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Es war wie üblich ein grauer Morgen an der Küste, als Desiderius und Bellzazar dort eintrafen. Sie waren die ganze Nacht durch die Dunkelheit geritten. Dank versteckten Wegen und viel reiterlichem Geschick waren sie schnell in der Schwarzen Stadt angekommen. Allerdings hatte am Morgen der Markt noch nicht geöffnet, weshalb Desiderius sich erst einmal darum gekümmert hatte, jemanden zu finden, der ihm etwas Blut gab.

In seinem Stammbordell war er natürlich sofort fündig geworden. Er hatte einer älteren Dirne, die mit ihrem dünnen Haar und faltigem Gesicht nur noch selten für Liebesnächte gebucht wurde, mit Silbertaler dafür bezahlt, dass sie ihn von ihrem Handgelenk trinken ließ. Und da ihn das Trinken unweigerlich immer hart werden ließ, hatte er ihr noch ein paar Taler mehr dagelassen, damit sie ihn während des Trinkens mit ihrer erfahrenen Hand befriedigte.

Nun hatte Desiderius das Bordell verlassen und war auf der Suche nach Bellzazar, der irgendwo in der Nähe der Klippen darauf wartete, dass der Markt öffnete.

Die Wunde an Desiderius’ Bein heilte bereits ab und der Schmerz war dank des Blutes verschwunden. Er humpelte immer noch etwas, aber nicht mehr so stark, spätestens am nächsten Tag würde er nichts mehr davon spüren.

Er durchquerte die verwinkelten und übelriechenden Straßen der Schwarzen Stadt, musste dabei über einige Leichen steigen, die in der Nacht ermordet wurden, bis er endlich an den Klippen ankam und feststellte, dass die Markstände bereits geöffnet hatten.

Langsam drängte er sich durch die Menge, sehr darauf bedacht, keinem der Marktbesucher zu zeigen, dass er eine Verletzung hatte, die ihn zur leichten Beute machte. Er schlenderte an den Ständen vorbei, beäugte die fragwürdige Ware und vermied Augenkontakt mit Hexen.

Vor einem Stand hielt er inne und starrte verwundert auf das Angebot der weißhaarigen Frau, die ein Gewand trug, das einmal einer Kirchenschwester gehört haben musste. Desiderius konnte auf dem verblassten Stoff noch das Zeichen der Kirche erkennen: Eine halbe, strahlende Sonne und ein halber Sichelmond, die sich zusammen in der Mitte trafen.

Aber es war nicht das Gewand, das ihn irritierte, sondern die Ware: In winzigen Käfigen konnte er Kinder erkennen, die wie tollwütige Hunde die vorbeiziehenden Leute anknurrten.

Es war nicht ungewöhnlich, dass Waisenkinder verschleppt und an der Küste als Sklaven verkauft wurden. Es gab kein Gesetz gegen die Sklaverei, nur ein Gesetz, das verbot, einen freien Mann zu verschleppen und zu versklaven. Bei Waisenkindern sah es anders aus, noch bevor sie wussten, was ein eigener Wille war, wurde er ihnen genommen.

Desiderius hatte noch nie einen Sklavenhändlerstand gesehen und es erschreckte ihn.

Die Kinder in den Käfigen sahen verzottelt und dreckig aus, aber sie waren wohlgenährt. An ihrem Verhalten war nichts mehr kindlich, sie waren nicht ängstlich oder eingeschüchtert, sondern sie wirkten auf ihn wie kampflustige Hunde.

»Wenn Ihr Euch eines kaufen wollt, dann macht das nach unserem Auftrag, wir kommen ohne einen Sklaven schneller voran«, scherzte Bellzazar, der plötzlich hinter ihm auftauchte.

Desiderius sah ihn über die Schulter verständnislos an. »Das ist grauenvoll.«

»Wieso?« Mit einem gefühllosen Blick warf sich Bellzazar einige Trauben in den Mund, von denen noch mehr lose in seinen Händen lagen.

Desiderius fragte sich, wo der Halbgott diese saftig grünen Trauben aufgetrieben hatte.

»Weil Ihr Euch selbst in einem dieser Käfige seht, Desiderius? Fühlt Ihr Euch schuldig, weil Ihr einer der wenigen Bastarde seid, der nicht an einen Sklavenhändler verkauft wurde?«

Desiderius ging weiter und murmelte: »Vielleicht ein wenig, ja.«

»Vertraut mir, Ihr könnt Ihnen nicht helfen«, sagte Bellzazar ernst, als er ihm folgte.

»Ich könnte sie frei lassen«, warf Desiderius ein.

»Dann würden sie herausspringen und alles angreifen, das Fleisch auf den Rippen hat«, erwiderte der Halbgott. »Bedenkt, dass diesen Kindern Giftkräuter und magische Flüssigkeiten eingeflößt werden, bis sie nur noch Tiere sind, die keinen eigenen Willen besitzen. Sie denken nur ans Töten und Fressen, die primitivsten Instinkte eines Lebewesens, bis jemand kommt, sie kauft und ausbildet.«

Genau da lag das Problem mit der Sklaverei, seufzte Desiderius innerlich. Sklaven wurden mit Magie zu willenlosen Wesen, ohne ihren Herrn oder ihre Herrin waren sie unberechenbar und gefährlich, weshalb man sie nicht einfach in die Freiheit entlassen konnte. Dennoch war es grauenhaft. Desiderius hasste Sklaverei. Leider gehörte er mit seiner Meinung der Minderheit an. Viele glaubten, die Sklaverei wäre die bessere Wahl, denn gäbe es sie nicht, würden unzählige Kinder in den Waisenhäusern einfach verhungern.

