten“ des Opfers handelt und die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht schuldangemessen wäre.

Bsp.: Der Ehemann E mischt heimlich Gift in den Tee seiner todkranken Frau, um ihr weitere Leiden zu ersparen. – Obwohl E die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausnutzt, liegt keine heimtückische Tötung vor, da E nicht in feindseliger Willensrichtung handelt. Entsprechendes kann gelten, wenn der Täter im Rahmen eines Suizidversuchs Familienangehörige tötet, um diese nicht mit ihrem Schicksal allein zurückzulassen99.

(b) Darüber hinaus gibt es freilich weitere Fälle, in denen die lebenslange Freiheitsstrafe nicht unbedenklich erscheint. Der Klassiker ist insoweit der sog. Haustyrannen Fall. Die Lösung ist im Einzelnen sehr umstritten.

Bsp:100 Der gewalttätige und trunksüchtige Ehemann E misshandelt und quält seine Frau F über Jahre hinweg. Diese ist völlig verzweifelt und hegt auch Gedanken an eine Selbsttötung. Eines Tages tötet sie E im Schlaf, um der hoffnungslosen Lage zu entkommen.

Da der Schlafende seine Arglosigkeit mit in den Schlaf nimmt101, liegt eine heimtückische Tötung seitens der F vor. Eine Rechtfertigung nach § 32 scheidet aus, da zum Zeitpunkt der Tötung kein gegenwärtiger Angriff des E vorlag (Stichwort: keine Präventivnotwehr); auch eine analoge Anwendung des § 32 StGB („notwehrähnliche Lage“) ist abzulehnen102. Man muss sehen, dass die sehr weitgehenden Eingriffsbefugnisse der Notwehr nur in akut zugespitzten Situationen gerechtfertigt sind und ansonsten das Merkmal der Gegenwärtigkeit in § 32 StGB entwertet würde103. Ebenso ist eine analoge Anwendung des § 228 BGB, bei dem eine drohende Gefahr genügt, zu verneinen104, weil sich die auf Tier- und Sachgefahren zugeschnittene Spezialregelung nicht ohne Wertungswidersprüche auf Angriffe durch Menschen übertragen lässt105. § 34 erfasst zwar auch eine Dauergefahr, rechtfertigt jedoch nicht die Tötung eines anderen Menschen. F kann aber ggf. – was von den Umständen des Einzelfalls abhängt – gem. § 35 entschuldigt sein, falls keine milderen Mittel zur Gefahrenabwehr existierten. Stehen aber andere Mittel (etwa Einschalten staatlicher Behörden) zur Verfügung, ist die Tat auch schuldhaft begangen. Die Strafzumessungsregel des § 213 greift nicht ein, da diese nur bei § 212, nicht aber bei § 211 zur Anwendung gelangt. Da hier jedoch ein Fall gegeben ist, der „nahe“ an einer Rechtfertigung bzw. Entschuldigung liegt und daher der Unrecht- und Schuldgehalt der Tat deutlich vermindert ist, wäre die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr verhältnismäßig.

Klausurtipp

In den sog. Haustyrannenfällen sind also zunächst immer sorgfältig Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zu prüfen, bevor Korrekturen beim Mordtatbestand diskutiert werden.

51Teilweise wird speziell für die Heimtücke eine Tatbestandslösung dergestalt vertreten, dass das Mordmerkmal überhaupt nur verwirklicht sein soll, wenn ein verwerflicher Vertrauensbruch vorliegt106. Dem ist jedoch zu widersprechen, weil der Begriff des Vertrauens zu konturenlos ist und ansonsten besonders hinterhältige Angriffe – etwa Erschießen von hinten usw. – mangels einer Vertrauensbeziehung zwischen Täter und Opfer nicht erfasst werden könnten107.

