Читать книгу Zwanzig Zwanzig - Boris Born - Страница 13
*
ОглавлениеWie jedes Jahr nutzte Jannek Heiligabend um zu malen, denn an diesem Tag, waren alle beschäftigt und in den Ateliers war es sehr ruhig. Er durchkreuzte Stephens Atelier, der Weihnachten am Bodensee bei seinen Eltern verbrachte. Bevor er abgefahren war, hatte er seine Wände weiß getüncht und wegen der bitteren Kälte, wie er es bei Jannek gesehen hatte, alle Fenster und den oberen Teil mit Bergen von Luftpolsterfolie abgeklebt, die der Wind, jedes Mal, wenn man eintrat, aufblähte. Außerdem hatte er große Mengen Papierblöcke, Kohlestäbchen, Kreiden, Pastellkreiden, Aquarellkästen und Farbstifte angeschafft. Geld schien bei ihm, nur eine nebensächliche Rolle zu spielen. Er hatte einen Zeichentisch aufgestellt und grundierte Leinwände an die Wände gehängt, hatte Papiere aufgezogen und etwas gezeichnet. Diese ersten Malversuche sahen dilettantisch und hölzern aus: Monster wie aus Superhelden-Cartoons, aber mit speckiger Ölfarbe zentimeterdick aufgespachtelt.
Jannek stellte sehr laut Punk-Musik an und fing an zu arbeiten. Der treibende Rhythmus ließ seine Pinsel geschwind und kraftvoll über das Bild tanzen. Er rührte Farben, schüttete, kratzte, malte ganz versunken. Er fühlte die Farbe, roch sie, schwamm darin, wurde zu erdigem Grün, zu rostigem Rot, zu rußigem Schwarz. Er stempelte symmetrische und asymmetrische Muster, alles gelang. Irgendwann tauchte er wieder auf. Es war gut. Seine ganze Energie hatte sich auf das Bild übertragen, er war das Bild gewesen. Zufrieden trank er grünen Tee und aß dunkle Schokolade, dann arbeitete er an einem anderen Bild. Als es Abend wurde, hörte er auf. Er zog sich um, aber er fühlte sich weiterhin ganz entrückt. Sonst hasste er diesen Zustand, fand ihn irgendwie beunruhigend oder ungesund, aber nicht an diesem Abend, denn Heiligabend war sowieso ein ‚entrückter‘ und unwirklicher Tag.
Wieder kam kein Bus, diesmal vielleicht, weil alle Busfahrer schon in Weihnachtsstimmung waren und an der Endhaltestelle zusammen feierten. Er lief also wieder. Die Schrottplätze waren verschlossen und fast friedlich. Im schwarzen Regen lief der Rost in Rinnsalen am Eisen herab.
Als er an dem Pub vorbeikam, in dem er noch vor einer Woche mit der merkwürdigen Frau mit dem langen Hals geredet hatte, überlegte er kurz hineinzugehen, aber in den letzten Tagen hatte sich viel verändert. Er hatte sich verändert. Also sprang er stattdessen in einen Bus, der ihn direkt zu Toshiko bringen würde und der wie auf Bestellung gerade neben ihm an einer Haltestelle angehalten hatte.
Toshiko freute sich. Sie hatte gerade eine Ramen-Suppe fertiggekocht, genug auch für zwei und machte etwas Sake warm. Nachdem sie lange zusammen auf einigen Tatami-Matten an einem japanischen Tisch geredet und gegessen hatten, Jannek hatte schon nicht mehr gewusst, wohin mit seinen steif gewordenen Beinen, beschlossen sie durch einige Pubs auf einer belebten Straße in Islington zu ziehen. Ein ungemütlicher Schneeregen sprühte aus allen Richtungen und in jeder Kneipe trank Jannek ein Bitterbier und Toshiko ein Ginger Ale oder ein Gin Tonic. Kurz nach elf wurden sie gerade noch in einen Pub hineingelassen, bevor die Tür wegen der Sperrstunde verriegelt wurde und lichtdichte Vorhänge vorzogen wurden. Jemand drückte ihnen Christmas Cracker in die Hand, die sie knallen ließen. Die Papierkronen setzten sie sich auf und bestellten Getränke. Alte, stark geschminkte Frauen tanzten mit torkelnden Männern auf dicken, biergetränkten roten Teppichen. Toshiko und Jannek lachten mit, drehten sich zu Slade: ‚Merry Xmas everybody‘ und tranken, bis der Wirt im Morgengrauen alle Gäste hinauswarf.