Читать книгу For ever young - Betty Hugo - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеDie Lindenblüten der Straßenbäume verströmten einen schweren, süßen, geradezu betäubenden Duft. Es war ein wunderschöner Sommertag gewesen, nun senkte sich die Abenddämmerung langsam über Berlin-Zehlendorf, die Gaslaternen beleuchteten mit ihrem sanften gelben Schein die Kopfstein gepflasterten Straßen, ein lauwarmer Abendwind wehte ihr ins Gesicht. So liebte sie die Stadt! Entspannt bewegte sie sich durch die Dämmerung, das luftige Sommerkleid bauschte sich leicht in der Abendbrise.
Es war spät geworden in der Kanzlei, aber sie musste unbedingt heute noch diesen Besuch erledigen.
Sie kannte den Weg dorthin noch von ihren vergangenen Besuchen. Nach einigen hundert Metern erreichte sie ein altmodisches, riesiges, schmiedeeisernes Tor mit einer fast unsichtbaren, modernen Gegensprechanlage. Auf einem winzig kleinen Messingschild war eingraviert: Seniorenresidenz „Athene". Nachdem sie sich angemeldet hatte, öffnete sich das Tor langsam, wie von unsichtbarer Hand. Es gab den Blick frei auf eine lange, gewundene, von großen Rhododendronbüschen gesäumte Auffahrt, die in einer parkartigen englischen Gartenanlage mündete. Der Blick auf die Villa war atemberaubend, das von Säulen gesäumte Portal, die Stuckverzierungen, so hatte man noch im 19. Jahrhundert gebaut.
Als Ella das Haupthaus erreichte, konnte sie erkennen, dass dahinter noch einige andere Gebäude lagen. Die Suiten der Seniorenresidenz waren ebenfalls in einer alten Villa aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Die Gebäude hingegen in denen sie die Wirtschaftsgebäude vermutete, waren von ausgesprochen moderner Architektur. Jedoch hatte es der garantiert teure und erstklassige Architekt verstanden, die alte und moderne Architektur miteinander zu versöhnen. Sie war bereits zweimal hier gewesen und konnte ihren Weg jetzt selbständig finden.
Vor einigen Wochen war eine alte Freundin und Mandantin hier eingezogen. Da sie eine alte Freundin ihrer verstorbenen Großmutter gewesen war, hatte sie es schlecht ablehnen können, als die alte Dame sie gebeten hatte, sich um ihre, wie sie es nannte, „bürokratischen Angelegenheiten” zu kümmern.
„Kindchen”, hatte sie damals gesagt. ”Ich mag mich nicht mehr um diesen ganzen Kram kümmern, ich bin zwar geistig noch klar im Kopf, aber ich kann in meinem Alter keinen Computer mehr bedienen und mich um Verträge und Bankgeschäfte kümmern.” Mit diesen Worten hatte sie Ella alles übertragen und die Vollmachten unterschrieben.
Jetzt waren von Zeit zu Zeit persönliche Besuche fällig, um alles Nötige zu besprechen.
Augusta hatte sich einen wunderschönen, privaten Altersruhesitz mit Blick auf den Wannsee ausgesucht, das musste Ella zugeben. In der Nähe sah sie auch die Villa eines traditionsreichen Segelclubs. Einige Yachten dümpelten friedlich auf den in den letzten Strahlen der Abendsonne glitzernden Wellen des Wannsees. Weiter draußen auf dem Wasser zogen noch die letzten Ruderer ihre Bahnen.
Ella ließ das Empfangsgebäude rechts liegen und gelangte nach wenigen dutzend Metern zum Altersheim. Autsch! Dieser Begriff war hier absolut verpönt, das hatte man ihr gleich zu Beginn eingetrichtert. Das Ding war eine Seniorenresidenz und dieses Gebäude trug den Namen Villa „Poseidon“ und weckte damit Assoziationen an ein Strandhotel an der Ostsee. Sie hatten es hier wohl mit den griechischen Göttern. Jeder Gast, der das Wort „Alt”, „Pflegeheim” oder gar „Altersheim” in den Mund nahm wurde mit Blicken förmlich erdolcht.
Schon das Entree war fantastisch, wie ein Schlosshotel. Wohin das Auge schweifte, nur edles Parkett, Marmor und antike Möbel, kostbarer Blumenschmuck und schöne Gemälde.
Das Personal trug schicke Uniformen, keine praktischen, ordinären Pflegekittel, wie es in den anderen Heimen üblich war und geleitete den Besucher zum gewünschten Bewohner. Alle Residenten verfügten über eine Suite mit Balkon. Im Erdgeschoß befand sich das Restaurant, in welchem auf Sterneniveau gekocht wurde. Jeden Monat war für diesen Luxus ein kleines Vermögen fällig, das wusste Ella genau.
Das ganze Gebäude war nur auf Repräsentation angelegt, alle Zweck und Wirtschaftsräume schienen wie von Zauberhand unsichtbar zu sein.
Die Pflegerin Gaby, die aber aussah wie die Angestellte eines 5 Sterne Hotels, führte Ella in die Luxussuite der alten Dame.
Sie begrüßte die Seniorin mit einer herzlichen, aber vorsichtigen Umarmung und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Augusta freute sich offensichtlich über ihren Besuch und entgegnete voller Enthusiasmus:
„Ach Kindchen, ich will nicht klagen. Die Knochen werden nicht jünger, aber was soll ich mit meinen 96 Jahren jammern? Meine Freunde sind fast alle tot, das macht mich wirklich traurig. Man wird einsam im Alter. Deshalb freue ich mich ja so, dich zu sehen.”
