Читать книгу Der verborgene Erbe - Billy Remie - Страница 10

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Nach dem Gespräch mit Arrav, war es für Eagle unmöglich, Schlaf zu finden. Voller Tatendrang wälzte er wieder die Bücher in der Bibliothek, durchforstete Schriftrollen mit allerlei Aufzeichnungen großer Herrscher, um so viel wie möglich über Taktiken und politisches Geschick zu lernen. Er wollte nicht aus einer Laune heraus eine Entscheidung treffen, die für ein ganzes Land viele Konsequenzen haben konnte.

Alles, was er in Zukunft plante, würde Nohvas Schicksal bestimmen. Dabei hatte er oberflächlich betrachtet nur die Wahl zwischen Krieg oder Verhandlung. Er musste abwägen, wo er mit Verhandlungen weiterkam, und wo ihn unweigerlich Krieg erwarten würde. Er hatte gewiss nicht vor, für seine Ansichten noch mehr Leben zu opfern, dann wäre er nicht besser als seine Feinde, jedoch war er nicht so naiv, zu glauben, dass er mit Diplomatie jeden Feind bezwingen konnte. Sie würden ihm wohl kaum die Herrschaft über Nohva überlassen, nur weil er ihnen gute Argumente vorlegte.

Nein, was Eagle brauchte, und was er in den Büchern und Schriftrollen verzweifelt suchte, war etwas, das ihm helfen sollte, weniger Kämpfe als wirklich nötig zu verursachen, um die Krone zurückzuerobern. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch er gab die Hoffnung nicht auf, dass ihm irgendwann ein Geistesblitz treffen würde, der ihm zu einem weniger blutigen Sieg verhalf, wie Desiderius ihn sich erhoffte.

Wenn es nach dem Blutdrachen ginge, würden sie einfach systematisch jeden Feind niederstrecken. Erst die Schavellens, dann Rahff. Doch Eagle fürchtete, dass ihnen dazu die Truppen fehlten. Natürlich waren ihre Feinde geschwächt, doch selbst wenn die Rebellen sich ihnen anschlossen, waren sie zahlenmäßig immer noch unterlegen.

Jedoch waren ihre Männer frische, enthusiastische Kämpfer, während Rahffs und Schavellens Truppen müde und das Kämpfen leid waren.

Ein Sieg war für beide Seiten ungewiss.

Und die Armeen seiner Feinde waren nicht einmal Eagles einzige Sorge. Der Kampf gegen die Dämonen würde ihre Zahl weiter dezimieren. Er musste also genau abwägen, wann sich ein Kampf gegen wen lohnte, denn mit Diplomatie würde er die Dämonen gewiss nicht dazu bringen, zurück in die Unterwelt zu gehen, da hätte er vermutlich sogar mehr Chancen, Rahff die Krone für einen Sack Mehl abzuschwatzen.

Es war keine leichte Aufgabe, das Für und Wieder abzuwägen und einen guten Plan zu schmieden. Zumal Cohen nur vom Kampf gegen die Dämonen sprach, und Desiderius nur daran dachte, Rahff mit Gewalt niederzuknüppeln. Eagles engste Berater und Freunde waren ihm zurzeit also keine große Hilfe, obwohl er ihren Rat natürlich schätze und berücksichtigte.

An der Unterlippe nagend hing er über einem Buch, in dem er über die Schlachtfeldtaktiken der Elkanasai las, verfasst von einem legendären luzianischen General, zu Zeiten eines weniger gefährlichen Konfliktes des Kaiserlands mit Nohva.

In der Geschichte hatten die Elkanasai oft versucht, das heilige Land Nohva zurückzuerobern, von den – in ihren Augen – niederen Menschenvölkern zu befreien, und die Luzianer wieder zu unterjochen. Sie waren jedoch immer wieder kläglich gescheitert. Laut des Generals und Autor des Buchs lag dies an der nohvarianischen Stärke, wobei diese sich fast ausschließlich auf die Einheit der Völker bezog.

