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ОглавлениеAm späten Nachmittag war Desiderius längst wieder auf der Burg. Tänzelnd sprang er auf der hohen Steinmauer herum, die sich um den grünen Burggarten schloss. Er schwang sein Schwert, baute seine Kampftechniken aus, betrachtete dabei gelegentlich seinen Schatten, der seine eleganten Bewegungen widerspiegelte.
Die Frühlingssonne brannte auf ihn herab und sein schwarzes Haar, das von stürmischen Windstößen zerzaust wurde, speicherte die Wärme. Er schwitzte, während er seine Übungen absolvierte und sein Gleichgewicht trainierte. Er stieß und schlug nach unsichtbaren Gegnern und spürte dabei die Augenpaare einiger Burgwachen auf sich, die seine Wendigkeit bestaunten.
Unter ihm im angelegten Garten graste sein Rappe. Schnaubte, schwang seinen Schweif und schüttelte seine schwarze Mähne.
Desiderius hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn wieder in die Ställe zu bringen.
Das Pferd im Garten hatte seine Stiefmutter so sehr aufgeregt, dass sie einen Tobsuchtsanfall bekommen hatte. Es war ihm gleich, er würde den Hengst trotzdem im Garten stehen lassen.
Lord M’Shier hatte seine Gattin schließlich mit strengen Worten zurechtgewiesen und beschlossen, dass Desiderius den Garten als Weide nutzen durfte.
Schmunzelnd erkannte Desiderius, dass ihm seine neugewonnene Position ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. Offenbar war der Lord nicht gut auf seine Gattin zu sprechen, und das kam nun Desiderius zu Gute. Ihm war das nur Recht. Es gab genug Groll, den er gegen seine Stiefmutter hegte und er hatte vor, jede Gelegenheit zu nutzen, um ihr zu zeigen, dass Lord M’Shier nun auf seiner Seite stand. Jedenfalls vorerst.
Allerdings konnte Desiderius seiner Mutter nicht wirklich einen Vorwurf aus ihrer Abneigung ihm gegenüber machen, immerhin war sie gezwungen gewesen, ihn, den unehelichen Sohn und Beweis für die Untreue ihres Mannes, großzuziehen. Dennoch mochte er weder sie noch ihren Sohn, seinen Bruder. Sie drei hatten einfach zu verschiedene Ansichten. Für sie zählten Reichtum und Status, wovon er selbst nicht viel hielt. Umso schöner war es, den eigenen Vater nun endlich auf seiner Seite zu wissen. Aber Desiderius wusste natürlich auch, dass sein Vater jeglichen Respekt vor ihm verlieren würde, sobald er das Angebot endgültig ausschlug und einfach ging.
Aber wollte er das wirklich?
Er spürte die neue Präsenz in seinem Rücken, noch bevor diese ein Geräusch gemacht hatte.
Desiderius fuhr herum und streckte dem Neuankömmling auf der Mauer das Schwert entgegen. Die Spitze der Klinge kam nur einen Fingerbreit vor der Kehle des Mannes zum Stehen.
Leicht lehnte sich der Mann mit dem ebenfalls kurzen und dunklen Haar zurück, um der Klinge auszuweichen, doch er schien weder erschrocken noch wirklich beunruhigt zu sein. Er hatte damit gerechnet.
Seine kühlen, dunklen Augen wurden schmal und er schmunzelte beeindruckt. »Ihr seid sehr wendig, Desiderius.«
»Bellzazar!«, stieß Desiderius aus und grinste verschwörerisch.
Das Wesen vor ihm sah aus wie ein gewöhnlicher Mann, doch jeder Luzianer wusste, wer er war. Ein Halbgott. Seine Mutter war einst eine Göttin gewesen, sein Vater ein Dämon aus der Unterwelt. Ein Wesen, dazu auserkoren, als Schutzgott an Seiten des Königs zu stehen, um seine Loyalität zu beweisen.
