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Kapitel 3
ОглавлениеErleichtert, dass sie diese Angelegenheit geregelt hatte, war Ella reif für den zweiten Espresso dieses Vormittags. Alles weitere, die Einarbeitung und das gegenseitige Beschnuppern würde sie Ruth überlassen.
Gerade als sie sich ein Croissant reinstopfte und ungeduldig versuchte, die fettigen Krümel von den Aktendeckeln zu fegen, kündigte ihr Ruth einen altbekannten Mandanten an.
Etwas außer Atem erschien ein überaus korpulenter Herr hinter Ruths Rücken und drängte sich mit einer Flinkheit an ihr vorbei, die man bei seiner Körperfülle nicht vermutet hätte. Theatralisch ließ er sich auf den Besucherstuhl sinken, sein gewaltiger adipöser Bauch zitterte wie Wackelpudding. Ehe Ella ihn begrüßen konnte, polterte es aus ihm heraus,
„Meine geliebte Mama ist tot”, Tränen schossen ihm in die Augen. ”Plötzlich und unerwartet ist sie verschieden”, jammerte er.
Ella war gewappnet, in der Tat hatte das Pflegeheim ihr telefonisch mitgeteilt, dass die Seniorin Hertha Schmidtke friedlich entschlafen war. Sie öffnete den Mund und wollte schon, „Wo ist das Problem? Sie sind doch der Alleinerbe”, hervorstoßen, entschied sich jedoch noch rechtzeitig für ein hastiges,
„Mein herzliches Beileid, Herr Schmidtke”.
Ella konnte sich aber dann doch nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass seine Mutter beinahe das Alter von Queen Mum erreicht hatte.
Sie angelte ein Papiertaschentuch aus einer auf dem Schreibtisch herumliegenden Packung und reichte es Herrn Schmidtke, der geräuschvoll hineintrompetete. Aber er ließ sich durch diese Ablenkung in keiner Weise beirren.
„Meine Mutter war topfit, ihr Tod kommt mir irgendwie seltsam vor. Ich habe sie doch noch vor drei Tagen in ihrer Seniorenresidenz besucht und da war sie noch putzmunter, putzmunter sage ich ihnen. Wir haben uns zusammen die Hitparade der Volksmusik mit Stefanie Hertel angeschaut, so ein hübsches Mädel.“
Ella war mit den Gedanken für eine Sekunde abgeschweift und hatte nicht richtig aufgepasst.
„Wer ist ein hübsches Mädel?“
„Na, die Stefanie, die mit den tollen Dirndels, ist ja auch egal, jedenfalls haben wir die Hitparade geguckt und dabei mit geschunkelt. Das macht doch keiner, der am nächsten Tag stirbt!“
Herr Schmidtke rang dramatisch die Hände.
Ella war sich da nicht so sicher, hatte aber Mühe passende Gegenargumente zu bieten. Herr Schmidtke redete indessen munter weiter,
„Ich bin sicher, dass meine Mama nicht an Altersschwäche gestorben ist. Da war so eine komische Pflegerin, wissen sie? Die war mir irgendwie unheimlich, immer schlich die so komisch um uns rum, wenn ich da war.
Jetzt reichte es Ella langsam, diesen aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen musste sie Einhalt gebieten.
„Das kann nicht sein Herr Schmidtke“,
sie versuchte so überzeugend wie nur möglich zu klingen, obwohl ihr die Situation langsam skurril vorkam.
„Ich habe mir ihre Mutter gestern Vormittag höchstpersönlich im Bestattungsinstitut Kupferberg angeschaut. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass sie eines unnatürlichen Todes gestorben ist.“
Sie förderte weitere Argumente zutage.
„Den behandelnden Hausarzt, Dr. Breitenbach, der den Totenschein ausgestellt hat, habe ich auch noch mal befragt. Er hat Stein und Bein geschworen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Soweit ich das überprüfen konnte, ist ihre Mutter auch nicht seziert worden. Im Ernst, Herr Müller, auch wenn ihre Mutter ,Topfit´ war, ist das Leben irgendwann vorbei. Außerdem handelt es sich um eine ausgesprochen teure und angesehene Seniorenresidenz, die einen untadeligen Ruf genießt“, schob sie noch hinterher.
Innerlich genervt, dachte sie: Aus - Schluss - Vorbei, die Verwandten hatten immer wieder Probleme, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Die Endgültigkeit des Todes!