Desiderius glaubte, dass der Tod vielleicht für manche Sklaven die bessere Alternative gewesen wäre. Dies war aber nur seine eigene Meinung.

»Wonach suchen wir?«, fragte Desiderius den Halbgott, um das Thema zu wechseln. Er wollte nicht länger über diese Kinder nachdenken. Ein Schreckliches Leben stand ihnen bevor.

»Nach einer Hexe.«

»Das war mir bewusst«, erwiderte Desiderius und drehte sich zu dem Halbgott um. Sie blieben im Getümmel stehen und sahen sich an. »Welche Hexe? Wie sieht sie aus und was verkauft sie – abgesehen von dem, was wir benötigen?«

Bellzazar schmunzelte und drängte sich an Desiderius vorbei: »Kommt mit!«

Er hatte ja gar keine andere Wahl, also folgte er ihm kommentarlos.

Je weiter sie gingen, je dunkler schien es um sie herum zu werden. Sie kamen in eine enge Marktgasse und mussten sich durch eine Vielzahl zwielichtiger Menschen drängen. Dabei wurde Desiderius’ Körper ungewollt gegen die Rückseite des Halbgottes gedrängt, der sich aber nicht daran störte, denn er selbst war an den Rücken einer älteren Dame mit grauem Haar gepresst.

Desiderius mochte solche Ansammlungen nicht, denn man konnte nie wissen, ob einer der Umstehenden ein Messer bei sich trug und nur darauf aus war, ihn auszurauben oder gar einfach nur hinterrücks zu töten.

Bellzazar warf einen amüsierten Blick über die Schulter und sagte Desiderius an: »Das Gute ist, dass es an der Küste stets so kalt ist, dass ich diese Bedrängnis geradezu genieße.«

Desiderius runzelte verständnislos seine Stirn. »Ihr seid ein seltsamer Mann.«

Grinsend wandte Bellzazar sich wieder ab.

Da es nur schleppend voranging, sah sich Desiderius um und stellte fest, dass auch die Ware an den Ständen immer fragwürdiger wurde. Ihm war ganz unwohl als er einen Hexenstand erblickte, der Knochen und Totenschädel von Luzianern anbot. Man konnte die Fänge an den gebleckten Gebissen erkennen.

Desiderius beschloss, in der nächsten Zeit seine Lippen geschlossen zu halten, bevor auch sein Schädel zum Ausstellungsstück wurde.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich die Menschenmenge langsam etwas löste und es ihnen gelang, vorwärts zu kommen.

Bellzazar drehte sich plötzlich zu Desiderius um, umfasste seinen Arm und zog ihn eilig mit sich. Geschickt glitten sie durch die restlichen Marktbesucher, von denen sie skeptisch betrachtet wurden. Vermutlich, weil sie so viel gepflegter wirkten als die üblichen Küstenbewohner und Besucher.

Bellzazar steuerte einen kleinen Marktstand an, vor dem sich eine lange Schlange anstehender Personen drängte.

»Habe ich dir nicht gesagt, ich verfluche dich, wenn du noch einmal hier auftauchst, du Bastard eines Dämons!«, zischte die junge Frau am Stand, als sie Bellzazar erblickte.

Sie war eine seltene Schönheit, die sogar Desiderius den Atem verschlug. Sie hatte dunkelviolette Augen und lange Haarwellen, die wie Bronze schimmerten. Über ihrem enganliegenden, einfachen Leinenkleid trug sie einen schwarzen Umhang, aber die Kapuze hatte sie nicht aufgesetzt. Sie war sehr klein, hatte eine schmale Taille aber einen überaus üppigen Vorbau, der geradezu dazu lockte, das Gesicht daran zu schmiegen. Ihre halb entblößte Brust war vermutlich auch der Grund, weshalb so viele Männer an ihrem Stand einkaufen wollten.

Bellzazar grinste sie frech an. »Beruhige dich, Ruhna, heute habe ich vor, zu zahlen.«

»Das möchte ich dir auch unbedingt geraten haben«, erwiderte die junge Hexe und kam um ihren Stand herum. Der Verkauf ihrer angebotenen Tinkturen überließ sie einem jungen Burschen, den Desiderius auch nicht unbedingt abgelehnt hätte. Er war zwar abgemagert und klein, aber hatte ein hübsches Gesicht und lächelte zudem sofort zurück, als Desiderius ihn schmunzelnd musterte.

»Warum schleppst du mir den jungen M’Shier Bastard an, Zazar?«

Desiderius starrte der jungen Hexe in die violetten Augen. Woher wusste sie, wer er war?

»Er hat dich nicht zu interessieren, ich will nur von deinem Angebot profitieren«, erklärte Bellzazar und schob sich vor Desiderius, um ihn abzuschirmen.

»Na fein, dann stell dich hinten an, wie jeder andere Kunde!« Die Hexe wollte sich abwenden.

Bellzazar umfasste ihren Arm und drehte sie wieder zu sich um. Er beugte sich vor und senkte seine Stimme: »Ich bin nicht an der Ware interessiert, die du hier anbietest, Ruhna.«

Die Hexe wurde sofort hellhörig. »Was braucht ihr beiden?«

Bellzazar grinste, als er verschwörerisch antwortete: »Eine Krankheit aus der Phiole.«

***

Kurzerhand hatte die Hexe Ruhna ihren Stand geschlossen und Bellzazar und Desiderius mit in ihr Haus genommen, das nur wenige Straßen entfernt lag. Das schwarze Dach war halbeingestürzt und die Wände wiesen Risse auf, aber im Inneren hatte die Hexe ein warmes, gemütliches Nest gezaubert, indem sie Decke und Wände mit Teppichen abgedichtet hatte.