Solange Bellzazar in der Nähe war, konnte dem König fast nichts geschehen, denn der Halbgott kannte Schutzzauber, die kein Zauber überwinden konnte. Und es war im Interesse des Halbgottes, den König am Leben zu erhalten, denn erst wenn er seine Aufgabe auf Erden erfüllt hatte, gewährte man ihm Zutritt in das Reich der Götter. Bis dorthin war er verdammt, Jahrhundert um Jahrhundert in der sterblichen Welt zu wandern. Sterben konnte er nicht und tötete man ihn, wachte er irgendwann und irgendwo wieder auf und kehrte zurück. Unsterblichkeit war ein Fluch, kein Segen, das wussten alle Luzianer. Nach Jahrtausenden seines Daseins hatten die Luzianer deshalb entschieden, für den verstoßenen Halbgott Bellzazar eine Abmachung mit den Göttern zutreffen. Er sollte seinen Wert beweisen und durfte dann in das Götterreich. Bellzazar war an das Wort des Königs gebunden.
Desiderius traute dem Wesen nur soweit, wie er es sehen konnte, doch in gewisser Weise waren sie sich gleich. Beide wurden einst verstoßen, weil sie aus einer unüberlegten Liebschaft entstanden waren.
Schwer atmend vor Anstrengung, senkte er seine Klinge. »Was tut Ihr hier?«
»Ich kündige die Königsfamilie an«, berichtete Bellzazar und vollführte spöttisch einen übertrieben dargestellten Knicks.
Desiderius schmunzelte kurz auf, ehe er sich umsah. »Ist er schon da?«
»Nein, aber bald«, antwortete der Halbgott.
Ruhig ließ Desiderius eine neugierige Musterung über sich ergehen. Er wusste, was folgen würde. Es war unvermeidlich, dass geschah, was immer geschah, wenn sie sich trafen.
Als Bellzazar seine hinter dem Rücken versteckten Hände lockerte und zur Seite fallen ließ, hielt er bereits ein Langschwert in der einen Hand.
Schmunzelnd schwang der Halbgott angeberisch das Schwert vor sich, um sein Können zu demonstrieren.
»Wollen wir?«, fragte er dann gelassen, als wollte er Desiderius zu einem Mahl im Speisesaal geleiten.
Desiderius hob seinerseits das Schwert. »Dieses Mal verliert Ihr!«
Bellzazar sprang blitzschnell auf ihn zu.
Desiderius parierte die schnell aufeinander folgenden Schwerthiebe und wich dabei leichtfüßig zurück. Ihre Schwerter klirrten, als sie mehrfach aufeinandertrafen.
Bellzazar nahm wieder Abstand. Der dunkelhaarige Mann war muskulös und ebenso wendig wie Desiderius. Sie standen sich körperlich in nichts nach. Zwei athletische Männer mit starken Armen und breiten Schultern. Doch der Halbgott hatte jahrtausendlange Erfahrung und er war zudem unmenschlich schnell und stark. Sich mit ihm zu messen und länger als zwei Herzschläge aufrecht zu stehen war ein Beweis in das eigene Können.
»Gut«, lobte der Halbgott gedehnt. »Eure Beinarbeit ist viel besser geworden seit dem letzten Mal.«
»Ich habe inzwischen geübt«, gab Desiderius grinsend zurück.
Er war es nun, der auf den Halbgott zusprang und angriff.
Bellzazar parierte die Schläge, er wirkte gelassen, fast gelangweilt, während er zurückwich. Doch er nutzte eine günstig gelegene Chance, schlug mit seinem Schwert so hart gegen Desiderius’ Klinge, dass dieser ins Straucheln geriet und seine Deckung fallen ließ.
Bellzazar schwang sein Langschwert und Desiderius konnte die Schläge mehr schlecht als recht abwehren.
Der Halbgott sprang wendig an ihm vorbei, als er einen Gegenschlag versuchte. Desiderius’ Hieb ging daneben und er kam auf der schmalen Mauer ins Wanken.
Gerade noch rechtzeitig hatte er das Gleichgewicht wiedergefunden und sich umgedreht, denn Bellzazar sprang erneut auf ihn zu und drängte ihn mit schnellen Hieben immer weiter zurück. Es klirrte laut, als sich die Schwerter trafen und gegeneinanderdrückten. Desiderius wurde zurückgeschoben bis sein Rücken schmerzhaft über ein erhöhtes Mauerstück gedrängt wurde. Seine eigene Schwertklinge näherte sich seiner Kehle, während er versuchte, das andere Schwert samt Gegner von sich zu stoßen.
Mit großen Augen lugte er nach unten und erkannte den tiefen Boden außerhalb des Burggartens. Einige Steine lösten sich von der Mauer und fielen in die Tiefe. Er konnte nicht sehen, wie sie aufkamen.