Eine gefühlte Ewigkeit später verabschiedete sich Herr Schmidtke, nachdem sie noch Erbschaftsangelegenheiten besprochen hatten.
Ein Blick auf seine Armbanduhr scheuchte ihn auf. Schon 18:00 Uhr, er musste sich beeilen, wenn er seine Verabredung an diesem Abend pünktlich einhalten wollte.
Innerlich seufzend blickte er sich in seinem kargen Dienstzimmer in der Turmstraße in Moabit um, die Akten stapelten sich fast bis an die Decke des engen, hohen Zimmers aus dem 19. Jahrhundert und schienen nie weniger zu werden, soviel er auch schuftete.
Die mit schmutz abweisender Ölfarbe lindgrün gestrichenen Wände verströmten den Charme einer Gefängniszelle. Es war schon Paradox, er saß hier, um die Bösewichte der Stadt zu verfolgen und möglichst hinter Schloss und Riegel zu bringen und hatte es - rein optisch betrachtet - nicht besser als die, bei denen er erfolgreich gewesen war.
Vielleicht war dies eine Methode der Justizverwaltung, ihre Angestellten stets an den Ernst des Lebens hinter Gittern zu erinnern.
Immerhin, er war frei. Frei, dieses staubige Verlies zu verlassen und sich mit einer tollen Frau zu treffen.
Leon beschloss, für heute die Arbeit zu beenden und klappte die letzte Akte des Tages zu. Da er es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen würde, musste er sich wohl oder übel im Büro umziehen. Er zog den teuren Anzug aus, den er sich extra für den neuen Job angeschafft hatte. Was für eine Gehaltsverschwendung bei diesem Ambiente. Stattdessen wechselte er in eine Jeans und ein frisches Hemd.
Sogar einen Ausflug ins KaDeWe hatte er für den neuen Anzug unternommen. Aber allein die Marke BOSS sagte nichts darüber aus, dass er auch BOSS werden würde. Garantiert würde dieses rosagesichtige Schweinchen Egbert - Friedrich vor ihm die Karriereleiter hinauffallen. Der war in der richtigen Studentenverbindung gewesen, der war jetzt in der richtigen Partei und soff garantiert mit den richtigen Leuten, dafür hatte der einen Riecher wie ein Trüffelschwein.
Das winzige vorsintflutliche Waschbecken mit dem kaputten Spiegel erlaubte nur eine notdürftige Wäsche. Es war so niedrig, dass er sich geradezu herabbeugen musste. Vor gefühlt 100 Jahren waren die Angestellten wohl deutlich kleiner gewesen.
Mist, er hatte schon wieder einen deutlichen dunklen Bartschatten, obwohl er sich erst heute Morgen gründlich rasiert hatte. Der nagelneue scheiß supercut Rasierer, für den soviel Werbung gemacht wurde, hielt auch nicht, was er versprach. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fühlte sich gleich besser. Mit etwas Wasser bändigte er auch seine kräftigen braunen Haare, die er sich beim Brüten über den Akten gründlich zerrauft hatte.
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und trocknete sich das Gesicht. Zum Glück war er, der Bürohockerei zum Trotz, schlank und fit geblieben, davon konnte dieser grässliche Egbert nur träumen.
Er freute sich auf die Begegnung mit Ella heute Abend. Sie sahen sich viel zu selten, obwohl sie sich seit Grundschultagen kannten. Als Teenager hatte er heimlich für sie geschwärmt, sich dies aber nie anmerken lassen. Bis zum heutigen Tag waren sie bloß alte Kumpel geblieben, es war nie mehr aus ihrer Freundschaft geworden. Warum, konnte er sich auch nicht genau erklären, er hatte sich einfach nie aus der Deckung getraut.
Es lag wohl auch ein wenig an ihrer Familie, schon als Teenager hatte er ihre Mutter nicht leiden können. Diese anstrengende High Society Dame war furchtbar nervig und hätte ihn nie akzeptiert, mit seinem „normalen” gesellschaftlichen Background.
Insgeheim bedauerte er diesen Zustand, zumal die „Richtige” bisher in seinem Leben noch nicht aufgekreuzt war. Aber wenn er immer nur in diesem lindgrünen Verließ hockte und Akten frass, würde sich an diesem Zustand seines Privatlebens so schnell nichts ändern.