Читать книгу Geliebter Prinz - Billy Remie - Страница 13
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ОглавлениеAm nächsten Tag stellte Desiderius erfreut fest, dass er seit dem gestrigen Morgen erfolgreich seiner und der königlichen Familie aus dem Weg gegangen war.
Nachdem er sich am Morgen der Duelle gewaschen und umgezogen hatte, war er mit seinem Rappen zu einem Gasthaus geritten, das auf halber Strecke zwischen dem Toten Wald und den Violetten Küsten lag. Dort hatte er eine Menge Wein getrunken, sich mit einigen Reisenden angelegt und eine Prügelei angefangen, danach hatten sie zusammen weiter getrunken. Menschen ohne Titel waren nun mal derart primitiv, aber das störte Desiderius nicht, er war es ja selbst. Er hatte sich daran gewöhnt, mit denen zu trinken, die ihm kurz zuvor einen harten Faustkampf geliefert hatten.
Erst am frühen Morgen war Desiderius heimgekommen und hatte bis zum späten Nachmittag geschlafen. Niemand hatte ihn geweckt, vermutlich, weil die Dienstmagd ihn nicht aus seinem festen Schlaf hatte aufwecken können. Es war nicht das erste Mal, dass er einen ganzen Tag verschlief.
Nachdem er aufgestanden war, hatte er die Burg halb verlassen vorgefunden. Die Bediensteten waren dabei, das Abendmahl vorzubereiten, doch der Lord und seine Gäste waren nicht in Sicht gewesen. Ein Stallbursche hat Desiderius dann aufgeklärt und berichtet, dass alle einen Ausritt unternahmen.
Desiderius hatte seinen Rappen gesattelt und war daraufhin ebenfalls ausgeritten. Sein Ziel war der kleine Bach gewesen, unweit von der Burg entfernt, wo er nach seiner ersten Nacht etwas Schlaf gesucht hatte.
Doch statt sich wieder faul an die Eiche am Bachufer zu lehnen, war er am Wasser entlang geritten, bis er zu einem natürlichen Staudamm kam, der von einigen Bibern angelegt wurde. Dank der Tierchen hatte sich ein erstaunlich tiefer Teich gebildet.
Desiderius stieg ab und ließ seinen Rappen frei grasen, der Hengst war treu und würde nicht davonlaufen, und wenn er scheute war es sicherer, ihn laufen zu lassen, als zu riskieren, dass er die Zügel abriss, an denen er festgebunden wäre, und sich wohlmöglich noch verletzte.
Desiderius legte seinen Umhang und seine leichte Lederrüstung ab. Sein Schwert und seine Dolche legte er an das Ufer, um sie in Griffweite zu wissen. Er zog das weiße Leinenhemd aus und streifte die Stiefel ab. Nur mit einer Leinenhose, die ihm bis zu den Waden reichte, watete er halbnackt in das Wasser. Es war kalt und verursachte bei ihm eine Gänsehaut, aber eben jene Abkühlung hatte er gesucht. Es würde seine Kopfschmerzen lindern und seine Nase kühlen, die am gestrigen Abend einen Fausthieb abgekommen hatte. Unter seinen Augen hatte Desiderius deswegen rot und violett schimmernde Ringe.
Er lief, bis ihm das Wasser bis zur oberen Hälfte seiner Oberschenkel reichte. Das Wasser war so klar, dass er auf den Boden sehen konnte. Kleine Fische schwammen um seine Knöchel, und seine Füße standen auf weißen, glatten Steinen, die nur teilweise von grünen Algen übersät waren. Sonnenstrahlen fielen durch die wenigen Blätter der Bäume und glitzerten auf der Wasseroberfläche, die vom warmen Frühlingswind leicht bewegt wurde.
Desiderius sprang kopfüber mit ausgestreckten Armen in das Wasser. Beinahe wäre er auf dem Boden aufgekommen, doch er hatte gewusst, dass das Wasser nicht allzu tief war und deshalb von Vornherein nicht viel Schwung genommen. Das Wasser schlug über seinem Köper zusammen und nasse Kälte umhüllte ihn. Er begrüßte sie und tauchte unbeirrt weiter. Nahe am Boden schwamm er entlang, verscheuchte mit seiner Anwesenheit Fische und anderes Getier. Seine strammen Bauchmuskeln steiften über glatte Bachsteine, die sich wie suchende Hände anfühlten, die ihn neugierig betasteten.
Unter Wasser gelangte er zu dem Staudamm und tauchte vorsichtig an ihm wieder auf. Er warf sein nasses Haar zurück, damit es ihm nicht in die Augen tropfte, und holte tief Luft, als er durch die Oberfläche brach.
Desiderius sah sich die Konstruktion an und stellte fest, dass der kleine Bach um einiges mehr Wasser aufzuweisen hätte, wenn die Biber hier keinen Damm errichtet hätten. Dann wäre der Bach ein reißender Fluss. Aber Desiderius würde deshalb niemals den Staudamm einreißen. Niemand würde von diesem Fluss profitieren, also ließ er die Konstruktion der Bieber intakt.
Desiderius warf sich zurück und tauchte wieder unter Wasser. Er schwamm noch einmal einige Fuß, bis ihm wieder die Luft ausging und er an die Oberfläche musste. An einer erhöhten Stelle kam er wieder zum Vorschein und richtete sich aus dem Wasser auf. Er schüttelte sein schwarzes Haar und strich sich Wassertropfen aus den Augen.
Desiderius liebte es zu schwimmen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit sprang er ins Wasser und tauchte einige Runden. Er war auch der Einzige, der sich traute, in das Tobende Meer an den Violetten Küsten zu springen. Das Wasser dort war dunkel, es wies stets hohe Wellen auf und war durchgehend eisigkalt, aber er mochte es. Die Strömung war stark und der Boden so tief, dass man ihn nicht sehen konnte, egal, wie tief man hinuntertauchte.
Sie nannten ihn alle einen leichtsinnigen Narren, wenn er dort schwimmen ging. Bestaunten ihn aber dann doch, wenn er lebend und gut gelaunt auftauchte.
Dieser Teich war damit nicht zu vergleichen, aber das kühle Wasser hier hatte zumindest seine andauernden Kopfschmerzen gelindert.
Seufzend drehte er sich in Richtung Ufer, um nach seinem Hab und Gut zu sehen. Er erstarrte für den Bruchteil eines Augenblicks, als er bemerkte, dass er nicht mehr allein war.
Desiderius lachte auf und watete kopfschüttelnd aus dem Wasser. Seine nasse Leinenhose wies dabei ein Gewicht auf, als hinge eine Person seiner Statur an seinen Beinen. Dennoch kam er mit recht eleganten Bewegungen immer weiter aus dem Wasser.
Prinz Wexmell saß mit angezogenen Knien im hellgrünen Gras unweit vom Bachufer entfernt und hatte die Arme um die Beine geschlungen, sein spitzes Kinn ruhte auf seinen Knien, und der leichte Wind bewegte seine goldenen Löckchen. Er schien schon etwas länger dort zu sitzen und Desiderius mit einem sehnsüchtigen Blick zu betrachten.
Der junge Prinz musterte Desiderius auffällig, während dieser aus dem Wasser kam und auf ihn zu schlenderte. Seine Augen blieben an der nassen Leinenhose hängen, die sich eng um Desiderius’ Beine und seine Männlichkeit schmiegte.
Desiderius schüttelte den Kopf, als er laut sagte: »Du bist unheimlich – immer, wenn ich mich umdrehe, stehst du plötzlich vor mir.«
»Vergebung.« Wexmell kam auf die Beine und klopfte sich den Dreck von der, für seine Verhältnisse, einfachen Kleidung. »Ich wollte mich dir nicht aufdrängen.«
Desiderius blieb mit etwas Abstand vor ihm stehen und hob skeptisch seine dunklen Augenbrauen.
Statt darauf einzugehen, holte Prinz Wexmell Luft und erklärte: »Ich wollte mich entschuldigen.«
Nun schnellten Desiderius‘ Augenbrauen noch weiter nach oben. »Entschuldigen?«, wiederholte er überrascht. »Wofür denn?«
Der junge Prinz senkte schüchtern den Blick, als er antwortete: »Dafür, dass ich dich beinahe in Schwierigkeiten gebracht hätte.«
Ach so, Desiderius verstand, runzelte aber dennoch seine Stirn. Er hätte nicht gedacht, dass der junge Blonde auf ihn zukam, um sich dafür zu entschuldigen.
