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1.Grundsatz „nulla poena sine lege“

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23Im Zentrum steht hierbei der erstmals von Anselm v. Feuerbach im Jahre 1801 geprägte Grundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz), der sich wortgleich in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB findet. Etwas konkreter wird dieser Grundsatz auch in Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gefasst, die in Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt.

Gesetzestext

Art. 103 Abs. 2 GG/§ 1 StGB: Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Art. 7 Abs. 1 EMRK: Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

24Der Grundsatz „nulla poena sine lege“ (oder ganz korrekt: „nullum crimen, nulla poena sine lege, da nicht nur die Strafe als Rechtsfolge, sondern auch und gerade die Strafbarkeit an sich gesetzlich bestimmt sein muss) stellt zum einen eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG, dar, denn um in ausreichendem Maße Rechtssicherheit zu gewährleisten, muss jeder Bürger wissen, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht – man spricht hier auch von der „Garantiefunktion des Strafrechts“. Zum anderen folgt er auch aus dem Prinzip der Gewaltenteilung: der Gesetzgeber – und nicht der Richter – hat festzulegen, welches Verhalten strafbar sein soll. Insgesamt lassen sich aus dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ vier verschiedene Ausprägungen ableiten:

25a) Unzulässigkeit von Gewohnheitsrecht („nulla poena sine lege scripta“). Nur ein geschriebenes Gesetz kann die Strafbarkeit eines Verhaltens begründen und eine bestimmte Strafe als Rechtsfolge androhen. Dagegen ist die Begründung einer Strafbarkeit durch Gewohnheitsrecht unzulässig. Unter Gewohnheitsrecht versteht man hierbei eine gerade nicht durch ein Gesetz festgelegte rechtliche Regelung, die seit längerem (auch von den Gerichten) angewandt wird und von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung getragen wird. Eben dies ist im Strafrecht unzulässig. Das strikte Verbot der Anwendung von Gewohnheitsrecht gilt allerdings nur zu Lasten des Täters. Gewohnheitsrechtliche Regelungen zugunsten des Täters sind hingegen zulässig – man denke hier nur an den gewohnheitsrechtlich begründeten Rechtfertigungsgrund der Einwilligung.9

26b) Bestimmtheitsgrundsatz („nulla poena sine lege certa“). Der Bestimmtheitsgrundsatz besagt, dass Strafgesetze sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen müssen. Die Gesetze müssen also so präzise sein, dass ihr Anwendungsbereich klar zu erkennen und durch Auslegung zu ermitteln ist. Jedermann soll allein aus der gesetzlichen Formulierung ersehen können, was erlaubt und was verboten ist. Unzulässig wäre daher z. B. eine Strafvorschrift mit dem Inhalt: „Wer gegen die guten Sitten verstößt, wird schwer bestraft“. Denn hieraus wäre weder klar ersichtlich, was tatsächlich verboten ist, noch ginge deutlich hervor, welche Höhe eine auszusprechende Strafe haben könnte. Andererseits ist es aber auch anerkannt, dass in einem Strafgesetz nicht alles bis ins Detail geregelt werden kann. Insoweit sind sowohl Tatbestände, die ausdrücklich auf andere Normen oder Grundsätze verweisen als auch solche, zu deren Auslegung man Regelungen aus anderen Gesetzen heranziehen muss (sog. „Blanketttatbestände“) in beschränktem Maße zulässig. Dies gilt auch für die sog. „wertausfüllungsbedürftigen Vorschriften“ (Generalklauseln), die einen weiten Auslegungsspielraum eröffnen.

Bsp.: Um festzustellen, was man im Rahmen des Diebstahls, § 242 StGB, unter einer „fremden“ Sache versteht, muss man die Eigentumsordnung des BGB heranziehen. Um zu ermitteln, was unter das Tatbestandsmerkmal der „Gewalt“ im Sinne der Nötigung, § 240 StGB, fällt, hilft ein Blick in andere Gesetze dagegen kaum weiter. Allerdings kann der Gesetzgeber auch nicht alle Formen möglicher Gewaltanwendung im Gesetz genau umschreiben. Daher muss es zulässig sein, durch Auslegung zu ermitteln, ob z. B. die „gewaltlose“ Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ durch Schütten in ein Glas als Gewalt im Sinne des § 240 StGB anzusehen ist oder nicht.10

