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KILOMETER 2 ERSTE LAUFERFAHRUNGEN
ОглавлениеLaufen, als Sport, hat sich durch meinen Vater in mein Bewusstsein geschlichen. Fast jeden Tag habe ich ihn als Kind nach der Arbeit die Laufschuhe anziehen sehen. Anfangs schaffte er als ehemaliger Raucher kaum den Kilometer von unserem Haus in Ehningen bis zum Waldrand. Mittlerweile hat er eine ganze Reihe an Marathons gefinisht, sogar unter drei Stunden. Seine Bestzeit liegt bei 2:51 Stunden. Er hat an vielen Wettkämpfen teilgenommen, auch im Ausland, und viele Jahre den „Naturpark Schönbuchlauf“ mitorganisiert, ein bekanntes Event in unserer Region.
Mein Bruder Roman und ich waren oft bei seinen Wettkämpfen dabei, verteilten Getränke und halfen beim Auf- und Abbau. Bereits als Kind gehörte Laufen für mich wie selbstverständlich zum Leben dazu. Als wir einmal, ich war fünf Jahre alt, am Bodensee waren und in einem Gasthof zum Essen saßen, wurde mir langweilig. Ich quengelte und wollte alleine in die Ferienwohnung zurücklaufen. Eine Strecke von ungefähr zwei Kilometern. Meine Eltern nahmen das natürlich nicht ernst und schickten meinen Bruder und mich raus auf den Spielplatz. Ich rannte ohne zu zögern los, sie fanden mich später spielend auf dem Bauernhof wieder. Ich verstand damals gar nicht, warum sich meine Eltern anschließend so darüber aufregten.
Nach dieser Geschichte nahm mich mein Vater regelmäßig mit auf seine Läufe, zunächst bis zum Waldrand, dann immer weiter. Er wählte ständig andere Strecken aus. Damit legte er die Grundlagen, von denen ich bis heute zehre. Laufen muss für mich abwechslungsreich sein und draußen stattfinden. Natürlich absolviert man als Leistungssportler auch Einheiten auf der Bahn oder, bei ganz fiesem Wetter, auch mal auf dem Laufband. Aber für mich ist beim Laufen eigentlich das Wichtigste, die frische Luft zu spüren.
Das Wetter war und ist mir bis heute völlig egal. „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, pflegte mein Vater zu sagen, und auch wenn der Spruch abgedroschen klingt, ist er doch wahr. Sich zu überwinden und den Schritt vor die Tür zu machen, ist die größte Hürde. Nach spätestens einem Kilometer ist einem sowieso warm, und alles ist gut. Die Umgebung hat für mich mindestens den gleichen Stellenwert wie das reine Laufen. Ich frage mich manchmal, ob ich denselben Weg eingeschlagen hätte, wenn ich in der Stadt aufgewachsen wäre. Naturnahe Laufstrecken direkt vor der Haustür haben meine Leidenschaft für diesen Sport mit Sicherheit befördert.
Der Antrieb, besser zu werden, zielgerichteter zu trainieren, entwickelte sich relativ schnell. Meine Karriere im Vereinssport begann jedoch zunächst wie bei den meisten Jungs: mit Fußball. Mit sieben Jahren wurde ich Mitglied im TSV Ehningen – bis meine Talentfreiheit am Ball zu offensichtlich wurde. Ich konnte ausdauernd laufen, was ich auf dem Platz auch tat. Aber ich konnte leider nichts mit dem Ball anfangen. Der Trainer gab mir sehr bald den Rat, es doch lieber mit Leichtathletik zu versuchen.
So wechselte ich nach nur einem Jahr zum TSV Dagersheim in die Leichtathletik-Abteilung, die über einen sehr engagierten, jungen Trainer verfügte. Björn Holst ist dort bis heute tätig. Er sorgte für meine leichtathletische Grundausbildung. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich nur gelaufen, aber ich musste auch die Wurfdisziplinen und Hochsprung trainieren, was ich hasste. Im Rückblick war das eine sehr wichtige Zeit für mich. Das Laufen kristallisierte sich allmählich als meine Disziplin heraus. Es hat mir von Beginn an den meisten Spaß gemacht. Ich fühlte mich dabei so, als würde ich schweben.
Dass ich kein sportlicher Überflieger war, sollte sich einmal mehr zeigen, als ich zwei Jahre später an einem Sichtungsprogramm beim VfL Sindelfingen teilnehmen wollte. Der VfL war der wichtigste Verein in unserer Region. 1977 wurde in Sindelfingen der Glaspalast gebaut, ein hochmodernes Trainingszentrum mit 200-Meter-Laufbahn. Beim VfL hielt die Sprinterin und Hürdenläuferin Birgit Hamann (geborene Wolf), die 1996 in Atlanta über 100 Meter Hürden an den Olympischen Spielen teilnahm, Sichtungslehrgänge ab. Gemeinsam mit meinem Grundschulfreund Andreas nahm ich an einem solchen Lehrgang teil. Wir wurden auf unsere motorischen und athletischen Fähigkeiten getestet – und ich versagte auf ganzer Linie. Im Gegensatz zu Andreas, der eine Einladung erhielt, zum VfL zu wechseln. Da er das nur in Begleitung seines besten Freundes machen wollte, kam ich mit viel Glück doch noch zum VfL Sindelfingen, obwohl es eine ganze Menge talentierterer Kinder gab. Heute, 22 Jahre später, ist von den damaligen Athleten außer mir keiner mehr im Leistungssport. Denn außer Talent ist der Umgang mit Widrigkeiten offenbar ein ganz wichtiger Faktor auf dem Weg in die Spitze.
Für den VfL Sindelfingen bestritt ich erste 1000-Meter-Wettkämpfe auf Kreis- und Bezirksebene. Damals gab es Teamwettbewerbe, bei denen man als Verein gegen andere Vereine in allen Leichtathletik-Disziplinen antrat. Alle mussten besetzt werden, es konnten aber Athleten auch mehrfach starten. Die 1000-Meter-Läufe waren traditionell bei fast allen megaunbeliebt, deshalb hatte ich, der diese Distanz liebte, ein gutes Standing im Team. Manchmal musste ich auch in der Staffel mitsprinten. Aber nur auf der Langstrecke war ich richtig gut und konnte Punkte fürs Team sammeln.
An den Tag, an dem ich meine erste Urkunde erhielt, erinnere ich mich genau. Es war im Sommer 1996, ich war noch nicht ganz neun Jahre alt. Bei einem Lauf-Cup in unserer Region nahm auch mein Vater teil. Manche boten zusätzlich Kinderläufe an, und bei einem solchen erhielt ich meine erste Auszeichnung. Ich hatte es als Dritter aufs Podium geschafft. Obwohl nach 400 Metern meine Lunge und die Beine gebrannt hatten, wollte ich dieses Gefühl wieder erleben. Der Schmerz war das eine. Aber zu spüren, dass man das, was man liebt, auch gut kann, war ein riesiger Ansporn. Von diesem Tag an habe ich zielgerichtet trainiert und versucht, immer besser zu werden.
Als 13-Jähriger stand ich dann zum ersten Mal bei einem Sichtungslehrgang für den Landeskader Württembergs an der Schwelle zum Leistungssport.