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Das Leben möchte schöner sein *

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Die meisten der kleinen quadratischen Scheiben in dem Fabrikraum waren mit Holzbrettchen vernagelt, andere mit weißer Farbe überstrichen. Gary zersägte im Halbdunkeln mit einer Handsäge Holzleisten für einen Bilderrahmen. In der Kälte entwichen Kondenswolken seinem Mund, während sein Fuß die Leisten auf eine Kante eines Hockers drückte und sein Arm einen Fuchsschwanz mit kräftigen gleichmäßigen Bewegungen hin- und herbewegte. Der vordere Teil fiel herab. Geduldig raspelte und feilte er die Enden, strich mit dem Daumen prüfend darüber, ob sie glatt genug waren. Dann zog er seinen Fleece aus, holte aus einem Regal Leim hervor und verteilte ihn, presste die Enden zusammen, band ein Seil herum, das er mit einem Bleistift spannte, richtete noch einmal die Ecken aus, maß den rechten Winkel nach, legte den Rahmen zum Trocknen auf den Betonboden und beschwerte ihn. Zufrieden setzte er sich, kühlte seinen frischen Tee durch Blasen und sog an einer selbstgedrehten hauchdünnen Zigarette. Langsam wich seine Wut, die seit drei Wochen in ihm tobte und an der seine Galeristin Schuld hatte. Sie hatte ihn in seinem Atelier besucht, um neue Bilder für die Galerie auszusuchen, hatte die neuen Bilder studiert und plötzlich losgewettert, hatte die neuen Bilder als Stilbruch bezeichnet und was er sich dabei eigentlich gedacht habe und dass sie unverkäuflich seien und wieso er plötzlich experimentiere und dass die Käufer ihr und ihm so etwas nicht verzeihen würden und dass das äußerst unprofessionell sei und dass man so doch keine Geschäfte machen könne und dass man auch mal an die Kunden denken müsse, die seine Bilder als Wertanlage gekauft hätten oder kaufen wollten und dass er sich so eine andere Galerie suchen müsse, wenn er nicht sofort zu seinem alten Stil zurückkehre. Dann war sie, ihr samtenes Kostümchen zurecht zupfend, abgerauscht. Gary war nicht in der Lage gewesen, sie nach draußen zu begleiten. Er hatte völlig perplex mit den Händen tief in den Hosentaschen dagestanden und hatte versucht zu begreifen, was eigentlich so schlimm an seinen Neuerungen war. Er hatte doch eigentlich gar nicht mit seinem Stil gebrochen, hatte immer noch mit expressiven Strichen freche und punkige Leute gemalt. Der einzige Unterschied war doch gewesen, dass die Farben nicht mehr so ins Rote und Pinke kippten und dass er die Gesichter etwas genauer durchgemalt hatte, während die Hintergründe etwas mehr angedeutet geblieben waren. Das hatte ihm gut gefallen, hatte den Bildern etwas mehr Leben, ein klein wenig mehr ‚Realität‘ verliehen. Daran konnte nichts verkehrt sein. Sowieso hatte ihn am meisten geärgert, dass diese Person sich herausgenommen hatte, ihn wie einen kleinen Jungen zu behandeln, der etwas angestellt hatte. Sie hatte ihn vor einigen Jahren in einer kleinen Gruppenausstellung entdeckt und mit anderen Künstlern zusammen eine neue Welle britischer Künstler kreiert, die deformierte, meist menschliche Figuren in der Tradition Francis Bacons und Marlene Dumas mit frischer, aggressiver Wildheit verbunden hatte. Aber bedeutete dies denn, dass er nun für immer dieses Schema hundertprozentig erfüllen musste? Durfte er nicht mehr er selbst sein? Schon länger war er mit seinem Stil und den Bildern unzufrieden, ja gelangweilt und hatte heimlich andere Sachen ausprobiert. Diese wirklich durchgreifenden Neuerungen hatte er ihr noch gar nicht gewagt zu zeigen. Das hatte er erst in einem nächsten Schritt vorgehabt.

Jedenfalls hatte er seit diesem Ereignis fast nicht mehr gemalt, sondern Tag für Tag in dem verdunkelten Atelier herumgelungert, hatte sortiert, umgeschichtet und überlegt. Er hatte sich vorgestellt, dass die Galeristin einlenkte und sich bei ihm meldete und entschuldigte. Das war aber nicht passiert und so hatte er angefangen, sich darüber Gedanken zu machen, wie es weitergehen könnte. Realistisch betrachtet, sah er keine Chance, ohne sie, seinen Status beizubehalten. Die Frage war, sollte er sich verkaufen und heimlich vielleicht unter einem Pseudonym einen neuen Weg gehen? Oder sollte er die Galerie stolz verlassen und von vorne anfangen?

Im Atelier nebenan rumorte es. Das war Jannek. Er war immer da und immer kreativ. Da er keine Galerie hatte, verkaufte er nur ab zu ein Bild, was ihm gerade so die Miete für das Atelier und die Unkosten für das Material wieder einbrachte. Aber das schien ihn nicht zu stören, im Gegenteil, keiner redete ihm rein und er arbeitete völlig frei. Außerdem war er sehr produktiv, nie schienen ihm die Ideen auszugehen, er arbeitete konstant wie ein Besessener. Das hatte Gary tief beeindruckt und er war eifersüchtig darauf, denn er konnte nicht arbeiten, ohne zu wissen, dass es für eine Ausstellung oder eine Auftragsarbeit für einen potentiellen Kunden war. Einfach nur zu malen, empfand er als produktiv und kontraproduktiv zugleich, denn es brachte jede Menge Resultate, die aber niemand haben wollte. So war man doch sein eigener Konkurrent und überflutete den (nicht vorhandenen) Markt mit seinen eigenen Bildern.

Gary holte eine Gruppe kleiner Leinwände hervor, die er alle in letzter Zeit vorbereitet hatte, und stellte sie vor sich hin. Er hatte sie erst mit feinstem Porträtleinen bespannt und dann mit fünf Schichten Grundierung bestrichen. Jede Schicht hatte er hinterher mit feinstem Sandpapier abgeschmirgelt, so dass die Leinwände so glatt waren, dass es eine Wonne war, über sie zu streichen.

‚Was nun?‘ fragte er sich nun immer wieder. Es kamen ihm Zweifel. Er wusste nicht wie anzufangen. Diese perfekten Oberflächen kamen ihm auf einmal zu klein vor, regelrecht mickrig. Er rauchte eine neue Zigarette. Nein, er konnte sie nicht mit Farbe bekleckern und verstaute sie wieder.

Zwanzig Zwanzig

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