Wir sind ein buntgemischter Haufen unterschiedlicher Völker, aber wir sind viele. Viele starke Kämpfer, gegen einen gemeinsamen Feind. Sie können uns nicht bezwingen, weil wir trotz Unterschiede fest zusammenhalten. Weil wir alle ein gemeinsames Ziel haben: Freiheit. Weil wir unsere Schwächen durch die Stärken anderer ausgleichen. Weil wir Eins sind. Schrieb der Verfasser des Textes.

Außerdem besaß Elkanasai fast ausschließlich Sklavenarmeen, während in Nohva stets freie Männer kämpften. Der Kampfgeist konnte auf dem Schlachtfeld manchmal eher einen Sieg erringen, als eine zahlenmäßige Überlegenheit.

Eagle ließ sich diese Weisheit einen Moment durch den Kopf gehen. Auch seine Männer waren willig, in die Schlacht zu ziehen und gegen ihre Feinde anzukämpfen, während Rahffs Truppen derart zweifelten, dass viele fahnenflüchtig wurden.

Ein müder Soldat, der nur den Krieg kennt, und dadurch alles verloren hatte, kämpfte wohl kaum noch mit dem Herzen für seinen Herrscher. Aber darauf konnte Eagle sich nicht verlassen. Es gab gewiss noch genug Männer, die bis auf den Tod ihre Heimat vor jedem Feind verteidigen würden, ganz gleich, was sie von Rahff halten mochten.

Der zähe Feind, ist des Taktikers Schwäche.

Eagle konnte eine Schlacht noch so sehr durchplanen, irgendetwas konnte stets schieflaufen, und selbst wenn er mit Gewissheit siegte, brachte ihn ein Sieg nichts, wenn seine Truppen danach so stark dezimiert waren, dass er weder weiter angreifen, noch sich verteidigen konnte. Und selbst mit List, selbst wenn sie durch Desiderius in Drachengestalt ihren Feinden Angst einflößten, es benötigte nur ein paar hundert mutige Männer, die standhielten, und Eagle würde seines Vorteils beraubt werden.

Auch Blutdrachen konnten sterben.

Aber die Taktik während der Schlacht war nicht das einzige, das einem Heerführer den Sieg bringen konnte. So schriebt der General, dass der kluge Taktiker schon Wochen vor der eigentlichen Schlacht einen Feldzug führt. Einen geheimen. Denn der klügere Feind schwächt die Truppen des Gegners noch vor dem Krieg. Eagle musste anfangen, sich auszurechnen, wie viele Ressourcen Rahff zur Verfügung hatte, und wie er sie verringern konnte. Da er darüber nicht informiert war, nicht einmal ahnte, woher und wie viel Rahff an Vorräten erhielt, konnte er nur spekulieren. Er würde mit den Fahnenflüchtigen Menschen aus dem Gebirge reden, um mehr zu erfahren.

Laut Desiderius war die Schwarzfelsfestung uneinnehmbar. Wenn sie es widererwarten dorthin schafften, und Rahffs Versorgungswege abschnitten, gelang es ihnen vielleicht, die Burg solange zu belagern, bis Rahff freiwillig aufgab.

Doch Eagle griff zu weit vor, er musste sich bremsen. Bevor sie ins Gebirge gelangten, mussten sie Schavellen ausschalten, damit dessen Truppen ihnen nicht in den Rücken fallen konnten. Außerdem war noch nicht geklärt, was mit dem Wüstenvolk geschehen sollte. Eagle wusste nicht, ob sie Feinde oder Freunde waren.

Seine Gedanken überschlugen sich und drohten, seinen Kopf zum Zerbersten zu bringen. Er verstrickte sich in zu vielen Überlegungen, wusste nicht mehr, wo er eigentlich anfangen sollte. Er war in jenem Moment froh, sich nicht noch Gedanken um die Schwarze Stadt machen zu müssen.

Desiderius und Bellzazar hatten diesen Kampf geplant, sie wussten, was sie zu tun hatten, es war ihre Aufgabe, gegen Dämonen zu kämpfen, und sie hatten Erfahrung darin. Er überließ jene Planung ihnen, doch er war nicht willens, seinen gesamten Feldzug ihnen zu überlassen. Es war seine Bürde, die Entscheidungen zu treffen, und er ließ sich diese nicht abnehmen. Er wollte, genau wie Arrav ihm geraten hatte, allen beweisen, dass er nicht nur des Geburtsrechts wegen Prinz war. Er wollte beweisen, dass er wusste, was er tat. Dafür nahm er gerne so viel Wissen in sich auf, bis ihm der Kopf rauchte.

