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Zwei weitere Nächte später waren sie ihrem Ziel bereits ganz nahe.

Die Reise an sich gestaltete sich recht einfach, da sie nur in den Tiefen Wäldern blieben und beide ganz genau wussten, wie man wilden Tieren und deren Angriffen entgehen konnte. Sie ritten tagsüber und schlugen ihr Lager auf, wenn es dämmerte. Bellzazar war nicht gerade das, was Desiderius schweigsam genannt hätte, aber immerhin hatte der Halbgott interessante Geschichten auf Lager. Desiderius erfuhr viel über die einstige Kultur seines Volkes und verstand dadurch immer mehr, weshalb Prinz Karic so versessen darauf war, diese wieder aufleben zu lassen.

Wenn die Luzianer herrschten, warum sollten dann weiterhin die Gesetze der Menschen gelten, nur weil diese sich wie trotzige kleine Kinder verhielten, die mit Krieg drohten, wenn man ihnen nicht erlaubte, Hinrichtungen im Namen der Götter zu veranstalten.

Die Menschen sahen das vermutlich anders, befürchtete Desiderius. In ihren Augen waren vermutlich die Luzianer die Tyrannen, die ihnen verboten, für ihren Glauben zu kämpfen und zu sterben.

Wie gesagt, jede Geschichte hatte zwei Seiten, und jedes Volk eine andere Ansicht, Desiderius konnte nur das wiedergeben, was er dachte und woran er glaubte.

Sie ritten nebeneinander her, zwei dunkelhaarige Männer mit schwarzen Umhängen auf großen, schwarzen Pferden, als Desiderius nach einiger Zeit die Stille zwischen ihnen brach und fragte: »Seid ehrlich, mögen es die Götter, dass die Menschen ihnen eine solche Bedeutung schenken?«

»Sie mögen es, dass die Menschen sie anbeten und sich ihnen unterwerfen«, erklärte Bellzazar und schmunzelte dann Desiderius listig an. »Wer würde das nicht mögen?«

Ernüchtert stellte Desiderius fest: »Dann stimmt es, weil sie die Götter anbeten, legen diese ihre schützenden Hände über die Menschen.«

»Nein«, widersprach Bellzazar.

Verwirrt betrachtete Desiderius sein Profil. »Aber das sagtet Ihr doch gerade.«

»Ich sagte nur, dass sie es mögen, dass es ein Volk gibt, das ihnen huldigt, das bedeutet aber nicht, dass die Götter irgendein Volk bevorzugen«, warf Bellzazar ein. »Vergesst nicht, Bursche, dass wir über Götter sprechen. Sie sind nicht habgierig, nicht machthungrig. Sie wollen nur Frieden und sie wissen, dass die Luzianer diesen Frieden garantieren können. Sie wollen Gerechtigkeit, und sie wissen auch, dass Luzianer gerechter sind als Menschen.«

Desiderius grübelte darüber.

»Sie sind Götter«, sagte er nach einer Weile verwirrt, »und sie sind doch in der Lage, für Frieden zu sorgen. Wieso lassen sie zu, dass so viel Ungerechtes passiert? Wissen sie denn nicht, was sich in dieser Welt abspielt?«

»Sie sind Götter und keine Geschichtenschreiber«, erinnerte Bellzazar tadelnd. »Sie erfinden keine Schicksale, schicken keine Helden, sie können nur das tun, wofür sie geschaffen werden. Götter sind auch nur magische Wesen, aber keine Schöpfer. Ihr als Luzianer müsstet das eigentlich wissen.«

»Wieso wissen es die Menschen nicht?«

»Weil es über die Vorstellungskraft der Menschen hinausgeht«, erklärte Bellzazar. »Ihr und ich wissen, dass das Reich der Götter nur eine andere Welt ist, die parallel zu dieser existiert, so wie die Unterwelt. Diese Welten sind miteinander verflochten. Die Götter erschufen unsere Völker, sie übernehmen die Verantwortung für unser vergängliches Leben, doch das bedeutet nicht, dass sie jedes einzelne Schicksal schreiben und vorherbestimmen. Geschweige denn, lenken können.«

»Wozu sind die Götter gut, wenn sie keine Schicksale lenken können?«, fragte Desiderius. Es verärgerte ihn, dass die Götter ihr Nichtstun so einfach abtaten.

»Nun, wie viele Götter gibt es?« Es war eine rhetorische Frage, die keiner Antwort bedurfte. Bellzazar fuhr fort, ohne eine Erwiderung zu erwarten: »Es gibt den Gott des Lebens, Gott des Todes, Gott der Lust ... Es gibt für alles einen Gott. Jeder Gott hat einen Bereich, den er überwacht. Es gibt nun mal keinen Gott des Schicksals, der dafür zuständig ist, dass jeder einzelne Mann in Nohva den richtigen Weg findet. Und vergesst nicht die Dämonen aus der Unterwelt, die Gegenspieler der Götter, die die Menschen verführen. Götter sind nicht in der Lage, einen Dämon aufzuhalten, sobald er in diese Welt eingedrungen ist.«

Desiderius stellte amüsiert fest: »Dieses Thema scheint Euch wichtig zu sein.«

»Ich bin vielleicht ein Ausgestoßener, aber das bedeutet nicht, dass ich meine Brüder und Schwestern nicht verteidige, wenn jemand aus Unwissenheit schlecht über sie spricht.«

»Ich meinte ja nur, dass man den Eindruck haben könnte, dass die Götter mehr für uns tun könnten«, warf Desiderius ein.

Bellzazar runzelte auf einmal nachdenklich seine Stirn, als hätten Desiderius’ Worte ihn nun auch ins Grübeln gebracht.

