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Оглавление»Was, im Namen der Götter, geht hier vor sich?« Cocoun trat im Morgenmantel mitten in der Nacht aus dem Palast und sah ungläubig dabei zu, wie die Kutsche des Lords und seine Leibgarde auf den gepanzerten Pferden vor ihm zum Stehen kamen.
»Vater!«, bellte er, als der Lord von Dargard aus der Kutsche stieg. Eine Leibgarde in Eisenrüstung stützte den gebrechlichen Mann dabei, der die Röcke seines edlen Gewands raffte, um vom Trittbrett steigen zu können.
»Mein Sohn hat während meiner Abwesenheit mal wieder seine Manieren verloren, fürchte ich«, sagte der Lord mehr zu sich selbst. Seine Leibgarde lächelte gefühllos.
Cocoun trat vor seinen Vater und sah ihn scharf an. »Warum verweilt Ihr nicht länger an des König Seite?«
Der Schall der Ohrfeige, die Cocouns Wange traf, ließ ganz zu seinem Leidwesen alle Bewegungen um ihn herum erstarren. Die Dienerschaft und die gepanzerten Ritter sahen alle zu ihnen hinüber, während Cocoun sich die Wange hielt und vor lauter Scham nicht wagte, aufzusehen. Erst als der Lord mit der Hand winkte, kam wieder Bewegung in die gaffenden Leiber.
»Zunächst einmal hast du mich anständig zu begrüßen, Sohn!«, herrschte der Lord Cocoun an, »außerdem dulde ich gewiss nicht, dass du in diesem Ton mit mir sprichst. Ich bin dein Vater! Zolle mir Respekt!«
Cocoun knirschte mit den Zähnen. Wie gerne er den Alten doch vor allen Augen niedergeschlagen hätte! Doch trotz körperlicher Überlegenheit hatte Cocoun seit seiner Geburt Angst vor seinem alten Herrn. Jene Furcht war nicht leicht zu überwinden.
Er richtete sich seinem Vater gegenüber auf und sah über dessen Schulter hinweg trotzig an ihm vorbei, wahrte aber stolz seine Haltung, nicht willens, sich zu entschuldigen.
»Wenn du dich jetzt wieder wie ein Mann, statt wie ein Bengel, benimmst, könntest du dich anziehen und mich begleiten, damit ich dir erzählen kann, was vor sich geht.« Der Lord regte das Kinn arrogant vor und ging an Cocoun vorbei. »Beeile dich, ich warte nicht gerne.«
***
Ein wenig später lief Cocoun langsam hinter seinem alternden Vater über die Wehrgänge, wie ein treuer Köter, was ihn zutiefst beleidigte. Hauptmann Seaks begleitete sie, er lief auf gleicher Höhe wie Cocoun, als wären sie Gleichgestellte.
»Wie ist der Zustand unserer Mauern?«, fragte der Lord, während er sich bei jedem zweiten Schritt über die Wehrgänge lehnte, um im Mondschein mögliche Mauerrisse zu erkennen.
»Sie sind alle erst vor Kurzem erneuert worden und vollständig intakt«, berichtete Seaks gehorsam. »Sie halten einem größeren Angriff stand.«
»Nicht, dass die Rebellen Kriegsmaschinen zur Verfügung hätten«, warf Cocoun ein.
»Das werden sie vielleicht, wenn der Erbe sich ihnen anschließt«, platzte sein Vater heraus.
Cocoun und Seaks blieben wie angewurzelt stehen, sie warfen sich einen überraschten Blick zu, dann folgten sie eilig dem geschäftigen Lord.
»Der Erbe?«, fragte Cocoun nach.
»Cohen hat uns verraten, deine Schergen konnten ihn wohl nicht bezwingen«, erklärte der Lord mit einem gewissen, scharfen Unterton in der Stimme.
Verdammt, Marmar! Cocoun ging davon aus, dass er tot war, dabei hatte er fest daran geglaubt, er wäre stark genug, Cohen zu töten. Welch Verschwendung.
