Читать книгу Der verborgene Erbe - Billy Remie - Страница 11
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ОглавлениеJemand berührte Wexmells Schulter, woraufhin er in seiner Hängematte augenblicklich erschrocken zusammenfuhr.
»Ich bin es nur.« Allahad beugte sich zu ihm hinab, seine Worte kamen geflüstert durch seinen Ziegenbart. »Da ist etwas im Wald, Wexmell.«
Wexmell nickte stumm, woraufhin Allahad sich zurückzog, um die Umgebung wachsam im Auge zu behalten. Luro war auch schon auf den Beinen, einen Bogen und einen Pfeil kampfbereit, aber noch zu Boden gerichtet.
Der Morgen dämmerte über dem Regenwald, Dunst hing über dem feuchten Boden, auf den Wexmells Stiefel nun landeten. Dainty und Janek hatten in weiser Voraussicht Hängematten bereits in Carapuhr anfertigen lassen und für alle eine eingepackt. Sie schliefen in einiger Entfernung zum Boden, da, laut den beiden Elkanasai, Gefahr in Form von giftigen Tieren auf der Erde drohte, die nachts auf das Lager unwissender Reisender krochen. Und es gab selten das passende Heilkraut für die Vergiftungen der zahlreichen Tierarten des Regenwaldes. Ebenso wenig gab es einen Schutz gegen diese lästigen Fliegen, von deren Stichen sie allesamt große Beulen davontrugen.
Da sie sich noch nahe an den Truppen des Kaisers befanden, konnten sie noch immer kein Feuer anzünden, doch hungern mussten sie deshalb nicht, sie hatten genügen Vorräte bei sich, um bis zum Winter – wenn nötig – auszuharren. Glücklicherweise war es ohnehin viel zu warm, um es in der Nähe eines Lagerfeuers auszuhalten. Selbst so früh am Morgen lief Wexmell der heiße Schweiß über das Gesicht. Und es gab keine Wasserquelle weit und breit, die vertrauenswürdig gewesen wäre. Selbst wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, das Wasser abzukochen, bevor sie es tranken oder damit ihre Haut wuschen, bestand bei jedem Flussufer die Gefahr, dass sie von einem Alligator geschnappt und gefressen wurden.
Elkanasai, was für ein seltsamer Ort, seufzte Wexmell in Gedanken. Mit Desiderius an seiner Seite hätte er sich wesentlich sicherer gefühlt. Was kein Wunder war, denn Derius hatte Wexmell sogar vor einem riesigen Eisdrachen beschützen können.
Was hätte wohl ein Alligator gegen den Blutdrachen ausrichten können?
Aber Wexmell verlor sich mal wieder in Erinnerungen, die ihm nicht weiterhalfen. Desiderius war nicht mehr da, er würde auch nicht mehr zurückkommen, damit mussten sie alle zurechtkommen. Und das würden sie!
Während Luro und Allahad bereits in Alarmbereitschaft waren und kampfbereit das Unterholz im Auge behielten, schritt Wexmell durch das Lager und weckte leise die anderen. Zunächst Melecay und Dainty, dann Karrah, Janek, Iwanka und Lazlo. Sie alle legten leise ihre Waffen an, dann horchten sie gemeinsam auf die Geräusche aus dem Wald.
In der Nähe rauschte das Wasser eines riesigen, reißenden Flusses, den sie zu gegebener Zeit an einer günstigeren Stelle überqueren werden müssen. Bunte Vögel, größer als Raben, hockten paarweise in den Baumkronen über ihnen und sangen melodische Lieder. Die Blätterdächer raschelten nicht weit von ihrem Lager entfernt, Brüllaffen erzeugten einen Lärm, der fast alles andere übertönte. Irgendwo grollte ein müder Jaguar.
»Wie, Herrgott noch mal, sollen wir bei diesem Lärm Feinde erkennen?«, zischte Melecay wütend, er hielt sein Schwert mit dem kunstvoll gearbeiteten Griff aus Gold bereits in der Faust, willig, jemanden damit zu zerhacken.
»Wenn Ihr genau hinhört, erkennt Ihr einen Unterschied«, erwiderte Luro leise. Sein Blick huschte umher, doch er schien nicht mit den Augen, sondern mit den Ohren zu suchen.
Wexmell, dessen Atem bei jedem Geräusch nervös schneller geworden war, und der sich bei jedem Rascheln umgedreht hatte, entspannte sich etwas, als er Luros unerschütterliche Ruhe bemerkte.
»Vermutlich war es eine Ratte im Unterholz, die Ihr mit einem Feind verwechselt habt«, konterte Melecay gereizt und steckte das Schwert wieder wütend in die Scheide.
Seine Laune verschlechterte sich täglich. Die Hitze machte ihn noch reizbarer, als er ohnehin schon war.