Er zügelte sein Pferd und hielt an, als er Desiderius verwirrt fragte: »Wie meint Ihr das?«

Desiderius wendete seinen Rappen, um den Halbgott ansehen zu können. Er fühlte sich unsicher, weil er nicht anmaßend gegenüber dem göttlichen Wesen sein wollte.

»Sagt schon«, forderte Bellzazar ungeduldig auf.

»In Anbetracht der Ereignisse, angefangen bei den Hinrichtungen im Namen der Götter, oder all den Kriegen, die wegen ihnen geführt wurden, könnte man glauben, dass die Gunst der Götter Nohva längst verlassen hat«, erklärte Desiderius. »Wäre ich ein Gott und müsste zusehen, wie das Leben, das ich erschaffen habe, in meinem Namen tötet, würde ich mich auch abwenden.«

Bellzazars Miene verdunkelte sich noch mehr als sonst, als er angestrengt darüber nachdachte.

»Ich meine ... «, Desiderius suchte nach Worten, » ... wann habt Ihr das letzte Mal Kontakt zu einem Gott gehabt?«

Die Mundwinkel des Halbgottes fielen herab, und da hatte Desiderius seine Antwort. Auch der Halbgott hatte seit einiger Zeit die Präsenz der Götter nicht mehr gespürt.

Bellzazar trieb seinen schwarzen Hengst wieder an und beschloss mit grimmiger Miene: »Kommt, wir müssen weiter.«

Schweigend wendete Desiderius seinen Rappen erneut und folgte dem verstimmten Halbgott mit etwas Abstand. Es schien, als hätte er ein äußerst unpassendes Thema angesprochen und damit Bellzazar in tiefe Grübeleien versetzt.

Was auch immer nun durch den Kopf des Halbgottes ging, es sorgte dafür, dass er in den nächsten Tagen und Nächten sehr einsilbig blieb.

***

Trotz des Frühlingsbeginns herrschte weit im Süden im Gebirge eine eisige Kälte.

Eingehüllt in seinen Umhang, lag Desiderius in seinem winzigen Zelt und erwachte aus einem unruhigen Schlaf. In der Nacht hatte ein Schneesturm gewütet, und die Kälte hatte ihn wachgehalten, oder besser gesagt, das Zittern seines Körpers. Erst am frühen Morgen hatte er etwas Schlaf gefunden. Zum Glück würden sie an diesem Tag ihr Ziel erreichen und konnten dann die verschneiten Berge wieder verlassen.

Er konnte seinen Atem sehen, als er sich mit steifen Gliedern aufrichtete und das winzige Zelt verließ, das er am Abend zuvor mit Bellzazar aufgestellt hatte. Wegen des Sturms hatten sie kein Feuer entfachen können, weshalb Bellzazar beschlossen hatte, dass sie sich in der Nacht gegenseitig wärmen mussten. Desiderius hatte sich widerwillig gefügt, denn auch wenn ihm unwohl dabei gewesen war, sich nachts an den anderen Mann zu kuscheln, war ihm die Tuchfühlung doch allemal lieber gewesen, statt zu erfrieren. Dem Halbgott schien die Kälte nicht ansatzweise etwas auszumachen, im Gegenteil, als er sich in der Nacht zu Desiderius gelegt hatte, war sein Körper eine angenehme Wärmequelle gewesen.

Desiderius verließ das Zelt und richtete sich auf, unter seinem Umhang verschränkte er die Arme, um sich vor der Kälte zu schützen, eisiger Wind wehte durch sein Haar und Schneeflocken peitschten über sein Gesicht.

Bellzazar blickte von dem Feuer auf, das er wohl gerade erst entzündet hatte. Desiderius fragte sich, wo er nach diesem Sturm trockenes Feuerholz gefunden hatte. Allerdings war das nicht das erste Mal während ihrer Reise, dass der Halbgott scheinbar wie durch ein Wunder ein Lagerfeuer entfacht hatte. Vielleicht konnte er mehr Magie wirken, als er offenbarte.

»Ihr seid wach«, stellte Bellzazar trocken fest. »Und Ihr seht – verzeiht den Ausdruck – ganz schön lausig aus.«

»Danke, Ihr seid auch nicht gerade mein Lichtblick an diesem Tag«, murrte Desiderius zurück.

Bellzazar grinste amüsiert. Er winkte Desiderius zu sich heran und bedeutete ihm, sich auf einen Baumstamm zu setzen, auf dem ein Sattel lag.

»Kommt her«, forderte Bellzazar. »Setzt Euch ans Feuer und wärmt Euch auf, bevor wir weiterreisen.«

Desiderius setzte sich kommentarlos an das Feuer und streckte den Flammen seine halbeingefrorenen Hände entgegen. Es tat gut, sie langsam auftauen zu spüren.

Nachdem die Wärme des Feuers allmählich zu ihm durchdrang, hob Desiderius den Blick und sah sich um. Er fand die zwei schwarzen Hengste unweit vom Lager entfernt, sie streckten die Köpfe nach Blättern aus, um sich ein Frühstück zu gönnen. Bellzazar hatte beide am Abend zuvor in Decken gehüllt, um ihr Fell vor dem Schnee zu schützen. Sie wirkten nicht, als wäre ihnen kalt.

