Читать книгу Zwanzig Zwanzig - Boris Born - Страница 18
*
Оглавление„Nur wir?“ fragte Jannek überrascht. Junge Leute kippten an der Theke des Pubs Einstimmungsschnäpse in Vorbereitung auf eine wilde Nacht in den Clubs. Gary bestellte Jannek ein Bitter-Bier und sagte:
„Ja, nur wir. Außer du erwartest noch jemand.“
„Ich? Nein. Wollte denn keiner deiner Freunde mit?“ fragte Jannek.
„Nein, als sie gehört haben, dass ich tatsächlich schlicht ein Bier trinken gehen will und sonst nichts, haben sie alle der Reihe nach abgesagt.“
„Hm, aber es ist schließlich dein Junggesellenabschied“, sagte Jannek nachdenklich. Sie stützten ihre Ellenbogen auf die Theke und betrachteten das Treiben. Jannek hatte sich für einen kurzen Moment geschmeichelt gefühlt, weil ihm als einziger die Ehre zu Teil wurde, diesen Abend mit Gary zu verbringen. Aber dann kam ihm in den Sinn, dass Gary vielleicht insgeheim darauf gehofft hatte, er würde für ihn eine ‘Stag night’ Party ausrichten, genauso wie dies die Freundinnen Dayas in wochenlanger Vorplanung für ihre ‚Hen night‘ getan hatten.
‚Konnte das wirklich sein?‘ grübelte er nun und musterte Gary vorsichtig. ‚Hätte er es tatsächlich gemocht, wenn sich überraschend alle seine Freunde versammelt hätten und sie nach Brighton oder irgendwohin aufgebrochen wären und hemmungslos die Sau rausgelassen hätten? Vielleicht. Vielleicht hätte er es sogar gut gefunden, am darauffolgenden Tag irgendwo nackt oder in einer peinlichen Situation oder Position wieder zur Besinnung zu kommen.‘ Dann verwarf Jannek aber seine Zweifel wieder und tröstete sich damit, dass für ihn ein solches Treiben doch sehr gegen den Strich ging und schlicht nicht zur Debatte stand. Und Gary musste dies wissen. Es konnte gar nicht anders sein. Das Konzept einer Heirat war schließlich sowieso Unsinn: ein paar Worte und ein Stück Papier - was bedeutete das schon, warum sollte jemand darauf Zeit und Geld verschwenden?
Gary schwieg schlecht gelaunt.
„Weißt du, ich habe einen Freund“, sagte Jannek, „der hat heimlich geheiratet und seine Frau und er haben es niemandem erzählt. Die Hochzeit war schnell getan und die billigste überhaupt: nur die Gebühr auf dem Amt und ein paar Bier hinterher mit den Trauzeugen - sonst nichts. Also unter 50 Pfund alles zusammen. Die beiden sind jedoch nach einigen Jahren deshalb sehr unglücklich gewesen, denn die Eltern hatten sie dauernd gedrängelt endlich zu heiraten, besonders als sie auch noch Kinder bekommen hatten. Aber sie hatten nicht mehr den Mut gehabt, es ihnen zu sagen. Stell dir vor, am Schluss haben sie sogar überlegt, sich wieder scheiden zu lassen.“
Gary lachte trocken. Unerwartet leerte er sein Pint in einem großen Zug und hielt mürrisch einer hübschen Frau seinen Tabak hin, die ihn nach einer Zigarette gefragt hatte. Sie war mit einer Freundin da und es drängte sich regelrecht auf, sich ihnen anzuschließen. Sie konnte keine Zigaretten drehen und so steckte Gary den Tabak einfach wieder ein und verließ die Kneipe ohne auf Jannek zu warten. Jannek hastete sein Bier herunter, griff sein Jackett und lief hinter ihm her.
„Weißt du was“, sagte er zu ihm verärgert, es regnete dicke Tropfen, „entweder, wir gehen hier irgendwie akzeptabel einen Trinken, so wie normalerweise oder wir lassen es halt.“
Gary versteinerte. Zögerlich nickte er und als sie an einem Pub vorbeikamen, der Striptease anbot, wollte er dort hineingehen. Jannek stimmte widerwillig zu.
Gary bezahlte die acht Pfund Eintritt und ein Türsteher drückte ihnen einen verschmierenden Stempel auf den Handrücken. Sie drängelten sich durch drei Reihen an der Bar stehender Männer und bestellten Bier. Bald verrenkte sich eine gedrungene Frau zu Discomusik auf dem Teppich. Sie zog ihre Unterhose, die nicht mehr als ein ekliges, gelbliches Stoffdreieck an Fäden war, aus ihrem Hinterteil und nach unten. Währenddessen kam eine andere mit durchsichtigen Dessous bekleidete Frau zu Jannek und Gary und forderte sie dazu auf, für den Striptease fünf Pfund zu entrichten. Kaum hatten sie jeder einen Fünfpfund-Schein in den Pappbecher geworfen, da war die Show auch schon vorbei.
