Читать книгу Rache - Calin Noell - Страница 19
ОглавлениеKiljan
Plötzlich sackte ihr Körper zur Seite und sie regte sich nicht mehr. Die Kleinen schmiegten sich an sie, und als ich mich näherte, knurrten sie allesamt. Abrupt blieb ich stehen. Was hat das alles zu bedeuten? Mael trat neben mich und betrachtete die Szene ebenso verwundert wie ich.
»Hat jemand Cadan gesehen?« Es folgte keine Antwort. »Bringt in Erfahrung, mit wem zusammen er ihr Zimmer betreten hat und schafft sie hierher.«
Ich fuhr mir über mein Gesicht und seufzte. »Und niemand rührt sie an. Niemand«, rief ich laut in die Runde. »Was soll das alles?«, fragte ich Mael leise, obwohl er genauso ratlos wirkte wie ich.
»Was meint Jul damit, dass sie hierhergehört?«, wiederholte Mael die Worte seines kleinen Bruders.
»Warum sind die Kleinen alle auf ihrer Seite und verteidigen sie, wo sie doch eine vollkommen Fremde ist? Und wieso wirft sie freiwillig einfach ihre einzige Waffe fort? Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn.« Stumm betrachteten wir die äußerst ungewöhnlich wachsamen Kleinen.
»Woher weißt du, dass Cadan nicht allein bei ihr war?« Sein Blick ruhte noch immer auf Sam.
»Cadan ist aggressiv, aber feige. Er würde sich nicht allein zu ihr trauen.«
Plötzlich entstand ein Tumult. Wir wandten den Blick von ihr ab. Cadan und Issy wurden nach vorn gezerrt, doch Issy machte sich wütend los. »Ich habe Cadan begleitet, um Schlimmeres zu verhindern. Nachdem er sich auf sie stürzte, zerrte ich ihn sofort raus. Du weißt, dass er in jedem Fall zu ihr gegangen wäre.« Ich nickte, wusste ich doch, dass er recht hatte.
»Du übernimmst eine Woche zusätzlich Nachtwache«, entschied ich schlicht. »Cadan, dein Verhalten ist unangemessen und unverantwortlich. Ich habe dir die Verbannung angedroht, dies jedoch hat keine Gültigkeit mehr. Du wirst bis zur Rückkehr eurer Ältesten unter Arrest gestellt, und ich berate gemeinsam mit ihnen, wie wir mit dir weiter verfahren. Ich bin dafür, dass du für ein Jahr in die Berge von Tari gehst, um endlich erwachsen zu werden. Bringt ihn weg.« Bei meinen Worten zuckte er zusammen, doch ich war mir inzwischen sicher, dass er dringend lernen musste, was wirklich zählte im Leben.
»Was ist passiert?«, fragten Umi und Nevan gleichzeitig, als sie auf die Lichtung traten. Nachdem ich ihnen erzählte, was sich zugetragen hatte, wechselten sie einen langen Blick. Zwar blieben sie stumm, doch es schien, als tauschten sie heimlich in Gedanken Worte miteinander. Schließlich nickte Nevan, und Umi betrachtete mich. Ihr endlos trauriger Blick ließ mich frösteln.
»Wir müssen mit euch beiden sprechen, allein.« Sie klang ungewöhnlich ernst.
»Ich benötige vier Hüter auf der Lichtung als Wache. Dougal, Gin«, ordnete ich an, als Issy auf mich zutrat.
»Ich stelle mich zur Verfügung«, entgegnete er entschlossen. Mit einem Nicken stimmte ich zu.
»Ich schließe mich ihnen nach unserem Gespräch an«, verkündete Mael ebenfalls bestimmend.
Verwundert betrachtete ich ihn. »Wieso?« Als mein Stellvertreter besaß er keinerlei Verpflichtung, einen Wachdienst zu übernehmen.
»Nenn es Gefühl.« Er zuckte mit den Schultern.
»Also gut, Dougal, Gin, Issy und Mael werden hier wachen. Alle anderen haben auf der Lichtung ab sofort nichts mehr zu suchen. Und niemand nähert sich ihr«, wies ich an und wartete, dass sie ihr Verstehen signalisierten.
Wir gingen in mein Arbeitszimmer und setzten uns. Abwartend sah ich von Umi zu Nevan, bis dieser schließlich das Wort ergriff. »Ich prahlte ihr gegenüber noch, dass ich großen Wert auf mein Gelöbnis lege und nun tue ich genau das, was sie mir unterstellte.« Ernsthaft betroffen schüttelte er den Kopf. Sein Verhalten irritierte mich. »Ich kann dir nicht sagen, wer sie ist, oder woher sie kommt, nur dass sie wirklich Schlimmes erlebt haben muss, das weiß ich ganz sicher.« Er blickte erneut zu Umi, die aufmunternd nickte.
