Читать книгу Rache - Calin Noell - Страница 18
ОглавлениеMisstrauen
Sam
Ich erwachte und fühlte mich wesentlich besser. Zufrieden streckte ich mich. Meine Schmerzen waren für mein Empfinden auszuhalten. Ich ging ins Bad, wusch mich und zog mich um. Als ich zurückkehrte, standen Cadan und ein fremder Dunkelelb in meinem Zimmer.
»Was wollt ihr hier?« Misstrauisch musterte ich sie. Mir war sofort klar, dass es Ärger geben würde. Cadan strahlte pure Aggressivität aus, und ich wusste aus Erfahrung, dass das nur böse enden konnte. Er schlich um mich herum, sein Blick funkelte feindselig. »Was ist eigentlich dein Problem?«, fragte ich ruhig, weil ich es wirklich nicht verstand. »Ich weiß nicht, in welcher Beziehung du zu Jul stehst, doch er bedeutet dir etwas. Warum also bist du mir gegenüber so aggressiv?« Gespannt wartete ich auf seine Antwort.
»Ich mag keine Fremden.« Mehr sagte er nicht, sprang aber plötzlich auf mich zu. Ich wich ihm aus und lächelte eisig. Er hatte keine Ahnung, mit wem er sich hier anlegte und war mir haushoch unterlegen. Sein Misserfolg machte ihn jedoch nur noch wütender.
Verlieren kann er also auch nicht, na bravo.
Erneut stürzte er sich auf mich und bekam meine Kehle zu fassen, drückte brutal zu. Gezielt zog ich mein Knie hoch und rammte es ihm in seine Weichteile. Mit dem gewünschten Erfolg. Er ließ auf der Stelle los, holte aber zeitgleich aus und traf mich mitten im Gesicht. Mein Kopf dröhnte, doch ich revanchierte mich, schlug blitzschnell nacheinander gegen seine Wange und in seinen Oberkörper. Den angepeilten Nervenstrang erwischte ich leider nicht zu einhundert Prozent, sodass er nur wankte und krampfhaft nach Luft schnappte, statt erledigt zu Boden zu fallen. Bevor es jedoch in einen richtigen Kampf ausarten konnte, griff der andere Hüter plötzlich ein und zog Cadan energisch von mir fort.
»Was soll das?«, schrie ich aufgebracht und bebte vor Zorn. Es wäre für mich ein Leichtes, alle beide auszuschalten, aber das würde mir kaum helfen. Also versuchte ich, mich zu zügeln. Es fiel mir schwer, nicht meiner Wut, meinem Hass nachzugeben, doch schließlich gelang es mir, äußerlich relativ ruhig zu wirken, auch wenn ich innerlich tobte.
»Was soll das?«, wiederholte ich, weil ich es wirklich gerne verstehen wollte.
»Ja, verdammt, was soll das?«, zischte nun auch sein Begleiter und schob Cadan aus dem Zimmer.
»Sie hat mich zuerst geschlagen«, schrie er und meinte damit wohl den versehentlichen Schlag am Fluss.
Sie zogen die Tür hinter sich zu, doch bevor ich erleichtert aufatmen konnte, hörte ich plötzlich den Riegel, wie er vorgeschoben wurde.
Eingeschlossen ...
Panik überkam mich und verdrängte mit einem Schlag alle anderen Gedanken. Ich konnte mit allem umgehen, geschlossene Räume jedoch, gefangen zu sein, das war meine große Schwäche.
Panisch rannte ich zu der Tür und versuchte, sie zu öffnen, vergeblich. Ich rief und hämmerte, aber niemand reagierte. Mein Körper begann zu zittern, ich spürte, wie ich nach und nach die Kontrolle über mich selbst verlor. Die Beklemmung schnürte mir die Luft ab und es gab nur noch ein einziges Ziel:
Ich muss hier sofort raus.
Ich rammte die Tür, wieder und wieder, mit meinem ganzen Gewicht, schrie unermüdlich, doch nichts geschah.
Ich schnappte mir meinen Rucksack und öffnete eines der Geheimfächer, zog ein Jagdmesser heraus und verbarg es. Es beruhigte mich ein wenig, doch noch lange nicht genug.
Schließlich benutzte ich alles, was ich in die Finger bekam und bearbeitete die Wand, von der ich vermutete, dass es sich um eine Außenwand handelte. Ich geriet vollkommen außer Kontrolle und niemand, der nicht die Dinge, die ich erlebte, erleiden musste, würde das jemals auch nur im Ansatz nachvollziehen können.
Die Wand begann zu bröckeln und ich bearbeite sie nun mit dem Messer und meinen bloßen Händen. Meine Nägel brachen und die Fingerkuppen bluteten. Ich schnitt mich mehrfach selbst, auch wenn es diesmal nicht beabsichtigt war, doch das bemerkte ich alles längst nicht mehr.
Die Wand war nicht wirklich zu durchdringen und ich wandte mich erneut der Tür zu. Mir tat inzwischen alles weh, doch ich ignorierte die Schmerzen, kannte nur noch ein Ziel:
Freiheit!
Ein wiederholter Sprung gegen die Tür. Endlich hörte ich das Splittern von Holz, spürte, wie es das erste Mal etwas nachgab, und nahm noch einmal Anlauf. Mit voller Wucht rammte ich sie, wieder und wieder, bis ein richtiger Riss zu erkennen war. Das entstandene Knacken beruhigte mich ein wenig, doch noch immer hielt sie stand.