»Ihnen geht es gut«, versicherte Bellzazar, nachdem er Desiderius’ Blick gefolgt war. »Besser als Euch jedenfalls.«

»Ich bin nicht so oft in kalten Gebieten«, erklärte Desiderius und zog den Umhang noch einmal enger um seinen Körper. Er war die Stürme an der Küste gewohnt, mit salzig schmeckendem Regen und kaltem nassen Wind. Aber diese Schneelandschaft und die Eiseskälte setzten ihm zu. Hier brachte es nichts, sich etwas Trockenes anzuziehen, man fror sich trotzdem den Hintern ab. Ganz zu schweigen davon, dass sich seine Weichteile in seine Magenhöhle zurückgezogen hatten. Es würde einige Zeit beanspruchen, sie zu suchen und wieder hervorzuholen, fluchte Desiderius innerlich. Er wünschte, er wäre an der Küste und könnte andere warme Hände dafür bezahlen, ihm dabei zu helfen.

Oh, wie er sich in diesem Moment nach den warmen Armen eines anderen Mannes sehnte, die ihn wärmen und streicheln würden. Die Kälte zeigte ihm nur zu deutlich, wie einsam die Nächte sein konnten, selbst wenn da jemand war, der sich aus lebensnotwendigen Gründen an seinen Rücken drängte.

Desiderius hob den Blick zu Bellzazar, der vor dem Feuer stand und es kritisch beobachtete, als habe er Angst, es könnte bald wieder erlöschen.

Mit fragend gerunzelter Stirn wollte er von dem göttlichen Wesen wissen: »Wie kommt es, dass Euch die Kälte nichts auszumachen scheint?«

Bellzazar zuckte mit den Schultern. »Nun, ich lebe mittlerweile schon ziemlich lange und habe mich einfach an jedes Klima gewöhnt. Ich spüre die Kälte, aber ich weiß, dass sie mir nichts anhaben kann. Selbst wenn ich erfriere, wache ich ja doch irgendwann wieder auf.«

Diese Antwort warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Aber Desiderius ließ es dabei bewenden, er hatte jetzt keine Konzentration für weitere Erklärungen. Ihm war kalt, er war müde und er spürte, dass er hungrig wurde. Das war zu viel für sein Gemüt, er war schlecht gelaunt.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, beschloss Bellzazar: »Ich besorge uns etwas zu Essen.«

»Was denn?«, schnaubte Desiderius zynisch. »Gefrorene Baumwurzeln?«

Bellzazar griff sich unbeirrt den Bogen. »Ich werde schon etwas finden.«

»Lasst uns lieber aufbrechen«, warf Desiderius ein. »Bringen wir es hinter uns und verlassen diese verschneiten Berge.«

Nicht nur die Kälte vertrieb ihn von hier, auch die Aussicht darauf, entdeckt zu werden. Denn Desiderius und das Gebirge hatten eine interessante Vorgeschichte, die er lieber vergessen wollte, statt daran erinnert zu werden. Er war hier nicht willkommen – nicht mehr – das war das Einzige, was er sich in Erinnerung rief.

»Wir konnten wegen des Sturms gestern nichts essen«, erinnerte Bellzazar ihn. »Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich brauche jetzt eine Mahlzeit. Von mir aus könnt Ihr schon aufbrechen, ich folge, wenn ich meinen Hunger gestillt habe.«

Damit wandte er sich ab und verschwand im Wald, dabei musste er die Beine weit anheben, weil er im hohen Schnee bis zu den Knien versank.

Desiderius sah ihm kopfschüttelnd nach, beschloss aber, dass sich seine Laune vermutlich bessern würde, wenn er etwas gegessen hatte. Außerdem war es vermutlich sowieso ratsamer, ihren Auftrag bei Nacht durchzuführen.

Es dauerte nicht lange, als Desiderius verblüfft feststellte, dass Bellzazar mit einer Schneegans zum Lager zurückgehrte, der ein Pfeil im Hals steckte.

Desiderius stand auf und ging dem Halbgott entgegen. »Gebt her, ich mach das.«

»Von mir aus«, erwiderte Bellzazar und reichte ihm das leblose Tier.

Desiderius wollte einfach etwas tun, um das Gefühl zu haben, nützlich zu sein. Wenn der Halbgott schon jagen ging, konnte Desiderius wenigstens seine Kochkünste beweisen.

***

Die Schwarzfelsburg, der Sitz des Gebirgslords, der über den Süden herrschte, trug ihren Namen aufgrund des Gebirges – das Schwarzfelsgebirge. Sie war ebenso schwarz wie das Gestein, auf dem sie stand.

Die Burg war eine beeindruckende Festung, um die herum viele Dörfer versammelt waren. Sie ragte aus der Spitze eines Bergs, und ihre spitzen Türme schienen den Himmel aufspießen zu wollen. Ihre Mauern waren hoch und unüberwindbar. Sie war das eindrucksvollste Bauwerk der Menschen.

Das einzige Bauwerk, das größer und beeindruckender war als die Schwarzfelsburg, war die Luzianerfestung im südöstlichen Gebirgspass, die aber nur dazu diente, die Völker aus der Wildnis von Nohva fernzuhalten.

Mit staunend offenstehendem Mund starrte Desiderius zu der Menschenfestung hinauf, die sich zwischen verschneiten Bergspitzen emporhob. Er zügelte sein Pferd auf dem schmalen Pass und nahm sich einen Moment Zeit, um das Bauwerk zu betrachten.

Eines musste man den Menschen im Gebirge lassen, sie wussten sich zu verteidigen. Die Festung war von außen nicht zu überwinden, Angreifer konnten nur auf die gute, alte Belagerungstaktik zurückgreifen.