»Es gelang dem Bastard, den Blutdrachen samt Erben zur Festung zu führen. Rahff erhielt keine Nachricht von der Dirne, wir gehen davon aus, dass sie tot ist. Die Festung wurde zurückerobert, und mit ihr die Streitmacht der Luzianer.«
»Nur ein Teil davon, der mickrige Überrest ihrer einstigen Stärke«, lachte Cocoun, »deswegen macht Ihr Euch sorgen? Wir senden Truppen gen Osten, und fangen sie ab, ehe sie die Rebellen erreichen.«
»Und wie, wenn unsere Truppen in den westlichen Wäldern unsere Grenze schützen müssen?«, fragte der Lord und drehte sich gereizt um. »Davon abgesehen sind das nicht unsere einzigen Probleme. Meine Spione am Hof fanden heraus, das Rahff hinter meinem Rücken ein Treffen mit dem Sohn des Lords aus Gino hielt. Die Götter wissen, was die beiden beredet haben, aber was es auch war, es war gewiss nicht gut für uns. Es brechen düstere Zeiten für unsere Familie an, Sohn, und ich fürchte, wir stehen ohne Rahff da. Er hat mir bereits befohlen, unsere Truppen im Westen anzuhalten und ein Kampfverbot gegen das Wüstenvolk ausgesprochen.«
»Dann steht Rahff aber auch ohne Kirche da«, konterte Cocoun. Er fürchtete sich nicht, bisher hatten sie bei jeder Schlacht einen klaren Sieg errungen.
Sollte der Erbe doch kommen! Sollte Rahff sie doch fallen lassen, dann verlor er aber auch die Krone.
»Wenn Rahff neue Verbündete findet, wird er die Unterstützung der Kirche nicht brauchen, zumal wir einen Großteil unserer Anhänger verloren, als der Blutdrache sich offenbarte«, zischte der Lord ungeduldig. »Bei den Göttern, denk ein einziges Mal nach!«
»Das tue ich, Vater«, gab Cocoun kalt zurück, seine Miene zuckte wütend. Er verabscheute es, nicht ernst genommen zu werden.
»Ich will, dass unsere Wachen Tag und Nacht auf einen Angriff vorbereitet sind«, wandte sich der Lord an Hauptmann Seaks. »Ich will mehr Bogenschützen hier oben, zu jeder Stunde. Macht die Kriegsmaschinen kampfbereit, verstärkt die Wachen beim Tor, haltet die Stadt geschlossen, lasst keine Fremden herein, nur unsere Versorgungseinheiten dürfen passieren. Schickt Späher aus, die die Ebenen stets überwachen. Ich will jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend einen Bericht.«
»Ja, mein Lord«, bestätigte Seaks.
»Was für eine vergeudete Mühe«, klagte Cocoun. »Vater, Ihr wisst, dass Ihr uns damit angreifbar macht. Rahff stellt sich gegen uns? Dann zieht die Truppen zurück, im Westen nützen sie uns nichts mehr!«
»Rahff hat seine Entscheidung noch nicht getroffen, und ich will sie nicht dadurch begünstigen, indem wir uns ihm gegenüber weiterhin trotzig zeigen. Ich werde ihn daran erinnern, dass wir seine stärksten Verbündeten sind.«
»Und gewähren ihm so das Recht, uns wie niedere Vasallen zu behandeln? Keinesfalls! Ich bin nicht breit, vor diesem falschen König zu-«
Und wieder schallte eine Ohrfeige durch die Nacht. Cocouns Kopf zuckte zur Seite, seine Nasenflügel bebten. Er war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Im Augenwinkel bemerkte er, wie Seaks unbehaglich den Blick abwandte.
»Du tust, was ich dir sage!«, beschwor der Lord Cocoun. »Und wenn du nicht dazu im Stande bist, werde ich dir deine Befehlsgewalt wieder wegnehmen!«
»Ich sage ja nur, dass wir uns selbst schützen müssen. Wenn Rahff schon entschieden hat, uns fallen zu lassen, wäre es klüger, unsere gesamte Stärke zusammen zu rufen. Unsere Truppen und die heiligen Ritter der Kirche.«
»Ich schrieb den Oberhäuptern der Kirche bereits eine Nachricht, doch nur um festzustellen, dass auch dort ein Machtwechsel im Gange ist. Die Jungen, mit ihren naiven Ansichten, begehren gegen die Alten auf, die die alten Lehren predigen.«
»Wer kann es ihnen verübeln …«
»Was hast du gesagt?«
»Nichts.«
Der Lord bedachte Cocoun mit einem warnenden Blick. »Dir ist doch bewusst, was dies bedeutet. Wenn der König ein Bündnis mit dem Wüstenvolk schließt, und die Kirche hinter diesem Frieden steht, wird Rahff vielleicht mächtiger, als er jemals war.«
»Und Ihr wollt auch noch dem Erben und seiner Armee freies Geleit zu den Rebellen geben?«, fragte Cocoun fassungslos. »Damit wir von allen Seiten angegriffen werden können.«
»Vielleicht bekämpfen sie sich ja auch gegenseitig. Rahff will nicht, dass wir unsere Truppen bewegen. Und rufen wir sie zurück, erklären wir ihm damit beinahe schon den Krieg. Wichtig ist nun ausnahmsweise, dass wir diplomatisch vorgehen. Rahff darf uns nicht fallen lassen. Heute brauchen wir ihn ebenso, wie er uns. Zumal sein letzter Sohn ein Verräter ist. Erinnern wir ihn und die Bevölkerung daran, wer immer treu zu ihm gestanden hat. Und wer weiß, vielleicht stirbt er, bevor seine Enkel alt genug zum Herrschen sind. Der perfekte Zeitpunkt für einen Emporkömmling wie dich!«
»Aber-«
»Je näher wir an Rahff sind«, unterbrach der Lord jeglichen Protest und trat an Cocoun heran, »je näher sind wir am Thron. Lerne, zu schmeicheln, mein Sohn, lerne dich in Geduld, um das oberste deiner Ziele zu erreichen.«
Cocoun presste die Lippen aufeinander. Er hatte so viele Einwände. Selbst wenn er seinem Vater zustimmen würde, würde er die Truppen zurückrufen, um den Erben aufzuhalten. Damit würde er nicht nur sich, sondern auch Rahff schützen. Selbst der sture König würde dies einsehen müssen. Außerdem war Cohen immer noch am Leben, und er befand sich unter den Truppen des Erben. Rahff war nicht die größte Bedrohung für Cocoun.