Wenn er nicht die Oberhand gewann, würde sein Körper in das Geäst eines toten Waldgebiets fallen und aufgespießt werden.
Bellzazars triumphierendes Grinsen schob sich auf ihn zu. »Ich habe gehört, Ihr seid anerkannt worden, Lord M’Shier.«
»Ich bin kein Lord«, presste Desiderius durch die Zähne.
»Noch nicht.«
Die Arroganz des anderen machte ihn wütend und gab ihm die Kraft, den Halbgott mit einem kräftigen Ruck zurückzustoßen.
Bellzazar verlor kurz das Gleichgewicht, fing sich aber schnell wieder, nachdem er auf einem Bein herumgetänzelt war. Herausfordernd grinsend hob er wieder seine Klinge.
Desiderius drängte ihn mit einigen Hieben drei Schritte zurück, sprang aber dann selbst wieder auf Abstand, weil er wusste, dass er mit Taktik, statt Angriffslust vorgehen musste. Austesten. Beobachten. Schwächen finden.
Schwer atmend standen sie sich gegenüber.
Der Halbgott nickte ihm zu, als er feststellte: »Eure Wut deutet wohl daraufhin, dass Ihr das Angebot Eures Vaters nicht freudig aufgenommen habt.«
Desiderius musste drei Hiebe abwehren und nutzte eine günstige Gelegenheit, um sofort darauf Bellzazar wieder zurückzudrängen.
Nachdem er erneut außer Reichweite gesprungen war, wischte er sich den Schweiß mit dem Unterarm von der Oberlippe und antwortete: »Ich werde es wohl nicht annehmen.«
Bellzazar schnaubte kopfschüttelnd. »Wie dumm von Euch.«
Schnell schlug Desiderius mit dem Schwert nach ihm, da er glaubte, Bellzazars Verteidigung wäre durchbrochen.
Aber er hatte sich getäuscht.
Statt einen Vorteil zu erzielen, schlug der Halbgott ihm fast das Schwert aus der Hand, packte seinen Arm, drehte sich mit ihm auf der Mauer herum, bis sie wieder die Seiten gewechselt hatten, und zwang ihn wieder auf Abstand, indem er Desiderius den Knauf seines Schwerts in den Nacken schlug.
Desiderius grunzte auf und taumelte wegen des Schmerzes, der sich in seinem Kopf und Rücken ausbreitete. Noch bevor er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, streckte Bellzazar sein Schwert aus und legte die messerscharfe Klinge an Desiderius‘ Kehle. Doch Desiderius hatte es kommen sehen und die gleiche Bewegung ausgeführt.
Nun starrten sie sich schwer atmend und mit verschwitzten Gesichtern an, beide mit einer fremden Schwertklinge am Hals. Ein falscher Schritt und sie würden beide von der Mauer stürzen. Aber nur Desiderius würde dadurch den Tod finden.
»Warum eine solche Gelegenheit ablehnen?«, fragte Bellzazar neugierig, er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Ihr könntet Euch damit an Eurem verhassten Bruder und Eurer Stiefmutter rächen.«
»Der Preis dafür ist mir zu hoch«, erklärte Desiderius gepresst, er hatte Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu halten.
Doch Bellzazar wusste: »Ihr habt einfach Angst, das ist alles.«
Desiderius‘ Gesichtszüge verhärteten sich.
Grinsend stellte der Halbgott richtig fest: »Auf Reisen könnt Ihr tun und lassen, was Ihr wollt. Niemand kümmert es, was ein Bastard treibt. Da draußen in der Welt müsst Ihr Euch nur mit Euch selbst befassen. Bleibt Ihr hier, sind alle Augen auf Euch gerichtet. Kritisch. Ihr werdet Feinde in den engsten Kreisen haben. In der Wildnis wisst Ihr, welche Gefahren drohen, in einer Burg seht Ihr sie nicht kommen. Ihr habt einfach Angst. Ihr seid ein Feigling, nichts weiter.«
Desiderius’ Atem ging plötzlich nicht nur wegen der Anstrengung schwer, sondern auch weil er es nicht mochte, dass man aus ihm las, wie aus einer offenen Schriftrolle.
Ablenkend fragte er: »Wollt Ihr nur faseln oder kämpfen wir nun endlich?«
Bellzazar holte ohne Vorwarnung aus.