Wenn es zu einem Krieg kommen sollte, würde der König erhebliche Mühen haben, diese Festung einzunehmen, ging es Desiderius durch den Kopf. Sein scharfer Verstand musterte die Burgfestung kritisch, auf der Suche nach einer Schwachstelle. Eines war jedoch sicher, mit einem Soldatenheer konnte man nicht einfach anrücken und angreifen, man musste raffinierter vorgehen. Vielleicht, wenn die Wachen auf den Wehrgängen nicht in Alarmbereitschaft waren, dann könnte sich ein kleiner Trupp Assassinen auf die Mauer schleichen, die Verteidigung ausschalten und das Tor öffnen. Oder man schleuste Monate zuvor unbemerkt einige Assassinen als einfache Arbeiter in die Burg, die im Falle eines Angriffs das Tor rechtzeitig öffnen würden. Doch dann stand man als Angreifer vor anderen Risiken, da Assassinen nicht nur sehr teuer waren, sondern auch nicht unbedingt loyal oder zuverlässig. Da sie allerdingst nun mal diskret arbeiteten, wurden sie immer wieder angeheuert. Ein Teufelskreis. Man müsste vielleicht einen Assassinen Orden gründen, der nur der Krone unterstellt war, grübelte Desiderius vor sich hin. Die Idee kam ihm nicht so übel vor.

»Über was denkt Ihr so angestrengt nach?«, rief Bellzazar.

Desiderius blickte zu ihm auf und bemerkte, dass der Halbgott bereits den schmalen Weg zu Ende geritten war und sein Pferd oben auf der Bergspitze gewendet hatte, um Desiderius fragend anzusehen.

Schmunzelnd scherzte Desiderius: »Über meinen nächsten Wohnsitz.«

Er trieb seinen Rappen an und schloss zu Bellzazar auf. Noch immer schneite es und mittlerweile waren ihre dunklen Haare komplett zugeschneit, ganz zu schweigen von dem Eis, das ihre Bartstoppeln zusammenklebte. Jedes Mal, wenn Desiderius seine Mimik bewegte, spürte er, dass sein Gesicht gefroren war.

Grinsend blickte Bellzazar zur Schwarzfelsburg und nickte zustimmend. »Beeindruckend, nicht wahr? Aber ich fürchte, es wäre Euch hier oben zu kalt.«

»Nur im Winter und Frühjahr«, warf Desiderius ein. »Aber im Sommer soll es hier sehr schön sein. Dann, wenn der Schnee nicht mehr die Berge bedeckt.«

Bellzazar lachte in sich hinein. »Mir gefällt, wie Ihr denkt, Desiderius. Vergesst den König, nehmt die Burg ein und macht Euch hier ein schönes Leben!«

»Ich fürchte nur, die Eroberung wird nicht so leicht, wie ich mir das vorstelle«, scherzte Desiderius.

»Vermutlich nicht, nein«, stimmte Bellzazar zu. Er wendete sein Pferd und nickte in die Richtung, die sie nehmen mussten, als er mit einem listigen Lächeln hinzufügte: »Aber ihre hohen Mauern werden ihnen nun zum Verhängnis.«

»Ich hoffe nur, dass wir auch Erfolg haben werden«, gab Desiderius zurück und lenkte seinen Rappen neben den Halbgott.

»Das werden wir«, versicherte Bellzazar. »Euer Plan ist idiotensicher.«

***

Es stank nach Ziegen und Rindern, noch bevor sie überhaupt in die Nähe der Mauern kamen.

»Wie gedenkt Ihr eigentlich unbemerkt hinein und wieder hinaus zu gelangen?«, wollte Desiderius wissen.

Der Halbgott erwiderte ausweichend: »Das werdet Ihr ja gleich sehen.«

»Sollten wir nicht warten, bis die Nacht hereinbricht?«, gab Desiderius zu bedenken.

Es dämmerte bereits, aber es würde noch eine Weile dauern, bis es dunkel wurde und der Schleier der Nacht sie in seinen schützenden Mantel hüllen konnte. Außerdem sorgen die Schneemassen für zusätzliches Licht. Sie leuchtete geradezu.

»Ihr sorgt Euch zu viel«, neckte Bellzazar.

Desiderius murmelte murrend: »Und Ihr Euch zu wenig.«

Es gab da jemand auf der Schwarzfelsburg, dem er lieber nicht begegnen würde. Die Erinnerung an jene Person, schnürte ihm die Kehle zu, und Melancholie legte sich wie ein schwerer Mantel über seine Schultern.

Sie führten ihre Pferde an den Zügeln durch den Wald, bis sich vor ihnen plötzlich die riesige Mauer auftat. Sie banden ihre Pferde fest, damit sie sie bei einer möglichen, nicht eingeplanten Flucht nicht erst suchen mussten.

Geduckt folgte Desiderius Bellzazar ins Unterholz. Von dort aus spähte er vorsichtig die gewaltige Mauer hinauf, nur um festzustellen, dass sie nicht bemannt war. An einigen Stellen war sie rissig und sogar halb eingestürzt.

Fragend sah Desiderius Bellzazar von der Seite an.

Leise erklärte der Halbgott: »Die Burg ist nur teilweise bewohnt. Diese Seite hier ist eine Ruine, ein ehemaliges Kerkerabteil. Seht Ihr die Tür dort?«

Desiderius folgte dem Fingerzeig und erblickte eine einsame Tür in der Mauer. Sie war massiv und wirkte einbruchssicher. Er nickte.

»Sie wird verschlossen sein, aber ich kann sie von innen für Euch öffnen. Durch die Ruine gelangen wir in den Kerker der Festung. Er ist nicht groß, deshalb besteht dort die größte Gefahr, entdeckt zu werden.«

»Und wie wollt Ihr die Tür öffnen?«, fragte Desiderius irritiert. »Wie wollt Ihr hineingelangen?«

Bellzazar grinste ihm ins Gesicht. »Ich mag Euch, deshalb möchte ich Euch jetzt einen Rat geben, den ich noch nie jemandem gegeben habe.«

»Welchen Rat?«, seufzte Desiderius ungeduldig.