Nach einer viertel Stunde sammelte die leicht bekleidete Frau für den nächsten Striptease Geld ein. Alle warfen schnell irgendwelche Münzen in den Becher, auf keinen Fall fünf Pfund, sondern weniger und die Frau zeterte bei jedem, dass sie genau gesehen habe, dass es niemals fünf Pfund gewesen seien. Aber niemand scherte sich darum und so ging sie schlecht gelaunt zum nächsten. Jannek und Gary taten es nun den abgebrühten Stammkunden gleich und warfen nur jeweils ein Fünfzig-Pence-Stück in das Gefäß. Gary versuchte sogar wieder etwas Geld herausnehmen, bekam aber etwas auf die Finger.
Als die Show losging, drängelten die vielen Männer sie aggressiv zur Seite und versperrten ihnen die Sicht. Die kahlen Birnen des Kronleuchters gaben ein unvorteilhaftes Licht ab. Was Jannek erkannte, war, ein sich ungelenk verrenkender, mehliger und schwabbeliger Körper. Außerdem legten einige blaue Flecken nahe, dass die Frau vielleicht geschlagen worden war. Nach einer Pause räkelte sich eine andere Stripperin schwachsinnig auf dem Billardtisch herum.
„Nicht auszuhalten“, zischte Gary, „raus hier!“
Sie drängelten sich auf die Straße, die nun voller vergnügungssüchtiger Menschen war, die auf der Suche nach dem ultimativen Ausgeh-Erlebnis, sich in jede kleine Kneipe pressten, Kneipen, die früher einmal Schuhläden oder sonst etwas waren und deren Wände und Möbel nun mit Leopardenmustern oder mit grellen Blumentapeten versehen waren und die mit Techno-Musik lockten. Es war nun deutlich kühler geworden, auch regnete es etwas mehr, aber Gary, der nur im T-Shirt gekommen war, schien das nichts auszumachen. Sie liefen an hupenden Autos vorbei, die an einer überfüllten Kreuzung stecken geblieben waren, durchkreuzten Lichtkegel, die die fallenden Wasserfäden beleuchteten, bis zu einer Tankstelle, an dessen Geldautomat Gary Geld entnehmen wollte. Während sie warteten, bis er an der Reihe war, überlegten sie, was sie nun machen könnten. Gar nicht weit, gab es einen anderen, großen Striptease-Club, der von draußen sehr professionell wirkte, denn neonblaues Licht beleuchtete das schwarz gestrichene Gebäude.
„Die haben amerikanischen Stil“, sagte Gary wissend und Jannek gab sich beeindruckt, da er keine Ahnung hatte, was das zu bedeuten hatte. „Also Pole-Dance und Tabledance“, setzte Gary hinzu.
„Was du nicht sagst!“ bemerkte Jannek ironisch, obwohl er gehofft hatte, dass das Begaffen von Fleisch nun vorbei war. „Brauchen wir das wirklich noch? Wozu dient es? Um sich aufzustacheln? Und dann? Dann ist man in erster Linie eine gehörige Summe los.“
Gary lachte auf und gab ihm Recht.
„Nicht weit von hier ist eine russische Bar, das gefällt uns bestimmt besser“, schlug Jannek vor, „die spielen schlechte Diskomusik zu der aufgetakelte russische Mädchen toben. Was hältst du davon?“
Gary erklärte sich einverstanden und sie marschierten wieder in die entgegengesetzte Richtung, gegen den Strom der Leute, die betrunken schwankten. Etliche übergaben sich in Ecken. Es gab Gerangel und Streitereien. Ab und zu musste Gary jemand zur Seite schubsen, weil er ihnen dumm kommen wollte.
Vor dem Club mit kyrillischer Schrift und roten Sternen an der Fassade stand ein breiter Türsteher, der aber freundlich alle hineinließ. Die Stimmung schlug hohe Wellen, es wurde viel Wodka getrunken und ausgelassen getanzt. Gary sah sich zufrieden um und sie setzten sich auf Barhocker an der Theke und bestellten Flaschen mit interessant aussehendem, russischem Bier. Gary begann ein Gespräch, wie sie es schon oft im Atelier geführt hatten, über den Kunstmarkt und Galerien. Jannek verstand in dem Krach nur die Hälfte, nickte aber ab und zu wohlwollend.