»Vertrauen wir auf das Urteil unseres Jägers«, schalte Wexmell ihn, nahm seiner Worte mit einem gewinnenden Lächeln jedoch die Schärfe. »Luro spürt die Tierwelt um uns herum besser als jeder andere. Wenn uns eines der Tiere feindlich gesinnt ist, spürt er es sofort. Wenn der Feind jedoch kein Tier ist, wird er es auch wissen.«
»Und wie?«, fragte Melecay barsch, der Zweifel stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Bevor Wexmell antworten konnte, mischte Karrah sich genervt ein: »Wo ein Zweibeiner steht, machen wilde Tiere einen Bogen. Hättet Ihr nur halb so viel Verstand wie schlechte Laune, wäret Ihr selbst darauf gekommen.«
Melecay fuhr mit einem eisigen Blick zu ihr herum. Plötzlich war Wexmell froh, dass der Großkönig sein Schwert wieder in die Scheide gesteckt hatte. »Passt ja auf, Hexenweib, nur weil Ihr die Beine um den Leib meines Bruders schlingt, habt Ihr noch lange nicht das Recht, derart mit mir zu sprechen. Ich bin Euer König, Ihr zeigt gefälligst etwas Respekt!«
Dainty legte seinem Gemahl bereits eine Hand auf die Schulter, die jedoch mit einer gereizten Geste abgewehrt wurde.
Karrah starrte den Großkönig weiterhin trotzig an, Melecay starrte streng zurück. Das konnte nicht gut ausgehen, beide waren zu stur, zum Nachgeben.
»Ihr seid ein widerwärtiger Mann, der überhaupt nicht mehr am Leben sein sollte, wenn es nach unseren Göttern ging«, sagte Karrah wütend.
»Scht!«, fuhr Luro sie an, er hatte etwas gehört. Allahad fuhr sofort zum Wald herum, seine Augen suchten gemeinsam mit Luros die Gegend ab.
Die anderen verfolgten stumm den Streit.
Melecay machte einen drohenden Schritt auf Karrah zu. »Tja, scheint wohl so, als wäre mein Gott mächtiger als Eure Götter, kleine Hexe, denn er hielt seine schützende Hand über mich.«
»Es waren Bellzazars Fehleinschätzungen, denen Ihr Euer Leben verdankt.«
»Und doch könnt Ihr nichts daran ändern, Ihr verhätscheltes, kleines Mist-«
»Genug!« Wexmell gebot ihnen beiden mit einer erhobenen Hand und strenger Stimme Schweigen. »Das genügt jetzt. Kein Wort mehr! Von keinem von euch beiden!«
Er sah von Melecay wütend zu Karrah, die beschämt den Kopf senkte. Sie wusste, er wurde nicht schnell wütend.
Und wenn er es war, dann aus gutem Grund.
»Ja, Vater.«
Melecay atmete gereizt aus, nickte aber schmallippig. »Wie Ihr wünscht, Wexmell.«
»Seid Ihr eigentlich beide übergeschnappt? In einer solchen Lage auch noch lauthals zu streiten!«, fragte er fassungslos, jedoch leise zischend. »Wir müssen zusammenstehen, zusammenarbeiten, oder wir liefern uns unseren Feinden aus, wie eine an den Baum gefesselte Beute dem wilden Wolf. Ich will nie wieder einen Streit von euch beiden hören. Wir müssen uns aufeinander verlassen. Karrah, sammle deine Kräfte – und ja, damit wirst du Melecay genauso schützen, wie du mich damit schützt. Und Melecay, zieht Euer Schwert, und auch Ihr werdet Karrah, und jeden einzelnen von uns, damit so schützen, wie Ihr Euch selbst damit schützt, verstanden? Wenn nicht, brechen wir das alles sofort ab und gehen unerledigter Dinge wieder heim. Denn ich führe keinen von euch in den Tod, diese Schuld will ich mir nicht auflasten. Sind wir uns darin einig?«
Sie schwiegen stur.
»Ich will es hoffen«, sagte er noch dazu. »Ihr seid beide erwachsen, bei den Göttern, dann verhaltet Euch doch auch so!«
Ja, die Hitze machte alle Gemüter leicht reizbar, und Schlafmangel trug dazu bei, dass Wexmell ausnahmsweise nicht unermüdlich geduldig war. Außerdem fürchtete er sich vor dem, was auch immer im Regenwald lauerte.
Luro schlich plötzlich rückwärts vom Waldrand zurück, er packte dabei Allahads Arm und zog ihn mit sich.
»Was ist los?«, fragte Wexmell besorgt, als er hinter die beiden trat. Ihnen beiden vertraute er mehr als sonst jemanden, der noch lebte. Auf sie konnte er sich stets verlassen.
»Etwas Böses lauert im Wald«, hauchte Luro furchtvoll, »ich kann es fühlen, Wexmell.«
Der Blick, den er über die Schulter Wexmell zuwarf, sprach Bände.
Wexmell wusste sofort Bescheid. Er drückte sich an ihm vorbei und zog sein Schwert. »Aufstellung. Karrah und Dainty nach hinten, ich will Zauber sehen. Die Bogenschützen – Luro, Iwanka und Janek, umschließt sie und haltet uns die Flanken frei. Die Schwertkämpfer zu mir, sofort!«
Melecay nahm den Platz rechts neben Wexmell ein, er zog wieder sein königliches Schwert, dessen makellose Schneide im Dämmerlicht des Morgens aufblitzte. Allahad zog seine zwei Krummschwerter und trat links neben Wexmell. Lazlo, mit seinem vernarbten Gesicht, blieb bei Melecay.