Der Lord schien Cocouns Gedanken von seinem Gesicht abzulesen, denn er schüttelte bedauernd den Kopf. »Vielleicht täuschte ich mich in deiner Intelligenz, du bist einfach nicht im Stande, vorrausschauend zu denken. Du hast die Klugheit deiner Mutter, die im Kopf nicht heller als eine blökende Ziege war.«
Er machte kehrt und ging davon.
Cocoun, überwältig von Wut, handelte instinktiv. Er packte eine Gleve, die an der Mauerwand lehnte, und hob sie bereits über den Kopf. Doch als er sie auf den Rücken seines Vaters hinabsausen lassen wollte, konnte er sie nicht bewegen.
»Nicht!« Seaks drängte sich an seine Seite und nahm ihm die Waffe, die er aufgehalten hatte, behutsam aus der Hand. »Jeder würde wissen, dass Ihr es wart, mein Lord.«
Widerwillig ließ Cocoun die Waffe los, der Hauptmann stellte sie außerhalb seiner Reichweite wieder gegen die Mauer.
»Er macht einen gewaltigen Fehler und bringt uns alle in Gefahr!«, zischte Cocoun. »Wir müssen den Erben aufhalten, und das schaffen wir auch ohne Rahff, wenn wir unsere Truppen zurückrufen.«
»Ich weiß. Aber noch ist er der Lord. Und auch wenn er stirbt, und Euch die Schuld gegeben wird, wäre unsere Stadt zu schwach, um sich zu verteidigen. In der Einheit liegt die Stärke, mein Lord. Wir müssen alle Eurem Vater dienen, solange er hier verweilt.«
Cocoun sah seinem Vater mit Wuttränen in den Augen nach. Er wusste, dass Seaks ihn gerade vor einem schweren Fehler bewahrt hatte, würde sich jedoch gewiss nicht dafür bedanken; zu sehr hatte er es gewollt.
»Wie war Euer Vater, Seaks?«, fragte Cocoun, ohne sich umzudrehen.
»Ein Trunkenbold, der seine Verbitterung darüber, im Leben nichts erreichen zu können, an mir ausließ«, antwortete Seaks.
Sie teilten also etwas, auch wenn es keine schöne Gemeinsamkeit war. Doch aus Erfahrung wusste Cocoun, dass die finsteren Gemeinsamkeiten stärker verbanden, als die schönen.
»Ihr sagtet einst, Eure große Liebe wäre diese Stadt«, erinnerte sich Cocoun. »Sicher würdet Ihr dann auch alles tun, um sie zu beschützen.«
»So ist es, mein Lord.«
»Und wenn der Lord für die Stadt die größte Bedrohung darstellt?«
»Euer Vater ist alt«, sprach Seaks auf ihn ein. »Um ihn seiner Macht zu berauben, braucht Ihr keinen Mord zu begehen.«
»Was wurde aus Eurem Vater, Hauptmann?«
»Er wurde dabei erwischt, wie er Wein aus dem Palast stahl. Euer Vater ließ ihn in den Kerker sperren. Er sitzt noch immer dort, und behauptet wütend, jemand hätte ihm eine Falle gestellt.«
Cocoun drehte sich mit einem Lächeln zu Seaks um. »Ich glaube, ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt.«