Читать книгу Geliebter Prinz - Billy Remie - Страница 7
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ОглавлениеAm nächsten Tag war Desiderius erschöpfter als am Vortag. Er hatte in der Nacht nicht gut schlafen können, die nächtliche Ruhe auf der Burg war ihm unheimlich gewesen. Für jemand, der entweder unter einem Haufen schnarchender Räuber oder unter freiem Himmel am Lagerfeuer schlief, bedeutete nächtliche Stille immer Gefahr. Seine Instinkte hatten ihn nicht einschlafen lassen, denn obwohl er in einem Bett in einem geschlossenen Raum gelegen hatte, war er das Gefühl nicht losgeworden, von Raubtieren umkreist zu werden.
Nun holte er den Schlaf nach, während er unweit von der Familienburg entfernt im Schatten einer Eiche lag, den Kopf an den Stamm gelehnt und einen Hut mit breiter Krempe vor dem Gesicht. Er lauschte den Geräuschen im Wald, vernahm das Plätschern des kleinen Bächleins, das zu seinen Füßen entlang floss und ganz in der Nähe in einem kleinen Teich endete.
Nachdem Arerius ihn am frühen Morgen aus dem Bett geholt und ihm eine Rasur aufgezwungen hatte, die ein Diener mit einem hübschen Gesicht durchgeführt hat, war Desiderius vor seiner Familie geflohen und hatte seinen Rappen aus dem Stall genommen, um einen Ausritt zu unternehmen. Doch statt lange im Sattel zu bleiben, hatte er sich dieses Plätzchen für ein Nickerchen ausgesucht.
Während er so vor sich hindöste, stand sein Rappe in dem kleinen Bach und gönnte sich eine Abkühlung. Das fließende Wasser reichte ihm bis kurz über die Hufe.
Tier und Herr hatten beide den gleichen Drang nach Freiheit. Sein Rappe fand genauso wenig Freude an einem Stall, wie er an einem Burgzimmer.
Der gestrige Abend war nicht sonderlich gut verlaufen, aber Desiderius hatte gar nichts anderes erwartet. Angefangen bei seinem Vater, einem großen, imposanten Mann, muskulös, sein langes dunkles Haar besaß vorn an den Seiten zwei geflochtene Zöpfe, eiskalte, grüne Augen, scharfkantige Gesichtszüge und eingefallene Wangen. Von Statur und Gesicht sahen sie sich sehr ähnlich, doch ihre Persönlichkeiten waren gänzlich verschieden. Für Desiderius’ Vater, Lord Carsus M’Shier, galt nur Pflichtbewusstsein und harte Strenge. Desiderius war aber ein unverbesserlicher Freigeist, der sich nicht sagen lassen wollte, dass er mehr aus sich hätte machen können, wäre er im Kloster geblieben. Und Lord M’Shiers Frau, Lady Shania, war natürlich am gestrigen Abend mehr als abgeneigt von ihrem aufgezwungenen Ziehsohn gewesen. Was ihn die zierliche, kleine Frau mit den braunroten Locken auch stets hatte spüren lassen.
Einzig seine kleine Halbschwester, eine schwarzhaarige Schönheit, hatte ihn herzlich in Empfang genommen, als sie ihn erblickte. Mit offenem Haar, das glatt und seidig war, war sie in ihrem grünen Samtkleid auf ihn zu gesprungen und hatte ihm die dünnen Ärmchen um den Hals geschlungen. Freudig berichtete sie ihm, dass sie bald mit dem Kronprinzen verlobt sein würde. Er hatte es zwar schon gewusst, aber um ihr eine Freude zu machen, war er ganz überrascht gewesen.
Desiderius schmunzelte unter seiner Hutkrempe, als er sich an ihre glücklich funkelnden Augen erinnerte.
Ein Schatten fiel über ihn, und samtweiche, schwarze Nüstern schoben sich in sein Blickfeld. Sie plusterten sich auf und schnaubten dann. Atem, der nach Hafer roch, schlug ihm entgegen und hob die Krempe seines Hutes an, den er aus der Sattelkammer entwendet hatte.
Solche Hüte trugen die Wüstenbewohner im Westen, während sie mit den Pferden den Sommer über ihr Vieh über die Sandhügel treiben mussten, auf der Suche nach den wenigen fruchtbaren Wiesen, die dort zu finden waren. Dieser Hut war ein Mitbringsel des Stallmeisters, den Lord M’Shier im Westen angeheuert und mitgebracht hatte.
Desiderius zog den Hut ab und strich seinem Rappen, der über ihm stand und an ihm schnupperte, über die Stirn zwischen den großen braunen Augen.