»Was genau ist dort im Wald?«, fragte der Großkönig mit argwöhnischer Stimme, ohne den finsteren, drohenden Blick von den dichten Blätterwänden um sie herum zu nehmen.
Wexmells Atem kam stoßweise aus seiner Nase. Er hasste die Nervosität vor einem Kampf, diese Warterei, bevor es begann und glücklicherweise keine Zeit mehr zum Nachdenken blieb.
»Wexmell?«, drängte Melecay auf eine Erklärung.
»Der Regenwald fordert viele unschuldige Opfer«, flüsterte Wexmell nervös. »Die verwirrten, ruhelosen Seelen locken die Finsternis an. Und so tief in der Wildnis gibt es Nichts, das ihnen Einhalt gebieten könnte.«
Melecays Gesicht flog zu Wexmell herum, er begriff endlich.
Hinterher wünschte Wexmell, er hätte den Großkönig nichts erklärt, denn der kurze Moment der Ablenkung genügte, um ihren Feinden einen Vorteil darzubieten. Ein Schatten sprang Melecay frontal an, so schnell, dass kein Pfeil oder Zauber ihn hätte aufhalten können, und riss ihn umgehend von den Beinen.
Knurrend kämpfte Melecay gegen das dunkle Wesen, das ihm das Gesicht mit klauenartigen Fingern zerkratzen wollte, er hatte das Schwert beim Sturz fallen lassen. Wexmell hob sofort ein Bein, um den kleineren Dämon von Melecays Kopf zu treten, doch da traf den Feind bereits ein heller Lichtblitz. Zischend, wie Wasser, das auf Glut traf, wurde das Wesen gegen einen Baum geschleudert. Es rutschte schlaff zu Boden, atmete noch einmal stockend durch die spitzen Zähne aus, dann zerfiel es zu Asche.
Verwundert drehten sie sich alle um. Karrah hielt die Kugel des Hexenstabs noch auf Melecay gerichtet, der sie fassungslos anstarrte. Sie blickte von ihm zu Wexmell und nickte knapp. Er lächelte dankbar und stolz zurück.
In jenem Moment brach das Chaos los.
Mehrere kleine Schatten kamen zischend und fauchend aus dem Regenwald gesprungen und schlugen ihre Klauen in ihre Opfer. Sofort zischten Pfeile, Blitze und faustgroße Feuerkugeln durch die Luft, trafen hier und dort einen Feind im Sprung, oder verfehlten und blieben in Baumstämmen stecken. Allahad und Lazlo sprangen den Dämonen entgegen, während Wexmell Melecay wieder auf die Beine zog und ihm das Schwert in die Hand drückte.
»Deswegen vertraue ich Euch«, sagte Melecay plötzlich, und hielt Wexmells Arm noch einen momentlang fest. »Weil Ihr, obwohl sie Eure Ziehtochter ist, niemals Partei ergreifen würdet, wenn wir beide im Unrecht sind. Und weil die Menschen auch dann auf Euch hören, wenn Ihr sie zurechtweist.«
»Karrah ist ein kluges Mädchen, jedoch so stur und stolz wie Desiderius«, erklärte Wexmell traurig, »Ihr könnt ihr vertrauen. Habt gelegentlich Nachsicht mit ihrem Temperament, so wie ich Nachsicht mit dem Eurem habe.«
»Sie ist stark und nützlich, und die Mutter meines Erben, Frau meines Bruders«, sagte Melecay, »ich würde Ihr nichts tun. Aber ich fürchte, dass sie das genau weiß.« Lachend schlug er gegen Wexmells Schulter. »Kommt, bevor keine Feinde zum Abschlachten mehr da sind!«
Wexmell rang sich ein mattes Lächeln ab. Selbst gegen dunkle Wesen wie Dämonen erhob er ungern das Schwert. Das Töten hatte nie in seiner Natur gelegen, doch wenn man ihm keine andere Wahl ließ, wusste er sich zu verteidigen.
Als Allahad aufschrie, fuhr Wexmell herum. Ein Dämon saß auf seinem Rücken und schlug ihm die Zähne in die Schulter. Sofort wirbelte Luro den Bogen zu ihm herum und schoss einen gezielten Pfeil ab, der im Rücken des Dämons landete. Das Wesen fiel tot zu Boden.
Allahad kämpfte sofort weiter, wirbelte wie ein Sturm aus Klingen herum und zerschnitt seine Feinde schon in der Luft, ehe erneut einer von ihnen seine Krallen in ihn schlagen konnte. Wexmell schloss sich dem Kampf an, und rettete Melecay davor, erneut umgerissen zu werden.
»Euer hübsches Gesicht schuldet mir was«, rief Wexmell über den Kampflärm hinweg.
Melecay lachte dreckig, während er sein Schwert wie eine Peitsche vor sich herschwang, um die Dämonen von sich fernzuhalten.