Mit einem bösartigen Funkeln in den Augen flüsterte Bellzazar: »Ich bin zwar zur Hälfte ein Gott, vergesst aber niemals, dass ich auch zur Hälfte ein Dämon bin!«

Und plötzlich war er verschwunden. Von einem auf den nächsten Moment hatte sich seine Gestalt aufgelöst.

Sprachlos starrte Desiderius den schwarzen Nebel an, der geblieben war und sich langsam verzog, wie Rauch einer ausgeblasenen Kerze.

»Verdammt, was… ?« Irritiert drehte sich Desiderius in geduckter Haltung um sich selbst. Er konnte nicht glauben, was geschehen war. Passierte es wirklich oder war er in einer Art Fiebertraum gefangen? War er wohlmöglich in der Nacht krank geworden und noch gar nicht erwacht? Nicht einmal Hexen schafften es, sich einfach in Luft aufzulösen.

Nein ... Nein ... Das konnte nicht stimmen. Es wollte nicht in Desiderius’ Kopf. Er musste sich das eingebildet haben.

Noch bevor sein Verstand überhaupt verarbeitet hatte, was gerade vor seinen ungläubigen Augen geschehen war, ertönte ein Pfiff.

Sein Kopf flog herum und ihm fielen fast die Augen heraus, als er Bellzazar lässig im Rahmen der offenen Tür lehnen sah.

Wie hatte er das gemacht?

Grinsend zuckte Bellzazar mit der Schulter.

Es dauerte einen Moment, bis Desiderius sich einigermaßen gefangen hatte, um zu ihm hinüber zu huschen.

Kopfschüttelnd ging er an Bellzazar vorbei und betrat das feuchte Innere einer halbeingestürzten Burgruine. Der ehemalige Kerker stand teilweiße unter Wasser, das so kalt war, dass ihm die Füße in den Stiefeln gefroren.

»Wenn Ihr solche ... Tricks auf Lager habt«, zischte Desiderius dem Wesen zu, »wäret Ihr nicht besser ohne mich dran?«

»Ich reise nicht gern allein«, scherzte der Halbgott.

Desiderius fuhr zu ihm herum und warnte: »Tut das nicht noch mal!«

»Fürchtet Ihr Euch so sehr vor Magie?« Bellzazar grinste erheitert.

Da es stimmte und er darauf nichts zu erwidern hatte, wandte sich Desiderius verärgert ab und folgte dem einzigen Weg durch die Ruine.

Je tiefer sie gingen, je lauter hörten sie die Stimmen der Festungsbewohner. Vor allem die Schreie aus dem Kerker, dem sie sich näherten, ertönten bei jedem Schritt lauter.

Desiderius hatte keine Angst, er war nicht einmal nervös, er war lediglich hochkonzentriert, weil er diesen Auftrag keinesfalls vermasseln wollte.

Was er mehr fürchtete als das, was vor ihm lag, war das, was sich unmittelbar hinter ihm befand und dessen Atem er im Nacken spüren konnte. Der Halbgott hatte Tricks auf Lager, die beunruhigend waren. Kein Wesen, das in dieser Welt wandelte, sollte so mächtig sein.

Desiderius war nur froh, dass Bellzazar derzeit auf seiner Seite stand.

Vielleicht war es doch nicht so schlecht, wenn der Halbgott bald in das Reich der Götter gehen würde, dann wäre Nohva wenigstens von dieser Gefahr befreit. Denn sollte der Halbgott seine Meinung ändern und statt den Luzianern, den Menschen helfen, säße der König, gelinde gesagt, mächtig tief in der Scheiße.

Es war bereits dunkel um sie, als sie zu einer Tür kamen, unter deren Spalt der warme Schein einer Fackel leuchtete. Viele Schatten liefen an der Tür vorbei.

Desiderius spürte eine Hand an seiner Schulter, er wurde zurückgehalten. Kurz darauf drängte sich ein männlicher Körper an seine Rückseite und warmer Atem streifte sein Ohr.

»Was tut Ihr da?«, zischte Desiderius leise nach hinten. Er mochte es nicht, wenn ihm magische Wesen zu nahekamen. Vor allem nicht, wenn sie auch noch große, gutaussehende Männer waren.

»Wartet!«, hauchte Bellzazar ihm zu und zwang ihn, mit ihm in die Hocke zu gehen. »Es sind noch zu viele Wachen vor der Tür.«

»Ich hatte nicht vor, sie blind zu öffnen«, flüsterte Desiderius verärgert. Er war ja nicht einfältig!

»Geht nicht zu nah ran«, erklärte Bellzazar. »Warten wir hier, bis die Luft rein ist.«

Ergebend ließ sich Desiderius auf seinen Hintern fallen. »Fein, warten wir.«

***

Einige Stunden später musste Desiderius zugeben, dass der Halbgott genau wusste, was er tat. Sie hatten lange gewartet, aber dann hatten sie den Kerker ohne große Probleme durchqueren können. Es war Nacht, und die meisten Wachen waren auf ihrem Posten eingeschlafen.

Unbemerkt hatten sie den Kerker verlassen und duckten sich nun von Schatten zu Schatten über den Innenhof.

»Wo ist der Speicher für die Soldatenvorräte?«, fragte Desiderius, als er sich zusammen mit Bellzazar in den Schatten eines abgestellten Heukarrens drückte.