52Andere Stimmen im Schrifttum gehen hingegen davon aus, dass zwar das Merkmal der Heimtücke verwirklicht sein könne, im Einzelfall jedoch geprüft werden müsse, ob die Tat insgesamt als besonders verwerflich zu bewerten sei. Nach einer Ansicht soll dabei dem Gericht die Möglichkeit offen stehen, trotz Verwirklichung eines Mordmerkmals ausnahmsweise die besondere Verwerflichkeit der Tat im Wege einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter und damit den Tatbestand des § 211 zu verneinen (Lehre von der negativen Typenkorrektur)108. Nach anderer Auffassung soll stets eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich sein, die positiv zur Feststellung einer besonderen Verwerflichkeit der Tötung und damit zur Anwendung des Mordtatbestandes führt (Lehre von der positiven Typenkorrektur)109. Gegen derartige Lösungsansätze lässt sich jedoch anführen, dass sie im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt sind und daher kaum noch vorhersehbar ist, in welchen Fällen der Tatbestand des § 211 verwirklicht ist110. Auch ist es dogmatisch wenig überzeugend, eine Gesamtwürdigung nach Strafzumessungsgrundsätzen bereits auf Tatbestandsseite vorzunehmen.

53Der BGH vertritt hingegen die Ansicht, dass auch bei Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen, die den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat vermindern, die Tat grundsätzlich einen Mord darstelle. Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben soll aber im Wege einer Rechtsfolgenlösung, die freilich nur für die Heimtücke gilt111, im Einzelfall (contra legem) eine übergesetzliche Strafmilderung entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht kommen112. Es muss sich demnach um eine Tat handeln, die durch „eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation“ motiviert ist, die „in großer Verzweiflung“ begangen wurde oder ihren Grund „in einem vom Opfer verursachten Konflikt“ hat113. Es reicht dafür nicht jeder Entlastungsfaktor, der im Rahmen des § 213 Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Vor allem darf aber auch nicht zu großzügig auf die Rechtsfolgenlösung ausgewichen werden114. Die Rechtsfolgenlösung muss sich allerdings Wertungswidersprüche entgegenhalten lassen115. Denn über die analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1, die zu einem Strafrahmen von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe anstelle der lebenslangen Freiheitsstrafe führt, wird sogar die für § 212 vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe unterschritten und damit der Täter gegenüber einem Totschlag bessergestellt. Vermeiden lassen sich diese Ungereimtheiten nur, wenn man verlangt, dass das Gericht sich bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hinsichtlich der Strafrahmenuntergrenze von der Wertung des § 212 leiten lässt und das dort genannte Mindestmaß nicht unterschreitet.

Hinweis

Auf den eben dargestellten Meinungsstreit ist überhaupt nur dann einzugehen, wenn der Sachverhalt Anlass dafür bietet, dass die lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre. Soweit bereits eine gesetzliche Milderungsmöglichkeit – wie etwa beim Versuch nach § 23 Abs. 2 – besteht, bedarf es der übergesetzlichen Rechtsfolgenlösung zur Verhinderung übermäßiger Härten nicht.

54bb) Grausam. Für das Mordmerkmal grausam genügt eine äußerlich brutale Vorgehensweise des Täters für sich genommen noch nicht.

Definition

Das Mordmerkmal grausam ist verwirklicht, wenn der Täter seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen116.

55Das Merkmal grausam ist daher bei einer Tötung mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug nicht ohne weiteres erfüllt.

Bsp.: T tötet O mit einem Messerstich. Obwohl O bereits tot ist, sticht T noch eine Weile auf O ein. – Das Merkmal grausam ist hier nicht verwirklicht, weil O bereits nach dem ersten Messerstich tot war.

Klausurtipp

In Klausuren wird das Merkmal grausam oft vorschnell und ohne hinreichende Subsumtion bejaht, da die Tötung eines Menschen an sich als „grausam“ angesehen wird. Dabei wird übersehen, dass der Normalfall der Tötung jedoch von § 212 erfasst wird und die lebenslange Freiheitsstrafe des § 211 demgegenüber einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verlangt.

56Das grausame Verhalten muss dabei vor Abschluss der den tödlichen Erfolg herbeiführenden Handlung auftreten und vom Tötungsvorsatz umfasst sein117. Einbezogen werden damit nur Handlungen, die vom unmittelbaren Ansetzen bis zum Erfolgseintritt reichen.

Bsp.: T fügt O mit Tötungsvorsatz über einen Zeitraum von zwei Stunden zahlreiche Messerschnitte zu, bis O – wie von T gewollt – schließlich qualvoll verblutet.

Gegenbsp.: T fügt O auf grausame Weise Körperverletzungen zu. Dann erschießt er den schwer verletzten O. – Es liegt hier lediglich ein Totschlag, jedoch kein Mord vor. Lediglich die Körperverletzungen wurden grausam begangen, nicht jedoch die Tötung.