Pfeile und Zauber surrten knapp an ihnen vorbei und retteten ihnen eins ums andere Mal das Leben.
»Luro! Links!« Allahads Schrei schrillte durch die Morgendämmerung.
Jetzt griffen die Dämonen von allen Seiten an. Die Fernkämpfer hielten Wexmell und seinen Schwertkämpfern die Flanken frei. Doch sie waren umzingelt.
»Durchbrechen, Lazlo!«, brüllte Melecay. »Mach die Biester fertig.«
Der Krieger mit dem vernarbten Gesicht war eine wahre Naturgewalt. Er hackte sich einen Weg durch die Dämonen, wie eine Sense durch ein Kornfeld. Schwarzes Blut bedeckte bald seine mit Eisenplatten besetzte Lederkluft.
Luro schrie schmerzerfüllt auf, ein Dämon musste zu ihm durchgekommen sein, doch Wexmell konnte es sich im Kampf nicht erlauben, sich umzudrehen. Er vertraute auf die Kämpfer, die bei Luro standen.
»Melecay, zu mir!«, rief Wexmell den Großkönig zurück zu seiner Stellung. »Verlasst nicht eure Posten. Allahad! Sofort zurück! Schließ die Lücke!«
»Aber … Luro …« Allahad stand einige Schritte hinter Wexmell, der sich plötzlich gezwungen sah, gegen einen ganzen Schwarm alleine anzukämpfen. Er schwang das Schwert wie ein Berserker, mit gebleckten Zähnen und angespannten Kiefern, seine Arme begannen zu schmerzen, die keinen Bruchteil eines Augenblicks eine Pause einlegen konnten, weil die Dämonen wie eine dichte Nebelwand auf ihn zu schwärmten.
Doch Melecay war nicht fern, er sprang Wexmell zur Hilfe.
Mehrere dunkle Wesen stürzten sich auf Melecays Beine, umklammerten sie wie anhängliche Kinder, um den großen Barbaren zu Fall zu bringen. Zwei Dämonen gelang es, ihren Schwertern zu entgehen, sie attackierten umgehend Wexmells Kopf, der mit den Armen fuchtelnd versuchte, sie abzuwehren, doch ihre Krallen zerkratzten bereits seine Stirn. Tiefe Wunden zogen sich kreuz und quer über sein ganzes Gesicht. Er brüllte wütend, packte einen Dämon wie eine Katze im Genick und versuchte, ihn von seinem Kopf zu zerren, was ihm leider nicht gelingen wollte.
Der Dämon war zu stark, seine Krallen saßen zu tief in Wexmells Haut. Strauchelnd stieß Wexmell in seiner Gegenwehr gegen Melecay, und riss diesen fast von den Beinen.
Der Großkönig fluchte. »Janek! Dainty! Herrgott, Pfeile, Zauber, sofort!«
Auf den Ruf ihres Großkönigs hin, konzentrierten sich die beiden Elkanasai auf diesen und Wexmell. Janeks Pfeile und Daintys Feuerkugeln befreiten Melecays Beine von Dämonen und verschafften ihm etwas Luft zum Kämpfen.
Allahad hatte endlich seine Priorität gesetzt und sprang zurück an Wexmells Seite. Zwei Hiebe mit seinen Schwertern zerteilten die Dämonen und befreiten Wexmells Kopf.
Wexmell fuhr mit einem entsetzten Blick zu dem Schurken herum.
Allahad starrte ihn ebenso schockiert über sich selbst an. »Wex, ich …«
»Später«, beschloss Wexmell und stürzte sich wieder in den Kampf. Es kamen immer mehr Dämonen, die Götter wussten, wie viele noch um sie herum nur darauf warteten, anzugreifen.
»Verdammte Biester!« Melecay wurde immer und immer wieder angegriffen, die Klauen und Zähne der Dämonen hatten das Leder seiner Hose in Fetzen gerissen, nicht einmal seine dicke Haut hielt den Bissen und Kratzern stand. Dainty versuchte, seinen König zu befreien, doch dabei verbrannte er ihm die Haut.
»AHHH! Verdammt, Dainty!«, schrie Melecay auf.
Dainty zog scharf die Luft ein. »Verzeihung!«
Lazlo grunzte, während er seine Feinde niederstreckte. Karrah beschwor einen flimmernden Schutzschild herauf, der die Fernkämpfer abschirmen sollte. Luro, der eine blutende Bisswunde am Hals trug, schützte Wexmell und Allahad, die zusammen mit Melecay in einen weiteren Schwarm Dämonen gerieten.
Janeks und Iwankas Pfeile sausten durch die Luft, doch die Dämonen waren zu zahlreich, um sie dadurch zu schwächen. Donnergrollen erklang am Himmel, so laut, dass der Boden unter ihren Füßen erbebte.
»Es sind zu viele!«, brüllte Janek über den Lärm hinweg.
»Da kommen noch mehr«, warnte Lazlo.