Bellzazar nickte über den Hof zu einer unscheinbaren Holztür. »Dort lagert ihr Korn.«

»Gut, wie machen wir es?«, fragte er.

»Über uns stehen Wachen«, flüsterte Bellzazar. »Sie sehen uns von der Mauer aus, sobald wir zur Tür laufen.«

Desiderius nickte, er hatte die Wachen auch bemerkt.

»In der Nähe sind Hunde«, berichtete Bellzazar weiter. »Ich glaube, sie schlafen, sonst hätten sie uns längst gewittert.«

Hunde? Desiderius sah keine und er roch auch keine, vermutlich wegen des Ziegendunstes. Woher der Halbgott also wusste, dass Hunde in der Nähe waren, konnte er sich nicht erklären. Vermutlich noch so eine magische Gabe, von der er nichts wissen wollte.

»Was machen wir jetzt?«

Bellzazar sah sich nachdenklich um. »Ich wüsste etwas, aber es ist riskant.«

»Gut, raus damit!«

»Ich lenke die Wachen und die Hunde auf mich«, schlug der Halbgott vor und nickte dabei auf das Dach der Soldatenvorratskammern. »Ich bin schnell, kann mich auflösen, wenn sie zu nahe sind, in der Zwischenzeit müsst Ihr in den Speicher.«

»Klingt nach einem Plan«, erwiderte Desiderius. »Allerdings nach einem schlechten.«

»In der Tat«, stimmte Bellzazar zu. »Denn sie werden Alarm schlagen und ausschwärmen, außerdem müsst Ihr allein durch den Kerker wieder zurück.«

Desiderius überdachte ihre Möglichkeiten, aber eine bessere Idee kam auch ihm nicht. Entschlossen streckte er seine Hand aus.

Bellzazar verstand und gab ihm die Phiole mit dem Gift.

Sie nickten sich noch einmal zu und Bellzazar sagte zuversichtlich: »Wir treffen uns bei den Pferden.«

Desiderius hoffte es, denn er hatte nicht vor, heute zu sterben.

Er blieb im Schatten, als Bellzazar wieder verpuffte und kurz darauf Gestalt auf dem Dach annahm. Sein Umhang umhüllte ihn nun komplett. Erst passierte gar nichts, doch schließlich wurde die schwarze Gestalt auf dem Dach bemerkt.

Die Wachen brüllten und Bellzazar lief los. Chaos brach aus.

Dieser Moment war Desiderius’ einzige Gelegenheit, die Soldatenvorräte unbemerkt zu erreichen. Er rannte über den vereisten Hof zu der unscheinbaren Holztür.

Schlitternd kam er zum Stehen. Er packte den Türriegel, doch dieser bewegte sich nicht.

Hektisch rüttelte er daran, doch es änderte nichts an der Tatsache, dass die Tür verschlossen war.

Desiderius verfluchte sich innerlich, er hätte es vorhersehen müssen.

Er könnte die Tür ohne weiteres aufbrechen, doch niemand durfte bemerken, dass jemand bei den Vorräten war. Die kommenden Ereignisse durften nicht auf einen Einbruch zurückzuführen sein. Es musste alles nach einem Unglück aussehen und nicht nach einem hinterhältigen Anschlag.

Desiderius trat frustriert gegen die Tür. Er hörte die Glocke, die weitere Wachmänner alarmierte, er hörte die Rufe und herannahende Stiefel, die über den vereisten Boden rannten.

Nervös blickte er sich nach einer anderen Möglichkeit um, denn er wollte nicht gehen, ohne den Auftrag durchgeführt zu haben.

Sein Blick fiel auf den Brunnen in der Mitte des Hofes, der vom grellen Mondlicht angestrahlt wurde, als zeigten die Götter auf ihn, damit Desiderius ihn erblickte.

Zweifelnd blickte er auf die Phiole in seiner Hand. Sie hatten nur den Auftrag, die Soldaten zu schwächen. Der Brunnen hingegen war für alle Bewohner und sogar für die umliegenden Dörfer zugänglich. Das Wasser dort war das einzig trinkbare Wasser im Gebirge, weil der Brunnen bis tief in den Berg reichte, wo das Wasser durch Gestein gefiltert wurde.

Verdammt, das übertraf nun wirklich alles an Boshaftigkeit. Doch die Wachen nahten, und er musste sich schnell entscheiden.

Er stampfte zum Brunnen und riss dabei den Verschluss aus Wachs auf.

Am Brunnen angekommen kippte er die grünliche Flüssigkeit in das Wasser. Dort würde es sich auflösen und nicht mehr zu sehen sein, sobald die Leute es tranken oder zum Kochen benutzten.

Sein Gewissen lastete schwer auf ihm, aber er schob die unschuldigen Opfer vorerst beiseite, als er das Klimpern der Rüstungen der Wachen hörte. Gleich würden sie um die Ecke biegen.

Er wandte sich ab und verschwand unbemerkt in der Tür zum Kerker.

Dort war es jedoch auch nicht ungefährlicher. Bereits nach der ersten Treppe musste er zwei Wachen ausweichen und sich unter einer Folterbank verstecken. Er kniete in Blut und anderen Ausscheidungen eines kürzlich gefolterten Opfers.

Der Alarm hatte auch die Wachen im Kerker aufgeweckt, was es ihm erschwerte, unbemerkt wieder zu verschwinden. Zumal er sich zweimal verlief, ehe er den richtigen Weg nach draußen fand.