Wexmell hob wieder den Blick und sah Desiderius gefasst in die Augen. »Mir war nicht bewusst, in welche Gefahr ich dich damit bringe. Verzeih, es war wirklich nicht meine Absicht gewesen, mit deinem Leben zu spielen. In Zukunft werde ich mich diskret verhalten.«
Desiderius schüttelte seinen Arm aus und warf damit die Wassertropfen von seiner Haut, die ihn wie kleine Käfer kitzelten.
»Vergiss es einfach«, brummte er abweisend.
Ohne ihn weiter zu beachten, ging Desiderius an ihm vorbei zu seinen Sachen, die er am Ufer abgelegt hatte.
Aber Prinz Wexmell drehte sich mit ihm und sagte noch: »Ich wollte dir außerdem danken. Für gestern. Ich weiß, was du getan hast und ich stehe in deiner Schuld.«
Desiderius schmunzelte in dem Wissen, das der andere es nicht sah. Er entwirrte gerade sein Leinenhemd, als er erwiderte: »Hm, ich weiß nicht, was du meinst.«
»Natürlich nicht«, gab Wexmell spöttisch zurück. »Der Wind hat dich umgestoßen und mich mit dir zu Boden gerissen.«
»War ein starker Wind«, murmelte Desiderius.
Der Prinz schnaubte erheitert.
Desiderius warf ein Schmunzeln über die Schulter, das der junge Prinz erwiderte. Doch die Augen des Prinzen blieben nicht an seinem Gesicht hängen, sie wanderten an Desiderius’ Rückseite hinab und kamen an tieferen Körperregionen zum Erliegen.
»Ich dachte, alle wären ausgeritten?«, fragte Desiderius und zog sich sein Leinenhemd über den nassen Körper. Er hatte nichts gegen die auffällige Musterung, sie gefiel ihm sogar.
»Ich bin auf der Burg geblieben und habe gewartet, bist du aufwachst«, gestand der Prinz gelassen. »Als ich dich ausreiten sah, bin ich dir gefolgt.«
Desiderius schnaubte kopfschüttelnd. »Und das nennst du diskret? «
Er drehte sich zu dem Prinzen um und warf ihm einen strengen Blick zu.
»Übereifrige Diskretion führt ebenso schnell zu Misstrauen wie offensichtliches Verhalten«, erwiderte der junge Prinz selbstgerecht.
Desiderius legte schmunzelnd seinen Kopf schief. »Ihr seid ein Besserwisser, Euer Gnaden.«
»Nein.« Der junge Prinz trat mit verschränkten Armen auf ihn zu. »Ich sehe die Dinge einfach so, wie sie sind.«
»Ach?« Desiderius verzog skeptisch sein Gesicht. »Und wie sind die Dinge?«
Direkt vor ihm blieb der Prinz stehen. Sie waren sich so nah, dass Desiderius an seinem ausgekühlten Körper die Wärme des anderen spüren konnte. Es vernebelte ihm die Sinne, dass der, den er begehrte, so greifbar war. Gern hätte er sich an den jungen Prinzen gedrängt und sich von seinem warmen Körper wärmen lassen.
Grinsend, als wüsste er genau, woran Desiderius dachte, regte Wexmell das Kinn empor und behauptete: »Du willst mich.«
Kopfschüttelnd beugte sich Desiderius etwas zu ihm, ein Lächeln geisterte um seine Lippen, als er erwiderte: »Da liegt Ihr vollkommen falsch, Euer Gnaden.«
Anmaßend sah Wexmell ihm in die Augen. »Gut, dann erklär mir doch, warum du mir gestern einen Sieg überlassen hast? Und wenn du schon dabei bist, verrate mir, warum du dich beim König für mich eingesetzt hast?«
Desiderius log: »Das habe ich nie getan.«
»Doch, das hast du«, beharrte Wexmell. »Bellzazar hat es mir erzählt.«
Dieser verdammte Halbgott, fluchte Desiderius innerlich. Dieses Wesen schien geschwätziger zu sein als ein altes Weib.
»Du kannst es nicht erklären«, stellte der junge Prinz richtig fest, er klang triumphierend.
Desiderius fiel beim besten Willen nichts ein, womit er den jungen Blonden ausreichend belügen konnte.
Wexmell hob die Hände, nachdem Desiderius nichts weiter erwiderte. Warme Handflächen legten sich auf Desiderius’ Brustmuskeln und er schloss unwillkürlich seine Augen unter der angenehmen Berührung. Ein schmaler Körper schmiegte sich ungefragt an ihn, und sofort wurde sein Glied unter der nassen, kalten Hose hart. Wexmells Oberschenkel presste sich dagegen und rieb sich daran.
Schwer schluckend unterdrückte Desiderius ein Aufstöhnen.
Wexmells Hände fuhren hinauf zu den Schultern und hielten sich dort fest. Der junge Prinz reckte sich nach oben und legte den Kopf schief. Sein heißer Atem streifte Desiderius’ Kehle, dann fühlte er eine warmnasse Zunge, die kokett über die Bisswunde fuhr.
Lockend raunte Wexmell ihm zu: »Ich erinnere mich noch an deinen Geschmack.«
Er ließ dabei offen, ob er von Desiderius’ Blut oder anderen Körperflüssigkeiten sprach. Von beidem hatte er bereits gekostet.
Desiderius erschauderte und konnte ein Keuchen nicht verhindern.
Aber er konnte nicht, durfte nicht zulassen, was sich hier wiederholte. Er konnte seine oberste Regel nicht brechen. Nur die Befriedigung der eigenen Gelüste zählte. Doch der junge Prinz konnte ihm gefährlich werden, weil er mehr von ihm erwartete.
Er musste das beenden, doch sein Körper wollte sich der Berührung nicht entziehen.
Wexmell zog den Kopf leicht zurück, während seine Hände auf Wanderschaft gingen und über Desiderius’ Oberkörper fuhren. »Ist das eigentlich wertvoll?«
»Was?« Desiderius runzelte die Stirn und öffnete die Augen. »Was soll wertvoll sein?«
Zu spät spürte er die schlanken Finger, die sich um den Anhänger seiner Halskette schlossen.
»Na das!« Wexmell riss ihm die Kette vom Hals und sprang gleich darauf lachend außer Reichweite.
Verblüfft sah Desiderius an sich hinab, erst langsam begriff er, was vor sich ging. Er wandte sich um und sah den jungen Prinzen frech grinsend auf dem Staudamm balancieren.
Desiderius ließ seine Schultern hängen. »Wie alt sind wir? Fünf?«
Der junge Prinz streckte den Arm aus, um seine Finger war die Halskette geschlungen und der Bernsteinanhänger baumelte lockend in der Luft. »Wenn du nicht ab und an ein wenig albern bist, hast du das Leben nicht verstanden, Derius.«
»Oh!« Desiderius kam grinsend auf ihn zu. »Dann geben wir uns jetzt also schon vertraute Namen? Ihr seid wirklich eine hartnäckige und anmaßende Klette, Euer Gnaden.«
»Ich nenne dich nur so, wie der Wirt in dem Bordell«, erklärte Wexmell. »Er scheint dich recht gut zu kennen.«
»Stimmt«, bestätigte Desiderius grinsend. »Ich bin oft dort.«
Der junge Prinz presste die sinnlichen Lippen ärgerlich aufeinander. »Stammgast?«
»Ja«, antwortete Desiderius ohne Umschweife.
Eifersucht blitzte in den eisblauen Augen des Prinzen auf.
Desiderius’ Mundwinkel verzogen sich zu einem arroganten Grinsen: »Hast du es immer noch nicht verstanden?« Er lachte höhnisch auf, während er sich über den Prinzen lächerlich machte. »Es gibt nur zwei Dinge, die mich wirklich kümmern. Das Wichtigste ist das harte Fleisch zwischen meinen Beinen, und das andere ist die Frage, wie ich das Verlangen darin schnellstmöglich stillen kann.«
Desiderius breitete amüsiert die Arme aus und zuckte mit den Schultern, als er noch anfügte: »Du warst nur ein Mittel zum Zweck, so wie die restlichen hundert Kerle vor dir und die anderen hundert Kerle, die noch nach dir folgen werden.«
Geknickt senkte der junge Prinz kurz seine eisblauen Augen.
Kopfschüttelnd flüsterte Desiderius gehässig in seine Richtung: »Ich weiß, als Prinz ist es schwer zu glauben, aber du bist nichts Besonderes. Jedenfalls nicht für mich.«
Der Prinz schluckte, dann mahlte er verbissen mit den Kiefern, als wolle er etwas Passendes erwidern. Eine Beleidigung, die ebenso sehr schmerzen sollte, wie Desiderius’ Worte. Doch der Prinz blieb stumm, er war zu verletzt.
»Und diese Kette war ein Geschenk einer meiner zahlreichen Liebhaber«, erklärte Desiderius mit einem Fingerzeig auf die Halskette in Wexmells Hand.