Bevor ich erneut Anlauf nehmen konnte, hörte ich Rufe, dann den Riegel, der aufgeschoben wurde. Ich erkannte Kiljans Stimme. Aufgebracht rief er irgendetwas, während sich die Tür langsam öffnete. Ich wich zurück, versteckte das Messer in einer extra dafür vorgesehenen Tasche meiner Hose. Als er eintrat und mich erblickte, blieb er abrupt stehen und sah sich schockiert um.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er fassungslos und betrachtete mein geschwollenes Gesicht, das Blut, das mir aus der Nase lief. Der Rest von mir sah sicherlich auch nicht viel besser aus.
»Lass mich gehen«, zischte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich absolut irrsinnig aussah, doch ich konnte noch immer nicht klar denken. Die Wände wurden für mich zur Qual und ich musste unbedingt hinaus ins Freie. Alles andere schien in diesem Moment vollkommen unbedeutend.
»Lasst mich hier raus, sofort!«, presste ich mühsam beherrscht hervor und spürte sein Zögern.
Überwältigt von dem Drang, nach draußen zu gelangen, sprang ich auf ihn zu, zog in derselben Bewegung mein Messer und packte ihn. Bevor irgendjemand begriff, was geschah, hielt ich es ihm bereits an die Kehle. »Ich will nichts weiter als hier raus, ins Freie, jetzt, sofort«, stieß ich hervor und schob ihn nach vorn. »Niemand läuft in meinen Rücken. Keiner von euch und jetzt vorwärts«, rief ich. »Wehr dich nicht, bitte. Ich will dir wirklich nichts tun. Doch meine Freiheit ist mir wichtiger, als alle anderen Bedenken. Also stell meine Geduld und meinen Willen lieber nicht auf die Probe.«
Seine Nähe verwirrte mich, sein Geruch, noch immer so vertraut, als wären all die schrecklichen Jahre nie geschehen und dennoch so fremdartig.
Er nickte. »Macht, was sie sagt, raus hier, zur Lichtung«, rief er. Mael zögerte. »Tu was ich sage, sofort!«, wiederholte er aufgebracht.
»Wenn ein Schlaumeier meint, er kann mich von hinten überrumpeln, seid ihr schneller Geschichte, als ihr bis drei zählen könnt, verstanden?«
Sie gingen los. Innerlich ächzte ich. Das hier kam einem Selbstmordkommando gleich. Ich war extrem angeschlagen, und sobald ich Kiljan losließ, wäre das mein Ende.
Verdammt!
»Was tut ihr hier?«, rief Leif unvermittelt und trat neben mich.
Ich stöhnte, diesmal jedoch laut, nicht mehr in der Lage, es zu unterdrücken. »Leif, tu mir einen Gefallen und verschwinde hier. Ich möchte nicht, dass dir etwas geschieht, verstehst du?« Ich achtete darauf, dass er meinen Worten auch wirklich folgte, erst danach schob ich Kiljan voran.
Wenn sie mich fertigmachen wollen, dann soll das wenigstens in Freiheit geschehen.
Einen anderen Gedanken gab es für mich nicht mehr. Nach vierzehn Jahren Gefangenschaft würde ich mich niemals wieder einsperren lassen. Nur das Bewusstsein, dass meine Rache noch immer unvollständig war, hinderte mich daran, mir das Messer einfach direkt an Ort und Stelle selbst ins Herz zu stoßen.
Draußen angekommen entdeckte ich die Eiche.
Meine Eiche. Mein Lieblingsplatz.
Unzählige Bilder fluteten mich, ließen mich schwanken. »Geht weiter zurück«, rief ich und schob Kiljan vorwärts, bis ich mit dem Rücken zu dem Baum stand. »Ich gebe dich gleich frei und stoße dich etwas nach vorn. Ich werde nicht fliehen und beantworte alle Fragen, so gut ich kann, aber ich lasse mich nicht erneut einsperren. Eher bringe ich mich eigenhändig um«, flüsterte ich, nahm in einer schnellen Bewegung das Messer von seiner Kehle und stieß ihn mit letzter Kraft von mir weg.
Stockend wich ich zwei Schritte rückwärts, bis ich den Stamm der Eiche in meinem Rücken spürte, und versuchte krampfhaft, auf den Beinen zu bleiben.
Plötzlich liefen an die zehn kleinen Dunkelelben auf mich zu, bis auf Leif alle in Wolfsgestalt gewandelt und stellten sich um mich herum. Irritiert betrachtete ich sie, ebenso wie Kiljan und seine Hüter.
»Leif«, zischte Mael. »Kommt da sofort weg!«, forderte er, sein ganzes Auftreten wirkte hasserfüllt. Noch immer hielt ich das Messer in der erhobenen Hand und erwiderte seinen Blick.
»Ihr seid so dumm«, rief Leif. »Ihr habt sie eingesperrt, wie ein Tier. Sie hat Jul das Leben gerettet und wie danken wir es ihr? Ihr lasst zu, dass Cadan sie bedroht und schlägt, und sie weiß, dass niemand ihr helfen wird. Ihr dürft sie niemals einsperren, das hat Jul mir gesagt. Er hat versprochen, sich von ihr zu verabschieden, doch sie ließen ihn nicht einmal zu ihr. Ist das unsere Gastfreundschaft? Sie würde uns niemals etwas antun und wir gehen hier nicht weg.«
Erstaunt sah ich ihn an und fuhr mir verzweifelt durch die Haare. Zögernd begegnete ich Kiljans Blick, deutete auf mein Messer und warf es vorsichtig zur Seite, außerhalb der Reichweite der Kleinen. Schließlich gab ich dem Drang nach, und glitt langsam an dem Stamm hinab. Meine vollkommen kraftlosen Beine trugen mich nicht mehr länger.
»Leif, ihr alle kommt sofort zu uns«, rief Mael immer aufgebrachter, doch der schüttelte nur den Kopf.
»Aber sie gehört doch hierher, das hat Jul mir gesagt. Du bist nur mein Bruder und hast mir gar nichts zu befehlen.«