»Ihr Rücken ist übersät mit unzähligen Narben und ich sah noch nicht einmal ihre gesamte Kehrseite. Sie weigerte sich, ihren Oberkörper zu entkleiden. Erst war ich verärgert, doch als sie mir dieses Stückchen Haut offenbarte, lief es mir eiskalt den Rücken hinab.« Sein Blick wirkte vollkommen gequält.
»Woher stammen sie?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie natürlich gefragt, aber sie gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass sie mir nicht vertraut, womit sie ja nun auch wirklich recht hat. Verdammt.« Beschwichtigend legte Umi eine Hand auf seinen Arm. Er holte tief Luft. »Sie meinte, wenn es darauf ankommt, wäre ich ihr gegenüber sicherlich nicht loyal, Schwur hin oder her und sie hat recht.« Müde fuhr er sich über sein Gesicht. »Sie erklärte mir, dass sie ausschließlich allein in der Wildnis unterwegs ist und da würde man sich eben hin und wieder eine Verletzung zuziehen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber solche Narben? Niemals.« Schweigend betrachtete er seine Hände. Ich war erschüttert, denn so hatte ich den resoluten Heiler noch niemals zuvor erlebt.
»Auch ich konnte einen Blick auf ihre Narben werfen. Um sie zu behandeln, wollte ich natürlich ihre Kleidung entfernen. Als ich ihr Oberteil anhob, stockte ich jedoch. Ihre gesamte Vorderseite ist ebenfalls mit unzähligen Narben übersät. Also ließ ich ihr die Kleidung an, um sie nicht zu beschämen. Ich vermute, dass auch der Rest ihres Körpers nicht anders aussieht.« Sie seufzte. »Ich habe solche Wunden noch nie gesehen.«
Auffordernd blickte sie zu Nevan, der sichtbar ein weiteres Stück in sich zusammensackte. »Ich befürchte, dass sie gefoltert wurde. Brennende Zigaretten und Verletzungen durch eine Peitsche. Ich wünschte, ich würde mich irren, aber die Narben, die ich sah, stammen unter anderem von einer neunschwänzigen Katze, wie die Menschen sie nutzen.« Er schüttelte sich und wurde noch blasser, nur durch die Erinnerung.
»Einiges sieht jedoch auch aus wie von einem Brandeisen verursacht, dazu kommen unzählige Schnittwunden.« Als er den Blick hob, standen ihm unverkennbar Tränen in den Augen. »Ich kann mir nicht vorstellen, was sie erlebt haben muss, doch es würde erklären, weshalb sie so außer Kontrolle geriet, nachdem Cadan sie einschloss.«
Ja, das würde vieles erklären.
»Ist sie eine Gefahr für uns?«
Augenblicklich fixierte mich Umis Blick. »Du hast die Kleinen gesehen. Niemals nähern sie sich einem Fremden. Besonders Jul hält sich stets von allem fern, was ihm unbekannt ist. Doch bei ihr scheint all das nicht zu gelten. Zumindest für sie stellt Sam keine Bedrohung dar.« Sie sagte es mit solcher Gewissheit, dass ich mir mal wieder vollkommen dumm vorkam. Sowohl Umi als auch Jul besaßen eine Gabe, und ich vertraute beiden.
Ratlos rieb ich mir über mein Gesicht und seufzte. »Aber was machen wir jetzt mit ihr?«, fragte ich in die Runde. »Ich gebe zu, dass sie mir versicherte, mir nichts tun zu wollen, und ich glaubte ihr. Auch als sie mich von sich stieß, warnte sie mich vor. Und dass sie freiwillig das Messer wegwarf, außerhalb der Reichweite der Kleinen, spricht eindeutig für sie. Doch sie wird es uns glaubhaft erklären müssen.«
Umi lächelte. »Ich nerve nun schon seit Ewigkeiten, dass ich Hilfe bei den Kleinen benötige, und sie ist einfach perfekt, da sie Sam mögen. Ich versuche währenddessen, irgendetwas aus ihr herauszubekommen. Mael setzt seine Ausbildung bei mir fort und kann sie dabei ebenfalls im Auge behalten.«
»Sie sind die Schwächsten und Unschuldigsten in unserem Clan. Was, wenn sie uns alle täuscht und sie ihnen doch etwas antut?«, fragte ich vorsichtig.