»Tatsächlich?« Der junge Prinz kochte vor Eifersucht.
Amüsiert darüber sprang Desiderius auf den schmalen Staudamm. Er brauchte einen Moment, um sein Gleichgewicht zu finden, stand dann aber fest auf dem Damm.
»Ein Luzianer«, berichtete Desiderius mit einem überheblichen Blick. »Groß, schlank und männlich. Er war älter als ich, aber ich habe ihn dazu überreden können, sich mir hinzugeben.«
Der junge Prinz zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen, die Eifersucht machte sein sonst zartes Gesicht hart und grimmig. »Er muss Euch viel bedeutet haben, wenn Ihr sein Geschenk am Leib tragt.«
Desiderius schmunzelte darüber, dass Prinz Wexmell ihn wieder höfflich distanziert ansprach.
»Ja, vielleicht. Aber ich trage sie überwiegend wegen des Anhängers. Es ist ein Bernstein aus der Wildnis. Du weißt sicher, dass Bernstein in Nohva sehr selten und damit viel wert ist.«
»Warum hast du ihn dann nicht verkauft?«
»Weil, Bernstein zudem einen nützlichen Zweck besitzt«, erklärte Desiderius. »Laut einer Sage des Waldvolkes, schützt Bernstein vor Magie. Reiner Bernstein, den man am Körper trägt, wehrt Flüche ab.«
Wexmell zog seine Hand zurück und betrachtete den Anhänger nachdenklich. Es handelte sich dabei um eine winzige Bernsteinkugel, die in einem silbernen Käfig gefangen war. Der Anhänger war aber nicht größer als eine Fingerkuppe.
»Weißt du, du bist sehr leichtfüßig«, stellte Desiderius anerkennend fest und deutete auf Wexmells Stiefel, die fest auf dem Damm standen.
Der junge Prinz schmunzelte ihn an. »Davon kannst du ausgehen.«
»Das wird sich ja gleich herausstellen«, murmelte Desiderius.
»Wie bitte?«, fragte der Prinz, der ihn nicht verstanden hatte.
»Nichts«, winkte Desiderius ab.
Er begann, auf den jungen Prinzen zuzugehen. Wexmell wich vor ihm zurück.
»Werft die Kette ruhig weg«, schmunzelte Desiderius zu ihm, »das wird Euch nicht retten, mein junger Prinz.«
Prinz Wexmell runzelte verwundert seine Stirn und blinzelte Desiderius an. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, ich werde, egal, ob du die Kette mitnimmst oder wegwirfst, solange hinter dir her sein, bis ich dich zufassen bekomme und dir deinen Hintern versohle.«
Wexmell begann breit zu grinsen und mit diesem Lächeln ging für Desiderius zum zweiten Mal an diesem Tag die Sonne auf.
»Ich meine es ernst«, knurrte Desiderius, »lauf lieber!«
Noch bevor er den Satz richtig beendet hatte, setzte sich Desiderius in Bewegung.
Der junge Prinz wirbelte herum und sprang leichtfüßig den Damm entlang bis zum anderen Ufer. Er verschwand im Wald zum Zugang zu den Tiefen Wäldern. Desiderius, der in den Wäldern aufgewachsen war, verfolgte ihn, musste aber erkennen, dass der junge Prinz klar im Vorteil war.
Elegant und anmutig bewegte sich der junge Prinz durch den Wald. Von Stein zu Stein, von Baumstamm zu Baumstamm und von Ast zu Ast. Wie ein Affe sprang er lachend durch den Wald und hatte sogar die Zeit, an einigen Stellen mit einem frechen Grinsen auf Desiderius zu warten.
Eigentlich war es stets Desiderius, der sich lautlos und schnell durch das Unterholz bewegen konnte, aber mit dem Prinzen hatte er jemand gefunden, dessen Können ihn übertraf. Und das bedeutete, dass Prinz Wexmell ein beeindruckendes Talent besaß.
Lachend jagten sie durch den Wald, immer weiter fort von der Burg, und zum ersten Mal in seinem Leben verspürte Desiderius die Leichtigkeit eines herumalbernden Bengels. Scherze hatte er sich draußen in der Welt nicht erlauben können, wo es nur ums nackte Überleben ging. Aber der junge Prinz zeigte ihm, wie viel Spaß sorgloses Herumalbern machen konnte.
***
Es dämmerte schon leicht, als Wexmell urplötzlich stehen blieb und Desiderius keine Zeit mehr hatte, abzubremsen, und direkt gegen ihn lief.
»Nein!«, rief Prinz Wexmell erschrocken, doch da war es schon zu spät.
Desiderius großer Körper riss den jungen Prinzen um und gemeinsam stürzten sie einen steilen Hang hinunter, vor dem Wexmell stehen geblieben war und den Desiderius nicht gesehen hatte.
Während sie den Hang hinabrollten, hielten sie sich unbewusst aneinander fest, weil jeder von ihnen den anderen keinesfalls verlieren wollte.
Desiderius spürte dicke Äste unter seinem Gewicht brechen, spitze Steinkanten rissen seine Kleidung auf und fügten ihm tiefe Schnittwunden zu. Er stieß sich den Hinterkopf an einem Stein an, als sie unten aufkamen. Doch sein Rücken landete weich direkt auf Prinz Wexmells Körper.
Stöhnend kamen sie zum Liegen, aber keinem ist etwas Schlimmeres geschehen. Sie fingen beide unbekümmert an zu lachen, nachdem sie wieder Luft in ihren Lungen hatten, die zuvor bei ihrem Aufprall hinaus gedrückt wurde.
»Aua«, stieß Desiderius amüsiert aus und legte eine Hand auf die schmerzende Stelle an seinem Hinterkopf.
Er drehte sich zu Wexmell um: »Geht es dir gut?«
»Ja«, ächzte Wexmell und krümmte etwas seinen Rücken durch. »Ich glaube aber, mein Rücken hat die Baumwurzel unter mir zerbrochen.«
Desiderius lachte halbherzig auf, aber er konnte sich nicht auf Wexmells Scherz einlassen, da ihm gerade nur allzu sehr bewusstwurde, dass sein Körper direkt zwischen den Beinen des Prinzen lag und er dessen Weichteile im Rücken spüren konnte.
Desiderius setzte sich stöhnend auf, er hatte dank des Sturzes einige Prellungen davongetragen, und eine tiefe Schnittwunde am Bein, die ziemlich stark brannte.
Er presste die Hand auf die blutende Wunde und sah dann hinauf. Sie befanden sich in einer Schlucht mitten in den Tiefen Wäldern. Die Hänge um sie herum waren steil und überwuchert mit Baumwurzeln und anderem Gebüsch. Die Bäume über ihnen waren so zahlreich und ihre Baumkronen so dicht, dass das fahle Licht der Dämmerung nur spärlich zu ihnen durchdrang. Es war fast dunkel und das war nicht gut. Desiderius und Wexmell waren beide leicht bekleidet und unbewaffnet. Sie mussten aus den Tiefen Wäldern raus, bevor die Nacht hereinbrach und die wilden Tiere erwachten.
Wexmell richtete sich ebenfalls auf und rieb sich hinter Desiderius den Rücken. Noch immer waren seine Beine links und rechts neben Desiderius’ Körper, als er sich vorlehnte und das Kinn in sich hineinlachend auf Desiderius’ Schulter legte.
»Ich habe mir den Kopf angestoßen, meinen Rücken geprellt und unzählige Schnittwunden an Beinen und Armen«, lachte Wexmell und hielt dann Desiderius seine Hand vor das Gesicht, von deren Fingern die Halskette baumelte, »aber deine Kette habe ich nicht losgelassen.«
Auflachend nahm Desiderius seine Halskette an sich und streifte sie sich mit einer schnellen Bewegung über den Kopf. »Sehr freundlich von dir.«
»Was immer du mir anvertraust, sei versichert, dass ich es nicht verlieren werde«, sagte der junge Prinz mit einer tieferen Bedeutung.
Desiderius’ Gesicht fuhr zu ihm herum, er forschte lange in den eisblauen Augen.
Der junge Prinz erwiderte den Blick mit einer beneidenswerten Ruhe. Er schien auf etwas zu warten, eine Reaktion von Desiderius, die ihm nicht das Herz brechen würde.
Doch Desiderius wandte sich schnell ab und sprang auf die Beine.
Der Boden unter ihnen war steinig und glitschig, weil sich in dem tiefen Graben Regenwasser angesammelt hatte und das Moos auf den Baumwurzeln und den überwucherten Steinen ganz feucht war.
Desiderius drehte sich zu Prinz Wexmell um, der mit enttäuschter Miene auf dem Boden saß und grimmig vor sich hinstarrte. Kommentarlos reichte Desiderius ihm seine Hand.
