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III.Sterbehilfe, Selbsttötung und Fremdtötung 1.Sterbehilfe

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75Angesichts der medizinisch-technischen Entwicklung stellt sich zunehmend die Frage, inwieweit ein Recht und eine Pflicht auf Weiterbehandlung eines nicht mehr heilbaren Patienten bestehen und inwieweit eine Hilfe beim Sterben zulässig ist. Die Problematik der Sterbehilfe betrifft das Spannungsfeld von Lebensschutz und menschenwürdigem Sterben. § 216 bringt in Einklang mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG den Schutz des Lebens zum Ausdruck, weil dort selbst dann eine Fremdtötung unter Strafe gestellt wird, wenn ihr ein ausdrückliches und ernstliches Tötungsverlangen des Opfers vorausgeht151. Andererseits ist zu beachten, dass der Patientenautonomie entscheidende Bedeutung zukommt und dem Menschen ein Recht auf seinen natürlichen Tod und ein Sterben unter Wahrung der Menschenwürde zusteht152. Dabei sind verschiedene Formen der Sterbehilfe i. w. S. zu unterscheiden:

76a) Reine Sterbebegleitung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verabreichung von schmerzlindernden oder bewusstseinsdämpfenden Mitteln nicht mit einer Lebensverkürzung verbunden ist. In solchen Fällen scheiden Tötungsdelikte von vornherein aus, da die Verabreichung der Mittel nicht kausal für den Tod in seiner konkreten Gestalt ist. Eine daneben eingetretene Körperverletzung – etwa auf Grund von Übelkeit, die durch die Mittel als Nebenwirkung hervorgerufen wird – kann durch eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung des Opfers gerechtfertigt sein153.

77b) Indirekte Sterbehilfe. Eine solche liegt vor, wenn die medizinisch indizierte Verabreichung von Medikamenten zur Schmerzlinderung – anders als bei reiner Sterbebegleitung – als unvermeidbare Nebenwirkung zur Lebensverkürzung führt. Teilweise wird bereits das Vorliegen einer Tötungshandlung i. S. d. § 212 bzw. § 216 durch eine restriktive Tatbestandsauslegung verneint, da die Tathandlung nach ihrem sozialen Sinngehalt nicht gegen das Leben gerichtet sei154. Dies überzeugt jedoch nicht, da die Medikamentengabe zu einer Verkürzung des Lebens führt und damit kausal für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt ist. Die hypothetische Kausalität, dass das Opfer ohnehin an den Folgen der Krankheit verstorben wäre, ist dabei nach allgemeinen Grundsätzen unbeachtlich155. Überwiegend wird daher – sofern das Handeln dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen nicht widerspricht – eine Rechtfertigung über § 34 angenommen156. § 34 kann in diesen Fällen ausnahmsweise eine Tötung rechtfertigen, weil ein Tod in Würde und ohne Schmerzen höherwertiger einzustufen ist als ein qualvoller Tod. Dem ist auf der Grundlage zuzustimmen, dass § 34 mit der h. M. auch dann anwendbar ist, wenn das Erhaltungsgut (menschenwürdiges Sterben) und das verletzte Gut (Leben) demselben Rechtsgutsträger zustehen157. Der BGH, der dieser Sichtweise nicht teilt, lässt hier – wie auch in den Fällen des Behandlungsabbruchs – eine Einwilligung zu158.

78c) Direkte Sterbehilfe. Darunter versteht man eine aktive Sterbehilfe zum Zweck der schmerzlosen Tötung. Die Tötung ist also nicht bloße Nebenfolge, sondern Hauptziel. Eine Einwilligung ist – wie § 216 zeigt – selbst bei einem Tötungsverlangen des Opfers grundsätzlich unwirksam, so dass jede aktive Lebensverkürzung den Tatbestand eines Tötungsdelikts verwirklicht159. Erfasst werden freilich nur Fremdtötungen, während die Teilnahme an einem Suizid straflos bleibt160. § 34 wird selbst in Ausnahmefällen verneint, weil es am wesentlichen Überwiegen des geschützten Interesses fehlt161. Ausgenommen von dieser Fallgruppe sind Fälle des aktiven und passiven Behandlungsabbruchs162.