Luro ließ den Bogen fallen und verließ Karrahs magischen Schild. Er zog sein Schwert und sprang Wexmell und Allahad zur Seite. Doch auch gemeinsam mit ihm, wurden sie von Dämonen umschwirrt. Wie ein Schwarm wildgewordener Vögel sausten die dunklen Wesen auf ihre Köpfe hinab, schlugen Krallen und Zähne in Haut, Haar und Rüstung, ließen nicht mehr los, fauchten und zischten, lachten hämisch, während ihre Opfer brüllten und klagten.
Schwerter fielen zu Boden, während sie allesamt versuchten, die Biester mit bloßen Händen von sich zu reißen. Allahad wurde zu Boden gerissen, der Schurke wehrte sich kreischend. Sein Adler stürzte mit einem Schrei hinab, ihm gelang es zumindest, einige Dämonen von seinem Herrn loszureißen. Luro strauchelte auch schon, er und Lazlo warfen sich wie wildgewordene Ochsen hin und her, doch auch ihr voller Körpereinsatz wehrte die Dämonen nicht ab.
Wexmell spürte, wie eines der Wesen durch seine Lederrüstung stieß und seine spitzen Zähne in seine Seite rammte. Er schrie schmerzerfüllt auf.
Melecay wirbelte wie ein bockendes Pferd herum, während sein gesamter Körper von schwarzen Wesen eingehüllt war. Er stolperte zwischen Karrah, Dainty, Janek und Iwanka hindurch und fiel beinahe über eine zwischen zwei Bäumen gespannte Hängematte, änderte jedoch im rechten Moment seine Richtung. Er packte mit seinen großen Händen grob zwei Dämonen, die ihre Krallen in sein Haar geschlagen hatten, und zerrte sie mit einem dunklen Brüllen, das tief aus seiner Kehle stammte, von seinem Kopf. Sie krallten sich so fest, dass er sich schlimme Wunden zuzog, während er sie von seinem Kopf zerrte, doch er ließ nicht locker und riss sie mit durchgedrücktem Rücken und mit dem Gesicht gen Himmel von seinem Körper. Sein Brüllen wurde lauter, bis es durch den Regenwald hallte.
Und urplötzlich versiegte der Schmerz.
Wexmell spürte es als erster. In dem Moment, als Melecays Brüllen im Lager erklang, und er die Dämonen zu Boden warf, lockerten auch alle anderen Wesen ihre Klauen. Wexmell fühlte, wie sie lockerließen, verwirrt und verängstigt, und schließlich von ihm abließen.
Überall um ihn herum plumpsten die kleinen, dunklen Wesen zu Boden und zogen sich zögerlich zurück. Ihre dunklen Augen blinzelten allesamt zu Melecay auf, der mit blutüberströmten Gesicht die Zähne zeigte und mit bebenden Nasenflügeln seine Wut kundtat. Seltsamerweise zeigten sich die Dämonen davon beeindruckt.
»Verschwindet!«, rief der Großkönig in seinem Zorn, »ihr widerlichen kleinen Bastarde, macht, dass ihr wegkommt!«
Sprachlos sahen sie dabei zu, wie die Dämonen erschrocken in den Wald zurückwichen, ihre aufgerissenen Augen erinnerten beinahe an verschreckte Kinder, die ein Monster sahen. Und dann hörten sie allesamt das Geflüster der dunklen Wesen.
»Ich kenne seine Signatur«, sagten mehrere im Chor. »Den Abdruck seiner Seele.«
Wexmell und seine Gefährten drehten sich umher, um zuzusehen, wie die Dämonen langsam im Unterholz verschwanden.
»Balthasar«, hauchten sie noch einmal, es klang fast ergebend, dann verschwanden sie so schnell, wie sie gekommen waren.
Einen momentlang, der Wexmell wie eine Ewigkeit erschien, herrschte verwundertes Schweigen im Lager. Er spürte, dass seine Wunden brannten, und fuhr sich unwillkürlich durchs Gesicht. Sein eigenes rotes Blut vermischte sich auf seinen Fingern mit dem schwarzen Blut der Dämonen. Seine Hand zitterte, als er sie betrachtete; er wischte sie an der Hose ab.
Melecay starrte ebenso verblüfft drein, wie alle anderen. Ein wenig Sorge war in seinem Blick zu erkennen.
»Was es auch war«, erhob Wexmell das Wort, weil niemand sich traute, etwas zu sagen, »es hat uns gerettet.«
»Aber was war es?«, fragte Luro argwöhnisch. Sein dunkles Haar war zerwühlt, und die Wunde an seinem Hals hinterließ einen feuchten, roten Striemen auf seiner Haut.
Hätte Wexmell nicht gewusst, dass er gerade von Dämonen attackiert worden war, wäre Luros Erscheinungsbild auch mit einer wilden Nacht mit Allahad zu verwechseln gewesen.
»Wir werden es nie erfahren«, tat Wexmell die Sache ab, er sah Karrah in die Augen, »weil der, der über die Dämonen Bescheid wusste, nicht mehr bei uns ist.«
»Wenn er sie nicht sogar geschickt hat«, erwiderte Karrah. Sie ließ den Schild fallen und wandte sich ab. »Kommt, ich heile eure Wunden.«
Lazlo hörte sofort auf ihren Ruf, er hielt sich den blutenden Arm, der von den Dämonen fast zerfetz worden war. Iwanka eilte an seine Seite und half Karrah bei der Versorgung.
