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04:00

DEM SCHLAF HINTERHERHECHELN

Ich hasse es, zu scheitern, und ich hasse es, müde zu sein. Also habe ich mich eifrig einer neuen Aufgabe verschrieben: Du sollst schlafen.

Gut, aber wie? Ich las mich ein. Ich durchforstete Artikel und Bücher wie Das große Buch vom Schlaf von Matthew Walker, ein Bestseller über die enorme Bedeutung des Schlafs. Mit einer Fülle von Forschungsergebnissen bläut er uns ein, wie ungesund es ist, wach zu liegen. Aber er ist ein Optimist: Schlaf ist eine Frage guter Angewohnheiten. Schlafen wir nicht gut, so Walker, fehlt es vermutlich an «Schlafhygiene» – gemeint ist die Art, wie wir uns auf die Nacht vorbereiten. Sein Buch endet daher mit einer Liste von Tipps, die den Schlaf in greifbare Nähe bringen sollen. Sie dürften sie in etwa kennen, weil es auch in Zeitschriften und im Internet nur so davon wimmelt: Nicht rauchen, nicht trinken. Abends keinen Kaffee und keine schweren Mahlzeiten mehr. Sport treiben, aber nicht kurz vor dem Schlafengehen. Darauf achten, dass wir tagsüber etwas Sonne tanken. Einen festen Rhythmus beibehalten. Schwere Vorhänge anschaffen und derlei mehr.

Ich saugte das alles förmlich auf. Irgendwann kannte ich sämtliche Fakten: Dass achtzehneinhalb Grad die ideale Temperatur für Schlafzimmer ist; dass es sieben Stunden dauert, bis die Hälfte der Tasse Kaffee verstoffwechselt ist; dass das künstliche Licht von Lampen und Bildschirmen den Schlafrhythmus durcheinanderbringen kann usw.

Ich wusste es nicht nur, ich verhielt mich auch entsprechend. Wenn die Lösung in guten Angewohnheiten bestand – prima! Dann würde ich meine Angewohnheiten eben entsprechend anpassen. Ich strich erst den Kaffee, dann den Tee, schließlich sogar meine geliebte tägliche Ration pure Schokolade. Ich kaufte mir eine Brille mit Blaulichtfilter und installierte eine App, bei der mir ein Brite namens Andy erzählte, meine Beine würden schwer.

Ich kann darüber hinaus noch viel mehr Tipps aufzählen, die ich in den letzten Jahren ausprobiert habe, um schlafen zu können.

Mehr Bewegung.

Weniger Zucker.

Vor dem Schlafengehen etwas Eiweißhaltiges essen.

Ein fester Rhythmus.

Ein kühles Schlafzimmer. Ein dunkles Schlafzimmer. Ein leises Schlafzimmer. Ohrstöpsel. Eine Schlafmaske. Dunkle Vorhänge.

Meditieren.

Nicht meditieren, einfach ganz normal mit Freunden ausgehen.

Durcharbeiten, bis die Augen brennen. Rechtzeitig aufhören und sich Zeit für ein ausgedehntes Schlafritual nehmen. Eine Tasse heiße Milch, eine Stunde Lesen, eine warme Dusche, Lavendelöl auf dem Kissen.

Aufstehen, wenn es nicht klappt. Erst recht liegen bleiben, wenn es nicht klappt. Dem Bett nicht entfliehen, denn das, wovor man flieht, wirk dadurch nur noch beängstigender. Von tausend rückwärtszählen. Von zehntausend rückwärtszählen. In Dreierschritten.

Aufschreiben, woran wir denken. Alles, woran wir denken, als unwichtig ad acta legen.

Kognitive Verhaltenstherapie.

Melatonin. Magnesium. Baldrian. Hopfen. Kamille.

Joints aus dem offenen Schlafzimmerfenster rauchen, bis wir schlichtweg zu high sind, um noch in der Senkrechten zu bleiben.

Ich könnte diese Liste endlos fortsetzen.

Der Sandmann kam nicht. Trotz meiner Bemühungen um Schlafhygiene, blieb ich anscheinend zu unhygienisch, um ins Bett gehen zu können.

Ich beschloss, es mit schwereren Geschützen zu probieren, auch wenn die nicht legal waren.

Eine Kollegin erzählte mir, sie schwöre auf THC, den Wirkstoff von Cannabis. Ihr zufolge war das das Cillit BANG in Sachen Schlafhygiene. Diskret besorgte sie mir ein kleines Glasfläschchen mit einem dunkelgrünen zähflüssigen Öl. Ein paar Stunden bevor ich an diesem Abend zu Bett ging, tropfte ich mir mit Hilfe der Pipette zwei Tropfen davon unter die Zunge. Der Geruch nach fauligem Gras stieg mir in die Nase, bis in meine Nebenhöhlen stank es nach Gras.

Ich musste an einen früheren Mitbewohner denken: der beste Schläfer, den ich je gekannt habe. Zu jeder beliebigen Uhrzeit war er auf dem Sofa unserer heruntergekommenen Brüsseler Wohnung vorzufinden, den Kopf zwischen den Kissen, die Beine über der Lehne baumelnd. Von Zeit zu Zeit stand er auf, um die Cannabispflanzen im Garten vor gefräßigen Schnecken zu beschützen, auch wenn er vom vielen Kiffen an einigen Tagen Mühe hatte, ihnen zuvorzukommen.