57cc) Gemeingefährliches Mittel. Das Mordmerkmal findet seinen Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht118.

Definition

Ein gemeingefährliches Mittel liegt vor, wenn das Tatwerkzeug in der konkreten Tatsituation geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen (als Repräsentanten der Allgemeinheit) an Leib oder Leben zu gefährden, weil der Täter seine Wirkungsweise und damit die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann119.

58Nicht erforderlich ist, dass tatsächlich eine konkrete Lebensgefahr für eine Mehrzahl von Menschen eintritt120. Auch ein Mittel – z. B. ein KFZ –, das bei abstrakter Betrachtung grundsätzlich nicht gemeingefährlich ist, kann in der konkreten Tatsituation gemeingefährlich eingesetzt werden121.

Bspe.: T möchte O töten und zündet eine Bombe in einer Menschenmenge; – T setzt ein Haus in Brand, in dem eine große Anzahl von Menschen wohnt.

59Ist das Mittel nicht geeignet, eine Mehrzahl von Personen zu gefährden, so liegt kein gemeingefährliches Mittel vor122. Dies gilt auch dann, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen in den Gefahrenbereich geraten kann, tatsächlich aber – wie bei einem Schuss aus einer Pistole – die Wirkungen begrenzt sind. Das Tötungsmittel wird also nicht allein dadurch zum gemeingefährlichen Mittel, dass der Täter die Waffe nicht ausreichend beherrscht, sein Ziel verfehlt und nur eine andere als die anvisierte Person trifft. Ein gemeingefährliches Mittel ist nach h. M. ferner nicht gegeben, wenn der Täter nur eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation zur Tat ausnutzt, so dass bloßes Unterlassen grundsätzlich nicht erfasst wird123.

60c) Persönliche Mordmerkmale der 3. Gruppe. Die Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht sind wie die Merkmale der 1. Gruppe subjektive Tatbestandsmerkmale (nach a. A. spezielle Schuldmerkmale). Sie kennzeichnen den besonders verwerflichen Zweck der Tötung und beruhen auf dem Gedanken, dass Unrecht durch den Täter mit weiterem Unrecht verknüpft wird124. Die Absicht ist im Sinne eines zielgerichteten Wollens hinsichtlich der Ermöglichung bzw. der Verdeckung einer anderen Straftat zu verstehen125. Die Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht kann dabei neben andere Motive des Täters treten (sog. Motivbündel), muss aber auch hier Haupttriebfeder sein.

61aa) Ermöglichungsabsicht. Strafschärfend wirkt zunächst ein Handeln in der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen.

Definition

Ermöglichungsabsicht liegt dann vor, wenn die Tötung als Mittel zur Begehung oder Erleichterung von Straftaten eingesetzt wird.

62Prinzipiell ist auch bei dolus eventualis hinsichtlich des Todes die Ermöglichungsabsicht nicht ausgeschlossen126, jedoch muss hierbei der Tod das Mittel zur Ermöglichung der weiteren Tat sein127. Nicht erforderlich ist, dass sich die weitere Straftat nach Vorstellung des Täters nur durch die zum Tode führende Handlung oder gar den Todeserfolg und nicht auch auf andere Weise erreichen lässt. Vielmehr genügt es, dass deren Begehung durch die Tötungshandlung erleichtert werden soll.

Bsp.:128 T überfällt O und betäubt ihn mit Chloroform, um ihn auszurauben. Nach ca. 30 Minuten erholt sich O. T entschließt sich nunmehr, auf andere Weise dafür zu sorgen, dass er die Suche nach Wertgegenständen ungestört fortsetzen kann. Er würgt sein Opfer massiv am Hals und erkennt dabei und billigt es auch, dass sein Handeln zum Tode führen kann. O stirbt kurz darauf. – T macht sich nach §§ 211, 212 strafbar, da seine Absicht darauf gerichtet war, einen Raub zu ermöglichen. Es ist weder erforderlich, dass das Würgen, das zum Tod führte, für die Begehung des Raubes ein notwendiges Mittel war, noch dass der Raub nur durch den Tod des Opfers begangen werden konnte. Auch der Umstand, dass T hinsichtlich des Todes nur mit dolus eventualis handelte, ist unschädlich.