Dainty trat hinter seinen noch immer verwunderten Gemahl und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Und wieder rettete Ihr unser aller Leben, mein König.« Er küsste Melecays Wange, und machte sich daran, die noch intakten Pfeile wieder aufzusammeln.
Wexmell drehte sich um und hob sein Schwert auf. Stiefel traten in sein Blickfeld.
Als er sich wieder erhob, starrte Allahad ihn entschuldigend an.
»Es tut mir so leid«, stammelte der Schurke. Bevor Wexmell ihm antworten konnte, dass er nicht böse war, machte Allahad auf dem Absatz kehrt und suchte einige Schritte außerhalb des Lagers die Einsamkeit. Luro folgte ihm umgehend.
Ein weiteres Donnergrollen ertönte am Himmel und machte sie taub für jegliche anderen Geräusche. Wexmell regte das Gesicht gen Himmel. Regen setzte urplötzlich ein, als gossen die Götter über ihren Köpfen Wannen mit Wasser aus. Die dicken Tropfen prasselten wie Fausthiebe auf sie nieder, und spülten rotes und schwarzes Blut von ihren Gesichtern.
»Allmählich verstehe ich, warum es Regenwald heißt.« Melecay trat neben Wexmell und hielt ebenfalls das Gesicht gen Himmel, schloss genüsslich die Augen. »Habt Ihr eine Idee, warum sie sich zurückzogen?«
»Nein. Und es ist mir auch gleich. Solange sie nicht wiederkommen, mache ich mir keine Gedanken darum.« Wexmell drehte sich zu ihm um. »Was auch immer es ist, was Ihr an Euch habt, die Dämonen fürchten es. Das kann uns nur zum Vorteil gereichen.«
»Ganz meiner Meinung.«
»Kommt, treiben wir sie zur Eile«, Wexmell wandte sich zum Lager um, »unser Kontaktmann erwartet uns gegen Abend.«
***
Allahad hockte zusammengesunken auf einem Baumstamm und starrte auf seine zitternden Hände. Der Regen prasselte auf seinen Nacken, seine Schultern und Haar, seine zottligen Strähnen klebten ihm im Gesicht, doch er scherte sich nicht darum.
»Was hast du getan?«
Genau diese Frage stellte er sich auch unentwegt, und die Schuld, die er fühlte, zerriss ihm fast das Herz. Oh Desiderius, es tat ihm so leid, dass er Wexmell nicht beschützte.
Als er nicht antwortete, schwang Luro die Beine über den Baumstamm und setzte sich an seine Seite. »Allahad?«
Beschämt schloss Allahad die Augen, bevor er leise sprach. »Ich habe gegen unseren Eid verstoßen und unseren Prinzen in Gefahr gebracht.«
»Aber warum?«, fragte Luro einfühlsam.
Allahad öffnete die Augen und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
»Ach, Allahad!« Luro strich ihm über den Hinterkopf. »Du Dummkopf! Ich war doch nicht in Gefahr. Karrah war doch bei mir! Es war nur ein einzelner Dämon, aber Wexmell stand mehreren gegenüber …«
»Denkst du, das weiß ich nicht?«, schnauzte Allahad ihn an. Als er Luros enttäuschten Blick bemerkte, senkte er wieder beschämt den Kopf. Er wollte nicht grob zu ihm sein, aber er fühlte sich schlecht, als hätte er in seiner Pflicht versagt. Was er ja auch getan hatte, jedoch aus einem wirklich gutem Grund. Leise musste er gestehen: »Ich könnte es nicht ertragen, ohne dich zu leben, Luro.«
Luro ließ gerührt die Schultern hängen. »Wie oft haben wir schon gemeinsam gekämpft, du, ich und Wexmell? Wir haben uns immer auf unsere Fähigkeiten verlassen, warum glaubst du, ich bräuchte jetzt deine Hilfe. Weil ich alt bin?«
»Sag das nicht!« Allahad hob ärgerlich den Blick. So etwas wollte er nicht hören, noch daran erinnert werden, wie schnell Luro alterte. »Das ist nicht wahr!«
Luro runzelte bedauernd seine Stirn. »Doch, es ist wahr. Aber auch wenn ich alt geworden bin, kann ich immer noch kämpfen. In Carapuhr habe ich es doch bewiesen.«
»Jedes Jahr, das vergeht, bringt dich näher an den Tag …« Allahad brach ab, er konnte es nicht einmal aussprechen. Kopfschüttelnd richtete er wieder den Blick zu Boden.