Wexmell sah auf und schlug in die ihm dargebotene Hand ein. Mit einem Ruck zog Desiderius ihn auf die Beine, dann ließ er schnell die zarte Hand los und wandte dem Prinzen den Rücken zu.
»Wir müssen zusehen, dass wir eine geeignete Stelle finden, um den Hang wieder hinauf zu klettern«, sagte er und suchte dabei bereits die Hänge, von denen sie eingeschlossen wurden, mit den Augen ab. »Am besten bevor es dunkelt.«
Er ging voraus, immer mit Blick auf die steilen Hänge. Stolperte mehr, als dass er lief, weil er immer wieder abrutschte. Aber wenn er einen Blick über die Schulter warf, stellte er fest, dass auch Wexmell nur fallend vorankam.
»Wieso bleiben wir nicht hier?«, scherzte der junge Prinz nach einer Weile. »Wir entfachen ein Feuer und schlafen unter freiem Himmel. Das machst du doch auch oft auf Reisen, oder?«
Desiderius stieß belustigt über den naiven Prinzen den Atem aus. Er drehte sich mit einem herablassenden Blick zu dem Prinzen um. »Du kommst wirklich nicht oft raus, was?«
Prinz Wexmell runzelte seine makellose Stirn. »Was meinst du damit?«
»Mal angenommen, ich würde darüber hinwegsehen, dass wir beide unbewaffnet sind und ich nicht einmal Schuhwerk an den Füßen trage, ganz zu schweigen davon, dass unsere blutenden Schnittwunden wilde Raubtiere anziehen würden, und ich mich entschließe, die Nacht hier zu verbringen, wie gedenkst du denn ein Feuer zu entfachen? Hier ist alles nass!«
Letzteres zischte er eindringlich.
Prinz Wexmell sah sich um und betrachtete den feuchten Waldboden, über den sie schon seit einer Weile stolperten, ohne ihm entkommen zu können. »Oh.«
»Ja, Oh.« Kopfschüttelnd wandte sich Desiderius wieder ab und ging weiter, ohne groß auf den Prinzen zu achten. Das musste er nicht, denn egal wo er hinging, der Prinz würde ihm folgen. Ob Desiderius das nun wollte oder nicht, es war, als hätte irgendeine höhere Macht den jungen Prinzen auf ihn geprägt. Wie ein junger Wolf der Mutter, lief Wexmell Desiderius hinterher. Genau deshalb saßen sie nun auch in diesem Graben fest. Desiderius fluchte.
Wütend, weil er sich eigentlich selbst die Schuld dafür geben konnte, fuhr er plötzlich wieder zu dem jungen Prinzen herum, der ihn überrascht ansah. »Weißt du, das ist eigentlich alles deine Schuld!«
Irritiert sah sich der Prinz um, als hoffte er, Desiderius würde mit einem anderen sprechen.
Ein drohender Finger zeigte auf Wexmells Brust, als Desiderius ihm vorwarf: »Hättest du dich nicht wie ein Bengel verhalten, wären wir jetzt nicht hier.«
»Verzeih, aber du bist mir doch hinterhergelaufen«, erinnerte der Prinz ihn diplomatisch gelassen.
Desiderius wusste darum, weshalb er noch wütender wurde. Er wandte sich schnaufend ab und stampfte davon.
»Vergebung«, rief der kleine Blonde ihm nach und versuchte, Schritt zu halten, aber der Sprint durch den Wald hatte wohl an seinen Kräften gezerrt, denn er stolperte nur noch vorwärts, weil seine schwachen Beine ihn nicht mehr aufrecht hielten.
Desiderius erging es leider nicht anders, zumal die Temperatur um sie herum immer drückender wurde. Es war fast wie im Sommer im Urwald der südöstlichen Wildnis. Es war zu warm, zu feucht, die Luft blieb ihnen aus.
»Glaub mir, ich hatte nicht vor, mit dir hier zu stranden«, sagte der Prinz entschuldigend.
Desiderius versuchte, ihn zu ignorieren. Er würde einfach weitergehen, einen Weg aus dem Graben finden und dann zurück zu seinem Pferd gehen.
Sie stolperten weiter vorwärts. Desiderius immer einige Schritte voraus und der junge Prinz schwer atmend hinter ihm.
Nach gefühlten hundert Stunden musste Desiderius eine Pause einlegen. Er bekam einfach nicht genügend Luft und die schwüle Hitze zwang ihn in die Knie. Er lehnte sich nach vorn und stützte die Hände auf die Schenkel. Schweiß rann ihm über die Schläfen und schimmerte auf seiner Oberlippe. Sein Leinenhemd war schweißnass.
Der Prinz holte auf und kam hustend und keuchend hinter ihm zum Stehen. Desiderius hatte ihn schon seit einiger Zeit pfeifend husten hören, sich aber nicht darum gekümmert, weil er hoffte, bald für sie beide einen Weg nach draußen zu finden. Doch die Hänge schienen immer steiler und unüberwindbarer zu werden. Es war, als wollte der Wald sie beide hier festhalten und sterben lassen.
Prinz Wexmell lehnte einen Arm gegen einen dünnen Baumstamm, der aus dem steilen Hang neben ihm in Richtung Himmel ragte. Keuchend stellte er fest: »Du blutest.«
»Du auch«, erwiderte Desiderius trocken, ohne sich zu ihm umzudrehen.
»Nein, ich meine dein Bein«, warf der Prinz ein. »Der Schnitt muss tief sein, das Blut hört nicht auf zu fließen.«
Desiderius sah an sich hinab, er hatte die tiefe Schnittwunde an seinem Schenkel schon ganz vergessen. Dunkelrotes Blut floss in vielen kleinen Strömen sein Bein hinab, durchtränkte die Leinenhose, floss seinen Unterschenkel und sein Schienbein hinab über den Fußknöchel und tropfte auf das Moos.
Das erklärte natürlich auch, warum ihm so schwindelig war und seine Sicht verschwamm.
»Du musst dich ausruhen«, sprach der junge Prinz auf ihn ein.
Desiderius richtete sich auf. »Komm, weiter.«
»Mit der Wunde kommst du nicht weit«, widersprach der Prinz. »Und es hilft uns nicht weiter, wenn du das Bewusstsein verlierst.«
Fluchend hielt Desiderius inne. Er hätte vor Frustration gerne gebrüllt, aber er wollte den Wald nicht auf sich aufmerksam machen. Hier unten wären sie leichte Beute.
Er drehte sich wieder um. »Und was willst du dagegen tun?«, fragte er höhnisch. »Die Wunde bleibt, auch wenn ich mich ausruhe.«
»Entweder du lässt mich die Wunde verarzten«, erwiderte Wexmell, »oder ich gebe dir mein Blut, damit sie schnell verheilt.«
Desiderius lachte zynisch auf und schüttelte den Kopf. »Vergiss es, ich trinke nicht von dir!«
»Dann lass mich dein Bein sehen!«
»Bist du Heiler?«, fuhr Desiderius den Prinzen an.
Prinz Wexmell presste frustriert seine sinnlichen Lippen zusammen. Es war das erste Mal, das Desiderius den Eindruck hatte, dass der junge Prinz gern auf ihn losgegangen wäre.
»Dann bringt es wohl auch nichts, dir mein Bein zu zeigen«, beschloss Desiderius. »Halt einfach den Mund und lass mich in Ruhe, bis ich einen Weg gefunden habe, der uns hier rausbringen wird.«
»Du bist so stur, ich würde dir am liebsten die Faust in deine selbstgerechte Miene rammen!«, zischte Prinz Wexmell. »Fein, dann verblute eben.«
Damit ging er an Desiderius vorbei, der einen Moment sprachlos dastand und sich über den Stimmungswechsel des Prinzen wunderte.
Doch schließlich drehte er sich um und folgte dem Prinzen durch den Graben.
»Lass mich vorangehen«, versuchte Desiderius, den Prinzen zu stoppen. Es behagte ihm nicht, einem anderen Mann zu folgen.
Ohne stehen zu bleiben, erwiderte der Prinz: »Wozu? Der Weg führt nur in eine Richtung, es ist egal, wer vorausgeht, falsch abbiegen kann ich ja nicht.«
»Weißt du eigentlich, welche Gefahren in den Tiefen Wäldern lauern?«, fragte Desiderius wütend. »Und weißt du auch, was mit mir passiert, wenn ich einen toten Prinzen zurück auf die Burg bringe?«
»Du verlierst dein Erbe, das du sowieso nicht antreten willst«, gab der Prinz mit gelangweilter Stimme zurück, »und der König würde dein Leben beenden, was dir ja offensichtlich auch nicht viel wert ist.«
»Natürlich ist es das, ich hänge sehr an meinem Leben!« Desiderius hatte nicht wenig Lust, Wexmell von hinten anzuspringen und ihn zu Boden zu reißen, weil er sich so anmaßend benahm. Die Hitze musste ihm zu Kopf gestiegen sein und angriffslustig gemacht haben, anders konnte sich Desiderius den Stimmungswechsel seines Begleiters nicht erklären.
