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ÜBUNG: IHRE BEWEGGRÜNDE BEOBACHTEN

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Schritt 1.

Nehmen Sie sich vor, einen Tag lang darauf zu achten, was die Beweggründe für Ihre verschiedenen Aktivitäten und Verhaltensweisen sind. Beobachten Sie besonders, wie Sie sich laufend zwischen Kritik und dem Bedürfnis nach Anerkennung hin- und herbewegen.

Schritt 2.

Fertigen Sie am Ende des Tages zwei Listen an. Auf der einen führen Sie alle Aktivitäten auf, die von dem Wunsch motiviert waren, Kritik zu vermeiden. Unterscheiden Sie dabei die Aktivitäten, mit denen Sie äußere Kritik vermeiden wollten, von denen zur Vermeidung der Selbstkritik. Auf der zweiten Liste führen Sie alle Handlungen auf, die vom Wunsch nach Anerkennung motiviert waren. Unterscheiden Sie auch auf dieser Liste den Wunsch nach äußerer Anerkennung von dem Wunsch, von sich selber anerkannt zu werden.

Schritt 3.

Vergleichen Sie die beiden Kolonnen auf jeder Liste, um festzustellen, welche Ihrer Aktivitäten auf andere ausgerichtet sind und welche Ihrem eigenen Richter gelten. Gibt es Überschneidungen? Ist Ihre Kritik-Vermeidungs-Liste länger als Ihre Wunsch-nach-Anerkennung-Liste oder umgekehrt? Warum?


Das Über-Ich ist eine Struktur, welche die Spitze des psychischen Aufbaus bildet und die Ideale der Persönlichkeit sowie die Prinzipien enthält, nach denen man urteilt. Es ist der Sitz dessen, was man das Gewissen nennt. Es entwickelt sich vor allem dadurch, dass man Verbote, Regeln, Werte und Vorlieben der Eltern wie der Gesellschaft im Ganzen verinnerlicht und sich mit ihnen identifiziert...

Aus unserer Perspektive ist das Über-Ich die innere Zwangsinstanz, die der Ausdehnung von Bewusstsein und innerer Entwicklung entgegensteht, unabhängig davon, wie milde oder vernünftig es wird. Es ist ein Ersatz, und zwar ein grausamer, für unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Wissen. Innere Entwicklung verlangt, dass es mit der Zeit keine inneren Instanzen mehr gibt, die innere Gewalt ausüben. Statt dessen gibt es dann eine innere Regulierung, die auf objektiver Wahrnehmung, Verstehen und Liebe basiert. Die beste Herangehensweise ist es, Macht und Einfluss des Über-Ich zu vermindern und es soweit wie möglich durch Bewusstsein zu ersetzen, bis es zum Schluss endgültig und vollkommenen abgesetzt wird.

A. H. Almaas, Essenz, S. 164, 167


Frank wusch sich den Schlaf aus den Augen und betrachtete sich im Spiegel. Sein Haar stand ihm wirr vom Kopf ab – das erinnerte ihn an seinen Vater, der immer behauptet hatte, er sähe morgens wie ein Hahn aus. Er beugte sich näher zum Spiegel hin und betrachtete die vertrauten Züge seines Gesichts – die gebrochene, leicht nach rechts gebogene Nase, die ihn jedes Mal störte, wenn er in den Spiegel sah; die Handvoll Sommersprossen auf seinen Wangen und die Grübchen neben seinem Mund – diese „jungenhaften“ Attribute verursachten ihm gemischte Gefühle; seine tief liegenden nussbraunen Augen unter spärlichen, langhaarigen Augenbrauen, die sich herabringelten und sich in seinen Wimpern auf eine Weise verfingen, die ihn oft ärgerte; die Linien auf der Stirn, die trotz seiner Versuche, sie mit den Fingern wegzureiben, inzwischen fest eingegraben waren. Sein Haaransatz war um einige Zentimeter zurückgewichen, und in seiner Haarpracht hatten sich eine Menge weißer Neuankömmlinge breit gemacht und die dunklen Ureinwohner schon zur Hälfte verdrängt.

Du siehst viel älter aus als früher. In der Tat siehst du deinem Vater jetzt ziemlich ähnlich. Ist dir das eigentlich klar? Selbst in der Art, wie du mit den Fingern durch dein Haar streifst und dein Kinn reibst. Das Schlimmste aber ist, dass du genauso in der Nase bohrst wie er. Ich kann’s nicht glauben, dass du dir das nie abgewöhnt hast. Es ist so eklig!

Frank betrachtete die Haare, die ihm aus den Nasenlöchern wuchsen und wünschte sich, seine Finger würden es nicht so angenehm finden, das Innere seiner Nase zu kratzen. Er griff nach seinem elektrischen Rasierer, schaltete ihn an und kürzte sorgfältig die Haare in den Nasenlöchern sowie an seinen Augenbrauen. Dann dachte er über den unrasierten Zustand seines Kinns nach, entschloss sich aber, den Indiana Jones-Look für heute beizubehalten.

Na klar, lass dich ruhig gehen. Schließlich haben wir heute Samstag und es ist eh allen egal. Außerdem ist dir ja jede Entschuldigung recht, um faul zu sein.

Frank versuchte seinen Richter zu ignorieren, indem er so tat, als wären dessen Worte bedeutungslos. Heute erkannte er, dass seine vorgespielte Gleichgültigkeit nie funktionierte – er fühlte sich einfach nur abgeschnitten und innerlich hohl. Er sah sich im Spiegel und fragte sich, was er da eigentlich anschaute – außer den wohlbekannten Körper mit all den dazugehörigen Geschichten und Urteilen. Gab es da noch etwas anderes? Frank sah sich in die Augen und fragte sich, was er da sah. War das nur der analytische Blick seines eigenen Richters? Sah er dort nicht auch Traurigkeit und Angst? Vielleicht war dort gar nichts, nur Leere. Langsam wurde ihm klar, dass die Augen, die ihn – ein merkwürdiges Wesen in einem vertrauten Körper – betrachteten, voller Wissbegierde waren. Er hatte das Gefühl, als sei er selbst diese Wissbegierde.

Befreiung vom inneren Richter

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