Luro ergriff Allahads Hände und drückte sie fest. Er beugte sich zu Allahad und rieb auf seine liebreizende Art die Nasenspitze über Allahads Wange, um ihm Nähe und Trost zu spenden, ehe er die verhassten Worte sprach. »Jedes Jahr, das vergeht, bringt mich meinem Tod näher. Du kannst es ruhig sagen, ich fürchte mich nicht davor.«
»Aber ich.« Allahad erschauderte. »So sehr, wie ich sonst nichts fürchte.«
»Du kannst mich nicht davor bewahren, Allahad. Ich bin ein Mensch, ich werde sterben, noch lange bevor deine Zeit gekommen ist.« Luro legte kurz seinen Kopf auf Allahads Schulter, seine Nähe war die Kraft, die Allahad Leben schenkte. »Damit musst du dich auseinandersetzen, bevor es dich unerwartet trifft. Du kannst ohne mich leben, so wie Wexmell ohne Desiderius. Es gibt ein Leben nach mir, und die Erinnerung an die Zeit zusammen, wird dich begleiten.«
»Das ist für dich leicht gesagt, weil du derjenige bist, der zuerst von dieser Welt scheidet«, konterte Allahad gereizt. Luro so nahe zu sein, und doch daran denken zu müssen, ihn irgendwann nicht mehr zu spüren, machten ihm einfach Angst. »Aber frag mal Wexmell, wie es sich ohne die Liebe seines Lebens lebt.«
Traurig hob Luro den Kopf und sah ihn an, wusste aber offensichtlich nichts mehr zu sagen.
Allein der Gedanke, dieses Gesicht nicht mehr sehen zu können, ließ Allahad verzweifeln. Mit Tränen in den Augen hob er eine Hand und berührte Luros Wange. Luro schmiegte sich mit geschlossenen Augen in die Handfläche.
»Ich verlor meine Frau und Söhne. Ich könnte nicht ertragen, auch noch dich zu verlieren«, hauchte Allahad bekümmert.
»Aber es gibt ein Widersehen.« Luro legte seine Hand über Allahads und sah ihm entschlossen in die Augen. »Ich werde in der Nachwelt auf dich warten. Mit deiner Frau und deinen Söhnen, mit Niegal und Zasch – und Desiderius! Denk nicht an die Jahre ohne mich, denk an die Ewigkeit mit mir – und mit all unseren Freunden, die auf uns warten.«
Allahad lächelte zwar, doch Trost schöpfte er nicht aus Luros Worten. Allerdingst gab es auch nichts, was sein Liebster hätte sagen können, um Allahad aufzumuntern. Das Leben meinte es nicht gut mit ihnen. Sie hatten immer gewusst, dass es so kommen würde, doch dass die Zeit so schnell verstrich, wenn man glücklich war, hätte keiner von ihnen erwartet. Es war einfach so ungerecht. Sie sollten gemeinsam leben oder gemeinsam sterben. Allahad wollte keine Jahrhunderte ohne Luro zurückbleiben.
»Lass uns die Jahre, die wir noch haben, nicht in Trauer verbringen«, bat Luro und umfasste nun seinerseits Allahads Wange, »und tu mir den Gefallen und erinnere mich nicht ständig an meinen baldigen Todestag.«
Letzteres scherzte er.
Allahad musste tatsächlich auflachen. Nur Luro vermochte es, ihm in solch düsteren Momenten ein Lachen abzuringen. Er legte die Stirn an Luros, und sie rieben die Köpfe wie zwei schmusende Löwen aneinander, wie es ihnen eigen war. Manches konnte eben so viel schöner, so viel intimer sein als Küssen.
»Streitet euch nicht.«
Luro und Allahad blickten auf. Hinter ihnen lehnte mit einem wissenden Lächeln ihr Prinz an einem Baum und stieß sich ab.
»Das tun wir nicht«, erwiderte Luro keck. »Dann fiele die Versöhnung wesentlich … nackter aus.«
Allahad trat Luro leicht vor das Schienbein, damit er Wexmells Gefühle nicht versehentlich mit unangebrachten Anzüglichkeiten verletzte, die den Prinzen nur daran erinnern würden, was ihm fehlte. Zumal es ohnehin eine Lüge gewesen war, da Allahad und Luro seit Desiderius‘ Tod nicht mehr auf diese Weise zusammen gewesen waren. Darüber hatten sie jedoch noch nicht gesprochen. Allahad wollte Luro zu nichts drängen, gleichzeitig fürchtete er die Antwort auf die Frage, weshalb Luro keine körperliche Nähe, die nach Erlösung verlangte, mehr bei Allahad suchte.
Wexmell kam zu ihnen und drängte sich zwischen sie. Sie rutschten zur Seite, damit er in ihrer Mitte Platz nehmen konnte.
»Es tut mir leid, Wexmell«, begann Allahad aufrichtig demütig.
Doch Wexmell legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn beruhigend an. »Ich weiß nicht, ob ich meinen Posten nicht auch verlassen hätte, hätte an Desiderius‘ Hals ein Dämon gehangen. Böse bin ich dir also nicht, weil mein Leben nicht gefährdet war, dennoch war ich erschrocken, wie schnell die Männer, denen ich am meisten Vertrauen entgegenbringe, meine Seite verlassen können.« Er lachte auf, um zu zeigen, dass er es Allahad trotzdem nicht übelnahm.
