Читать книгу Zwanzig Zwanzig - Boris Born - Страница 16

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Dayas Atelier lag in einem kleinen Fabrikgebäude im Stadtteil Stratford in Ostlondon. Die zwei Etagen hatte man in jeweils 12 Einheiten unterteilt. Jede Einheit war ungefähr fünf Quadratmeter groß. Die Künstler dort hatten zu einem ‚offenen Abend‘ eingeladen. Alles war aufgeräumt, Bilder aufgehängt und es gab Wein. Daya stand in einem indischen Kleid vor ihren neusten Leinwand-Bildern. Jannek überzeugten sie nicht, da er sie zu dünn und zu kunsthandwerklich fand, eher wie abstrakte Muster, aber er hatte in England gelernt, vorsichtig mit einem voreiligen Urteil zu sein, denn oft täuschte der erste Eindruck und es gab einen tieferen Sinn. Tatsächlich erklärte Daya einem schlanken schwarzen Mann, dass sie traditionelle, indische Symbole aufgriffe und mit dieser Zeichensprache sogenannte ‚Traditionswälder‘ herstelle. Der Mann erwiderte, dass die Muster ihn an Fische erinnerten, woraufhin Daya ihre strahlend weißen Zähne zeigte und es fast begeistert bejahte.

Nach der Eröffnung luden Daya und Gary Jannek zu sich nach Hause ein. Sie wohnten nicht weit weg in einem viktorianischen Schachtel-Häuschen, das sie gemietet hatten, und das so winzig war, dass seine gesamte Fläche zusammen, gerade mal einen relativ anständigen Raum würde ergeben haben. Für die zierliche Daya schien es noch irgendwie bewohnbar, für Gary dagegen, musste es die Hölle sein wie ein Käfig oder ein Puppenhaus, denn er eckte überall an. Nachdem sie die Teigtaschen, die Daya schon am Nachmittag zubereitet hatte, verspeist hatten, tranken sie im Gärtchen Dosenbier. Ein heftiges Geschrei von sich prügelnden Leuten kam über den Zaun von der Straße und Dayas und Garys fette Katze sprang verstört herbei. Gary rauchte eine Selbstgedrehte und sie lästerten über Künstler, die es geschafft hatten und Ausstellungen in renommierten Galerien bekommen hatten. Alles war selbstverständlich nur Beziehung und Glück gewesen und außerdem waren sie selbstverständlich auch alle nicht richtig gut. Es ging dann bald um Roy den Perfektionisten, über den Jannek und Gary sich am liebsten lustig machten. Der bestrich nun schon seit Wochen vierzehn Stunden täglich drei Holzkisten monochrom mit einer einzigen Sorte dunklen Blaupigments. Er musste schon um die fünfzig Schichten aufgetragen haben. Außerdem schwärmte er gerne von Ausstellungen, die er gehabt hatte oder die bald anständen und von Galeristen, die sich angekündigt hätten.

Die Luft war mild, die Nacht klar und Daya hatte sich müde auf ein Kinderbänkchen gesetzt und ihren Kopf bei Gary angelehnt. Jannek fühlte sich sehr befangen über dieses Künstlerglück im ganz Kleinen. Es kam ihm unwirklich vor wie das Glück von Knetmasse-Menschen. Er kündigte an, dass er aufbrechen wolle.

Auf dem Weg ins Haus haute er sich mächtig den Kopf an einem Türrahmen an. Den Schmerz überspielend, der ihm in Wirklichkeit die Tränen in die Augen getrieben hatte, erkundigte er sich, nach einem kleinen Holzschnitt, der gleich vor ihm hing. Darauf tanzte ein Mann, der einen kegelförmigen Hut trug auf einem Seil, das ganz dicht über der Erde angebracht war. Der Hut hatte etwas Asiatisches und war ihm viel zu groß. Die Figur auf dem Druck bildete eine Achse, die Balancierstange die andere wie bei einem X. Der Körper selbst war zackig und nichts stimmte an ihm.

„Ist das expressionistisch?“ presste er also hervor und hielt sich seine anschwellende Beule.

„Ja“, antwortete Daya, „bist du okay?“

„Geht schon“, erwiderte er.

„Der Druck ist vor dem zweiten Weltkrieg entstanden und wohl in Deutschland. Ich habe aber nie herausfinden können, wer ihn gemacht hat. Mein Vater hat ihn mir geschenkt. Er hat ihn von einer jüdischen Familie, die ihn im Krieg mit nach London gebracht hat. Mein Vater hat dieser Familie eine Versicherungspolice verkauft und das Bild war ein Teil der Vereinbarungen. Er wollte mir eine Freude machen.“

Sie spekulierten über die Aussage des Bildes. Jannek erwähnte den Seiltänzer aus Nietzsches ‚Zarathustra‘. Aber sie konnten sich alle drei nicht mehr genau an die Geschichte erinnern und so sagte Gary:

„Lasst uns also darauf einigen, dass dieser Seiltänzer ein Sinnbild des Künstlers an sich ist. Er wandelt ständig über seelische und kommerzielle Abgründe, hat immer Angst zu fallen. Aber er bewegt sich ungezwungen, kreativ und verspielt, denn das sind schließlich seine einzigen Fähigkeiten.“ Sie lachten und Jannek verabschiedete sich.

Zwanzig Zwanzig

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