79d) Passive Sterbehilfe und Behandlungsabbruch. In dieser Fallgruppe unterbleibt die Weiterbehandlung eines schwer kranken Patienten, um das Recht des Menschen auf seinen natürlichen Tod sowie ein Sterben unter Wahrung der Menschenwürde zu wahren, obgleich es angesichts des medizinischen und technischen Fortschritts durchaus möglich ist, auch schwerstkranke und nicht mehr heilbare Menschen mittels medizintechnischer Geräte für erhebliche Zeit am Leben zu erhalten. Aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts kann sich der Patient jederzeit eigenverantwortlich gegen seine weitere Behandlung entscheiden. Der Arzt darf dann die Behandlung nicht mehr fortsetzen, mag auch die Entscheidung des Patienten (medizinisch) unvernünftig sein163. Eine Zwangsbehandlung ist unzulässig; andernfalls würde sich der Arzt gem. § 223 wegen eigenmächtiger Heilbehandlung strafbar machen.

80Nach bislang h. M. sollte das aktive Abschalten von medizinischen Geräten durch Ärzte nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des Verhaltens lediglich als Unterlassen zu werten sein164. Entscheidend für die Beurteilung ist demnach nicht der einzelne Handlungsakt des Täters – z. B. das Entfernen einer Magensonde oder Abschalten eines Beatmungsgeräts –, sondern im Wege einer Gesamtbetrachtung das Unterlassen der weiteren lebenserhaltenden Behandlung des Patienten165. Über diese Konstruktion wurde eine Beendigung der Verpflichtung des Arztes zur Weiterbehandlung angenommen (Erlöschen der Garantenpflicht166), wenn jede Aussicht auf Rettung erloschen ist und die unmittelbare Phase des Sterbens begonnen hat167. Auf eine tatsächlich erteilte Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten kommt es nach dieser Ansicht nicht an. Hingegen wurde beim Abschalten von Geräten durch Dritte schon bislang ein aktives Tun angenommen, da der Schwerpunkt dann nach dem sozialen Sinngehalt nicht auf einer unterlassenen Weiterbehandlung, für die der Dritte gar nicht zuständig ist, sondern auf dem aktiven Abbruch der Behandlung beruht168.

81Mit einer grundlegenden Entscheidung des BGH, die die bisherige Rechtsprechung ändert, wird nun in Fällen des Behandlungsabbruchs für Ärzte, Betreuer, Bevollmächtigte und Dritte stets ein aktives Tun angenommen169.

Ausgangsfall (vereinfacht): Im Jahre 2002 hatte O gegenüber ihrer Tochter mitgeteilt, sie wolle für den Fall, dass sie einmal bewusstlos werde und sich nicht mehr äußern könne, keine lebensverlängernden Maßnahmen; sie wolle nicht an irgendwelche Schläuche angeschlossen werden. Kurze Zeit später fiel sie in Folge einer Hirnblutung ins Wachkoma und wurde nun in einem Altenheim über eine Sonde künstlich ernährt. T setzte sich im Einvernehmen mit dem behandelnden Hausarzt für die Entfernung der Magensonde ein. Im August 2007 wurde T zur Betreuerin ihrer Mutter bestellt. Nachdem sie im Einvernehmen mit der Heimleitung begonnen hatte, die Ernährung einzustellen, wies die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens jedoch die Heimleitung an, die Ernährung wieder aufzunehmen. Daraufhin trennte T Ende 2007 den Schlauch der Magensonde selbst ab; nachdem das Pflegepersonal dies bemerkte, wurde O auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in eine Klinik gebracht und erneut künstlich ernährt. Sie verstarb Anfang 2008 aufgrund ihrer Erkrankung.