Ein Feuer brannte und wärmte ihre kalten Gliedmaßen, Kerzen standen überall herum und erhellten den fensterlosen Raum.

Desiderius sah sich etwas um, aber es gab nicht genug Worte, um diesen Ort zu beschreiben. Es wirkte wie ein Ramschladen für Hexerei. Es war unordentlich, aber nicht dreckig. Überall lagen Bücher und Schriftrollen herum. Von der Decke hingen Gläser, Käfige mit allerlei Tieren, und Gerätschaften, die er nicht benennen konnte. Wo man auch hinsah, überall lag oder stand etwas im Weg. Es schien, als sammelten Hexen alles, was sie finden konnten, und horteten es dann in den eigenen vier Wänden.

Es roch auch seltsam an diesem Ort. Desiderius glaubte, Gewürze zu riechen, darunter mischte sich der Geruch der Vögel und Kleinaffen in den Käfigen. Aber es gab noch eine Komponente, die er nicht erkannte, die dem Geruch etwas Unheimliches einhauchte.

Bellzazar drehte sich zu ihm um und winkte ihn zu sich, als die junge Hexe kurz in einen anderen Raum verschwand. Als Desiderius in Reichweite war, zog Bellzazar ihn nahe an sich heran und flüsterte: »Bleibt an meiner Seite.«

Desiderius betrachtete ihn verwundert. »Ihr habt Angst vor ihr!«

»Das sollte er auch«, ertönte die Stimme der Hexe, als sie zurückkam. »Ich sollte diesen listigen Dämon in die Unterwelt verbannen.«

»Ich bin kein Dämon«, warf Bellzazar gelassen ein. »Und du bist nicht mächtig genug, um mich zu verbannen.«

Desiderius hatte das ungute Gefühl, dass die beiden keine Freunde waren.

»Wieso helft Ihr ihm, wenn er Euch so zuwider ist?«, fragte er die Hexe.

Bellzazar schnaubte und antwortete an ihrer statt: »Weil sie weiß, dass ich das Richtige tue.«

Ruhna lächelte und blickte Desiderius freundlich an, als sie erklärte: »Ich helfe dieser listigen Kreatur immer dann, wenn er auf dem richtigen Weg ist.«

»Dann tun wir damit das Richtige?«, fragte Desiderius skeptisch und nickte auf das schwarze Pulver, das die Hexe von einer Schüssel in eine Phiole gab. Er bezweifelte doch stark, dass die Tinktur, die sie gleich anrühren würde, das Richtige sein würde.

Sie schüttelte den Kopf, als sie vieldeutig erwiderte: »Ich sagte nicht, dass es das Richtige ist, sondern nur, dass sich Euer Begleiter auf dem richtigen Weg befindet.«

»Ist das nicht das Gleiche?«

»Oh nein, denn ich sprach nur von dem für ihn vorbestimmten Weg«, erklärte die Hexe und mischte zu dem Pulver eine dickflüssige, durchsichtige Flüssigkeit. Dazu gab sie noch etwas Wasser, dann verschloss sie die Phiole und schüttelte den Inhalt.

Desiderius runzelte die Stirn, er war verwirrter denn je.

»Welche Bezahlung verlangst du dieses Mal?«, fragte Bellzazar. Er begutachtete dabei einen Glasbehälter, der von der Decke hing, und in dem Augäpfel schwammen, die so groß waren, dass man kaum beide Hände darum schließen konnte. Die Pupillen der Augen waren schmale Schlitze. Desiderius kannte kein Tier mit solch schmalen Pupillen. Jedenfalls keines, das auch solch große Augen besaß. Eigentlich kannte er überhaupt keine Kreatur, mit solchen Augen.

»Ich möchte das, was du mir letztes Mal angeboten, aber nicht gegeben hast«, beschloss die Hexe und ließ die Phiole demonstrativ in die Schürze gleiten, die sie um die Hüften gebunden hatte.

Bellzazar schloss gequält die Augen. Seine Lippen bewegten sich, während er lautlos vor sich hin fluchte, in einer uralten Sprache, die Desiderius nicht verstand.

Desiderius betrachtete ihn amüsiert.

»Na schön!« Bellzazar drehte sich seufzend der Hexe zu. »Du hast mein Wort.«

Die Hexe stieß einen verachtenden Laut aus. »Wer sagt, dass ich das von dir will?«

Bellzazar sah sie verwirrt an.

Die Hexe wandte ihre violetten Augen auf Desiderius: »Ich will es von ihm!«

Ah.. er hatte plötzlich ein äußerst ungutes Gefühl…

»Vergiss es!« Bellzazar lachte hämisch. »Der junge Bursche ist nur meine Begleitung und steht für dich nicht zur Wahl.«

»Wovon sprechen wir hier?«, fragte Desiderius befürchtend. Seine Augen schnellten von Bellzazar zu der Hexe und wieder zurück. Wenn es hier um seine Fänge ging, würde er sogleich die Flucht ergreifen. Er würde sie nämlich gerne behalten.

Die Hexe kam auf ihn zu und er wich vor ihrer ausgestreckten Hand immer weiter zurück, bis er gegen ein Bücherregal stieß und nicht mehr flüchten konnte. Sie legte ihre schlanken Finger um sein spitzes Kinn und betrachtete eingehend sein Gesicht, als wäre er ein Rind, und sie der skeptische Käufer.