»Was ist los, mein Großer?«, fragte Desiderius seinen Gefährten. »Suchst du nach Karotten?«
Erneut schnaubten die Nüstern des Pferdes, dann bewegten sich die Lippen auf Desiderius’ Gesicht zu und versuchten, nach seiner Nase zu fassen.
Desiderius brachte lachend seinen langen Zinken außer Reichweite. »Ist ja gut, du bekommst sie ja!«
Eilig zog er die Karotte hervor, die er aus der Vorratskammer genommen hatte, und hielt sie seinem gierigen Pferd entgegen.
Der Rappe zog daran, bis das Endstück abbrach und Desiderius die grünen Stränge in den Wald hineinwarf. Laut kauend zermalmten die starken Kiefer des Rappen die Karotte.
»Kümmerst du dich um deine Frauen auch so gut, wie um dein Pferd?«
Desiderius fuhr hoch, als die Frage unerwartet hinter ihm erklang.
Überrascht starrte er den Mann an, der mit der Schulter am Stamm der Eiche lehnte, an der er zuvor gelegen hatte. Er war es nicht gewohnt, dass andere sich an ihn heranschleichen konnten. Es behagte ihm nicht.
Desiderius ließ die Schultern hängen und sah dem anderen Mann kalt entgegen. »Vater.«
Lord M’Shier stieß sich von der Eiche ab und verschränkte seine Arme vor der breiten Brust. Er trug leichte, aber feine Lederkleidung, wie Desiderius. Ihre dunklen Umhänge wehten im leichten Frühlingswind.
Desiderius fühlte sich in Gegenwart seines imposanten Vaters immer wie ein kleiner Junge, der unter dem herrischen Blick des Lords den Kopf einzog. Er griff nach dem Zaumzeug seines Rappen und strich ihm liebevoll über den Kopf, nur um seine Unsicherheit vor seinem Vater zu verbergen.
Breitbeinig stand der Lord im Schatten der Eiche und musterte seinen Sohn kritisch. Umso erstaunlicher waren seine Worte, die er stolz aussprach: »Du bist inzwischen zu einem stattlichen Mann herangewachsen, Desiderius.«
Ein Mensch zählte mit siebenundzwanzig Sommer gewiss nicht mehr zu den Heranwachsenden. Im Gegenteil, die meisten Menschen wurden nicht alt. Aber bei Luzianern waren siebenundzwanzig Jahre fast Nichts, wenn man bedachte, dass die meisten unter ihnen neunhundert bis tausend Sommer alt wurden. Lord M’Shier zählte bereits dreihundertneun Lebensjahre, mit einem Äußeren, das in etwa dem eines fünfunddreißigjährigem Menschen glich.
Misstrauisch, weil er lobende Worte nicht gewohnt war, betrachtete Desiderius seinen Vater. »Ja, und?«
Der Lord zuckte mit den Schultern. »Nichts, und! Das war ja zu erwarten, du entstammst eindeutig meinem Blute.«
»Das ist leider nicht zu leugnen, was?«, gab Desiderius gehässig zurück.
Sein Vater stimmte ihm zu. »Ja, leider.«
Die offene Ablehnung versetzte Desiderius einen Stich in der Brust, aber er ließ es sich nicht anmerken.
»Nur keine Sorge, Vater«, sagte er, nachdem er sich wieder gefasst hatte. »Ich gehe, sobald der König wieder abreist. Ihr müsst nicht befürchten, dass ich mich hier einnisten möchte.«
Sein Vater nickte, doch er starrte dabei nachdenklich zu Boden.
Eine Weile verstrich, in denen keiner von beiden etwas sagte. Desiderius wurde dieses Schweigen unangenehm und seine Nervosität übertrug sich auf seinen Rappen, der den Kopf hochwarf und auf der Stelle tänzelte, als wolle er damit seinen Herrn zum Gehen bewegen.
Beruhigend strich Desiderius seinem Pferd über den kräftigen Hals.
»Die Sache ist die«, begann sein Vater plötzlich und sah seinem Sohn direkt in die Augen, »ich habe drei Kinder, aber nur bei zweien kann ich mir sicher sein, dass sie von mir stammen.«
Desiderius erstarrte in der Bewegung. Wohin sollte dieses Gespräch führen?
»Deine Schwester und du seid eindeutig meine Kinder«, sprach sein Vater weiter. »Ihr habt mein Haar, meine Augen und meine Gesichtszüge. Du hast sogar meinen Körperbau und meine Sturheit geerbt. Dein Bruder hingegen ...«
»Ist dicklich, faul und leidet unter Haarausfall«, vollendete Desiderius den Satz seines Vaters. »Und das fällt Euch erst jetzt auf?«
Der Lord schnaubte, doch er schien amüsiert.