Mit aufgerissenen Augen lehnte sich Desiderius noch weiter zurück, um dem Hieb auszuweichen. Sein Oberkörper schwebte für den Bruchteil eines Augenblicks über dem Rand der Mauer. Er duckte sich unter dem Schwerthieb hindurch, drehte sich, versetzte seine Füße und schaffte es gerade so, sein Gleichgewicht zu finden.
Er war über sich selbst erstaunt, als er erkannte, dass er mit beiden Füßen immer noch fest auf der Mauer stand.
Bellzazar hatte eine Pirouette vollführt und sprang sofort danach mit einem kriegerischen Aufschrei auf Desiderius zu.
Geschickt wehrte Desiderius die Hiebe ab, wurde aber immer weiter die Mauer entlang gedrängt. Bellzazar kam jetzt erst richtig in Schwung. Doch Desiderius hatte Dank des Manövers nun noch mehr Vertrauen in seinen Körper gefasst. Er würde nicht von der Mauer fallen, da war er sich sicher.
Ein spektakulärer Kampf entstand, der von den Wachen mit großer Begeisterung beobachtet und bejubelt wurde. Aus jeder Ecke der Burg drängten sich Gesichter der Bediensteten, die dieses Duell nicht verpassen wollten.
Bellzazar und Desiderius schenkten sich nichts. Zum ersten Mal waren sie gleichberechtigte Gegner. Ihr Schwertkampf verlangte beiden ihr bestes Können ab.
Ihre leichten Leinenhemden hingen in Fetzen, der weiße Stoff wies Blutflecken auf. Beide hatten Schnittwunden an Armen und Rücken. Schweiß rann an ihren strammen Körpern hinab, machte ihre Kleidung feucht und ihre Haut glitschig. Sie keuchten außer Atem. Aber ein Aufgeben kam ihnen nicht in den Sinn. Das Duell endete erst, wenn ein Sieger feststand.
Zu seiner eigenen freudigen Überraschung, gewann Desiderius die Oberhand. Er schlug mit einem gezielten Schlag dem Halbgott das Schwert aus der Hand; es kam unweit von ihnen klirrend auf der Mauer zum Liegen.
Desiderius trat seinem Kontrahenten die Beine fort und baute sich triumphierend über ihm auf, als dieser mit einem Grunzen auf den Rücken fiel.
Keuchend, aber grinsend zeigte Desiderius mit der Spitze seiner Klinge auf die Nasenspitze des Halbgottes. »Ihr seid besiegt.«
Bellzazar legte zweifelnd den Kopf schief.
Noch bevor Desiderius reagieren konnte, packte Bellzazar seinen Fußknöchel und brachte ihn zum Straucheln.
Der Halbgott sprang zurück auf die Füße, packte Desiderius’ Arm und drehte ihn mit einem Ruck nach hinten.
Vor Schmerzen aufschreiend ließ Desiderius sein Schwert fallen, weil sich seine Hand ohne sein Zutun öffnete. Er spürte ein Knie, das sich in seinen Rücken bohrte, und eine Hand, die in sein Haar fasste, zupackte und ihn zurückriss. Plötzlich hatte er eine Dolchklinge an der Kehle.
Triumphierend flüsterte der Halbgott ihm ins Ohr: »Ihr seid besiegt.«
Keuchend stellte Desiderius fest: »Ihr kämpft ungerecht.«
»Merkt Euch das, Bursche«, erwiderte Bellzazar. »Männer, die um ihr Leben kämpfen, kämpfen stets ungerecht.«
»Ich werde es nicht vergessen«,
»Braver Junge.«
»Bellzazar!«, rief eine milde tadelnde Stimme zu ihnen hinauf.
Als sie sich dem Mann zuwandten, der unterhalb der Mauer stand und zu ihnen hinaufblickte, bemerkten sie erst, dass sie während ihres Kampfes dem Mauerverlauf bis zum Vorderhof gefolgt waren.
Die Tore standen offen und purpurfarbene Kutschen und eine Schar Ritter in glänzenden Rüstungen auf gestriegelten Rössern versammelten sich nach und nach im Burghof.