»Ruhna«, ertönte warnend Bellzazars Stimme, »lass ihn los!«

»Warum willst du nicht, dass ich den jungen M’Shier genauer betrachte?« Die Hexe grinste sich wissend über die Schulter. »Ist er noch wichtig für deine Pläne?«

Desiderius verengte nachdenklich seine Augen und sah zu Bellzazar hinüber. Langsam bereute er diese Reise, er hätte einfach gehen und den Auftrag des Königs Bellzazar allein überlassen sollen. Allerdings war es seine Idee gewesen, deshalb wollte er auch dabei sein, wenn sie in die Tat umgesetzt würde.

»Ich sagte, nein«, beschloss Bellzazar bedrohlich.

Ruhna lächelte: »Dann besorg dir dein Gift wo anders.«

Als sie sich abwandte, lenkte Bellzazar eilig ein: »Moment! Moment! Warte ...«

Erwartungsvoll drehte Ruhna sich wieder zu ihm um.

»In Ordnung«, seufzte Bellzazar. »Du ... kannst es von ihm haben.«

»In Ordnung?«, wiederholte Desiderius ungläubig. »Würde mir mal jemand erklären, was genau ich ihr geben soll?«

Ruhna wandte ihm das schöne Gesicht zu. Wissend sagte sie: »Ihr habt Angst vor Hexen, nicht wahr, Bastard?«

Desiderius´ Miene wurde hart, er hatte für die restlichen Jahre genug davon, durchschaut zu werden.

Sie kam auf ihn zu und er musste sich zwingen, ihr weiter in die unmenschlichen Augen zu blicken. – Eine Hexe war eine Hexe, unabhängig davon, ob ihre Eltern Menschen oder Luzianer oder eine Mischung aus beidem waren. Wurde eine Hexe geboren, war sie eine Hexe, kein Mensch, kein Luzianer.

»Keine Sorge, was ich von Euch will, wird Euch nicht schaden, darauf habt Ihr mein Wort, junger Held«, versprach die Hexe ihm. »Aber ich werde es nicht jetzt einfordern. Was ich jetzt will, ist Euer bindendes Versprechen, dass Ihr mir einen Gefallen schuldig seid, den ich irgendwann im Laufe Eures Lebens einfordern werde.«

Desiderius lachte amüsiert auf. »Und was für ein Gefallen soll das sein?«

»Das erfahrt Ihr, wenn es soweit ist«, erwiderte die Hexe. »Und wenn ich Euch um diesen Gefallen bitte, werdet Ihr ihn erledigen, ohne zu zögern, andernfalls gehört mir Euer Leben und ich werde es beenden, um Euren Körper auszuschlachten wie ein Metzger ein Rind.«

Desiderius schluckte schwer unter der Härte ihrer strengen Miene.

»Sie will nur Euer Versprechen, dass Ihr ihr einen Gefallen schuldet«, erklärte Bellzazar.

»Mich beunruhigt der Gefallen, nicht das Versprechen«, gestand Desiderius und musterte die Hexe argwöhnisch.

Sie könnte irgendwann einfach auftauchen und ihn um etwas bitten, was er dann tun musste, ob er wollte oder nicht. Das gefiel ihm gar nicht. Sie könnte sein Leben verlangen, und er müsste es geben, weil man das Wort, das man einer Hexe gab, nicht brach, es sei denn man wollte, dass die eigene Seele in die Unterwelt verbannt und zu einem Dämon wurde.

»Schlimmer als Ihr Zorn, wenn Ihr Euer Versprechen brecht, kann es nicht werden, glaubt mir, ich selbst habe Ihr schon viele Gefallen erwiesen ... und viele Versprechen gebrochen.«

»Wieso wollt Ihr, dass ich Euch etwas schuldig bin?«, fragte Desiderius die Hexe. »Ich bin nur ein Bastard und ein mittelloser Luzianer, der Halbgott könnte Euch mehr bieten.«

»Aber ich will etwas von Euch, das Ihr mir nur dann geben werdet, wenn Ihr mir etwas schuldet«, erklärte die Hexe.

Na Prima, das beruhigte ihn nun wirklich nicht ...

»Gebt mir Euer Wort, Desiderius M’Shier«, sie legte ihre Hand auf seine Brust, direkt über den Bernsteinanhänger seiner Kette, »und ihr bekommt das Gift.«

***

»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf eingelassen habe«, sagte Desiderius einige Zeit später, als er sich gerade vor den zerfallenen Toren der Schwarzen Stadt in den Sattel seines Rappen schwang.

Bellzazar erwiderte daraufhin: »Und ich kann nicht glauben, dass sie mir Salz über die Schulter geworfen hat, als wir gingen.«

Desiderius erinnerte sich daran und fragte neugierig: »Was hatte es damit auf sich?«

Bellzazar knurrte verdrossen: »Man wirft Salz über die Schulter eines Besuchers, den man für böse hält, um alles Schlechte, was er wohlmöglich dagelassen hätte, mit nach draußen zu verbannen.«

»Ich habe mir da drinnen wegen ihr fast in die Hose gemacht«, scherzte Desiderius, als er zusammen mit Bellzazar den Weg in Richtung Wälder einschlug. »Ihr könntet mich nächstes Mal vorwarnen.«

»Ich wusste ja nicht, dass sie einen Gefallen von Euch verlangt«, verteidigte sich Bellzazar.

Kopfschüttelnd murmelte Desiderius: »Ich hoffe, das war kein Fehler.«

»Es ist immer ein Fehler, jemandem etwas schuldig zu sein«, warf Bellzazar ernst ein. »Vor allem wenn es sich bei diesem Jemand um eine Hexe handelt.«

»Danke für die Warnung«, blinzelte Desiderius den Halbgott ironisch an.