»Ich verstehe deine Sorgen, aber bedenke, was Jul sagte. Er ist jung, trotzdem hat er sich noch nie geirrt. Du weißt selbst, wie schwer er schon jetzt an seiner Gabe trägt.«
Ich dachte darüber nach und nickte schließlich. Eine bessere Idee würde ich nicht mehr finden. »Wie lange wird es dauern, bis sie geheilt ist? Und was ist mit ihrem Gesicht? Cadan scheint sie übel getroffen zu haben.«
Umi lachte. »Oh, unterschätz Sam nicht. Sie traf weit öfter und vor allem wesentlich gezielter. Das Sitzen wird ihm die nächsten Wochen ernsthafte Probleme bereiten und sein Wangenbein ist angebrochen.« Auch Mael zog überrascht eine Braue in die Höhe.
»Als sie mich packte, handelte sie unglaublich schnell. Ich spürte zwar die Bewegung, jedoch viel zu spät. Wir müssen sehr wachsam sein, denn ich denke, sie verbirgt mehr, als wir ahnen.«
»Gib ihr einige Tage. Wir sehen uns ihre Verletzungen regelmäßig an und entscheiden dann.«
Wir gingen auf die Lichtung, zurück zu der geheimnisvollen Dunkelelbin, und einen Augenblick später trat auch Umi wieder zu uns. Sie drückte mir einen Eisbeutel in die Hand. Stumm forderte sie mich auf, ihn Sam zu bringen. Noch immer lag sie, scheinbar ohne Bewusstsein, vollkommen reglos auf dem Boden.
Plötzlich empfand ich eine seltsame Unsicherheit und schalt mich selbst.
Großartiges Oberhaupt bin ich. Erst lasse ich mich einfach von ihr überwältigen und jetzt habe ich Angst vor einer Schar kleiner Dunkelelben in Wolfsgestalt.
Ich schüttelte über mich den Kopf und ging vorsichtig aber bestimmend auf sie zu. Zögernd hockte ich mich vor sie hin. »Sam, ich habe hier Eis für dein Gesicht«, flüsterte ich und legte ihr behutsam den Eisbeutel auf die geschwollene Wange.
Sie öffnete so plötzlich ihre unglaublich funkelnden, sturmgrauen Augen, dass ich überrascht zusammenfuhr. Mit erschrockenen, geweiteten Pupillen blickte sie mich an, und ich bekam den Eindruck, sie kämpfte gegen aufkommende Tränen. Bevor ich mir dessen jedoch sicher sein konnte, schloss sie sie bereits wieder und flüsterte ein belegtes »Danke.«
Sie ergriff den Eisbeutel und streifte dabei meine Finger. Nur langsam zog ich meine Hand fort, bekämpfte den plötzlich aufsteigenden, unerklärlichen Drang, sie in meine Arme zu schließen, um sie zu trösten. Sie regte sich nicht mehr und ich erhob mich, vollkommen verwirrt.
Mael und ich setzten uns abseits der anderen drei Hüter an einen Baum gelehnt und betrachteten sie. »Sie gefällt dir.« Sein seltsamer Ton ließ mich erstarren. Mit wütend funkelndem Blick wandte ich mich ihm zu, doch er reagierte vollkommen gelassen. »Krieg dich wieder ein. Ich habe nur gesagt, dass sie dir gefällt, nichts weiter.« Wir schwiegen eine Weile.
»Was glaubst du, ist ihr zugestoßen? Wurde sie von Menschen so zugerichtet?« Abwartend betrachtete ich ihn.
»Wenn dem so ist und sie von ihnen gefangen gehalten wurde, dann erklärt das jedenfalls ihre Reaktion. Wie man den eigenen Körper so schinden kann, nur um aus einem geschlossenen Raum zu gelangen, ist für mich einfach unvorstellbar. Ich müsste ihre Narben mit eigenen Augen sehen, um es beurteilen zu können.« Er hatte recht, auch ich musste die Dinge stets selbst betrachten. Doch inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt noch wirklich wollte.
Umi erschien erneut und versorgte jeden von uns mit Verpflegung. Dankbar nahmen wir sie entgegen. »Sollen wir die Kleinen die ganze Nacht bei ihr lassen?«, fragte ich kauend und kannte die Antwort bereits, bevor sie sie aussprach. Belustigt sah sie zu der Schar, die dicht gedrängt an Sams Körper schliefen.
»Die Eltern sind zwar ein wenig besorgt, doch sie vertrauen auf Jul und auch auf euch. Außerdem glaube ich, dass niemand in der Lage sein wird, sie von dort wegzubekommen.« Ich nickte, waren doch meine Gedanken ähnlich.