Er wandte sich ab und begann auf und ab zu laufen, während er seinem Bastard erzählte: »Ich wollte deiner Schwester die Burg überlassen. Obwohl sie die jüngste und eine Frau ist, wollte ich sie zu meiner alleinigen Erbin ernennen. Doch der König hatte andere Pläne und Silva war so glücklich, als sie erfuhr, dass sie den Kronprinzen heiraten soll, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie an diese Burg zu binden.«
Plötzlich ahnte Desiderius, was sein Vater im Sinn hatte. Er schüttelte ablehnend den Kopf: »Oh nein, niemals!«
Der Lord hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Unbeirrt fuhr er fort: »Silva wird zusammen mit dem Kronprinzen die M’Shier Burg verlassen, und somit habe ich nur noch ein Kind, dem ich mein Erbe hinterlassen kann. Aber Arerius versteht nichts davon, ein Burgherr zu sein. Er kann essen und er kann hübsche Stoffe aussuchen, aber da hören seine Fähigkeiten auf. Du hingegen hast meine Klugheit und meinen starken Willen geerbt.«
»Ich schlage mich nicht mit dem Adel herum, Vater«, warf Desiderius ein. »Ich bin ein Vagabund. Ein herumlaufender Streuner. Ich stehle, raube und überfalle Adelige. Ich schlafe im Dreck bei den Tieren und nicht in einer Burg!«
Sein Vater warf ihm einen strengen Blick zu. »Äußere hier nichts, was du lieber nicht offen aussprechen solltest.«
Desiderius erinnerte sich daran, dass sein Vater ein Lord war, der das Gesetz in seinem Landschaftsgebiet vertrat und durchsetzte. Er schloss verbittert den Mund.
»Aber du hast recht, du bist ein Bastard, keiner würde dich akzeptieren, wenn ich dich einfach so zum Burgherren ernennen würde«, stimmte sein Vater zu. »Deshalb habe ich mich mit einer längst überfälligen Bitte an den König gewandt. Es geht bei dem Treffen nicht nur um Silvas Verlobung. Ich habe dich beim König legitimieren lassen, du bist jetzt ein richtiger M’Shier und du bist mein einziger Erbe.«
Desiderius mahlte verbissen mit seinen Kiefern. »Ich will das nicht.«
»Ob du das willst, spielt keine Rolle, du musst endlich Verantwortung übernehmen.«
»Habt Ihr Verantwortung übernommen, als vor mehr als zwei Jahrzehnten eine luzianische Hure vor Euren Toren stand und Euch Euren Sohn übergeben hat?«, fuhr Desiderius seinen Vater wütend an.
»Ich habe dich sofort aufgenommen!«, verteidigte sich sein Vater.
»Ja«, stimmte Desiderius mit brüchiger Stimme zu. »Ihr habt mich in die Burg geholt und einer Amme gegeben. Habt Ihr je nach mir gesehen? Nein! Stattdessen habt Ihr zugelassen, dass mich Eure Gattin, kaum, dass ich laufen konnte, in ein Kloster abgab!«
»Du hast schon immer den Namen M’Shier getragen, obwohl du nur ein Bastard bist«, warf sein Vater ein. »So habe ich für dich gesorgt.«
»Ich habe nur leider keinen Namen gebraucht, sondern einen Vater!«, gab Desiderius mit Tränen in den Augen zurück.
Weil er Schwäche zeigte, senkte er eilig den Blick und zwang sich innerlich zur Ruhe. Das war kein Gespräch, das er führen wollte.
Nach kurzem Schweigen fuhr sein Vater angespannt fort: »Wie ich bereits erwähnte, geht es bei dem Treffen nicht nur um Silva. Als mein legitimer Erbe bist du berechtigt, dir eine Frau zu nehmen. Der König bringt seine Töchter mit, für eine von ihnen wirst du dich entscheiden.«
Fassungslos starrte Desiderius den Lord an. Er konnte nicht glauben, dass man ihn hergelockt hatte, um ihm Fesseln anzulegen. Nach all den Jahren der Ablehnung.
»Nein«, sagte er entschlossen. »Nichts auf der Welt könnte mich dazu bringen. Warum zwingt Ihr nicht Arerius zu einer Heirat? Er trägt den Namen M’Shier, selbst wenn er nicht Euer Sohn ist, bleibt die Burg im Besitz des Familiennamens!«
»Es ist das Blut, das zählt, nicht nur der Name, Desiderius!« Der Lord erhob erbost seine Stimme, dazu formte er eine Hand zur Faust. »Nein, ich sehe meine Burg lieber in den Händen meines Bastards, als in den Händen eines unfähigen Kuckuckskindes! Außerdem kennen die Töchter des Königs Arerius und weigern sich, ihn zum Ehemann zu nehmen. Du kennst den König, er würde seine Kinder zu nichts zwingen, was sie nicht bereit sind zu tun.«
Du aber schon, dachte Desiderius bitter.