Über dem Buch stützte er das Gesicht in die Hände und fuhr mit den Fingerspitzen in seinen Haaransatz, der vom vielen Hindurchfahren mittlerweile gereizt war und schmerzte. Eagle war kurz davor, vorerst aufzugeben und wieder nach oben zu gehen, um etwas zu Frühstücken, ehe die anderen erwachten und sein Kampftraining begann, worin er übrigens auch nicht unbedingt besser wurde.

Doch genau in jenem Moment, als er sich zu einer Pause zwingen wollte, hörte er ein lautes Poltern.

Erschrocken drehte er sich auf seinem Stuhl um, konnte jedoch zwischen den dunklen Regalen nichts außer Staub erkennen, der im Schein seiner Kerze durch die stickige Luft der Bibliothek schwebte.

»Desiderius?« Gelegentlich trieb es den Blutdrachen hier herunter, doch was er hier suchte, hatte er Eagle nie verraten, es schien ihm stets peinlich, wenn Eagle ihn beim Herumschleichen erwischte.

Vielleicht, so glaubte Eagle mitleidvoll, suchte er Aufzeichnung über Wexmell, irgendetwas, das mit ihm zu tun hatte, sei es nur der Eintrag der Tag seiner Geburt. Aber da suchte Desiderius an der falschen Stelle. Die Aufzeichnung in diesem Abteil waren uralt und lange vor Wexmells Geburt verfasst worden.

Als es still blieb, glaubte Eagle beinahe, sich das Geräusch nur eingebildet zu haben. Er drehte sich wieder um und klappte die Bücher zu, rollte die Schriften zusammen, um etwas Ordnung zu schaffen, ehe er …

Wieder ein Poltern in der Stille, als sei ein schweres Buch zu Boden gefallen. Eagle runzelte argwöhnisch die Stirn. Leise stand er auf, darauf bedacht, nicht wieder auf sich aufmerksam zu machen. Er nahm die Kerze vom Tisch, die ihm beim Lesen Licht gespendet hatte, und umrundete das Bücherregal, von dem her das Geräusch erklungen war, von der entgegensetzten Richtung, um den möglichen Eindringling von hinten zu überraschen.

Eagle hielt die Hand vor der Kerzenflamme, um sich nicht zu verraten, und schlich lautlos wie eine Maus über den Boden. Als er am Ende des deckenhohen Regals angelangte, polterte wieder etwas zu Boden und rollte genau in seine Richtung.

Eine dunkle Glaskugel trat in den Schein seiner Kerze. Eagle stoppte sie mit seinem Fuß und bückte sich nach ihr. Sie war schwer und kalt. Er erkannte sie als einen Briefbeschwerer wieder, den er hier öfter in die Hand genommen hatte, während er die Regale durchforstete. Zuletzt hatte er den Briefbeschwerer auf einem Regal, das an der Wand stand, zurückgelassen.

Eagle ging den Gang entlang und leuchtete mit der Kerze ein Stück voraus, sein Herz raste, während er noch von Gefahr ausging. Neben ihm erklang so urplötzlich erneut ein Geräusch, dass er unwillkürlich mit der Kerze danach schlug. Der Schlag ging jedoch ins Leere, neben ihm erstreckte sich nur ein durchwühltes Regal.

Genau von jenem Regal fiel in jenem Moment ein weiteres Buch scheinbar wie von Geisterhand zu Boden, es kam neben den anderen bereits gefallenen Büchern auf. Eagle blickte auf sie hinab und wunderte sich noch über die zerfressenen Buchdeckel, als er das unverkennbare Fauchen einer Ratte vernahm.

Er hob den Kopf und blickte dem Tier direkt in die schwarzen Knopfaugen. Er zuckte augenblicklich erschrocken zurück. Die Ratte verschwand eilig hinter einer Buchreihe und suchte Schutz vor dem Licht der Kerze.