Ernst fuhr er fort: »Es war unser erster Kampf seit Langem, und er zeigte uns unsere Schwachpunkte. Lasst es uns eine Lehre sein.«
Allahad streckte eine Hand aus und strich Wexmell eine goldene Strähne aus dem zerkratzen Gesicht. »Meinetwegen wurdest du verletzt. Diese Schuld trage ich mit mir.«
»Und meinetwegen seid ihr beiden überhaupt hier. Ich trage die Schuld, dass ihr eure Heimat verlassen musstet, um mich zu beschützen. Wir tragen alle irgendeine Schuld, das sollte uns jedoch nicht in Verzweiflung versetzen. Machen wir das Beste aus dem, was das Schicksal für uns bereithält.« Er sah Allahad schmunzelnd an. »Und verlassen nie wieder die Formation.«
Allahad nickte lächelnd. »Ihr habt mein Wort, mein Prinz.«
»Und nein, Allahad«, sagte Wexmell traurig, »es ist kein schönes Leben, das ich ohne Desiderius führe. Und doch lebe ich.«
Bekümmert nickte Allahad. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, mit welchem Schmerz Wexmell von nun an leben musste.
»Genießt die Jahre, die Euch bleiben«, riet Wexmell ihnen, während er vor sich ins Leere starrte und seine eisblauen Augen sich mit Tränen füllten, »ich weiß nur zu gut, wie plötzlich alles vorbei sein kann.«
Luro rutschte unbehaglich auf dem Baumstamm herum, er sprach nie gern darüber, dass er vor ihnen allen sterben würde. Allahad wusste, dass er sich aufgrund seines Alters unattraktiv fühlte, dabei war er für ihn noch immer das schönste Geschöpf in dieser und jeder anderen Welt.
»Ich liebe dich«, hauchte Allahad.
»Danke«, scherzte Wexmell, »ich liebe dich auch.«
Sie lachten zu dritt miteinander, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatten. Ihnen allen fehlten Luros Scherze, die, seit Desiderius nicht mehr bei ihnen war, gänzlich ausgeblieben waren. Dabei könnten sie nun mehr denn je die Aufheiterung durchs Luros schmutzigen Humor gebrauchen. Doch Luro erfüllte ihnen diesen Wunsch nicht.
»Was meinst du«, fragte er stattdessen, »werden die Dämonen zurückkommen?«
Wexmell schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Was hat sie vertrieben?«, fragte sich Allahad.
»Ich denke, es war Melecay«, vermutete Wexmell leise. »Sie hatten Respekt vor ihm, wie vor einem Meister. Ich glaube, Zazar hat einem Fürsten das sterbliche Leben geschenkt. Ich nehme an, er erschuf unseren Melecay.«
»Weshalb glaubst du das?«, fragte Luro verwundert.
Wexmell zuckte mit den Schultern. Allahad hatte das Gefühl, das Wexmell irgendetwas verschwieg, doch er drängte nicht, erfragte nichts, wollte Wexmell keine Zweifel entgegenbringen, da zurzeit so vieles das Herz des Prinzen belastete.
»Welche andere Erklärung könnte es geben?«, erwiderte Wexmell nachdenklich.
»Ist Zazar dazu im Stande?«, hakte Luro nach.
»Als Gott der Toten, gewiss doch.«
»Ist das schlecht für uns?«
»Nein.«
»Bist du dir sicher?«, mischte Allahad sich ein. »Und wenn Melecays Seele einst die Seele eines Fürsten war? Ist er dann nicht gefährlich?«
»Ganz und gar nicht.« Wexmell lächelte sie nacheinander an. »Wenn ich Recht habe, ist es ohne Bedeutung, denn durch die Widergeburt wurde die Seele gereinigt. Bellzazar hat vermutlich dadurch die größte Güte gezeigt, die mir je untergekommen ist. Er heilte einen Dämon von der Finsternis, und machte ihn neutral. Er gab einem von den Göttern bereits verurteilten Wesen eine zweite Chance auf ein sterbliches Leben. Und damit eine Chance auf eine bessere Nachwelt.«
Allahad dachte einen Moment darüber nach. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf und flüsterte vor sich hin: »Bei den Göttern, ich wusste nicht, dass das überhaupt möglich ist.«
»Wenn Zazar einen Dämonenfürsten heilen konnte«, überlegte Luro und blickte Wexmell fragend an, »können wir dann Zazar heilen, wenn er, wie Karrah sagt, besessen ist?«
Wexmell schüttelte traurig den Kopf. »Nur, wenn Zazar es wollen würde.«
»Und das können wir unmöglich wissen«, warf Allahad ein.
Luro blickte gen Himmel und seufzte, während der Regen sein Gesicht wusch. »Die Götter mögen mich bewahren, aber ich vermisse Zazar.«
Allahad und Wexmell nickten unisono. »Ich auch«, sagten sie wie aus einem Munde.
Und wie Allahad ihn vermisste. Trotz aller Differenzen, waren sie dennoch irgendwie und irgendwann Freunde geworden. Ohne ihn hätte er die Liebe zu Luro niemals zugeben können, ohne ihn hätte Allahad niemals seine Frau und Söhne für ein besseres Leben loslassen können. Ohne Bellzazar wären sie alle gar nicht mehr am Leben.
Aber wo, bei den verfluchten Göttern, steckte Zazar nur?