27c) Rückwirkungsverbot („nulla poena sine lege praevia“). Unter dem Rückwirkungsverbot versteht man, dass eine Strafvorschrift weder mit rückwirkender Kraft geschaffen noch die Strafe im Hinblick auf eine bereits existierende Strafvorschrift mit rückwirkender Kraft verschärft werden darf. Das Rückwirkungsverbot umfasst somit sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Strafbarkeit. Es gilt (wie der gesamte Grundsatz „nulla poena sine lege“) jedoch nur für das materielle Recht, d. h. für die Frage, welches Verhalten strafbar ist und welche Strafe sich hieran knüpft. Umstritten ist bereits, ob der Grundsatz auch für die – ohnehin sehr knappen – Regelungen und Grundsätze des Allgemeinen Teils des StGB anwendbar ist. Dagegen gilt das Rückwirkungsverbot – nach ebenfalls umstrittener Ansicht – nicht für das Strafprozessrecht oder die Strafverfolgungsvoraussetzungen (Strafantrag, Verjährung etc.). Auch kann es auf die Rechtsprechung der obersten Gerichte bzw. allgemein für den Wandel bestimmter Rechtsauffassungen auf der Grundlage bestehender Gesetze keine Anwendung finden. Wenn also die Gerichte – um ein Beispiel zu nennen – bisher immer entschieden haben, dass rein psychische Beeinträchtigungen keine Körperverletzungen, §§ 223 StGB ff., darstellen können, muss es dennoch möglich sein, dass der BGH dies in einer späteren Entscheidung einmal anders sieht. Wird jemand dann auf der Grundlage dieser neuen Rechtsprechung verurteilt, kann er nicht geltend machen, es läge ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor, weil er auf die bisherige Rechtsprechung vertraut hätte11.

28Auch im Rahmen des Rückwirkungsverbots ist jedoch zu beachten, dass eine Rückwirkung zugunsten des Täters stets zulässig ist. Daher bestimmt auch § 2 Abs. 3 StGB für den Fall, dass ein Gesetz zwischen der Begehung der Tat und der Aburteilung geändert wird, dass stets das mildere Gesetz Anwendung findet. Wird eine Strafnorm nach der Tatbegehung – aber vor der Verurteilung – aufgehoben, muss der Täter freigesprochen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden jedoch die sog. „Zeitgesetze“, d. h. Gesetze, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit gelten sollen (§ 2 Abs. 4 StGB).

29d) Analogieverbot („nulla poena sine lege stricta“). Unter dem Analogieverbot versteht man das Verbot, den Täter wegen eines Verhaltens zu verurteilen, welches zwar nicht ausdrücklich von einer Strafvorschrift erfasst ist, welches dem Richter aber in gleicher Weise strafwürdig erscheint wie ein ähnliches Verhalten, für das eine solche Strafnorm existiert. Nicht der Richter, sondern der Gesetzgeber soll dann, wenn eine solche Strafrechtslücke existiert, eine entsprechende neue Strafvorschrift schaffen.

Bsp.: § 242 StGB stellt die Wegnahme fremder „Sachen“ unter Strafe. Unter Sachen versteht man nur „körperliche Gegenstände“ (vgl. § 90 BGB). Daher fallen sowohl Elektrizität als auch Daten nicht unter den Diebstahlstatbestand. Auch wenn der Richter im konkreten Fall den „Elektrizitätsdiebstahl“ oder den „Datendiebstahl“ für ebenso strafwürdig hält, darf er den Täter infolge des Analogieverbotes nicht nach § 242 StGB verurteilen. Dies sah schon das Reichsgericht im Jahre 1899 hinsichtlich des Elektrizitätsdiebstahls so und sprach den Täter frei,12 worauf der Gesetzgeber mit § 248c StGB, der „Entziehung elektrischer Energie“, einen eigenen Straftatbestand schuf.

30Große Probleme sowohl in der Praxis als auch in der Klausur bringt die Abgrenzung von verbotener Analogie und zulässiger Auslegung mit sich.13 Denn jede Rechtsnorm bedarf der Auslegung, da man einen Straftatbestand kaum einmal perfekt formulieren kann, sodass sich in allen Fällen eindeutig bestimmen lässt, ob der Tatbestand eingreift oder nicht. Dabei bildet der Wortlaut des Gesetzes die Schranke zulässiger Auslegung. Wird diese Grenze des äußersten Wortsinns überschritten, so liegt eine – im Strafrecht zu Lasten des Täters verbotene – Analogie vor. Auch im Rahmen des Analogieverbots ist jedoch zu beachten, dass eine Analogie zugunsten des Täters stets zulässig ist, sofern eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Gesetzeslücke vorliegt. Insoweit kann es bei für den Täter günstigen Vorschriften (Rechtfertigungsgründe, Strafausschließungsgründe) durchaus zu einer zulässigen Analogiebildung kommen.

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