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2.Anknüpfungspunkte

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42Die verschiedenen Anknüpfungspunkte, welche die Anwendung deutscher Strafgewalt ermöglichen, sind in den §§ 3 ff. StGB detailliert geregelt. Von Studierenden wird hier lediglich erwartet, dass sie auf der Grundlage des Gesetzestextes prüfen können, ob das deutsche Strafrecht im konkreten Fall anwendbar ist (was in Klausuren in der Regel der Fall sein wird) oder nicht. Detailkenntnisse, insbesondere die Kenntnis von höchstrichterlichen Entscheidungen, werden in diesem Bereich nicht erwartet. Daher soll im Hinblick auf die möglichen Anknüpfungspunkte ein kurzer Überblick genügen:

43a) Anknüpfungspunkt: Begehungsort der Tat. Der deutschen Strafgewalt unterliegt nach § 3 StGB jeder, der innerhalb des deutschen Staatsgebietes eine Straftat begeht („Territorialitätsprinzip“). Darauf, ob der Täter oder das Opfer Deutsche sind, kommt es dabei nicht an. Dieser allgemeine Grundsatz beruht auf der Erwägung, dass jedermann die Gesetze desjenigen Staates einzuhalten hat, in welchem er sich aufhält. Insbesondere bei grenzüberschreitender Kriminalität (der Täter versendet z. B. eine Briefbombe, die in einem anderen Land „zündet“ und dort den Tod eines Menschen herbeiführt) ist es jedoch oft fraglich, ob die Tat im Inland stattgefunden hat oder nicht. Hier gilt nach § 9 Abs. 1 StGB das sog. Ubiquitätsprinzip (Ubiquität = Allgegenwärtigkeit). Hiernach ist eine Tat an jedem Ort begangen, an dem a) der Täter gehandelt oder b) der Täter die erforderliche Handlung unterlassen hat oder c) der Erfolg eingetreten ist oder d) der Erfolg hätte eintreten sollen. Sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort begründen somit die Tatortstrafbarkeit. Noch weiter als bei der Täterstrafbarkeit erstreckt sich der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts für den Teilnehmer, d. h. den Anstifter oder den Gehilfen (§ 9 Abs. 2 StGB). Begehungsort ist hier sowohl der Ort der Haupttat als auch der Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat.

Bsp.: Anton steht auf deutschem Staatsgebiet und erschießt mit einem Gewehr den Bruno, der sich auf französischem Staatgebiet befindet. Daraufhin zieht Rudi, der Begleiter des Bruno, der ebenfalls auf französischem Staatsgebiet steht, seine Waffe, schießt und verletzt Anton schwer. – Sowohl Anton als auch Rudi können nach deutschem Strafrecht bestraft werden, da Anton (hinsichtlich des Totschlags an Bruno, § 212 StGB) in Deutschland gehandelt hat (auch wenn der tödliche Erfolg in Frankreich eintrat) und bei Rudis Tat der Erfolg (Körperverletzung des Anton, §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB) in Deutschland eintrat (obwohl Rudi sich zum Tatzeitpunkt auf französischem Staatsgebiet aufhielt).

44§ 4 StGB erweitert den Begehungsort auf deutsche Schiffe und Flugzeuge, die zwar, wenn sie sich im Ausland befinden, nicht zum deutschen Staatsgebiet zählen, aber dennoch, wenn sie unter deutscher Flagge fahren, der deutschen Strafgewalt unterliegen sollen (sog. „Flaggenprinzip“).

45b) Anknüpfungspunkt: Staatsangehörigkeit des Täters. Nach dem aktiven Personalitätsprinzip darf ein Staat Handlungen seiner eigenen Staatsbürger auch dann in vollem Umfang seiner Strafgewalt unterwerfen, wenn diese eine Tat im Ausland begehen. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist es jedoch zusätzlich erforderlich, dass die Tat entweder dort, wo sie begangen wird (d. h. im Ausland), auch strafbar ist oder dass der Tatort überhaupt keiner Strafgewalt unterliegt (z. B. bei einem Tatort auf hoher See). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ein deutscher Staatsbürger nach deutschem Recht nicht bestraft werden kann, wenn er im Ausland eine Tat verübt, die nach dem Recht dieses Staates nicht unter Strafe gestellt ist.