»Warum schlagt Ihr Eurer untreuen Gattin und Arerius nicht einfach die Köpfe ab?«, zischte Desiderius und war gleich darauf selbst über seine Worte überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass er imstande war, so kalt zu sein.
Der Lord antwortete gelassen: »Weil ich keine Beweise für meine Vermutung habe.«
Kopfschüttelnd seufzte Desiderius: »Das darf nicht wahr sein! Wisst Ihr, was Ihr mir antut?«
»Ja«, erwiderte sein Vater. Mitleid schwang in seiner Stimme mit.
Desiderius sah ihn flehentlich an. »Arerius wird das nicht einfach hinnehmen. Sobald Ihr sterbt und mir die Burgfestung gehört, wird er alles versuchen, um sie wieder an sich zu reißen. Er wird Krieg um die Burg und die Ländereien führen!«
»Und du bist doch ein geschickter Räuber und kennst gewisse Tricks, um dich zu wehren«, warf sein Vater ein. »Wie ich höre, eilt dir dein Ruf als Stratege voraus. Wenn du mit einer Diebesbande unterwegs bist, schlottern jeder reisenden Adelsfamilie die Knie.«
»Na und?« Desiderius zuckte mit den Schultern. »Das macht mich noch lange nicht zu einem guten Burgherrn.«
»Aber du hast das Potential, ein guter Burgherr zu werden«, sprach sein Vater plötzlich milde auf ihn ein.
Er sollte die Burg erben? Er sollte ein legitimer M’Shier werden? Desiderius hätte gelacht, wenn es ihm ein anderer erzählt hätte.
Taubheit breitete sich in ihm aus und er schloss gequält seine Lider.
»Wenn du je Stolz in meinen Augen sehen willst, wenn ich dich ansehe, dann lass mich jetzt nicht im Stich, mein Sohn«, bat sein Vater.
»Ihr versucht, mich zu manipulieren«, murmelte Desiderius.
»Um deinetwillen hoffe ich, dass ich Erfolg habe.«
Desiderius schüttelte den Kopf. Aber es war nur ein Ausdruck seiner Frustration und keine endgültige Antwort. Er wusste, ein Nein würde der Lord nicht akzeptieren. Seine einzige Chance war, ihm im Glauben zu lassen, dass er seinen Willen bekam, um sich dann bei Nacht davon zu schleichen und nie wieder zurückzukehren.
»Sieh dir die Damen doch erst einmal an«, schlug sein Vater vor. »Sie sind blonde Schönheiten und werden von allen Männern begehrt. Glaub mir, sobald du einen Blick in ihre blauen Augen wirfst, wirst du eine haben wollen. Aber du bekommst sie nur in Verbindung mit meinem Erbe.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Lehn kein Angebot ab, das dir ein besseres Leben beschert, Desiderius. Überleg doch, welche Vorteile du daraus ziehen kannst. Dein jetziges Leben wird mit einem frühen Tod bei einer Hinrichtung enden, wenn du so weitermachst. Du kannst schließlich nicht auf ewig ein Vagabund bleiben.«
Mit seinen letzten Worten machte der Lord kehrt und ging den schmalen Waldweg zurück in Richtung Burg, die er seinem Bastard überlassen wollte.
Desiderius blickte erst auf, als er sicher war, dass sein Vater weit entfernt war. Seufzend erwiderte er den Blick des Rappen, dessen braune Augen scheinbar sorgenvoll auf ihn gerichtet waren.
Kopfschüttelnd strich er über die weichen Nüstern und fragte: »Ich, ein Burgherr, kannst du dir das vorstellen?«
Der Rappe warf den Kopf hoch und runter, es schien, als würde er nicken.
»Na vielen Dank auch, du Verräter«, schmunzelte Desiderius.
Doch die Aussicht auf das Erbe der M’Shier Familie bewegte Desiderius nicht gerade zum Bleiben. Vor allem nicht die Aussicht auf eine Ehegattin. Es bewirkte das genaue Gegenteil. Er hatte nie Interesse an Frauen gehabt und hatte nie bei einer gelegen. Er mochte blonde Schönheiten, aber keine weiblichen.
Seufzend fragte er sich voller Sorge, wie er aus dieser Sache wieder herauskommen sollte.