»Verdammt, ich hasse diese Viecher«, knurrte Eagle verdrossen. Seit seiner Zeit im Kerker hatten er und die Ratten eine unüberwindbare Feindschaft geschlossen. Sie hatten ihm sein Essen stehlen wollen, dass er rationiert hatte, um zu überleben, dafür hatte er sie mit bloßer Hand erschlagen. Er hatte ja auch nichts anderes zur Verteidigung zur Verfügung gehabt.

Während er an die Zeit im Kerker dachte, wurde ihm ganz flau im Magen.

Und wieder erinnerte er sich daran, warum er Desiderius trotz aller Meinungsverschiedenheiten liebte. Sie hatten viel miteinander durchgestanden. Die Zeit im Kerker, die Folter und das Warten auf den Tod, hatten sie zu mehr als Freunden gemacht.

Ein Außenstehender würde das nie verstehen können.

Eagle stellte die Kerze im Regal ab und bückte sich, um das Chaos der Ratte zu beseitigen. Er nahm die Bücher in die Hand und ärgerte sich maßlos, dass sie beschädigt waren. Glücklicherweise schienen die Seiten unversehrt.

Als er das dritte Buch aufhob, viel ihm auf einmal etwas ins Auge.

Der Staub auf dem Boden unmittelbar neben dem Regal, wo eine freie Wand stand, besaß einen seltsamen Abdruck. Eagle untersuchte die Stelle genauer.

Es schien ganz so, als habe jemand das Regal um einige Schritte verschoben.

Eagle stand auf, ging an das andere Ende des Regals und stemmte sich dagegen. In dem stillen Raum hallte das Kratzen des Holzes über den Gesteinsboden laut von den Wänden wider. Glücklicherweise war außer ihm niemand im Gewölbe. Die Ratte im Regal gab einen verängstigenden Laut von sich. Eagle sah sie hinabspringen und in den Schatten verschwinden. Jetzt war sie wieder das Problem der Küchenfrauen, nicht seines.

Es war schwer, das Regal zu schieben, zumal es gefährlich wackelte, sodass zu befürchten stand, dass es jeden Augenblick in sich zusammenfallen könnte. Eagle schob trotzdem weiter, und seine Mühe wurde belohnt.

Das Regal hielt stand, und dahinter war etwas versteckt gewesen.

Eine Tür.

Eine alte, niedrige Holztür. Eagle nahm die Kerze wieder an sich und drehte den goldenen, angelaufenen Knauf. Die Scharniere quietschten laut, das Geräusch gellte wie die Klageschreie einer Witwe durch das Gewölbe.

Hinter der Tür befand sich ein kleiner Raum. Der Kerzenschein entlarvte ihn als ein uraltes Arbeitszimmer.

Eagle trat vorsichtig ein, musste sich mit der Hand einen Weg durch Staub und Spinnenweben bahnen. Der Schreibtisch und der Stuhl in der Mitte des fensterlosen Raums waren derart morsch, dass ihre Beine bereits zu Staub verfallen waren. Auch die Pergamente in den Regalen an den Wänden waren größtenteils nur noch staubige Überreste.

Eagle ging in dem Raum umher, beleuchtete alles mit dem schwachen Schein seiner Kerze, und kam nicht umhin, Ehrfurcht für diesen alten Raum zu empfinden.

Warum er wohl versteckt gewesen war? Erst kürzlich musste jemand das Regal verschoben haben, doch Eagle kannte diese Tür nicht, obwohl er hier aufgewachsen war. Auch im dicken Staub auf dem Fußboden waren nur seine Fußspuren zu entdecken. Außer ihm hatte seit Jahrhunderten niemand diesen Raum betreten, es wirkte fast so, als habe jemand nur nachsehen wollen, ob er noch existierte, ohne hinein zu gehen.

Und Eagle sollte auch herausfinden, wer.

Neugierig wie er nun mal war, stellte Eagle die Kerze behutsam auf den Überresten des Tischs ab und durchsuchte den Raum. Hier und dort fand er einige Schriftstücke, die noch leserlich waren. Und je mehr er las, je mehr deckte er die dunklen Geheimnisse einer uralten Geschichte auf, die längst in Vergessenheit geraten war.

Der verborgene Erbe

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