82Gegen die Annahme eines Unterlassens beim Abschalten von Geräten, Entfernen von Sonden usw. wendet der BGH ein, dass sich dies als dogmatisch unzulässiger Kunstgriff darstelle. Ein Behandlungsabbruch erschöpfe sich regelmäßig nicht in bloßer Untätigkeit, sondern umfasse zahlreiche aktive und passive Handlungen. Diese seien unter dem Oberbegriff des Behandlungsabbruchs zusammenzufassen. Nach dieser Lösung ist der Tatbestand eines Tötungsdelikts stets verwirklicht, da es auf eine Garantenstellung nicht ankommt. Damit geraten letztlich Rechtfertigungsfragen in den Blick. Was eine Nothilfe der T zugunsten der O nach § 32 anbelangt, so liegt zwar ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff seitens der Heimleitung auf das Selbstbestimmungsrecht vor, wenn O gegen ihren Willen behandelt wird; jedoch richtet sich die Verteidigungshandlung nicht allein gegen den Angreifer (Heimleitung), sondern auch gegen das Leben der angegriffenen O selbst, was nach h. M. von § 32 nicht gedeckt ist170. Auch § 34 soll – freilich entgegen der h. M. – nach Ansicht des BGH nicht anwendbar sein, wenn das Erhaltungsgut (menschenwürdiges Sterben) und das verletzte Gut (Leben) jeweils derselben Person zustehen171. Vielmehr sei die Lösung über die Figur der (mutmaßlichen) Einwilligung zu suchen. Dabei seien aus dem Begriff der „Sterbehilfe“ und des „Behandlungsabbruchs“ die Kriterien der Rechtfertigung zu entwickeln. Voraussetzung ist demnach, dass einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf gelassen wird und die betreffende Maßnahme medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung des Lebens geeignet ist. Aus § 1901a Abs. 3 BGB folge dabei, dass der Wille des Patienten unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung verbindlich ist. Die Sterbehilfe muss jedoch objektiv und subjektiv unmittelbar auf eine medizinische Behandlung bezogen sein. Gerechtfertigt werden nur das Unterlassen einer lebenserhaltenden Behandlung oder ihr Abbruch sowie Handlungen der indirekten Sterbehilfe172. ­Hingegen seien vorsätzliche lebensbeendende Maßnahmen, die keinen Zusammenhang zur medizinischen Behandlung aufweisen bzw. vom Krankheitsprozess abgekoppelt sind, nicht gerechtfertigt173; selbst bei einem Tötungsverlangen verbleibt es hier bei § 216.

Gesetzestext

§ 1901 Abs. 3 S. 1 BGB: Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist.

83In einer weiteren Entscheidung hat der BGH dann die Grenzen des straflosen Behandlungsabbruchs aufgezeigt174.

Fall: O wird infolge einer Sepsis im Krankenhaus ins künstliche Koma versetzt; ihr Zustand ist aus medizinischer Sicht nicht hoffnungslos. Schwiegersohn T verlangt, die Behandlung abzubrechen, weil O laut einer Patientenverfügung keine lebensverlängernden Maßnahmen wünsche. Die Patientenverfügung wurde dem Krankenkaus von der Tochter per Fax übermittelt. Während die behandelnden Ärzte die Patientenverfügung noch prüfen wollten, schaltete T eigenmächtig die Geräte ab. Diese wurden von den Ärzten sogleich wieder eingeschaltet; O starb später, wobei hierfür das Abschalten durch T nicht ursächlich war. Laut Patientenverfügung wünschte O lediglich dann keine lebensverlängernden Maßnahmen, falls diese keinen Erfog versprechen und sie sich im unmittelbaren Sterbeprozess befindet. Dem T war dies bewusst, jedoch wollte er nicht, dass die Schwiegermutter ihm und seiner Familie nach einem Krankenhausaufenthalt zur Last fällt.

84Der Behandlungsabbruch war hier bereits nicht vom Willen der O gedeckt, weil ihr Zustand nicht hoffnungslos war. Zudem muss den Beteiligten hinreichend Zeit zur Prüfung des Patiententestaments gegeben sein; dieses darf nicht als Vorwand für einen Behandlungsabbruch aus unlauteren Motiven verwendet werden175. Die verfahrensrechtlichen Absicherungen des Betreuungsrechts wurden zudem nicht eingehalten, weil T weder Betreuer noch Bevollmächtigter war und nach § 1901b Abs. 1 S. 2 BGB zudem eine Zusammenwirkung mit den Ärzten erforderlich ist. T hat sich daher nach §§ 212, 22, 23 strafbar gemacht176.

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