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SCHLAF ALS ZEITVERSCHWENDUNG
@elonmusk
the colour orange is named after the fruit
Ich starrte auf diese Meldung, die ohne jeden Kontext in meiner Timeline erschien. Gefolgt von Hunderten von Reaktionen, unter anderem:
@moment_in_time
Go to sleep lol
@yoboibleach
Elon what the Frick tis 3am and u tweet that does Elon ever sleep?
Nein, Elon schläft nie. Der Firmenchef von Tesla und SpaceX ist nicht nur für seine Genialität und sein Arbeitspensum berühmt, sondern auch für seine unverständlichen nächtlichen Tweets. Regelmäßig werden sie von Fans mit der Botschaft Elon, go to sleep beantwortet: Elon, geh schlafen.
Aber Schlaf betrachtet der Unternehmer als Zeitverschwendung. In einem Interview mit der New York Times sagte Musk, seine Wochenarbeitszeit betrage 120 Stunden, und in seinen Nächten habe er häufig die Wahl zwischen «gar keinem Schlaf und Ambien», das bekannte Schlafmittel, das bei uns unter dem Namen Stilnox verkauft wird.8
Der Versuch, den Schlaf zu steuern, ist jahrhundertealt, auch wenn der früher ganz anders aussah als heute. Es gab eine Zeit, in der Musks Einstellung ganz normal war. Vor allem im 19., 20. Jahrhundert galt es als Zeichen von Schwäche, dem Schlafbedürfnis nachzugeben, während die Fähigkeit, wachbleiben zu können, höchst begehrt war. Noch immer gibt es Menschen, die dem Schlaf nicht hinterherhecheln, sondern ihn verachten.
Donald Trump zum Beispiel kultiviert bereits seit Jahren das Image des top dog, der weit über Schlaf erhaben ist. Er schläft bloß sechs Stunden die Nacht. Das schrieb er zumindest in seinem ersten Bestseller, Trump: The Art of the Deal. Aber das war im Jahr 1987. 2004 brachte er ein neues Werk heraus, Trump: Think Like A Millionaire, in dem er schrieb, höchstens vier Stunden zu schlafen. Mehr Stunden sollten wir nur dann im Bett verbringen, wenn wir gerne Nobodys bleiben wollen, an also-ran in life. Im letzten Werk aus seiner Feder, Think Big and Kick Ass in Business and Life, ist Trumps Schlafbedürfnis auf drei Stunden geschrumpft. (Ich warte noch auf den Moment, in dem er verkündet, während seiner Präsidentschaft überhaupt nicht geschlafen zu haben.)
Denn so engagiert ist er. «Wenn Sie lieben, was Sie tun, werden Sie vermutlich nicht mehr als drei oder vier Stunden schlafen.»9 Erschöpfung als Motivationsproblem.
Diese erfolgreichen Unternehmer schlafen so gut wie gar nicht. – 5 bizarre Schlafgewohnheiten erfolgreicher Menschen. – How Much Sleep Do Millionaires Get? – So zählt die Elite Schafe. – How Many Hours Do Celebrities Sleep?
Nicht sehr viele, wenn wir diesen Aufzählungen glauben dürfen. Jack Dorsey (Twitter): vier bis sechs Stunden pro Nacht. Tom Ford (der Modedesigner): drei Stunden. Richard Branson (Virgin): fünf bis sechs Stunden. Winston Churchill kam mit vier Stunden Schlaf aus, und Napoleon schlief auch selten länger.
Schwer zu sagen, wie viel der Mensch vor Beginn der Neuzeit geschlafen hat, aber viele Schätzungen gehen von um die sieben Stunden aus10, also weniger als die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen acht. Die paradiesischen Zeiten, in denen der Mensch unbehelligt von Arbeit, Lärm und Schmerz nach Herzenslust schlafen konnte, hat es nie gegeben. Auch die Vorstellung, dass Schlaf Zeitverschwendung ist, ist nicht neu.11 Doch die eigentliche Verhöhnung des Schlafs kam erst ab dem 18. Jahrhundert so richtig in Mode. Und das nicht zufällig, denn es hatte einen praktischen Nutzen: Die Vorstellung, dass ein echter Kerl mit vier Stunden auskommt, passte perfekt zu den Anforderungen der industriellen Revolution an die Arbeiter. Wer in teure Dampfmaschinen und Fabriken investiert hatte, konnte das Geld am schnellsten wieder reinholen, wenn er sie Tag und Nacht laufen ließ. Baumwollfabriken und Schmieden wurden rund um die Uhr betrieben. Und das funktionierte am besten, wenn die Menschen, die die Produktion aufrechterhielten, möglichst viel Ähnlichkeit mit den von ihnen bedienten Maschinen aufwiesen und einen eisernen Rhythmus durchhielten. Die Maschinen liefen Tag und Nacht, und um den Schlaf ins selbe Korsett zu pressen, kam der Wecker in Mode.