Der klare Sternenhimmel wirkte unpassend ruhig, als er einige Zeit später aus der Ruine heraustrat und durch den Schnee auf den Waldrand zu stampfte. Er fühlte sich schlecht wegen dem, was er getan hatte. Andererseits mussten einige schwere Entscheidungen getroffen werden, um die restlichen Völker zu schützen. Eiskalte Berechnung, darin war er gut.

Was er getan hatte, war schlimm, aber Krieg wäre es auch.

Bellzazar wartete schon im Schatten des Waldes auf ihn. Er saß im Sattel auf seinem schwarzen Hengst und hielt die Zügel von Desiderius’ Rappen in der Hand.

Es fing wieder zu schneien an, aber dieses Mal begrüßte Desiderius die weißen Flocken, sie würden ihre Spuren bis zum Morgengrauen verschwinden lassen.

Lächelnd übergab Bellzazar ihm die Zügel.

Desiderius schwang sich in den Sattel und riss die Zügel herum. »Los, lasst uns von hier verschwinden.«

»Habt Ihr es geschafft?«, fragte Bellzazar.

Desiderius schüttelte den Kopf. »Die Tür war verschlossen.«

Die Mimik des Halbgottes verdüsterte sich wütend. »Dann habt Ihr nicht den Kornspeicher der Soldaten vergiftet?«

»Nein«, bestätigte Desiderius. »Aber das Brunnenwasser.«

Der Halbgott stockte verwundert.

»Die Tür war verschlossen, was hätte ich machen sollen?«, fuhr Desiderius ihn an, weil er glaubte, verurteilt zu werden. »Hätte ich sie aufgebrochen, wären sie stutzig geworden und hätten das Korn vielleicht nicht angefasst. Oder schlimmer noch, sie hätten gewusst, dass jemand sie absichtlich vergiftet hat. Jetzt ist das Gift im Trinkwasser, sie werden krank werden und einige werden sterben, das ist das, was wir beabsichtigt haben, oder nicht? Ich habe nur meine Aufgabe erfüllt.«

Zu seiner eigenen Überraschung lächelte der Halbgott ihn beeindruckt an. »Ich verurteile Euch nicht, ich habe Euch nur nicht zugetraut, dass Ihr unschuldige Opfer in Kauf nehmt.«

»Ein Mann muss tun, was er für sein Volk und sein Land tun muss«, murmelte Desiderius.

Plötzlich entflammte eine Fackel auf der Mauer und sie hörten Rufe der Wachen, die durch die Ruine streiften, auf der Suche nach dem nächtlichen Besucher.

»Los, verschwinden wir«, beschloss Bellzazar und trieb sein Pferd in den Galopp.

Desiderius ritt ihm mit gleicher Geschwindigkeit hinterher.

Die Hufe ihrer Pferde donnerten auf den Boden, Schnee wirbelte auf, während sie schnell den Berg hinab galoppierten. Desiderius verlor einen seiner Dolche, der sich durch den holprigen Galopp aus der Vorrichtung gelöst hatte. Aber obwohl es eine recht wertvolle Klinge war, achtete er gar nicht weiter darauf, er wollte nur schnellstmöglich verschwinden.

Sie benutzten keine Wege, sondern ritten quer durch den Wald, um es möglichen Verfolgern zu erschweren, ihnen zu folgen.

Als sie in die Tiefen Wälder gelangten, schnaubten ihre Pferde bereits außer Atem, sie selbst keuchten ebenfalls angestrengt. Tiere und Reiter waren erschöpft wegen des gefährlichen, hastigen Rittes, der sie bergab über vereiste Wurzeln und verschneite Blätterhaufen geführt hatte.

Es war noch immer mitten in der Nacht und sie waren noch immer im Gebirge, aber weiter im Westen und wieder in den Tiefen Wäldern, in denen sich nur die zu recht fanden, die darin aufgewachsen waren.

»Wir sollten hier lagern«, schlug Bellzazar vor. »Schonen wir unsere Kräfte für den Heimritt.«

Desiderius stimmte zu: »Suchen wir uns einen kleinen Unterschlupf, es ist zu riskant, ein Feuer zu entfachen oder das Zelt aufzuschlagen.«

Bellzazar nickte zustimmend.

Sie glitten beide aus ihren Sätteln und führten ihre Pferde an den Zügeln durch den Wald, auf der Suche nach einer Höhle oder einem höhlenähnlichen Felsvorsprung.

Nur wenig Zeit später saßen sie Schulter an Schulter aneinander gedrängt unter dem Vorsprung eines Felsens. Reichlich Schnee fiel vom Himmel und versperrte ihnen die Sicht. Das grelle Mondlicht des Vollmondes strahlte auf den schneebedeckten Boden und erhellte den Wald. Es blendete in Desiderius’ Augen, der sich mit grübelnder Miene den Umhang noch enger um die Schultern zog.

Bellzazar rückte noch näher an ihn heran, Wärme strahlte von seinem Körper ab und vertrieb die äußere Kälte, doch innerlich fröstelte Desiderius noch immer, egal, wie nahe ihm der Halbgott kam.

Er hatte ja schon viele fragwürdige Dinge getan. Desiderius hatte gestohlen, er hatte Adelige überfallen, junge Mädchen mit seiner Klinge bedroht, bis ihre Väter ihn für ihre unversehrte Rückgabe bezahlten. Er hatte gelogen, betrogen und in einigen Fällen auch getötet, nur um selbst zu überleben. Aber was er auf der Schwarzfelsburg getan hatte, ließ ein großes Stück des Mannes sterben, der er vielleicht tief im Inneren Mal war. Der Mann mit Träumen und den man wohl als menschlich bezeichnen würde, weil er Gefühle zulassen konnte. Aber mittlerweile war er nur noch das, was die Welt und die Erfahrung aus ihm gemacht haben. Ein berechenbarer Mistkerl. Kalt. Gefühllos. Nur noch für fragwürdige Drecksarbeit zu gebrauchen, die kein Ehrenmann je freiwillig tun würde.