63bb) Verdeckungsabsicht. In solchen Fällen ist häufig eine Konfliktlage gegeben, weil der Täter sich selbst (bzw. einen Dritten) hinsichtlich der vorangegangenen Tat einer Bestrafung entziehen möchte. Bei solchen Begünstigungen handelt es sich aber um Motivationen, die das Strafgesetzbuch in §§ 257, 258 sogar als strafausschließend wertet. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass der Täter bei §§ 257, 258 lediglich die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes bzw. die Bestrafung durch staatliche Organe hindert, ohne dabei jedoch weitergehenden Schaden anzurichten. Hingegen wird in den Fällen der Verdeckungsabsicht das Unrecht der Vortat mit neuem, zusätzlichem Unrecht verknüpft129.

Definition

Mit Verdeckungsabsicht („um eine andere Straftat zu verdecken“) handelt der Täter, wenn er die eigene Bestrafung oder die Bestrafung eines Dritten vereiteln will.

64 (1) Die Absicht des Täters muss sich zunächst auf eine Straftat (nicht nur auf eine Ordnungswidrigkeit) beziehen. Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, wenn die Handlung dazu dient, eine vorangegangene Straftat oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten130. Klassischer Fall der Verdeckungsabsicht ist damit die Tötung eines Polizisten, Verfolgers oder Zeugen, der dem Täter auf der Spur ist. Auch das Liegenlassen eines Unfallopfers, um durch dessen Tod die im Zusammenhang mit dem Unfall stehende Straftat – wie etwa eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 – zu verdecken, kann das Mordmerkmal begründen.

65(2) Auch wenn aus Tätersicht nur die Tat, nicht jedoch seine Tatbeteiligung bekannt ist, ist Verdeckungsabsicht noch möglich131. Entsprechendes gilt, wenn die genaue Kenntnis über den strafrechtlich bedeutsamen Sachverhalt allein bei Täter und Opfer liegt, so dass die Tatumstände deshalb noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind132. Keine Verdeckungsabsicht ist allerdings gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, dass bereits Tat und Täter aufgedeckt sind und er durch die Tötung nur noch seine Überführung erschweren oder die Festnahme verhindern möchte. Letzterenfalls kann jedoch ein niedriger Beweggrund in Betracht kommen133.

Bsp.: T flieht nach einem Raub und rast mit Absicht auf eine auf Grund dieser Tat eingerichtete Polizeisperre des Polizisten P zu, der T mit Handzeichen anhalten möchte. P kommt dabei zu Tode. – T ging es bei seinem Verhalten allein darum, seine Beteiligung am Raub zu verdecken. T macht sich gem. §§ 211, 212 strafbar, da zwar die Tat, jedoch noch nicht seine Tatbeteiligung aufgedeckt war. In Tateinheit (§ 52 Abs. 1 Var. 1) hierzu steht § 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2. § 240 ist gegenüber dieser Privilegierung für Vollstreckungshandlungen subsidiär. Ebenfalls in Tateinheit steht § 315b Abs. 1 Nr. 3, da T mit Schädigungsvorsatz handelte und daher ein verkehrsfremder Eingriff in den Straßenverkehr vorliegt134. Über § 315b Abs. 3 wird die Tat nach § 315 Abs. 3 Nr. 1a und b, Nr. 2 qualifiziert (Verbrechen). Hingegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 315c aus, da T keine der genannten Fehlverhaltensweisen im Straßenverkehr verwirklicht.

66(3) Da es für dieses subjektive Mordmerkmal allein auf die Tätervorstellung ankommt, ist es nicht erforderlich, dass die zunächst vorgenommene Handlung objektiv überhaupt eine Straftat darstellt135.

Bsp.: T wird von O mit einem Messer angegriffen. T wehrt den Angriff mit einem Schuss aus einer Pistole ab. Er geht anschließend irrig davon aus, dass dieses Verhalten strafbar war und tötet den O mit einem weiteren Schuss, um eine Anzeige zu verhindern. – Der erste Schuss des T begründet keine Strafbarkeit wegen Körperverletzung, soweit dieser von § 32 gedeckt ist. Die abweichende Annahme des T stellt lediglich ein (strafloses) Wahndelikt dar. Der weitere Schuss führt dann aber zu einer Strafbarkeit wegen vollendeten Mordes, da es genügt, dass sich T subjektiv vorstellte, dass eine Straftat vorliegt, die er nun verdecken möchte.