Erwartungsvoll lag ich im Bett. Der Anfang war herrlich. Ich spürte die Entspannung in den Muskeln um meine Wirbelsäule, so als wären sie eine Reihe von Schlössern, die klick-klick-klick eines nach dem anderen aufgeschlossen werden.

Ich entspannte mich mehr und mehr. Ich wurde dermaßen relaxed, dass ich glaubte, gar keine Wirbelsäule mehr zu haben.

Nach und nach lösten sich die Knochen in meinem Körper auf. Ich war keine Frau mehr, die verspannt im Bett lag. Ich war überhaupt keine Frau mehr. Ich bildete mir ernsthaft ein, zur Schnecke geworden zu sein. Lieber mal nachschauen. Es wäre hilfreich gewesen, die Augen zu öffnen, aber das ging nicht mehr. Hatte ich noch Augen? Oder musste ich sie wie eine Schnecke an Fühlern aus meinem glitschigen Leib stülpen? Nachdem ich kurz über meine Metamorphose nachgedacht hatte, beschloss ich, keine Wirbellose mehr sein zu wollen. Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, aber auch das ging nicht mehr. Schnecken rufen nicht. Schließlich schlief ich zum Glück doch noch ein.

Es war eine beängstigende Erfahrung, und die Lethargie der Schneckenfrau klebte noch zwei Tage an mir. Ich beschloss, keine weiteren Experimente mehr zu wagen. Doch als der Druck groß genug war, vergaß ich meine guten Vorsätze wieder.

Es gab da eine Nacht, die ich auf dem Sofa einer Freundin verbrachte. Ihre schwarze Katze, die diesen Eindringling an ihrem Stammplatz so gar nicht leiden konnte, trippelte lautlos auf der Sofalehne hin und her. Sie hielt das lange durch, dann setzte sie sich, schaute mich aber weiterhin an. Ab und zu schlug ich die Lider auf und sah die grüne Membran hinter ihren Augen im Schein der Straßenlaternen aufleuchten. So langsam wurde mir das unheimlich. Katzen waren schließlich Raubtiere. Die Kehle schnürte sich mir zunehmen zu. Auch meine Nase ging zu, und ich bekam nur noch mühsam Luft. Als meine Freundin schließlich nachschauen ging, woher dieses Pfeifen kam, erschrak sie über mein aufgedunsenes Gesicht und gab mir ein Allergiemittel.

Auf diese Weise stellte ich fest, dass ich nicht nur auf Katzen allergisch bin, sondern auch von Antihistaminika furchtbar träge werde. So träge, dass ich im Nu einschlafe.

Eine Zeitlang nahm ich Allergiemittel zum Einschlafen, auch wenn gerade keine Katze in der Nähe war. Doch selbst in diesem Fall waren die Nachteile zu massiv; die zähe Trägheit durch die Tabletten hielt fast 24 Stunden an. Wenn ich am Ende ohnehin müde wurde, konnte ich genauso gut einen weniger blöden Weg mit demselben Ergebnis wählen: Nachts einfach wieder aufstehen und etwas tun.

Diesen Ausweg nahm ich stufenweise: Zunächst drohte ich mit Aufstehen wie bei einem Streit, bei dem wir nur so tun, als würden wir gehen, in der Hoffnung, aufgehalten zu werden. Ich ging aufs Klo und kehrte zurück, in der Hoffnung auf eine Art Neustart, eine neue Chance.

Schlief ich nach drei Toilettenbesuchen immer noch nicht, stand ich wieder auf, schlüpfte in einen Bademantel und ging in die Küche. Dort versuchte ich die roten Ziffern der Mikrowellenuhr zu ignorieren, während ich eine Reiswaffel mit Erdnussbutter bestrich, perfekt bis zum Rand und ganz ohne Klumpen. Ich aß sie im Stehen am Küchenfenster, beschienen von der Ampel an der Kreuzung, die immer wieder von Rot auf Grün sprang.

Der nächste Schritt war Ablenkung. Ich las etwas oder schaltete mein Handy ein, um nach schlafenden Tieren zu suchen.

Wie Vögel das machen, ist einfach wunderbar. Landet ein Schwarm auf einer Stromleitung, um sich auszuruhen, halten alle Vögel Tiefschlaf bis auf den ersten und den letzten. Die lassen jeweils eines ihrer Augen auf, das äußerste Auge in der Reihe. Mit einem Auge und einer Gehirnhälfte behalten diese beiden Vögel die Umgebung im Blick, während ihre andere Gehirnhälfte schläft. Nach einer Weile drehen sich die äußersten Wachposten um, um ihre Wache mit dem anderen Auge und der anderen Hirnhälfte fortzusetzen. Der Schwarm verhält sich wie ein einziger Organismus, der stets zwei Augen offen lässt. Schlaf ist nichts für den Einzelnen, sondern ein Prozess, der von der ganzen Gruppe getragen werden muss.34

Ich frage mich, ob das beim Menschen einst genauso funktioniert hat, und ob einige von uns deshalb immer noch einen leichteren Schlaf haben als andere.

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