»Wenn dem so wäre, warum nimmst du dann das Angebot deines Vaters nicht einfach an und dienst dem König als Lord des Toten Waldes?«
»Ich binde mich nicht gern.«
Der Prinz schnaubte freudlos. »Das habe ich auch schon festgestellt.«
»Jetzt pass mal auf!« Desiderius bekam ihn zu fassen und packte grob den Arm des jungen Prinzen.
Mit mahlenden Kiefern drehte sich der Prinz zu ihm um und blickte ihm trotzig in die Augen.
»Nur damit wir diese Sache ein für alle Mal richtigstellen«, zischte Desiderius sauer, »diese Nacht war ein einmaliges Erlebnis, verstanden? Du und ich, das passiert nicht wieder! Hätte ich gewusst, wer du bist, hätte es diese Nacht ohnehin nicht gegeben.«
»Aber es hat sie gegeben«, erinnerte der Prinz mit einem hochmütigen Blick.
»Und du solltest sie vergessen«, warnte Desiderius. »Was auch immer du von mir erhoffst, wirst du nicht bekommen. Außerdem ... « Desiderius schmunzelte anmaßend, » ... so toll war es nicht.«
Verletzt wich der Prinz zurück.
Desiderius zuckte mit den Schultern und ließ den Arm des Prinzen los. »Du warst an diesem Abend einfach nur der einzig zugängliche Mann, da ich keine Münzen für Dirnen hatte. Ich wollte nur deine Taler, ein Bett und etwas Vergnügen. Für mehr warst du nicht gut.«
Der Prinz schluckte schwer, Tränen der Scham schimmerten in seinen schönen eisblauen Augen.
»Du lügst«, erwiderte der Prinz mit reichlich wenig Überzeugung. Er hoffte es, glaubte es aber selbst nicht.
Desiderius schüttelte über ihn den Kopf. Ein letztes Mal beugte er sich zu ihm und sagte herablassend: »Lass dir von mir einen Rat geben, mein junger Prinz. Wenn du zurück in der Hauptstadt bist, dann vergiss ganz schnell diese Nacht mit mir und such dir eine hübsche Gattin, die dir hübsche Kinder schenkt.«
»Das würde mich nicht glücklich machen«, wimmerte der Prinz traurig.
Mit einem gemeinen Schmunzeln erwiderte Desiderius: »Nenn mir eine Seele in ganz Nohva, die mit ihrem Schicksal glücklich ist.«
Der Prinz begann verständlich zu nicken. Doch dann trat er einen Schritt auf Desiderius zu und regte stolz das Kinn empor, als er mit harter Miene zurückgab: »Wir könnten glücklich sein, wenn du nicht so verdammt kalt wärest.«
Damit ging er plötzlich wieder an Desiderius vorbei.
Desiderius drehte sich verwundert zu ihm um und sah ihm nach. »Wo gehst du schon wieder hin?«
»Du hast uns in die falsche Richtung geführt«, behauptete der Prinz. »Wir sind immer tiefer in den Wald, statt aus ihm heraus.«
»Ich suchte nur nach einer geeigneten Stelle, um aus dem Graben zu klettern«, rief Desiderius dem Prinzen nach, der sich eilig entfernte.
»Tja, aber das ist der falsche Weg«, glaubte der Prinz.
Desiderius stieß ungläubig einen Seufzer aus. »Und woher willst du das wissen?«
Der Prinz rief zurück, ohne sich umzudrehen: »Über uns kreist ein Kauz, du sturer Hohlkopf! Falls du es nicht weißt, Kauze sind in Nohva dafür bekannt, die Richtung vorzugeben.«
»Was?«, hauchte Desiderius verwundert und blickte gen Himmel. Tatsächlich konnte er dunkle Flügel erkennen, die weit über den Baumkronen durch die Blätter hindurchblitzten.
Es war ihm schleierhaft, wie er das übersehen konnte, während der verwöhnte Prinz es mitbekommen hatte.
Er knirschte noch einmal mit seinen Zähnen und folgte dann dem Prinzen wieder zurück. Doch Wexmell hatte einen gewaltigen Vorsprung und es schien fast als hätte ihm sein verletzter Stolz Flügel verliehen. Jedenfalls verlor Desiderius ihn aus den Augen.
Nach einer Weile musste Desiderius wegen seinem Bein eine Pause einlegen, die ihn noch weiter zurückwarf. Er riss etwas von seinem Leinenhemd ab und band es sich fest um die tiefe Wunde, erst dann ging er weiter.
Nach einigen Stunden, als über ihm bereits die Sterne funkelten, fand er endlich eine Stelle, die ihm ermöglichte, aus dem Graben zu klettern. Dort musste auch zuvor der junge Prinz hinaufgeklettert sein, denn Desiderius konnte frische Spuren entdecken.
Als er oben ankam, konnte er fast nicht glauben, was er sah. Da lehnte der junge Prinz wartend an einem Baumstamm, in den Händen die Zügel des Rappen und Desiderius’ Hab und Gut bei sich.
Der junge Prinz hatte es in der Zwischenzeit sogar zum Teich und wieder zurückgeschafft. Desiderius wusste nicht, ob er wütend oder beeindruckt sein sollte.
Der Prinz kam auf ihn zu und schlug Desiderius’ Ausrüstung gegen dessen Brust. Dabei beschloss er mit grimmiger Miene: »Ich reite!«
Desiderius war zu erschöpft, um zu streiten, er legte seine Ausrüstung an, während der Prinz sich auf den großen Hengst schwang und den Rappen wendete.
Recht unheldenhaft zog sich Desiderius auf sein Pferd und setzte sich hinter den Sattel auf seinen Rappen, beide Beine auf einer Seite. Notgedrungen musste er sich an dem Prinzen festhalten, damit er nicht herunterfiel.
»Ich hasse dich«, keuchte Desiderius, als sie losritten.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, zischte der Prinz zurück.
Na immerhin das hatte Desiderius erreicht.
***
Als sie auf der Burg ankamen, rannten ihnen bereits aufgebracht eine Menge Personen entgegen. Erschrocken kümmerte man sich sofort um den Prinzen, der aber im Gegensatz zu Desiderius recht frisch und gesund wirkte. Er hatte einige Kratzer, aber mehr auch nicht.
Desiderius hingegen ließ sich einfach vom Pferd fallen und hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich aufzurichten. Keiner bemerkte ihn, alle fragten den Prinzen aus, was geschehen war.
»Wir haben uns nur verlaufen«, antwortete der Prinz.
Ein Schatten drängte sich vor das Mondlicht und verdunkelte Desiderius’ Sicht. Eine tief düstere Miene starrte auf ihn hinab.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, zischte sein Vater. »Der Prinz hätte schwer verletzt werden können.«
»Und was ist mit ihm?«, mischte sich eine andere Stimme ein, noch bevor Desiderius etwas erwidern konnte.
Prinz Karic kam zu ihnen und bedachte den Lord mit einem eisernen Blick. »Meinem Bruder geht es gut, aber Euer Sohn ist schwer verletzt und am Ende seiner Kräfte, er braucht einen Heiler!«
Lord M’Shier trat mit gebeugtem Kopf entschuldigend zur Seite. »Ihr habt Recht, Majestät, ich muss mich entschuldigen.«
»Derius!«, rief eine erschrockene Stimme über den Hof. Ein flinker Schatten huschte durch die Menschenansammlung und warf sich dann auf ihn.
»Was ist geschehen?«, fragte Silva besorgt. »Geht es dir gut?«
Desiderius hob frech grinsend eine Hand und strich ihr über die zarte Wange. »Alles bestens, geliebte Schwester, ich muss nur ein wenig schlafen.«
»Kommt, mein Herz«, forderte der Kronprinz seine zukünftige Gattin auf. »Ihr solltet nicht im Dreck knien. Geht mit Eurem Vater, ich bringe Euren Bruder zu einem Heiler.«
»Er ist nicht unser Bruder, er ist nur ein Bastard«, knurrte Arerius, der sich das Schauspiel von einem weiter entfernten Platz mit ansah.
Man konnte ihm seinen Hass wohl nicht übelnehmen, immerhin war er um sein Erbe gebracht worden. Trotzdem tat die Bezeichnung weh.