»Gern geschehen«, scherzte Bellzazar und lächelte dann schief.

Unbehaglich stellte Desiderius fest, wie attraktiv der Halbgott war, wenn er grinste. Der Schwung seiner Lippen war schön und lockend. Einladend.

Nicht, dass Desiderius den Halbgott begehrte, zumal er sich noch immer vor magischen Wesen fürchtete, aber dennoch musste er zugeben, dass Bellzazar eine überaus attraktive Kreatur in Menschengestalt war.

Um seine Gedanken auf ein anderes Thema zu lenken, fragte er den Halbgott: »Welchen Weg wollen wir nehmen?«

»Wir bleiben in den Tiefen Wäldern«, beschloss Bellzazar. »Am Rand der Hügel entlang und dann immer weiter nach Süden.«

»Warum reiten wir nicht über die Hügel?«, wollte Desiderius wissen. »Es ginge doch schneller, wenn wir westlich am Königssee vorbeireiten und dann dem südlichen Fluss rauf ins Gebirge folgen.«

Doch Bellzazar schüttelte den Kopf. »Wir können nicht durch die Hügel und die Ebenen reiten, dort stehen die Menschenburgen so nahe, dass sie sich jeden Morgen und jeden Abend durch die Fenster zuwinken können.«

»Na und?«

»Uns darf niemand sehen«, erklärte Bellzazar. »Damit niemand die kommenden Ereignisse mit uns in Verbindung bringen kann.«

»Wir sind nur zwei Reisende, nicht jeder kennt Euer Gesicht, vor allem nicht meines, wir reisen einfach unter falschem Namen.«

»Das Risiko gehe ich nicht ein.«

»Fein«, seufzte Desiderius einlenkend. »Schätze, Ihr habt Recht. Dann eben den längeren Weg durch die Wälder.«

***

Es fing zu regnen an, als sie die Tiefen Wälder erreichten.

Einige Zeit war der milde Frühlingsregen nicht stark genug, um durch die dichten Blätterdächer der hohen Bäume zu dringen und sie konnten mit den Kapuzen ihrer Umhänge auf den Köpfen weiter reiten. Doch dann wurde der Regen stärker und es sah nicht so aus, als würde er sich in den nächsten Stunden legen, also beschlossen sie, den Regen auszusitzen, bis sie ihr Lager aufschlagen und ein Feuer entfachen konnten.

Desiderius spannte zwischen zwei Bäumen ein Stück Stoff, das den Regen abfing. Darunter lag ein umgestürzter Baumstamm, auf dem er sich nach getaner Arbeit setzte.

Bellzazar hatte derweil die Pferde abgesattelt und einige kleine Äste vom Waldboden aufgesammelt, die er mitbrachte, um sie ins Trockene zu legen, damit sie ihnen noch als Brennholz dienen konnten.

Bellzazar setzte sich neben Desiderius auf den Baumstamm und schüttelte sein nasses Haar aus. Er holte seinen Wasserschlauch hervor und nutzte die Gelegenheit, ihre Trinkvorräte aufzufüllen, indem er die Öffnung in den Regen hielt.

Desiderius hatte noch gar nicht getrunken, nachdem er seinen Schlauch vor dem Aufbruch an der Küste vollgefüllt hatte. Das Blut der alten Dirne hatte nicht nur seine Wundheilung beschleunigt, es sorgte auch dafür, dass er lange keinen Durst oder Hunger verspürte.

Ihm wurde kalt und er zog den Umhang enger um seinen Körper. Es lag allerdings nicht nur am Wetter, dass er fröstelte, ihm lag noch immer der Schock im Magen, dass Arerius über ihn Bescheid wusste. Aber mit seiner Abreise hatte Desiderius mehr als deutlich gemacht, dass er sein Erbe nicht antreten würde. Arerius dürfte keinen Grund mehr haben, Desiderius zu verraten. Es sei denn, sein Bruder wollte ihn dennoch tot sehen.

Letzteres trieb Desiderius die Kälte durch die Knochen.

Er war kurz davor gewesen, seinen eigenen Bruder zu töten, nur um sein Geheimnis zu wahren. Aber stattdessen hatte er sich im letzten Moment umentschieden, und statt Arerius in seinem Bett mit dem Schwert zu durchbohren, hatte er Bellzazar aufgesucht und war geflohen.

Dass er bereit war, jemanden zu töten, um sein Geheimnis zu wahren, schockierte ihn selbst fast so sehr wie die bittere Tatsache, dass Arerius ihn, ohne zu zögern, verraten hätte.

Es war eben auf niemanden verlass, vor allem nicht auf die Familie, erkannte Desiderius nicht zum ersten Mal in seinem Leben. Es tat noch genauso weh wie damals.

Ein Gutes hatte die Abreise jedoch, denn jetzt konnte er seinen Fantasien über den jungen Prinzen nachhängen, ohne die Versuchung direkt vor Augen zu haben. Was auch immer Desiderius in Gedanken mit dem Prinzen anstellte, und ganz gleich, wie sehr er sich nach dem anderen sehnte, sie beide waren weit voneinander entfernt und würden zusammen keine Dummheiten mehr begehen.

Ob er zur Vermählung seiner Schwester kommen würde, wusste Desiderius auch nicht mehr mit Sicherheit. Vermutlich nicht. Er würde mit Bellzazar den Auftrag erledigen, dem König Bericht erstatten und dann wieder von der Bildfläche verschwinden. Vielleicht würde er einen anderen Namen verwenden, wenn er als Vagabund herumreiste, damit ihn niemand fand.