»Lass den Jungen los, Bellzazar«, trug der Mann dem Halbgott auf, ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen, während er zu ihnen aufsah. Er war ein großer, imposanter Mann mit blondem Haar, blauen Augen und einem stattlichen Körperbau. Ein Mann, vor dem man Respekt hatte. Er trug recht einfache Kleidung, nur ein Leinenhemd und eine dunkle Lederhose, doch sein purpurfarbener Samtumhang zeugte von königlichem Auftreten.
Bellzazar ließ Desiderius los, der sofort seinen Hinterkopf rieb, weil der Halbgott ihm einige Haare ausgerissen hatte.
Bellzazar neigte das Haupt in Richtung des Mannes. »Mein König.«
Damit wandte er sich ab, hob sein Schwert auf und ließ Desiderius allein auf der Mauer zurück.
Etwas peinlich berührt, weil er vor den Augen des Königs versagt hatte, schluckte Desiderius schwer und blickte befürchtend auf den König hinab.
Dieser lächelte nur milde, neigte sein Haupt zum Gruße, obwohl er es als König nicht tun musste, und wandte sich dann ab. Sein Umhang schleifte auf dem Boden und wehte ihm hinterher.
Desiderius hob sein Schwert auf und lief die Mauer entlang, bis er zurück im Garten war. Dort kletterte er hinunter und eilte schnell durch die grünen Büsche. Er würde keine Zeit mehr haben, um sich umzuziehen und sich das Blut abzuwaschen, aber der Ärger, wenn er zu spät käme, wäre noch größer. Er musste neben seinem Vater stehen, sobald der König die Halle betrat.
Er wollte fortlaufen, statt in die Burg zurückzukehren. Und doch war es ihm wichtig, nach der Blamage auf der Mauer, dem König zu zeigen, dass er mittlerweile ein Mann und kein stures Kind mehr war. Desiderius wollte vom König als vollwertiger Mann angesehen werden. Mehr noch, als er sich wünschte, dass sein Vater stolz auf ihn war.
***
»Wie siehst du denn aus?« Seine Stiefmutter schnappte schockiert nach Luft und hob die Hand zu ihren schmalen Lippen. »Seht ihn euch an! Ein erwachsener Mann und doch so unkontrollierbar wie ein Bengel! Woher hast du diese Wunden? Warum ist dein Hemd zerrissen?«
Desiderius hätte ihr gern gesagt, dass sie nicht so hysterisch sein sollte, er hatte nur in einem Duellkampf verloren und sich nicht in Dreck gesuhlt.
Sein Vater unterbrach jedoch jede Diskussion, indem er sagte: »Egal, vergesst das, wir sprechen später darüber.«
»Aber ... er muss sich umziehen! Sich das Blut abwaschen!«, warf seine Stiefmutter ein.
»Und den Schweiß«, mischte sich auch sein Bruder ein und hielt sich angewidert die Nase zu.
»Hast du mit einem Puma gekämpft?«, fragte seine Schwester aufgeregt.
Desiderius lachte amüsiert über ihre kindliche Fantasie.
»Schluss jetzt«, unterbrach der Lord das Durcheinander. »Desiderius wird sich waschen und umziehen, sobald wir den König in Empfang genommen haben. Ende der Diskussion. Und jetzt kommt, die königliche Familie wartet sicher schon auf uns.«
Sie verstummten, als er ihnen mit großen Schritten vorausging.
Desiderius musste noch einen missbilligenden Blick seines Bruders über sich ergehen lassen, dann folgte auch er.
Sie traten aus der großen Halle und schritten die Stufen zum Hof hinunter.
Der König hatte den Hof schon für sich eingenommen und rief Befehle von einem zum nächsten Ritter, die außerhalb der Burg ihre Zelte aufschlagen mussten. Die Pferde sollten im Burgstall untergebracht werden, weshalb der König dem Stallmeister ganz gewissenhaft eintrichterte, wie er die königlichen Rösser zu behandeln hatte. Währenddessen stiegen nach und nach die Kinder aus den Kutschen.
Der König erblickte die Familie M’Shier und nickte ihnen lächelnd zum Gruß zu, doch er ließ den Lord der Burg solange warten, bis er seinen Untergebenen alle Befehle erteilt hatte. Der König war ein geschäftiger Mann, der alles selbst in die Hand nehmen wollte.
An den Ställen erblickte Desiderius Bellzazar, der unter dem niedrigen Dach an einem Gatter lehnte und provozierend zu ihm rüber grinste. Er freute sich stets darüber, wenn er einen Kampf gewonnen hatte. Und er war sich nicht zu schade, Desiderius mit dessen Niederlage zu reizen. Sie lieferten sich ein Blickduell, das vermutlich in den nächsten Tagen zu einem weiteren Schwertkampf ausarten würde.
Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Schulter, die sein zerfetztes Hemd packte und ihn zur Seite zog. Überrascht stellte er fest, dass sein Vater ihn an seine Seite befördert hatte.
Aber nicht nur Desiderius starrte den Lord fassungslos an, auch die restlichen Familienmitglieder. Für gewöhnlich stand sein Vater rechts neben seiner Gattin in der Mitte. Neben seiner Frau stand ihre gemeinsame Tochter Silva und neben dem Lord selbst stand sein ehelicher Sohn Arerius. Erst dann kam Desiderius, der mit etwas Abstand neben seinem Bruder stehen musste. Aber heute haben die Brüder die Plätze getauscht.
Lord M’Shier blickte mit stolz erhobenem Kinn dem König entgegen, der mit seiner großen Familie auf sie zukam. Er ignorierte die fragenden Blicke seiner Frau.
»Was soll das?«, zischte Arerius leise zu Desiderius.
Desiderius wandte sich ihm zu und erwiderte ebenso leise: »Fauch mich nicht so an, das war nicht meine Idee.«
»Was meinst du damit?«
»Meine Position neben unserem Vater«, brummte Desiderius zurück und ließ offen, ob er das im wörtlichen oder übertragenden Sinne meinte.
»Eure Majestät!«, sagte der Lord und verbeugte sich tief.
Seine Familie, einschließlich Desiderius, wiederholten diesen Gruß und verbeugten sich genauso tief vor der königlichen Familie.
»Lord und Lady M’Shier«, grüßte der König zurück und neigte milde lächelnd sein blondes Haupt.
»Fräulein Silva«, begrüßte er Desiderius’ kleine Schwester.
»Arerius«, wandte er sich vertraut an den ältesten Sohn der Familie.
Und schließlich blieben seine Augen an Desiderius hängen. Sie kannten sich seit Desiderius geboren wurde, sahen sich jedes Jahr, und doch wirkte es nun, als betrachtete der König einen Fremden, den er kritisch musterte.
Er hätte sich vielleicht doch umziehen sollen, ging es Desiderius befürchtend durch den Kopf.
Doch da lächelte der König auf einmal erfreut und reichte Desiderius unter den Augen dessen sprachloser Familie die Hand, an der ein großer, goldener Ring mit einem violetten Stein steckte.
Desiderius starrte zögerlich auf die ihm dargebotene Hand, doch schließlich riss er sich zusammen und nahm sie an.
Der König strahlte ihm voller Freude ins Gesicht. »Und das ist dann wohl der zukünftige Lord des Toten Waldes. Es ist schön, Euch zu sehen, Desiderius.«
»Was?«, riefen seine Stiefmutter und sein Halbbruder wie aus einem Munde. Fassungslos starrten sie den derzeitigen Lord an, doch vor dem König konnten sie keinen Streit beginnen.
Der König beugte sich etwas zu Desiderius und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Schmunzelnd stellte Desiderius fest, dass der König ein listiger Mann sein konnte. Das mochte er so an ihm. Er hatte Sinn für Humor.
Der König ließ seine Hand los, und Desiderius atmete wieder auf.
Zu Lord M’Shier sagte der König: »Darf ich Euch meine wunderschöne Königin vorstellen, Milla Airynn.«
»Eure Majestät«, sagte der Lord und verbeugte sich.
Die wunderschöne Königin hatte ebenso blondes Haar wie ihr Gatte, sie war groß und sehr schlank. Unter ihrem weißen Pelzmantel trug sie ein cremefarbenes Seidengewand. Ihr Gesicht war schmal, sie hatte volle, sinnliche Lippen und große, eisblaue Augen.
»Und das hier ist mein erstgeborener Sohn, Kronprinz Karic«, verkündete der König, nachdem alle die Königin angemessen begrüßt hatten.
Karic war nicht wirklich der Erstgeborene, wusste Desiderius. Der erste Nachkomme des Königs hatte den Namen seines Vaters getragen. Wexmell. Doch dieser ist leider verstorben. Soweit Desiderius wusste, sollten die Gerüchte stimmen, trug nun der jüngste Sohn den Namen des Vaters, damit der seltene Name nicht verloren ging.