46c) Anknüpfungspunkt: Staatsangehörigkeit des Opfers. Nach dem passiven Personalitätsprinzip darf ein Staat Handlungen, die gegen einen eigenen Staatsbürger begangen werden, auch dann in vollem Umfang seiner Strafgewalt unterwerfen, wenn die Tat im Ausland begangen wird. Dabei unterfallen nur deutsche Staatsbürger (vgl. Art. 116 GG), nicht hingegen (z. B. bei Vermögensstraftaten) juristische Personen mit Sitz in Deutschland, dieser Vorschrift. Auch hier gilt aber nach § 7 Abs. 1 StGB die Einschränkung, dass die Tat am Tatort strafbar sein muss oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

47d) Anknüpfungspunkt: Schutz besonderer inländischer Rechtsgüter. Nach dem in § 5 StGB geregelten Schutzprinzip wird die deutsche Strafgewalt auch auf Taten ausgedehnt, die zwar im Ausland begangen werden, jedoch besondere inländische Rechtsgüter gefährden. Hintergrund dieser Regelung ist, dass in den hier genannten Fällen regelmäßig besondere deutsche Interessen gefährdet werden (z. B. beim Hochverrat, §§ 81 ff. StGB). Die Regelung bekommt dann eine eigene Bedeutung, wenn entweder sämtliche Beteiligte ausländische Staatsangehörige sind oder aber die Tat am Tatort nicht mit Strafe bedroht ist (da in diesen Fällen § 7 StGB dann nicht greift). Dabei lassen sich innerhalb des § 5 StGB zwei Schutzrichtungen unterscheiden, nämlich einerseits Staatsschutzgesichtspunkte bei der Verletzung von überindividuellen Rechtsgütern (so die genannten Hochverratsdelikte, §§ 81 ff. StGB), andererseits Individualschutzgesichtspunkte bei der Verletzung von besonders bedeutsamen Individualrechtsgütern (wie z. B. bei der Kindesentziehung, § 235 StGB). Teilweise wird bei den zuletzt genannten Taten zwar auch darauf abgestellt, dass der Täter oder das Opfer Deutsche sind oder jedenfalls ihren Wohnsitz im Inland haben. Im Gegensatz zu § 7 StGB wird hier aber auf die Einschränkung, dass die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht sein muss, verzichtet.

48e) Anknüpfungspunkt: Interessen von universaler Bedeutung. Das in § 6 StGB geregelte Weltrechtsprinzip (oder auch Universalitätsprinzip) ermächtigt zur Ahndung von reinen Auslandstaten, die sich gegen übernationale Kulturwerte und Rechtsgüter richten, an deren Schutz ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht (z. B. Menschenhandel, Geld- und Wertzeichenfälschung, unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln). Ob ein Deutscher beteiligt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Zwar gerät die Durchführung eines Strafverfahrens in diesen Fällen an sich in Konflikt mit dem bereits genannten völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzip, eine Strafverfolgung ist hier aber deswegen gerechtfertigt, weil durch die Regelungen des § 6 StGB gerade internationale Verpflichtungen umgesetzt wurden, die Deutschland im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen mit anderen Staaten eingegangen ist. In diesen Verträgen wurde zumeist vereinbart, dass jeder Unterzeichnerstaat dafür Sorge zu tragen hat, dass eine entsprechende Strafvorschrift im nationalen Recht geschaffen wird. Dies hat zur Konsequenz, dass ein Täter, der z. B. unbefugt Betäubungsmittel vertreibt (vgl. § 6 Nr. 5 StGB), in nahezu jedem Staat der Welt hierfür bestraft werden kann, selbst wenn er nur innerhalb eines Landes tätig wird und seine Produkte auch nur an Einheimische verkauft. Einschränkend wird jedoch teilweise verlangt, dass auch hier irgendein „legitimierender Anknüpfungspunkt“ für die Strafverfolgung im Inland besteht – und sei es nur, dass der Täter seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt.

49f) Anknüpfungspunkt: Stellvertretende Strafrechtspflege. Nach dem in § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB geregelten Stellvertretungsprinzip unterliegt derjenige Ausländer der deutschen Strafgewalt, der im Ausland eine Tat begeht, im Inland angetroffen wird und aufgrund bestimmter Umstände nicht an den betreffenden Staat ausgeliefert werden kann. Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass auch flüchtige Täter bestraft werden können, die ansonsten straflos blieben, weil der betreffende Staat an einer Bestrafung entweder gehindert ist, kein Interesse hat oder sonstige Auslieferungshindernisse (z. B. eine im Ausland zu erwartende menschenunwürdige Behandlung, insbesondere Folter, oder auch eine drohende Todesstrafe) bestehen.

Literaturhinweise

Satzger, Das deutsche Strafanwendungsrecht (§§ 3 ff. StGB), JURA 2010, 108, 190 (umfassende Einführung anhand von anschaulichen Beispielsfällen)

Werle/Jeßberger, Grundfälle zum Strafanwendungsrecht, JuS 2001, 35, 141 (Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes anhand mehrerer kleinerer Beispielsfälle)

BGHSt 34, 334 – Drogenhändler (zum Weltrechtsprinzip bei Drogendelikten); BGHSt 45, 64 – Bosnische Serben I (zur Anwendung des § 6 Nr. 1 StGB); BGHSt 46, 212 – Adelaide Institute (zum Tatort bei Internet-Straftaten); BGHSt 46, 292 – Bosnische Serben II (zur Anwendung des § 6 Nr. 9 StGB)

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