Es war endgültig vorbei, beschloss Desiderius, er hatte das Band zu seiner Familie durchtrennt und würde nie wieder zurückkehren. Er wollte die Enttäuschung seines Vaters nicht in dessen Augen sehen. Und er wollte nicht die Burgfestung betrachten, wissend, dass er sie aufgab, weil er sich von seinem Bruder hatte erpressen lassen.

Desiderius starrte mit leeren Augen vor sich hin und beobachtete, wie auf dem weichen Waldboden zu seinen Füßen langsam eine Pfütze entstand. Es wurde kühl und der Regen ließ seine Kleidung klamm werden.

»Habt Ihr Hunger?«, fragte Bellzazar mit einer Führsorge in der Stimme, die nicht zu dem sonst gefühlskalten Halbgott passte.

Desiderius schüttelte stumm seinen Kopf.

»Seid Ihr sicher?«, hakte Bellzazar nach und schmunzelte. »Ich könnte uns Kaninchen jagen.«

»Ich mag kein Kaninchenfleisch«, erwiderte Desiderius abweisend, ohne seinen Weggefährten anzusehen.

»Ehrlich nicht?« Bellzazar schien schockiert. »Ich liebe Kaninchen.«

Eigentlich lag Desiderius’ Abneigung gegen Kaninchen auch nicht am Geschmack des Fleisches. Er hatte nur eine geheime Schwäche für die niedlichen, flauschigen Tierchen.

Als er noch im Kloster gelebt hatte, damals als kleiner Junge, hatte es einen Kaninchenbau im Klostergarten gegeben. Desiderius hatte sich derart einsam gefühlt, dass er anfing, die scheuen Tierchen anzulocken. Die Mutter blieb stets auf Abstand, aber ihre Jungen wurden zutraulich. Sie waren seine einzigen Haustiere gewesen. Bis einer der Priester die Kaninchen entdeckte und beschlossen hatte, Eintopf aus ihnen zu machen. Es war Desiderius’ Schuld, dass die Kaninchen leicht einzufangen gewesen waren, wegen ihm waren sie zutraulich gewesen.

Als hätte er seine Gedanken gelesen und die Erinnerung mitverfolgt, fragte Bellzazar: »Was ist mit Eichhörnchen? Lust auf Eichhörnchen?«

Bei den Stämmen der Waldmenschen waren Eichhörnchen das Leibgericht, da es die Tiere im Übermaß im Wald gab. Desiderius war ihr Fleisch nicht fremd, es schmeckte gut.

Seufzend antwortete er: »Ich habe eigentlich keinen großen Hunger, aber wenn Ihr unbedingt in den Regen hinauswollt, dann ja, Eichhörnchen sind annehmbar.«

Bellzazar schnaubte erheitert, stellte jedoch fest: »Ihr seid ein sehr grimmiger Mann.«

»Ich habe nur ein sehr unerfreuliches Leben, das ist alles.«

»Leben kann man ändern«, gab Bellzazar zu bedenken. Er stand jedoch auf, bevor Desiderius diese Worte hinterfragen konnte. Ohne zu zögern trat der Halbgott mit einem Bogen und wenigen Pfeilen in den Regen hinaus.

Nachdenklich blickte Desiderius ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwand und für eine ganze Weile nicht mehr zu sehen war.

Leben kann man ändern, wiederholte Desiderius grübelnd die Worte in seinem Kopf. Es steckte Wahrheit in ihnen. Er hatte schon immer sein Leben selbst in die Hand genommen, wie damals, als er beschlossen hatte, das Kloster zu verlassen um sich als Gesetzloser durchzuschlagen. Warum sollte es plötzlich anders sein?

Es war sein Leben und er würde sich keine Sorgen mehr darum machen, wen er enttäuscht hatte und wem er angeblich Treue schuldig war. Desiderius war schon immer besser darin gewesen, nach seinem eigenen Maßstab zu leben.

Sollte sein Vater doch enttäuscht sein! Sollte Arerius doch die Burg bekommen! Desiderius konnte sich trotzdem in den Dienst des Königs stellen. Als freier Mann, nicht als Lord, der an eine Festung gebunden war.

Und er würde es tun, weil er es wollte, weil er Nohva liebte und es vor der Habgier einiger Menschen schützen wollte. Er würde es für Nohva und für sich selbst tun. Niemandem sonst war er Treue schuldig! Nur seinem Land und sich selbst.

***

Einige Zeit später hatte der Regen aufgehört und sie hatten ein Feuer entfachen können. Nun saßen sie in der Dämmerung am Feuer, während über den Flammen zwei Eichhörnchen aufgespießt waren, mit denen Bellzazar stolz aus dem Wald zurückgekommen war.

Desiderius entfernte gerade den Verband um seinen Oberschenkel, um nach seiner Wunde zu sehen, als er zu Bellzazar blickte, der in der Nähe mit dem Rücken zum Lager an einem Baum stand und laut seufzend seine Blase leerte.

Als der Halbgott zurück zum Lager kam, und dabei seine Hose zuschnürte, schielte Desiderius zu ihm auf und gab zu bedenken: »Euch ist doch bewusst, dass man die Tiere für gewöhnlich häutet, bevor man sie über das Feuer hängt?«

Der Halbgott ließ sich ihm gegenüber auf der anderen Seite des Feuers auf sein Lager fallen und erklärte: »Dann wird das Fleisch aber zu trocken.«

Desiderius sah irritiert von seiner Wunde auf. »Ehrlich?«

Bellzazar nickte. »Glaubt mir, das Fleisch wird sehr saftig sein, wenn es fertig ist.«

Sein ganzes Leben hatte er sich selbst um sein Essen kümmern müssen und in den Wäldern gelebt, wenn er nicht gerade an der Küste war, aber Desiderius hatte noch nie gehört, dass man die Haut am Fleisch ließ, damit es saftiger blieb. Nun, aber er ließ sich gern eines Besseren belehren, zumal der Halbgott schon seit Anbeginn der Zeit in Nohva verweilte.