Lachend, weil die Erschöpfung langsam seinen Verstand raubte, reckte Desiderius den Kopf und sah seinem Halbbruder an, der vielleicht nicht einmal mit ihm verwandt war, und gab amüsiert zurück: »Genau wie du!«
Die Umstehenden verstummten langsam und betroffenes Schweigen breitete sich aus.
Bis der König sich räusperte und richtig erkannte: »Der Junge muss verarztet werden und wir anderen müssen zu Bett.«
Langsam kam wieder Bewegung in die Umstehenden. Der König wandte sich mit seiner Königin und seinen Kindern ab, einzig der Kronprinz blieb stehen.
Lord M’Shier scheuchte seine Familie in das Innere der Burg und kümmerte sich nicht länger um seinen verletzten Bastard.
Als Arerius an ihm vorbeikam, spuckte er auf Desiderius.
Der Kronprinz überraschte, als er daraufhin Arerius packte und ihm zischend androhte: »Noch einmal und ich veranlasse, dass man Euch in Ketten legt!«
Mit großen Augen aber mit einem verräterischen Hass darin, drehte Arerius sich fort und stampfte durch den Hof davon.
Ächzend versuchte Desiderius auf die Beine zu kommen. Er wollte sich ein Fass Wein einflößen und schlafen gehen.
Aber Prinz Karic eilte zu ihm, legte sich Desiderius’ Arm um die Schulter und half ihm auf. Er stützte ihn und beschloss: »Ich bringe Euch zum Heiler.«
»Das müsst Ihr nicht.«
»Da habt Ihr Recht, aber ich will es«, gab der Kronprinz zurück. Er schien nicht bereit, sich das ausreden zu lassen.
»Wieso helft Ihr mir?«, fragte Desiderius. »Ihr kennt mich nicht. Und wenn Ihr es tun würdet, müsstet Ihr mich hinrichten.«
»Überlasst doch bitte mir, welche Männer ich für welches Vergehen verurteile«, murmelte der Kronprinz.
Fragend sah Desiderius ihn an.
Statt einer Erklärung nickte der Kronprinz in Richtung Burg. Dort am Eingang drehte sich gerade Prinz Wexmell noch einmal besorgt zu ihnen um.
Desiderius konnte aber nicht sagen, ob er sich um Desiderius’ Wohl sorgte, oder doch eher darum, dass Prinz Karic sich seiner annahm.
»Er ist hartnäckig, wenn er etwas will, nicht wahr?«, grinste der Kronprinz. »Und wenn er es nicht bekommt, kann er sehr fies werden.«
Desiderius erwiderte nichts darauf, er hatte das ungute Gefühl, dass der Kronprinz über ihn
Bescheid wusste.
***
Der Heiler der Burgfestung befand sich in den mittleren Zimmern des Burgturms. Dort wurde Desiderius auf ein Lager aus Pelzen gebettet.
Es war heiß und es roch würzig in der winzigen Kammer, in der er untergebracht wurde. Auf einer Ablage in seiner Nähe befanden sich allerlei eingepflanzte Kräuter, darunter auch gefährliche Giftpflanzen, die ihm nicht unbekannt waren. Glasphiolen mit dickflüssiger, grüner Flüssigkeit standen oder lagen herum. Das hier war eher ein Alchemie-Labor als ein Ort der Heilung und Genesung.
»Mir geht es gut, ich muss nur schlafen«, behauptete Desiderius nicht zum ersten Mal. Doch er wurde von dem Kronprinzen wieder zurück auf das Lager gedrückt, als er aufstehen wollte.
»Ihr bleibt hier und lasst die Wunde verarzten«, beschloss der Prinz und bedachte Desiderius mit einem eindringlichen Blick.
Frech schmunzelnd lehnte sich Desiderius zurück. »War das ein Befehl?«
»Ja«, grinste der Kronprinz zurück.
»Wenn das so ist, habe ich keine andere Wahl.«
»Das habt Ihr vollkommen richtig erkannt, Desiderius«, stimmte Prinz Karic zu.
Erneut lächelten sich die beiden Männer freundschaftlich zu.
Der Heiler kam herein und unterbrach jeglichen weiteren Gesprächsverlauf. Prinz Karic trat beiseite und machte ihm Platz.
Der Burgheiler war ein sehr alter Mensch, der bereits gekrümmt ging und stets braune, einfache Leinengewänder trug. Er hatte schneeweißes, kurzes Haar, eine Hakennase, enge Augen, schmale Lippen und faltige, herunterhängende Wangen. In seinem Mund waren kaum Zähne und auf seinen Knochen kaum Fleisch. Er war dünn und zitterte stets vor Altersschwäche. Doch seine Stimme war fest und sein Verstand klar. Desiderius kannte ihn noch aus seiner Kindheit und er vertraute dem Mann. Aber er ließ sich von Natur aus nicht gerne verarzten.
Nach einem kurzen Blick auf Desiderius’ Wunde, trug der Heiler ruppig auf: »Hose aus!«
Das war der Moment, als Prinz Karic sich umdrehte und murmelte: »Ich warte draußen, bis Ihr verarztet seid.«
»Das müsst Ihr nicht tun«, warf Desiderius ein, »geht und legt Euch schlafen, Majestät, ich brauche keinen Aufpasser.«
»Das ist mir bewusst«, erwiderte der Prinz mit ernster Miene. »Aber wir müssen uns noch unterhalten.«
Desiderius sah den Kronprinzen verwundert an. Befürchtungen darüber, dass der Prinz zu viel wusste, breiteten sich in seinem Inneren aus und ließen seine Kehle austrocknen.
»Aber erst müsst Ihr versorgt sein«, sagte der Prinz und wandte sich dann ab. Hinter ihm schloss sich die Tür zur Kammer. Mit einem Mal hatte Desiderius das Gefühl, gefangen zu sein.
»Hose aus, Bursche!«, forderte der Heiler ungeduldig auf, während er bereits einige Kräuter mit einem Stößel bearbeitete.
Desiderius schob seine Sorgen vorerst beiseite und zwängte sich aus seiner Hose. Der blutdurchdrängte Leinenstoff war getrocknet und klebte an seiner Haut. Als er die Hose auszog, riss er damit die Wunde noch weiter auf.
Der Heiler kam zu ihm, setzte sich auf die Kante seines Lagers und beugte sich über sein verletztes Bein.
»Muss saubergemacht werden«, erkannte der Heiler mit kurzen, trockenen Worten und wandte sich wieder ab.
Ohne sein Tun zu erklären ging er etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd zur Tür und verließ die Kammer.
Desiderius lag halb nackt auf dem Lager und konnte in den Flur hinaussehen, zum Glück bedeckte sein langes Leinenhemd seine Männlichkeit, sonst hätte er sich etwas entblößt gefühlt.
Aber jegliche Sorge darüber, dass jemand auf seine Weichteile sehen könnte, verflog augenblicklich, als er im Flur zwei Personen stehen sah, die ganz offensichtlich miteinander in eine hitzige Diskussion verwickelt waren.
Sie standen zu weit entfernt und sprachen zu leise, als das Desiderius sie hätte verstehen können. Aber anhand ihrer Haltungen und Gesten wusste er, dass die Unterredung keiner fröhlichen Natur war.
Prinz Karics Rückseite war angespannt und er sprach mit einem drohenden, hocherhobenen Zeigefinger, der direkt auf Prinz Wexmells Brust zeigte, als wolle der Finger den jungen Mann wenn nötig aufspießen.
Prinz Wexmells Gesichtsausdruck war verärgert und er presste seine Lippen wieder zusammen, als müsste er sich stark zusammenreißen, nicht loszubrüllen. Seine Nasenlöcher bebten und er funkelte Prinz Karic an, der immer noch drohend auf ihn zuging, sobald Wexmell etwas sagen wollte.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete Desiderius die Beiden und stützte sich dabei auf seine Ellenbogen. Worüber sprachen sie? Steckten Desiderius und Wexmell nun doch wegen dieser einen Nacht in großen Schwierigkeiten? Was glaubte Prinz Karic zu wissen und wie ging er damit um?
Voller Furcht schluckte Desiderius wegen all dieser Fragen in seinem Kopf, die ihm vorerst keiner beantworten konnte.
Als Prinz Wexmell während dem Vortrag des Kronprinzen mit den Augen rollte, begegnete er Desiderius’ Blick. Sie stockten beide kurz.
Desiderius wusste nicht, was er lieber täte. Den Blonden zu Boden werfen und erwürgen, weil er ihn ständig in Schwierigkeiten brachte, oder zu Boden werfen und ... seine Nasenspitze küssen, die vorwitzig ein kleinwenig nach oben zeigte. Seine Augenlider küssen und dann seine schmunzelnden Mundwinkel ... an seinem spitzen Kinn knabbern und weiter hinab gleiten, sich an seinem schlanken Hals festsaugen. Knabbern, lecken ... Fänge ausfahren und von ihm trinken bis er ertrank.