66(4) Nach h. M. soll Verdeckungsabsicht auch dann vorliegen können, wenn der Täter die Tat nicht vor der Polizei verdecken möchte, sondern außerstrafrechtliche Folgen, etwa Racheaktionen Dritter, verhindern will. Für diese Lösung spricht, dass dem Wortlaut des § 211 nicht zu entnehmen ist, dass es dem Täter darum gehen muss, sein vorangegangenes strafbares Tun gegenüber Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen. Auch schützt § 211 nicht die Belange der Rechtspflege136.

Bsp.:137 Der Täter eines Betrugs tötet das Opfer, damit dieses nicht im Falle der Entdeckung der Tat Rache an ihm übt.

67(5) Für die Annahme von Verdeckungsabsicht ist es ferner unerheblich, ob die Aufdeckung vom Getöteten selbst oder von einem Dritten zu befürchten war.

Bsp.:138 T tötet den A. Anschließend beschließt er, die Spuren zu beseitigen und die Tat dadurch zu verdecken, dass er das Haus in Brand setzt. Dabei weiß er, dass im Haus die O wohnt und diese durch den Brand getötet werden kann. Diesen Erfolg nimmt er aber billigend in Kauf, da ihm die Beseitigung der Spuren wichtiger ist. – T verwirklicht zunächst § 212 hinsichtlich des A. Bezüglich des Todes der O macht er sich nach §§ 211, 212 strafbar. Er handelte mit Verdeckungsabsicht, da durch die zweite Tat der Totschlag an A verdeckt werden sollte.

68(6) Problematisch sind Fälle, in denen der Täter hinsichtlich des Todes des Opfers (§ 212) lediglich mit dolus eventualis handelt. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese schwächste Vorsatzform mit Verdeckungsabsicht „vereinbar“ ist. Ein Verdeckungsmord kann nach h. M. grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn der Tod lediglich eine billigend in Kauf genommene Folge der zum Zweck der Verdeckung vorgenommenen Handlung ist139. Insoweit ist ausreichend, dass der Täter seine Tötungshandlung als Mittel zur Verdeckung der Tat ansieht140. Verdeckungsabsicht ist aber dann zu verneinen, wenn die Straftat nach Vorstellung des Täters überhaupt nur dadurch verdeckt werden kann, dass das Opfer zu Tode kommt, weil dieses etwa den Täter kennt. Eventualvorsatz ist in diesem Falle nicht ausreichend, da dieser auch die Möglichkeit des Überlebens beinhaltet – eine Situation also, die der Verdeckung gerade entgegensteht141.

Bsp.: T lässt das schwer verletzte Raubopfer O liegen und nimmt dessen Tod billigend in Kauf. –Verdeckungsabsicht scheidet aus, wenn das Opfer den Täter kennt oder diesen identifiziert hat und daher die Tat überhaupt nur durch den Tod verdeckt werden kann; in diesem Fall ist Verdeckungsabsicht nur bei direktem Tötungsvorsatz möglich, da der Täter das Opfer aus seiner Sicht zwingend ausschalten muss.

69(7) In Fällen des Unterlassens ist ebenfalls nicht zwingend notwendig, dass eine erfolgreiche Verdeckung den Eintritt des Todes erfordert. Auch hier kann es genügen, dass die Tötungshandlung (das Unterlassen) zur Verdeckung ausreicht oder die Aufdeckung nur von einem Dritten zu befürchten war.

Bsp.:142 Vater T misshandelt sein Kind O über einen längeren Zeitraum. Um die schweren Misshandlungen zu verdecken, unterlässt er es später, ärztliche Hilfe zu holen, so dass O zu Tode kommt. – Es liegt hier ein Mord durch Unterlassen vor, da T als Garant (kraft Gesetz nach § 1626 Abs. 1 BGB und Ingerenz) die vorangegangenen Körperverletzungen verdecken wollte. Dass die Aufdeckung der Taten durch den Arzt und nicht das Opfer zu befürchten war, ist unerheblich.

70(8) Eindeutig ist Verdeckungsabsicht zu bejahen, wenn nach einer ersten (erfolglosen) Tötungshandlung eine zeitliche Zäsur liegt und dann eine weitere Tötungshandlung zur Verdeckung nachfolgt, so dass nicht mehr von einer einheitlichen Tat gesprochen werden kann.