Desiderius widmete sich wieder seiner Verletzung, die zugeheilt und nur ein schwacher Striemen auf seiner blassen Haut war. Er nahm einen seiner Dolche zur Hand und entfernte die Fäden, mit denen der Heiler die Wunde zusammengenäht hatte, damit sie schneller heilen konnte. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn man Desiderius bereits am Abend der Verletzung Blut gegeben hätte, aber unter Adeligen sah man das nicht gerne. Blut zu trinken war zu intim und barbarisch, als dass man es oft guthieß. Die hohe Gesellschaft der Luzianer musste sich damit begnügen, einige Male in einem Jahr statt einem Becher Wein, einen Becher warmes Tierblut zu sich zu nehmen. Eine Schande, denn das Volk der Luzianer wäre sehr viel mächtiger, wenn sie sich nicht so zieren und öfters Blut trinken würden.

Desiderius hatte diese Zurückhaltung nie verstanden, er liebte es, Blut zu trinken. Direkt aus der Vene, egal ob vom Tier oder Mensch. Doch Desiderius konnte auch nachvollziehen, dass es auf viele Menschen abschreckend und barbarisch wirken musste. Trotzdem gehörte es zu seinem Volk und sie benötigten es zum Überleben, also wollte er auch die Freiheit besitzen, es tun zu dürfen.

Vielleicht war auch das der Grund, weshalb der junge Prinz ihn nicht in Ruhe gelassen hatte. Er hatte zum ersten Mal die Freiheit gehabt, von einem anderen zu trinken, das musste aufregend für ihn gewesen sein.

Bellzazar riss ihn aus seinen Grübeleien, als er fragte: »Wie sieht die Wunde aus?«

»Verheilt«, antwortete Desiderius, als er durch die Flammen hindurch zu ihm schielte.

Der Halbgott nickte zufrieden. »Ist eine feine Sache, dieses Bluttrinken.«

»Das könnt Ihr laut sagen«, gab Desiderius zurück.

»Wusstet Ihr, dass Euer Volk anfangs, als ihr nichts weiter wart als wilde Barbarenstämme, die in Strohhütten lebten, zu jedem Frühlingsanfang, das sogenannte Blutfest gefeiert hat?«

Desiderius blickte ihn mit offenstehenden Lippen fragend an. »Was war das für ein Fest?«

Nur zu bereitwillig erklärte Bellzazar: »Es war ein Fest für all jene, die vom Kind über den Winter zum Erwachsenen geworden sind. Sie wurden in den Stamm eingeführt.«

»Wie feierte mein Volk dieses Fest?«, fragte Desiderius interessiert.

»Ein großes Feuer wurde entfacht, dessen Flammen so hochschlugen, dass man es über viele Hügel entfernt sehen konnte. Sie bemalten sich gegenseitig mit Fruchtbarkeitssymbolen. Dann wurden alle Unberührten, die die Volljährigkeit erreicht hatten, in einer Reihe aufgestellt und mussten ihre Venen dem gesamten Stamm anbieten. Es wurde das Blut von Jungfrauen getrunken, Frauen und Männern, dann wurden zu Trommeln und Gesang um das hohe Feuer herumgetanzt, um die Götter anzurufen. Zum Ende hin wurden den Unberührten schließlich die Unschuld genommen. Dabei wurde dann wieder viel Blut getrunken, sodass jeder einmal von jedem einen Schluck genommen hatte. Damit stellte man die tiefe Verbundenheit zueinander sicher.«

Desiderius schmunzelte erheitert. »Und das ist wirklich wahr?«

»Ja«, versicherte der Halbgott. »Jedes Jahr zu Frühlingsbeginn habe ich einen Stamm Eures Volkes aufgesucht, um zusehen zu dürfen. Es war unglaublich, ich war stets fasziniert von der Freizügigkeit der Luzianer. Sie teilten alles, Blut und Körper. Es gab keinen Anspruch auf die Jungfräulichkeit eines Stammesmitgliedes. Meist wurde auch erst dann eine Frau zu einer geeigneten Gefährtin, wenn sie bereits ein Kind erwartete, ganz gleich, von wem es war.«

Desiderius hatte diese Geschichte noch nie gehört und er konnte kaum glauben, dass sein Volk, das schon seit Jahrhunderten die Gesetze der Menschen die eigenen nannte, einst so gelebt haben soll. Eine Schande, dass sie nun so engstirnig waren.

»Damals war es auch nicht ungewöhnlich, wenn sich ein Mann gleich mehrere Gefährtinnen aussuchte«, erzählte der Halbgott weiter. »Wenn die Frauen damit einverstanden waren, gab es daran nichts auszusetzen.«

»Und es gab tatsächlich Frauen, die das wollten?«, fragte Desiderius und lachte ungläubig auf.

»Sicher doch«, antwortete Bellzazar grinsend. »Es gab auch Frauen, die sich mehrere Burschen als Gefährten nahmen. Die Geschlechterrolle war bei Eurem Volk nicht so festgefahren wie es bei den Menschen war. Auch Frauen waren Jäger und versorgten einen Mann, der lieber die Kinder hütete und nahe beim Stamm blieb. Oder Frauen, die andere Frauen zu Gefährtinnen machten.«

Desiderius wandte nachdenklich den Blick ab. Er zog sich wieder seine Hose an, nachdem er alle Fäden aus der Wunde entfernt hatte. Er wusste nicht so recht, ob er dieser Geschichte Glauben schenkte.