Als hätte Wexmell seine Gedanken erraten, wurde auch sein Blick dunkel vor Begierde. Sie wollten einander, egal, was Desiderius auch zu dem jungen Prinzen sagte, es war offensichtlich, dass er ihn noch einmal haben wollte. Deshalb musste er sich sehr weit von ihm fernhalten. Er durfte nicht in Versuchung geführt werden. Körperliche Begierde hatte er noch nie gut unter Kontrolle gehabt.
Prinz Karic bemerkte, dass er nicht mehr die Aufmerksamkeit seines Bruders innehatte und warf einen Blick über die Schulter. Er sah nicht glücklich aus, als er begriff, dass Wexmell und Desiderius Blickkontakt aufgenommen hatten. Abschirmend baute er sich vor Wexmell auf und schickte ihn mit einer eindeutigen Geste fort.
Prinz Wexmell wandte sich mit dem trotzigen Blick eines Jungen ab und stampfte sauer davon. Nun konnte man ihn laut fluchen hören.
Just in diesem Moment kam der Heiler mit einem Eimer Wasser zurück und schloss wieder die Tür.
Seufzend ließ Desiderius sich zurückfallen und ergab sich den fähigen Händen des Alten. Aber während der Verarztung kreisten seine Gedanken unaufhörlich um den jungen Prinzen. Er fragte sich, warum er sich selbst so quälte, obwohl es so einfach sein könnte. Doch die Antwort darauf hatte er sogleich parat. Ein Mann wie er bekam einfach nie das, was er sich ersehnte, vor allem keinen Prinzen.
Selbst wenn es im Moment nicht den Anschein hatte, aber letzten Endes würde es übel für ihn enden, wenn er sich auf Wexmell einließ. Entweder er würde anfangen, den jungen Prinzen zu mögen, oder er verlor seinen Kopf, weil sie beide erwischt wurden.
Wäre Wexmell kein Prinz, wäre es vielleicht einfacher. Aber Desiderius hätte vermutlich auch dann zu viel Angst davor, seine knallharte, kalte Fassade abzureißen, um zu offenbaren, dass er tief im Inneren ein Herz besaß, das sich davor fürchtete, verletzt zu werden.
Wer nicht fühlte, konnte auch nicht enttäuscht werden. Das hatte er dank der Ablehnung seiner Familie schon sehr früh lernen müssen. Warum sollte ein Prinz ihn anders behandeln? Für Wexmell war er doch nichts weiter als ein nettes Spielzeug. Eine Ablenkung vom tristen Alltagsleben eines Hochgeborenen. Er würde nur solange Spaß an ihm haben, bis ihm das Verbotene langweilig wurde und er seine Aufmerksamkeit einer neuen Verlockung zuwandte. Der junge Prinz würde ihn schneller fortwerfen, als es bei einem Gewitter blitzen konnte.
Desiderius schützte sich nur selbst mit seiner Abwehrhaltung. Er musste es tun, es gab keine andere Wahl. Es sei denn, er und die Welt würden sich von Grund auf ändern.
***
»Ich habe ihm etwas gegeben, das ihn schlafen lässt«, erklärte der Heiler dem hereinkommenden Kronprinzen. »Ihr könnt mit ihm sprechen, aber er wird sehr bald einschlafen und braucht dann eine Weile Ruhe.«
»Ich bin nicht müde«, mischte sich Desiderius ein.
Er wurde ignoriert.
Der Kronprinz fragte den Heiler voller Führsorge: »Wie schlimm ist seine Wunde?«
»Nicht schlimm«, antwortete der Heiler. »Ich habe sie gesäubert und genäht, damit keine große Narbe zurückbleibt, aber sie wird ihm schon morgen nicht mehr wehtun. Es ist nicht die Wunde, die ihm zusetzt, sondern seine Erschöpfung und weil er zu wenig getrunken hat.« Der Heiler warf über die Schulter einen scharfen Blick auf Desiderius: »Oder er hat zu viel vom Wein getrunken.«
Desiderius schob grinsend einen Arm unter seinen Kopf und gestand: »Es war wohl eine Mischung aus beidem.«
Der Kronprinz schmunzelte belustigt, aber der Heiler schüttelte verdrossen seinen Kopf.
»Er muss schlafen!«, trug der Heiler dem Kronprinzen streng auf. »Haltet ihn nicht zu lange wach, Eure Majestät.«
»Natürlich nicht«, versicherte Prinz Karic.
Der Heiler verließ die dunkle Kammer, in der nur zwei winzige Kerzen leuchteten und spärlich Licht spendeten.
Nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war, verschränkte der blauäugige Kronprinz die Arme vor der Brust und senkte unsicher seinen Blick. »Wie ... ähm, geht es Euch?«
Desiderius antwortete grinsend: »Ziemlich gut. Was auch immer er mir gegeben hat, ich habe mich noch nie besser gefühlt.«
Und das war die Untertreibung seines Lebens. Um genau zu sein fühlte es sich an, als schwebte er. Sein Körper war betäubt, fühlte sich aber nicht taub an. Die Pelze, in die sein nackter Körper eingehüllt war, fühlten sich wundervoll streichelnd an. Außerdem war sein Verstand von einer leichten Nebelschicht überlagert und ließ ihn dauerhaft schmunzeln. Es fühlte sich beinahe so an wie damals, als er zu Besuch bei einem Stamm des Waldvolkes an einer Pfeife gezogen hatte, die man ihm am Lagerfeuer gereicht hatte.
Der Kronprinz schnaubte amüsiert.
Dann wurde sein Blick jedoch wieder ernst und er deutete mit einem Kopfnicken auf die Bettkante. »Darf ich?«
Desiderius wollte rüber rücken, um zu zeigen, dass er nichts dagegen hatte, aber er konnte seinen Körper beim besten Willen um kein Stück bewegen. Also nickte er: »Aber natürlich, Majestät.«
»Lasst das doch endlich«, lachte der Kronprinz, als er sich setzte. »Mein Vater, der König, wird so genannt, aber ich möchte für Euch einfach nur Karic sein.«
»In Anbetracht der Tatsache, dass Ihr schon bald meine kleine Halbschwester ehelicht, bin ich ganz froh darüber, dass ich Euch nicht mit solchen Floskeln in den königlichen Hintern kriechen muss«, erwiderte Desiderius amüsiert.
Der Kronprinz lächelte milde, als er versicherte: »Ich werde sie gut behandeln, seid unbesorgt.«
»Das will ich Euch auch geraten haben«, warnte Desiderius drohend.
Der Kronprinz schluckte schwer, als er den Blick zu ihm hob.
Desiderius zwang sich, sich aufzusetzen und brachte im Schein des flackernden Kerzenlichts sein Gesicht ganz nahe an das des Kronprinzen heran. Mit leiser Stimme drohte er: »Denn eines wollen wir mal klarstellen, ob Kronprinz oder nicht, wenn Ihr meine Schwester nicht glücklich macht oder ihr sogar wehtut, seid Ihr ein toter Mann.«
Lange forschte der Kronprinz in Desiderius’ Augen. Doch Desiderius hielt diesem Blick stand und machte deutlich, dass er nicht mehr scherzte.
Plötzlich lächelte der Prinz. »Ihr seid der einzige Mann, der es wagt, einem Prinzen zu drohen.«
»Wenn ich eine Eurer Schwestern heiraten sollte, würdet Ihr das gleiche zu mir sagen, mein Prinz«, sagte Desiderius etwas versöhnlicher.
»Und deshalb respektiere ich Euch«, erwiderte der Prinz.
Überrascht blinzelte Desiderius den Prinzen an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. War es üblich, sich nach einem solchen Kompliment zu bedanken? Oder musste er es erwidern?
Desiderius wusste es nicht, deshalb tat er nichts dergleichen. Außerdem wusste er nicht, ob er den Prinzen respektierte, er kannte ihn ja nicht gut genug. Und er war kein Heuchler.