Bsp.: T schlägt O mit einer Eisenstange auf den Kopf, wobei er Eventualvorsatz hinsichtlich § 212 besitzt. Erst zu Hause befürchtet er die Aufdeckung der Tat. Er begibt sich erneut zu O und tötet diesen. – Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, da der vorausgegangene Schlag eine andere Tat darstellt.

71Die Vortat und die Tötung können nach h. M. aber auch ineinander übergehen143. Einer zeitlichen oder räumlichen Zäsur zwischen beiden Taten bedarf es daher nicht zwingend. Der Entschluss zur Tötung kann also bereits während oder sogleich nach der Vortat gefasst werden. Denn der Grund der Strafschärfung – die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht – ist auch dann gegeben, wenn beide Taten unmittelbar aufeinander folgen. Eine restriktive Auslegung im Hinblick auf die Schuldangemessenheit der Strafe ist demnach nicht geboten.

Bsp.: T bedroht den O mit einer Waffe und fordert dessen Geldbörse. Bevor O diese übergibt, beschließt T, den O sogleich nach Übergabe zu erschießen, um den Zeugen auszuschalten.

72Verdeckungsabsicht scheidet nach der Rechtsprechung aber in Fällen aus, in denen von Anfang an eine einheitliche Tötungshandlung gegeben ist und keine (deutliche) zeitliche Zäsur gegeben ist144. Dies soll auch gelten, wenn zunächst eine (gefährliche) Körperverletzung mit einer versuchten Tötung, die mit Eventualvorsatz begangen wird, zusammentrifft.

Bsp.: T schlägt mit einer Flasche auf O ein, wobei er bereits bei diesen Schlägen dessen Tod billigend in Kauf nimmt. Anschließend tötet er O, um eine Anzeige wegen Körperverletzung zu verhindern.

Da im vorgenannten Beispiel bereits der erste Schlag vom Tötungsvorsatz getragen war, liegt nach Rechtsprechung eine einheitliche Tötungshandlung vor, so dass T nicht zur Verdeckung einer anderen Straftat handelt. Für diese Lösung lässt sich zunächst der Wortlaut „andere“ Straftat anführen. Auch könnten im Verhältnis zu anderen Fällen ansonsten Friktionen auftreten: Denn es wäre wenig überzeugend, denjenigen (unstreitig) vom Mordmerkmal auszunehmen, der sogleich mit Tötungsabsicht handelt – den Erfolgseintritt dabei aber für unwahrscheinlich hält – und im Anschluss daran durch weitere Tötungsakte zusätzlich zur Verdeckung der vorausgegangenen Schläge handelt, während der Übergang vom Eventualvorsatz zur Tötungsabsicht einbezogen wäre145. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass dann wiederum derjenige privilegiert wird, der sein Opfer sogleich mit bedingtem Tötungsvorsatz angreift, während derjenige, der nur mit Körperverletzungsvorsatz handelt, wegen Verdeckungsabsicht bestraft werden kann146. Zudem muss man sehen, dass ansonsten eine etwaige Anstiftung (nur) zum zweiten Akt, der nach Rechtsprechung keine eigenständige Bedeutung erlangt, schlecht erfasst werden kann. Letztlich widerspricht die Bejahung der Verdeckungsabsicht auch nicht dem Wortlaut, weil der erste Akt bereits eine vollendete Körperverletzung und damit eine „andere Tat“ darstellt147.

73Diese Grundsätze gelten auch bei nachfolgendem Unterlassen, wenn T etwa den schwer verletzen O mit Verdeckungsabsicht nach dem ersten Schlag mit der Flasche einfach liegen lässt und dieser an den Folgen der Schläge stirbt148. Hier verwirklicht T zunächst § 212 und anschließend einen Mord durch Unterlassen, weil richtigerweise auch der vorsätzliche Begehungstäter Garant kraft Ingerenz ist, so dass es sich letztlich um eine Konkurrenzfrage handelt149. Da mit dem Unterlassen die weitreichendere Vorschrift des § 211 verwirklicht ist, wird § 212 als mitbestrafte Vortat verdrängt.

Klausurtipp

Es empfiehlt sich, beide Akte – Tun und Unterlassen – chronologisch zu prüfen; ggf. ist dann beim Unterlassen bereits die Garantenstellung zu verneinen. Andernfalls ist § 211 mit Verdeckungsabsicht sowie die Konkurrenzfrage zu erörtern.

Strafrecht Besonderer Teil

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