»Und es gab natürlich auch Männer, die sich gleichgeschlechtliche Gefährten nahmen«, fügte Bellzazar hinzu.

Desiderius‘ Gesicht flog zu ihm herum. Wissende Augen schlugen ihm entgegen und er hatte erneut das Bedürfnis, fortzulaufen. Wieso kannten alle sein Geheimnis? War es so offensichtlich?

Obwohl es ihn eigentlich nicht überraschen sollte, falls Bellzazar wirklich etwas wusste, immerhin war der Halbgott dafür bekannt, Wissen innezuhaben, das anderen verborgen blieb.

Aber der Halbgott sprach Desiderius’ Befürchtung nicht aus. Mit einem Schulterzucken sagte Bellzazar nur gelassen: »Es ist leider schwer vorstellbar, aber es gab einst eine Zeit in Nohva, da konnte man wenigstens lieben, ohne dass man dafür geköpft wurde.«

Desiderius wusste nicht, ob und was er dazu sagen sollte, also schwieg er. Mit nachdenklichem Blick starrte er in die Flammen und fragte sich insgeheim, ob es denn möglich war, sein Leben in dieser Zeit aufzugeben, um Jahrtausende zuvor leben zu dürfen.

»Prinz Karic glaubt, er könnte ein solches Nohva wieder erschaffen«, berichtete Bellzazar stolz. »Ein freies Nohva. Ein Land voller Möglichkeiten.«

Desiderius wusste das aber schon, er hatte nicht vergessen, was der Kronprinz ihm anvertraut hatte. Dennoch fragte er nun grübelnd den Halbgott: »Glaubt Ihr es?«

Es dauerte lange, bis er eine Antwort auf seine Frage erhielt. Bellzazar hob den Blick und sah zu dem Blätterdach hinauf, durch das die letzten Sonnenstrahlen des Abends drangen. Ohne ihn anzusehen, antwortete er: »Ja, ich denke schon, dass er das schaffen wird.«

Unsicher wie ein Kind, hakte Desiderius nach: »Ehrlich?«

Schmunzelnd sah Bellzazar ihn an und erklärte: »Mit den richtigen Leuten an seiner Seite, kann der Prinz alles schaffen, was er will. Es kommt nur darauf an, wie stark seine Berater sind, unabhängig davon, wie stark er ist.«

»Dann ist laut Eurer Meinung ein König nur so stark wie seine Berater?«, fragte Desiderius interessiert. Er war nicht verwundert, nur neugierig, der Halbgott hatte schließlich reichlich Lebenserfahrung, die er teilen konnte.

»Es sind immer die Berater, die im Geheimen das Land regieren«, behauptete Bellzazar. »Der König gibt zwar die Befehle, aber was würde er tun, wenn niemand da wäre, der sie ausführt?«

»Und welche Befehle sollten Berater ausführen, wenn es keinen klugen und starken König gäbe, der sie erteilt?«, warf Desiderius ein und grinste erheitert.

»Das eine kann ohne das andere nicht existieren«, stimmte Bellzazar zu. »Umso wichtiger ist es für einen König, sich seine Berater und Gefährten gut überlegt auszusuchen.«

»Solange Ihr, ein Halbgott, an der Seite des Königs steht, wird ihm nicht viel passieren«, vermutete Desiderius.

»Im Moment stehe ich aber an Eurer Seite, und nicht an der des Königs«, gab Bellzazar zu bedenken. Dann fügte er etwas ernster hinzu: »Außerdem werde ich nur noch an König Wexmells Seite stehen, Bursche. Sobald der König ruhig und friedlich in seinem Bett an einem natürlichen Tod stirbt, habe ich meine Aufgabe erfüllt und werde endlich meinen Lohn für die Jahrhunderte erhalten, in denen ich einen Luzianerkönig nach dem anderen geschützt habe.«

Desiderius horchte verwundert auf. »Ihr werdet nicht an Prinz Karics Seite stehen, wenn er gekrönt wird?«

»Wenn der junge Kronprinz König wird, werde ich hoffentlich bereits im Reich der Götter sein, bei meinen Brüdern und Schwestern, als vollwertiger Gott, nicht als Bastard eines listigen Dämons, der eine Göttin verführt hat.«

Die Worte spuckte Bellzazar aus wie Gift. Damit erinnerte er Desiderius daran, dass auch er wegen seines Daseins oft verbittert war.

Er wusste nicht wieso, aber es beunruhigte Desiderius, dass der Halbgott nicht an Prinz Karics Seite stehen würde. Das magische Wesen war das einzige Geschöpf, das den König wirklich schützen konnte. Vor Magie, vor Mordanschlägen, vor Gift ... vor allem.

»Wer schützt den König, wenn nicht Ihr?«, murmelte Desiderius voller Furcht.

Bellzazar hatte ihn gehört und schmunzelte ihm verschwörerisch zu. »Jemand, der genauso gerissen ist. Ein Mann, der weiß, dass einige Dinge getan werden müssen, wenn man König bleiben will. Jemand, der keine Scheu davor hat, seine Gegner noch vor einem Krieg mit einem Giftanschlag zu schwächen.« Bellzazar sah ihn eindringlich an und fügte mit einer bedeutungsvollen Stimme hinzu: »Jemand wie Ihr.«

Geliebter Prinz

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