Wie viele Kinder und Frauen würden wohl sterben, sobald das vergiftete Wasser herumgereicht wurde?, fragte er sich.

Im gleichen Moment, als hätte er seine Gedanken mit anhören können, legte Bellzazar ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter und drückte aufmunternd zu.

Desiderius zog die Beine an, umschlang sie mit den Armen und legte das Kinn auf seine Knie. Er blickte seinen Weggefährten nicht an, sagte auch nichts. Aber zu seiner eigenen Beschämung stellte er fest, dass ihm Bellzazars Geste Trost spendete.

Desiderius schloss die Augen und schob die Schuld Beiseite, wie er es immer tat, wenn ihm etwas schwer im Magen lag. Er konnte es nicht mehr ändern und selbst wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er es trotzdem wieder tun. Für Nohva, für seinen König, für sein Volk. Irgendjemand musste es tun, irgendwer musste den Aufstand schon im Keim ersticken, und Desiderius tat solch wichtige Dinge sowieso lieber selbst, damit sie auch gemacht wurden. Letzten Endes brachte es ihn also nicht weiter, sich schuldig zu fühlen, er war einfach der Mann für solcherlei Aufträge.

Der Mann ohne Ehre. Von ihm aus konnten sie ihn ruhig alle so nennen, doch änderte es nichts an der Tatsache, dass er es war, der einen verheerenden Krieg verhindert hatte.

Entspannter atmete er aus und blickte durch den Schneevorhang in den Wald, dessen schneebedeckter Boden im Vollmondlicht mystisch leuchtete.

Mit seinen letzten Überlegungen war ihm eine Idee in den Sinn gekommen, die nach und nach immer mehr Gestalt annahm. Das hier war sicher nicht der letzte solcher Aufträge, vor allem dann, wenn Prinz Karic König wurde und er seine wahnwitzigen Vorstellungen von einem freien Land in die Tat umsetzen wollte. Er würde Hilfe von Männern wie Desiderius benötigen, die ohne zu zögern bereit waren, für den Frieden und die Freiheit zu töten.

»Ihr wirkt immer so verschlossen und kalt.« Bellzazars Stimme war nicht mehr als ein fragender Lufthauch, der zu Desiderius herüber wehte. Die Hand des Halbgottes wanderte von seiner Schulter zu seinem Nacken, umfasste ihn und massierte die Verspannungen darin, die niemals verschwanden. »Ich frage mich, was Euch passiert ist, wer Euch derart verletzt hat, dass Ihr beschlossen habt, nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu fühlen.«

Das war eine Frage, über deren Antwort Desiderius nicht nachdenken wollte. Unweigerlich wanderten seine Erinnerungen Jahre zurück, als er gerade junge achtzehn Jahre alt war, im gleichen Alter wie Prinz Wexmell jetzt, und genauso dumm und naiv.

Er schüttelte über sich selbst den Kopf, weil es ihn noch immer verletzte, dass es keine Liebe oder Hoffnung in dieser Welt gab.

Er schüttelte die Erinnerung ab. Was blieb waren geschickte Finger, die mit kreisenden Bewegungen seinen Nacken lockerten, und ein unbehagliches Gefühl, weil er nicht wollte, dass ihm das magische Wesen zu nahe kam.

Desiderius wollte sich der Berührung entziehen, doch er war wie in Trance und brachte es nicht über sich.

Um sich von Erinnerungen an vergangene Liebschaften, die ihn gebrochen hatten, und um sich von den geschickten Fingern, die ihn entspannten, abzulenken, wandte er dem Halbgott das Gesicht zu und fragte: »Wieso habt Ihr dem König vorgeschlagen, mir einen wichtigen Posten anzubieten? Was habt Ihr davon, wenn ein einfacher Bastard für den König arbeitet?«

Bellzazars markante Gesichtszüge wurden vom Mondlicht angestrahlt. Er begann schief zu lächeln, als er erwiderte: »Erstens, seid Ihr kein einfacher Bastard, sondern ein fähiger Kämpfer mit viel Potential. Und Zweitens, wohnt Euch eine Magie inne, die ich ungern aus den Augen verlieren würde.«

Desiderius runzelte irritiert seine Stirn. »Was?«

Magie. In Ihm.

»Ist Euch bei dem Ritt ein Ast gegen den Kopf geknallt?«, fragte Desiderius scherzend.

Bellzazar lachte belustigt auf, er ließ die massierende Hand fallen.

»Wie meint Ihr das?«, hakte Desiderius ungeduldig nach, nachdem der Halbgott seine Worte nicht erklärte, sondern einfach nur in den Wald hinausblickte.

»Magie?«, schnaubte Desiderius und lachte ungläubig auf. »In mir?«

»In jedem Lebewesen steckt Magie«, warf Bellzazar ein. »Nicht nur in Hexen und Halbgöttern. Auch in Tieren, in Menschen ... vor allem in Luzianern.«

»Und was stimmt mit meiner nicht?«, fragte Desiderius. Ihm gefiel es nicht, dass der Halbgott etwas andeutete, was in ihm wohnte, von dessen Existenz er selbst nichts gewusst hatte.

Ohne ihn anzusehen, erklärte Bellzazar mit grübelnder Miene: »Die Macht, die Euch innewohnt, habe ich seit Jahrtausenden nicht mehr gespürt.«

Geliebter Prinz

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