Das schlechte Gewissen meldete sich bei Ella. Sie wusste, dass sie sich viel zu selten blicken ließ und nahm sich zum wiederholten Male vor, dies zu ändern.
Sie ließ sich auf einem eleganten Sessel nieder und holte eine Mappe aus ihrer Tasche.
„Augusta, ich muss einige finanzielle Dinge mit dir besprechen".
„Genau“, erwiderte diese, „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, und gab Ella genaue Informationen, welche finanziellen Transaktionen sie in ihrem Auftrag tätigen sollte. Ella war höchst beeindruckt, wie informiert die alte Dame über den derzeitigen Stand am Aktien- und Finanzmarkt war, dass hätte sie ihr gar nicht mehr zugetraut.
Als Augusta schließlich geendet hatte und sich im Sessel zurücklehnte, ging Ella zum geselligen Teil über. Sie nahm ein Schlückchen von dem köstlichen Earl Grey Tee aus der geblümten Meissner Porzellantasse und fragte: „Wie gefällt es dir hier Augusta? Hast du irgendwelche Dinge, über die wir uns beschweren müssen oder ist alles in Ordnung hier? ”
Augusta schüttelte vehement den Kopf,
„Nein, auf keinen Fall, der Service lässt hier keine Wünsche offen, das Personal ist richtig freundlich und dienstbereit, ich kann mich über nichts beklagen. Aber…“
Sie geriet ins Stocken und verstummte. Ella wartete ab, als nichts mehr folgte, nahm sie den Faden wieder auf und bohrte nach.
„Was aber?“
Augusta druckste herum. Sie schwieg, dann schien sie zu überlegen und senkte plötzlich ihre Stimme zu einem Flüstern herab:
”Ich wollte dir schon noch etwas Komisches mitteilen. Ich bin ja nun schon einige Monate hier und ich kann mich im Prinzip wirklich nicht beklagen, wie ich dir ja eben gesagt habe, aber ich habe immer noch gute Augen und Ohren und ich sage dir, ich habe das Gefühl, dass …,ach was, lassen wir das. Wenn man zur Ruhe kommt und nicht genügend zu tun hat, wird man leicht …“, sie hob die Schultern, „seltsam - aber ich bin weder Taub noch Blind und mit dem Rollator komme ich noch gut voran.“
Verblüfft starrte Ella ihre alte Freundin an. Wurde sie jetzt doch dement? Litt sie unter Wahnvorstellungen, Verfolgungswahn? Alles keine ungewöhnlichen Krankheitsbilder in ihrem Alter. Sie schluckte und überlegte, wie sie darauf reagieren sollte.
Augusta sah ihr geradewegs in die Augen.
„Kindchen, ich weiß, was du denkst. Du meinst bestimmt, dass ich jetzt langsam verrückt werde, ich kann es an deinem Gesicht ablesen. Aber ich schwöre dir, meine Birne ist noch intakt.”
Mit diesen Worten klopfte Augusta sich mit der Faust an die Stirn.
„Und auf der Höhe der Zeit bin ich auch.” Triumphierend zog die alte Dame ein topaktuelles I-Phone aus der Tasche ihres eleganten Hausmantels.
„Ich kann auch damit umgehen”, versicherte sie Ella nachdrücklich.
Zum zweiten Mal blieb Ella vor Verblüffung der Mund offen stehen. Wer hätte das gedacht?
Ella beschloss, sich erstmal auf diese seltsamen Andeutungen einzulassen.
„Dann erzähle mir bitte mal, was du so komisch findest. Es ist doch alles ganz fantastisch hier, nettes Pflegepersonal, tolles Essen, wie im Luxushotel und die medizinische Betreuung ist doch auch o. k.”
„Kindchen, ich kann mich, wie gesagt, nicht beschweren. Es ist mehr ein Gefühl, die Atmosphäre ist irgendwie …”
Abrupt brach sie ab und wechselte das Thema.
„Was mich am Altwerden wirklich ärgert, sind die vielen Tabletten, die einem vom Doktor verordnet werden. Zu jeder Mahlzeit muss ich irgendeine Pille schlucken, ich habe schon fast den Überblick verloren.“
Ella wurde immer mulmiger zumute. Tickte ihre alte Freundin jetzt zusehends aus?
„Also, das ist doch das normalste auf der Welt, dass hier kiloweise Medikamente verteilt werden. Ihr alten Leutchen futtert doch jeden Tag eine Apotheke leer. Jeder nimmt doch Beta Blocker, Lipidsenker, Herzmedikamente, Entwässerungsmittel, Blutzuckersenkende Medikamente und in der Grippesaison noch massenhaft Antibiotika, was weiß ich alles. Ich gehe jede Wette ein, dass jeder der hier wohnt, täglich mindestens fünf verschiedene Medikamente nimmt.”
„Ja, da hast du leider recht Ella, das weiß ich doch. Damit muss man wohl leben im Alter. Ich alte Frau sehe zu viele Gespenster.“
Heimlich schielte Ella auf ihre Armbanduhr, es war schon nach 21:00 Uhr, sie musste wirklich gehen.
”Pass gut auf dich auf, Augusta", sagte sie zum Abschied und erhob sich.
„Ich werde spätestens in vier Wochen wieder vorbeikommen und dich dann hoffentlich gesund und munter antreffen.“
„Ach, Kindchen, ich habe den Holocaust überlebt, also werde ich auch dies hier überleben, zumindest noch einige Jahre."