Nach weiteren zwei Bieren ging Jannek die Treppe hinunter in den Keller, wo sich die Toiletten befanden. Dort roch es wie im Zoo und er beeilte sich. Er hatte gerade den Weg zurück zur Treppe wiedergefunden, als am oberen Ende ein völlig betrunkener Mann einen Stoß in den Rücken erhielt und kopfüber die Steinstufen hinabfiel. Knochen krachten, er überschlug sich und Jannek sprang reflexartig im letzten Moment zur Seite. Der Körper schlug auf dem Beton auf und blieb regungslos liegen. Eine Blutlache bildete sich neben dem Kopf, aber in dem funzeligen Licht war kaum mehr zu erkennen. Jannek war sich nur sicher, dass hier schnellstens ärztliche Versorgung benötigt wurde. Dafür rannte er hinauf, informierte den Türsteher und bat ihn, einen Krankenwagen zu rufen. Das machte der aber nicht, sondern holte einige Angestellte, die nach unten gingen, um nachzusehen, was los war. Außerdem versperrte ein anderer Mann Jannek den Weg, als er folgen wollte. Er erklärte ihm in gebrochenem Englisch, dass alles okay sei und der Mann morgen bestimmt Kopfschmerzen habe. Jannek sah aber, wie die Männer unten eine Tür nach draußen öffneten und den leblosen Körper hinaustrugen. Hilflos drängelte er sich durch die bei ‚Rasputin‘ und anschließend ‚Dschingis Khan‘ hemmungslos Tanzenden zurück an seinen Platz.
Gary hatte sich schon gewundert, wo er so lange geblieben war und sah ihn fragend an.
„Sie werfen ihn einfach auf die Straße“, rief Jannek empört, nachdem er sich dicht neben Gary gestellt und einen tiefen Schluck aus seiner Flasche getrunken hatte. Anschließend erzählte er das Geschehene. Gary versuchte ihn zu beruhigen, indem er ihm versicherte, dass man so schnell nicht sterbe. Da Jannek aber darauf bestand, gingen sie hinaus, um nachzusehen, was mit dem Verletzten passiert war.
In der Seitenstraße gleich um die Ecke am Ende einer Treppe befand sich eine Kellertür der Diskothek, die gerade wieder von innen verriegelt wurde. Sie sahen in alle Richtungen, aber niemand war da und alles war völlig ruhig.
„Wo sind sie nur so schnell hin?“ fragte Jannek. Drei zwielichtige Gestalten kamen um die Ecke, weil sie wohl einen Platz zum Kiffen suchten. Jannek und Gary gingen wieder hinein und bestellten sich neues Bier.
„Lass uns die Polizei rufen“, sagte Jannek.
„Auf keinen Fall!“ erwiderte Gary. „Jeder muss auf sich alleine aufpassen können. Das ist ein Gesetz der Großstadt. Der Mann trug, als er sein Haus verließ, eigenverantwortlich das Risiko unter die Räder zu kommen.“ Diese komische Ansicht bewirkte, dass Janneks Stimmung einen neuen Tiefpunkt erreichte. Sie beendeten den Abend. Auf der Hauptstraße war es heller als in dem Club. Immer noch lungerten Vergnügungssüchtige unzufrieden und resigniert herum und Jannek sagte bedauernd:
„Mist, wir haben es nicht mal geschafft, uns zu betrinken.“
Gary lachte sarkastisch auf und rannte zu einem Nachtbus.
Jannek ging den ganzen Weg zu Fuß nach Hause. Er studierte die Auslagen derjenigen Geschäfte, die nicht völlig von Rollläden verrammelt waren. Wenn die Scheinwerfer der Autos ihn blendeten, spielte er mit dem Licht, indem er seine Augen zusammenkniff oder versuchte, direkt hineinzusehen.
Nach einer Stunde erreichte er die Wohnung. Erleichtert, den Abend hinter sich gebracht zu haben, brühte er Tee. Hoffentlich würde er keinen Kater bekommen. Sein Mitbewohner war nicht da oder schlief schon. Im dunklen Wohnzimmer hockte er sich auf den Teppichboden neben ein Fenster und wartete auf Toshiko, die nach ihrer Junggesellinnen-Abschiedsfeier mit Daya bei ihm übernachten wollte. Die gelbe Straße war menschenleer. Eine Katze huschte unter ein Auto, ein Fuchs streunte vorbei.
Als Toshiko endlich kam, setzte sie sich auf ihre Füße.
„Wir haben ein Striplokal besucht,“ stöhnte sie, „Daya hat man Sexspielzeuge geschenkt und ein männlicher Stripper wurde an unseren Tisch geholt. Sie haben alle nach jedem Kleidungsstück, dass er fallen ließ, gekreischt und verrückt gespielt. So etwas habe ich noch nie erlebt! Pure Hysterie! Was für ein Blödsinn. Ich dachte, ich steh‘ das nicht durch. Und bei dir?“
„Stell dir vor“, sagte Jannek, „außer mir ist niemand anderes gekommen! Wir zu zweit herumgezogen! Es wurde dann ein ordinärer Abend in einer russischen Disko. Schon weil er wie immer war, war er reichlich missglückt.“ Entrüstet berichtete er auch von der Sache mit dem Gestürzten.
„Nein, so was!“ rief Toshiko und legte ihren Arm um ihn.