Prinz Karic, der nicht viel älter sein konnte als Desiderius, vielleicht fünf, höchstens sechs Jahre, war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit einem Lächeln wandte sich der Kronprinz an Silva und berührte mit den Lippen ihren Handrücken. Silva grinste und wurde augenblicklich feuerrot auf den Wangen.
Desiderius schüttelte belustigt über sie den Kopf. Doch da fiel ihm ein, dass er hier ebenso auf Brautschau war.
Unwillkürlich fiel sein Blick auf die drei blonden Schönheiten, die allesamt wie Drillinge aussahen. Eine jünger als die andere und die Ebenbilder der Mutter.
Sie starrten ihn an, lächelten und tuschelten dabei untereinander.
Er schluckte schwer und fragte sich erneut an diesem Tag, wie er sich da wieder herauswinden konnte.
»Offenbar haben meine Töchter bereits Gefallen an Euch gefunden«, lachte der König an Desiderius gewandt. Der Größe nach stellte er sie vor: »Das sind Myra, Sahra und Nelli.«
Sie hoben ihre silberfarbenen Kleider leicht an und machten für ihn einen Knicks. Sie bewegten sich elegant, keine Frage. Aber jede einzelne von ihnen war einfach zu kostbar und zu edel, um sie zu einem einsamen Leben mit ihm zu verdammen. Er konnte und wollte keine von ihnen glücklich machen. Er musste das Angebot und die Burg ablehnen. Es ging einfach nicht anders. Aber diese Diskussion verschob er auf später. Er musste das mit seinem Vater und dem König allein ausmachen.
Der König räusperte sich und wandte sich um. »Und das sind meine jüngeren Söhne. Nimuhr, Lugain, Zorrtan, Terri, Arthur ...«
Desiderius sah sich gezwungen, vor jedem einzelnen das Haupt zu neigen. Dabei konnte man sie alle wirklich kaum von einander unterscheiden. Sie waren stattliche, blonde Männer mit blauen Augen. Des Königs stolze Ebenbilder.
Der König sah sich suchend um. Fand, was er gesucht hatte und trat einen Schritt Beiseite. Stolz stellte er seinen siebten und letzten Sohn vor: »Und das ist mein jüngster Sohn, Wexmell. Nach mir benannt!«
Desiderius musste ein Seufzen unterdrücken, er hatte genug von dieser Vorstellung und fühlte sich unwohl in seiner Haut. Das hier war nicht seine Welt. Doch da es der letzte war, drehte er sich auch zu diesem um, um sein Haupt voller Ehre zu neigen.
Doch er erstarrte in der Bewegung, als er den jüngsten Sohn erblickte.
Ein süffisantes, freches Grinsen schlug ihm entgegen, das er nicht zum ersten Mal erblickte. Es war der Blonde aus dem Bordell, den er beklaut hatte.
»Es freut mich, wieder hier zu sein, Lord M’Shier«, sagte der Prinz zu Desiderius’ Vater und warf einen amüsierten Blick auf Desiderius’ geschockte Miene. »Das letzte Mal, als ich hier sein durfte, war ich gerade mal sechs Jahre alt, aber Eure Burgfestung hat nicht an Schönheit verloren.«
»Ich erinnere mich«, erwiderte Desiderius’ Vater erfreut. »Ihr wart noch sehr jung, aber immer ein sehr kluger und aufgeweckter Junge, Euer Gnaden.«
»Es freut mich, dass Ihr Euch an mich erinnert«, gab der Blonde zurück und wieder streifte sein Blick Desiderius, diesmal vorwurfsvoll.
Der Kleine hatte gewusst, wer er war. Er hatte ihn an der Nase herumgeführt! Desiderius schimpfte sich einen Narren. Er hätte die blauen Augen und das goldgelockte Haar erkennen müssen. Aber der jüngste Prinz sah mehr der Mutter ähnlich und nicht dem König. Zumal er recht blass und schmal war. Er wirkte fast krank. Außerdem gab es in Nohva viele blonde Schönheiten, das bedeutete nicht, dass sie alle der Königsfamilie angehörten.
Bei den Göttern, fluchte er innerlich und konnte die Erkenntnis, die sich ihm aufdrängte, nicht verdrängen. Er wurde bleich, als er begriff, dass er die Krone bestohlen hatte.