Der Kronprinz verengte plötzlich seine Augen und schmunzelte listig. »Ich bin froh, dass Ihr von selbst meine Geschwister angesprochen habt, aber es sind nicht meine Schwestern, um die ich mich sorgen muss, habe ich recht?«
Desiderius’ Miene wurde hart und kalt. »Was immer Ihr denkt, zu wissen ...«
Der Kronprinz hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen und lächelte ihn dann mit einem milden Gesichtsausdruck an. »Nur keine Sorge, Desiderius, nicht jeder in Nohva teilt die Ansichten der menschlichen Kirchengesetze. Nicht einmal die Menschen.«
»Aber der König führt sie durch«, warf Desiderius dem Kronprinzen vor. Er ließ sich wütend zurückfallen und sah mit unnachgiebiger Miene den Prinzen an, als er erwiderte: »Wie ich bereits sagte, was immer Ihr glaubt, zu wissen, ist falsch, mein Prinz.«
»Das sieht mein Bruder aber anders«, gab der Kronprinz eisern zurück. »Er hat mir nämlich von Euch erzählt. Von der Nacht in dem Bordell.«
Fassungslos blinzelte Desiderius den Kronprinzen an. Wexmell hatte seinem Bruder also von der Nacht erzählt? Warum tat dieser dumme Junge nur so etwas?
Prinz Karic senkte die Stimme, als er sagte: »Hört zu, ich bin nicht hier, um Euch Angst einzujagen oder um Euch zu drohen, und ganz bestimmt nicht, um mich einzumischen-«
»Dann lasst es«, zischte Desiderius und schnitt dem Kronprinzen damit das Wort ab.
Der Kronprinz senkte einatmend seinen Blick. Es widerstrebte ihn, dass man ihm nicht zuhören wollte, doch er blieb ganz ruhig. »Ich verurteile Euch nicht.«
»Wenn, dann wäre es mir gleich«, gab Desiderius trocken zurück. »Wisst Ihr was, ich glaube, ich werde jetzt doch müde ... «
Wenn der Kronprinz nicht bald gehen und das Gespräch beenden würde, wusste Desiderius nicht, ob er sich beherrschen könnte. Er hatte furchtbare Angst, weil mittlerweile zu viele Prinzen von seinen Vorlieben wussten. Das könnte tödlich sein ...
»Desiderius, ich kann verstehen, dass Ihr Angst habt, aber ich möchte, dass Ihr wisst, dass ich auf Eurer Seite bin«, sagte der Prinz so schnell, dass man ihm nicht ins Wort fallen konnte. »Und ich wollte Euch nur sagen, dass ich weiß, in welche Schwierigkeiten das Verhalten meines Bruders Euch bringen kann und ich wollte Euch versichern, dass ich mit ihm spreche und versuche, ihn von Euch fernzuhalten ... wenn Ihr das denn wollt. Mir ist nämlich nicht entgangen, dass er Euch nachläuft und Ihr damit sehr unglücklich seid.«
So könnte man das auch ausdrücken, dachte Desiderius. Aber er war eher deshalb unglücklich, weil er den Kleinen von sich stoßen musste, statt darauf einzugehen.
Desiderius mahlte verbissen mit den Zähnen.
Prinz Karic senkte erneut seine Stimme, als fürchtete er, die Wände könnten Ohren haben, und flüsterte Desiderius zu: »Ihr habt Recht, der König sieht sich leider gezwungen, den Menschen in Nohva das Recht zu gewähren, nach Ihren Regeln und Gesetzen zu urteilen. Ihr habt ja keine Ahnung, wie viele ungerechte Hinrichtungen wir schon miterlebt haben, nur, weil die Menschenmenge auf den Straßen protestierte und einen Aufstand anzettelte, bis der König die Hinrichtung genehmigte. Frauen und Männer ungerechtfertigt verbrannt, geköpft, erhängt und viergeteilt. Nur weil sie ... liebten.«
»Was wollt Ihr eigentlich von mir, Prinz Karic?«, fragte Desiderius verwundert, als er bemerkte, dass der Prinz mit Tränen in den Augen an ihm vorbei sah. Schreckliche Erinnerungen mussten sich gerade vor seinem inneren Auge abspielen.
Hinrichtungen waren grauenhaft, das wusste auch Desiderius, der die ein oder andere mit angesehen hatte. Es waren mehr, als ihm lieb war, aber sicher weniger als der Prinz hatte mit ansehen müssen, weil Menschen es von ihm erwarteten.
»Ich glaube, Ihr zögert, Euer Erbe anzunehmen, weil Ihr Angst habt, entdeckt zu werden«, antwortete Prinz Karic. »Ich bin ehrlich, ich möchte Euch als einen Verbündeten wissen, nicht Euren Bruder. Und damit wir einst aufeinander zählen können, möchte ich Euch ein Versprechen geben, Desiderius.«
»Kein Versprechen aus Eurem Munde könnte meine Zweifel tilgen«, warf Desiderius ein, der keine gelogenen Worte hören wollte. Er gab nichts mehr auf Versprechen, da noch nie jemand ein Versprechen eingehalten hatte. Desiderius hatte es satt, enttäuscht zu werden.
»Ich werde die Gesetze in Nohva ändern«, beschloss Prinz Karic mit stolz erhobenem Kinn und feierlicher Stimme. »Zu Gunsten aller Liebenden. Jeder sollte frei entscheiden dürfen, wen er als Gefährten wählt oder bei wem er Leidenschaft sucht. Wenn ich König bin, wird sich einiges ändern.«
Desiderius verzog gerührt die Mundwinkel, weil er erkennen musste, dass alle Prinzen furchtbar naiv waren. »Bei allem Respekt, mein Prinz, aber wenn Ihr das tut, werden die Menschen einen Aufstand anzetteln, der Euch schnell entthront.«
»Nicht, wenn ich einen gerissenen Verbündeten an meiner Seite habe«, gab Prinz Karic grinsend zurück. »Die Menschen werden sich fürchten, wenn wir den berühmten Dieb und Vagabunden Desiderius M’Shier zum Lord des Toten Waldes ernennen. Sie werden sich hüten, gegen mich zu rebellieren, wenn Ihr ein treuer Freund der Krone seid.«
»Wisst Ihr, wie die Lords mich nennen?« Desiderius schmunzelte ohne Freude. »Mann ohne Ehre. Weil ich ihre Adeligen ohne jede Ehre beraube. Glaubt mir, ich wäre nur ein weiterer Grund für die Menschen, gegen Euch vorzugehen.«
Der Kronprinz wandte den Blick ab und sah nachdenklich zu Boden. »Bellzazar glaubt, Ihr wärt die Lösung für das Menschenproblem. Er war der festen Überzeugung, Ihr könntet die Aufstände unterbinden. Wir hegen keine Abneigung gegen das Menschenvolk, wir wollen ihnen nichts Böses, aber wenn sie sich gegen den König auflehnen, müssen wir uns dagegen wehren. Und Bellzazar glaubt, Ihr seid der richtige Mann dafür. Nicht nur wegen Euren Fähigkeiten, sondern weil Ihr kein Problem damit habt, Euch die Hände schmutzig zu machen. Der König heißt diese Methoden nicht gut, ich auch nicht unbedingt, aber um mein Volk zu schützen, würde ich alles tun. Ihr seid der Mann, der vielleicht viele Aufstände verhindern oder frühzeitig beenden kann.«
Vielleicht konnte er das, aber dazu musste er kein Lord werden.
»Wenn Ihr es nicht für die Krone tun wollt, werde ich das akzeptieren«, entschied der Prinz und sah Desiderius wieder in die Augen. »Ihr seid der Krone nichts schuldig, Ihr müsst uns nicht beistehen. Aber was ist mit unserem Volk, den Luzianern? Was ist mit Nohva, Desiderius? Liebt Ihr dieses Land?«
»Natürlich«, versicherte Desiderius. »Wäre dem nicht so, wäre ich längst in die Wildnis entflohen, wo ich frei leben könnte.«
»Dann helft mir, Nohva vor der Tyrannei der Machthungrigen zu beschützen.«
Müde seufzend ließ Desiderius seinen Hinterkopf auf die Pelze fallen und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar.
»Entscheidet Euch für Euer Erbe, Desiderius!« Der Prinz stand auf. »Ich sorge dafür, dass mein Bruder Euch in der Zwischenzeit nicht noch mehr Ärger bereitet.«
Aber Desiderius wusste nicht, welcher der Prinzen ihm nun mehr den Verstand raubte. Der, der sein Blut in Wallung brachte, oder doch eher der Ehrgeizige, der die Gesetze in Nohva ändern wollte und darauf hoffte, dass Desiderius ihn vor den Konsequenzen schützen konnte.
Stöhnend und verzweifelt rieb er sich das Gesicht, nachdem der Kronprinz gegangen war.
Alles in einem wünschte Desiderius sich, nie zu diesem Treffen gekommen zu sein. Dann hätte er keinen Zwischenstopp an der Küste eingelegt, wäre dem jungen Prinzen nicht begegnet, hätte nichts von seinem Erbe erfahren und wäre vermutlich noch immer recht zufrieden mit seinem Vagabundenleben.
Nicht glücklicher als jetzt, aber immerhin zufriedener.