Nicht nur die Fabriken, sondern auch die Läden in den großen Städten blieben ab dem 18. Jahrhundert immer öfter bis nach Mitternacht geöffnet, und die Entwicklung, die damals begann, sollte nie mehr zum Stillstand kommen. Sie beschleunigte sich sogar noch, als um 1880 die Glühbirne aufkam. Überall, wo sie aufglimmte, ließ sich die Dunkelheit mit einem Mal problemlos und durchaus bezahlbar verbannen.12
Im Grunde war das Einzige, das einem perfekten Wirtschaftssystem noch im Wege stand, diese seltsame Angewohnheit des Menschen, innerhalb von 24 Stunden regelmäßig das Bewusstsein zu verlieren. Ließ sich darauf nicht verzichten?13
Der Erfinder der Glühbirne, Thomas Edison, bejahte das. In den vielen Interviews, die er in seinem Leben gab, behauptete er gern, der Mensch brauche gar keinen mehrstündigen Schlaf. «Ein paar Minuten oder dann und wann eine Stunde Ruhezeit genügen.» Und wo er schon dabei war: Warum gingen die Leute eigentlich überhaupt noch ins Bett? Diese Angewohnheit sei bloß entstanden, weil der Mensch vor Erfindung der Glühbirne nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen wusste. In Zukunft würden wir mit dieser absurden Beschäftigung bestimmt bald kurzen Prozess machen. Schlaf, so glaubte der Geschäftsmann, sei eine Absurdität, eine schlechte Angewohnheit. Wir könnten das Joch dieser Knechtschaft zwar nicht einfach abschütteln, aber irgendwann würden wir es abschütteln.14
Er selbst konnte davon nur profitieren. Und er war auch nicht der Einzige, der ein großes Interesse am Ideal des unermüdlichen Arbeiters hatte. Je länger der Tag, desto mehr Zeit für Produktion und Konsum. Und als der große Erfinder verkündete, dass 18-Stunden-Arbeitstage eingeführt werden sollten, griffen die Zeitungen das dankbar auf.
Auch Autoren populärer Ratgeber verkündeten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, wie nutzlos Schlaf sei, und wie wenig Zeit wir ihm widmen sollten. Zwei Stunden reichen vollauf, hieß es. Starautor Dale Carnegie schrieb in seinem Bestseller Sorge dich nicht – lebe! aus dem Jahr 1948, dass wir «keine Ahnung haben, wie viel der Einzelne schlafen muss. Ob wir überhaupt Schlaf brauchen!»15
In der Zwischenzeit ist unsere Schlafdauer weltweit geschrumpft wie alles, womit sich kein Geld verdienen lässt. Im Lauf des letzten Jahrhunderts haben wir durchschnittlich ein Fünftel unserer Schlafdauer eingebüßt, so die Weltgesundheitsorganisation. Schon 1998 warnte sie, die Hälfte der Erwachsenen in den Industrieländern leide an Schlafstörungen. Die offizielle Empfehlung lautet acht Stunden Schlaf pro Nacht. Alles unter sieben Stunden gilt als «Schlafentzug» und damit als schädlich.16
Dennoch schlafen rund zwei Drittel der Niederländer sieben Stunden oder weniger pro Nacht. Beinahe ein Drittel schläft sogar nur sechs Stunden oder weniger.17
Nicht nur die Nächte schwinden dahin, auch der Mittagsschlaf stirbt aus. 2006 beschloss die spanische Regierung, die Siesta bei Beamten zu verbieten. Der japanische Mittagsschlaf, inemuri genannt, wird zunehmend verachtet oder sogar verboten. In China war ein Mittagsnickerchen 1950 noch im Grundgesetz verankert, aber auch dieses Recht erodierte, und die Pausendauer wurde von drei Stunden auf eine verkürzt.18
Deshalb gibt es kein Büro ohne Kaffeemaschine. Das schwarze Gebräu – nach Öl das meistgehandelte Produkt der Welt, so der Schlafforscher Matthew Walker – sorgt nämlich dafür, dass wir die eigene Müdigkeit nicht mehr spüren.19
Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht mehr da wäre. Sie wird bloß kaschiert.
Stellen Sie sich Ihren Kopf als Sanduhr vor, die sich ab dem Aufwachen füllt. Je voller sie wird, desto müder werden Sie. Der «Sand» heißt Adenosin, ein Stoff, der sich mit jeder Stunde, die Sie wach sind, im Gehirn anreichert. Je mehr Adenosin, desto stärker spüren Sie: Es wird Zeit, ins Bett zu gehen. Erst wenn Sie schlafen, kann das Adenosin abgebaut werden. Schlafen wir hingegen nicht lange genug, bleibt etwas davon übrig, mit dem wir dann am nächsten Tag aufstehen. Und deshalb morgens dringend Kaffee brauchen.
Koffein sorgt dafür, dass wir vorübergehend unempfänglich für Adenosin werden. Das Koffein besetzt nämlich die Rezeptoren, die normalerweise auf Adenosin reagieren. Das sorgt dafür, dass diese das noch im Gehirn befindliche Adenosin nicht aufnehmen können, und Sie (vorübergehend) gar nicht merken, wie müde Sie sind. Inzwischen läuft die Sanduhr noch mehr voll, der «Schlafdruck» erhöht sich konstant.
Kaffee bringt die Müdigkeit nicht zum Verschwinden, sondern überspielt sie nur. In den Augen der Schlafforscher ist er deshalb nicht bloß irgendein Getränk, sondern eine der beliebtesten Drogen der Welt.20