Читать книгу Fools in Space - Calin Noell - Страница 11

Die Ingenieurin

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Mit klopfendem Herzen wartete ich darauf, dass wir die Sicherheitsschleusen durchqueren konnten. Immer mehr Systemschwankungen und sogar komplette Ausfälle hatten dafür gesorgt, dass ich jetzt höchstpersönlich hier stand.Einerseits trieb mich die Neugierde, anderseits das Gefühl, es selbst prüfen zu müssen. So als enthielten die Daten, die ich vorgelegt bekommen hatte, längst nicht alle Werte, die in den Protokollen aufgezeichnet worden waren.

Deswegen wollte ich mich nun am Ort des Geschehens selbst vergewissern. Ich musste mich davon überzeugen, dass die Auswertungen vollständig übertragen wurden. Denn dies war meine einzig logische Erklärung für die Ausfälle, die sich ansonsten einfach nicht begründen ließen.

Eine falsche Schaltung, eine fehlerhafte Notierung innerhalb der Programmierung, all das könnte solch fatale Folgen nach sich ziehen.

Es musste ihn irgendwo geben, diesen einen Fehler, der für all das die Verantwortung trug. Jetzt musste ich ihn nur noch aufspüren.

Ein tiefer ratternder Ton signalisierte den Abschluss unserer Durchleuchtung. Es folgten ein Pupillenscan, Fingerabdruck und Stimmenidentifikation. »Lawen Door«, sprach ich meinen Namen ruhig aus und hoffte, dass meine Aufregung nicht allzu sehr herausklang. »Ingenieurin der Galaxy-Wacht.«

»Zutritt gewährt. Halten Sie sich ausschließlich beim Sicherheitspersonal auf«, warnte mich eine monotone Computerstimme ein letztes Mal, dann öffnete sich die Sicherheitstür und ich konnte endlich eintreten.

Nicht, dass ich mich darum gerissen hätte, hier zu sein. Es gab sicherlich sehr viel angenehmere Orte als die Insane 43, ein ausrangiertes Raumschiff, indem fünfzig Menschen mit massivsten irreparablen Fehlfunktionen, wie sie laut Protokoll genannt wurden, untergebracht worden waren. Es glich einem Hochsicherheitstrakt.

Die Kontrolleinheiten, zu denen ich musste, erreichte man nur, wenn man einmal durch die Zellenreihen schritt. Dies stellte keine Schwierigkeit dar, weil sich alle Insassen sicher eingeschlossen in ihren Zellen befanden. Die Sicherheitscrew, die aus acht Personen bestand, führte mich durch den Trakt zu einer Treppe aus Metall, während das Geschrei um uns herum zunahm. Sie pfiffen, johlten oder rissen dumme Sprüche. Ich war es gewohnt, geschützt und bewacht zu werden, dennoch schlug mein Herz schneller. Die Stimmung hier wirkte trotz aller Vorkehrungen angespannt. Und als würde sich das auf die Insassen übertragen, schlichen sie lauernd an den Türen entlang.

Obwohl ich gelernt hatte, derlei Dinge um mich herum auszublenden, gelang es mir hier nicht. Verstohlen sah ich mich immer wieder um, erleichtert, als wir endlich die ersten Stufen der Treppe erklommen.

Normalerweise hätte ich mich über die vielen Wachen beschwert, doch diesmal war ich froh. In kürzester Zeit war es hier zu oft zu Systemschwankungen gekommen, die sich niemand erklären konnte. Nun erwartete mein Arbeitgeber, die Galaxy-Wacht, jedoch von mir Ergebnisse. Denn diese Ausfälle und Schwankungen hatten ein Ausmaß erreicht, bei dem auch der CS-Regierungsrat keinerlei Spaß mehr verstand. Und denen wiederum war mein Vorgesetzter unterstellt.

Stumm seufzend ließ ich mich führen und betrat erleichtert den Kontrollraum, in dem zwei Männer an den Rechnern saßen und arbeiteten. Einer von ihnen sah aus, als käme er gerade erst von der Schule, der andere war nicht viel älter.

»Ich freue mich, dass Sie hier sind«, begrüßte mich der IT-Chef, den ich anhand des Bildes in seiner Personalakte identifizieren konnte. Mit einem Becher in der Hand trat er auf mich zu.

»Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Hallo, ich bin Lawen Door.« Ich trat auf ihn zu und reichte ihm meine Hand. Er griff zu und schüttelte sie. »Könnten Sie bitte die Tür schließen?«, schob ich hinterher. Obwohl von unten kaum Geräusche bis hier oben drangen, fühlte ich mich wohler bei dem Gedanken, eingeschlossen zu sein.

»Tut mir leid, aber wir haben strikte Anweisungen. Bei einem Systemausfall säßen wir hier drinnen fest«, entgegnete er, während die Sicherheitscrew vor dem Raum ihre Posten bezogen.

»Verstehe.« So ganz verstand ich es nicht. Immerhin bestand die Tür aus einer speziellen Panzerung, selbst das Glas wäre für einen Insassen nicht mal zu zerkratzen gewesen. Doch ich hatte längst gelernt, mich schweigend zu fügen.

»Starten Sie das Protokoll. Ich möchte, dass Sie nicht nur die genauen Uhrzeiten auswerten, sondern bis zu einer Woche zurück.«

»Was?«, folgte sogleich die Beschwerde des Frischlings.

»Haben Sie Probleme damit, Ihren Job zu erledigen?«

»Nein, verzeihen Sie.«

Nun seufzte ich doch laut. »Wir sind sämtliche Daten durchgegangen und haben nicht den kleinsten Hinweis gefunden. Es gibt ihn aber, verstehen Sie?! Irgendwo muss ein Detail verborgen sein und danach suchen wir.«

»Und wenn wir trotzdem nichts finden?«

»Glauben Sie an Zauberei? Magie?«

»Öhm … nein?«

»Da haben Sie Ihre Antwort. Wir werden etwas finden.«

Während er begann, ging ich zum zweiten Rechner, der von allen Datenströmen eine Kopie anfertigte.

»Und Sie machen genau dasselbe«, befahl ich dem Älteren der beiden.

»Ernsthaft? Wozu? Dies ist lediglich eine Kopie.«

Mein Blick reichte aus, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich hatte nicht vor, zu diskutieren. Gäbe es eine nachträgliche Manipulation des Hauptrechenzentrums, wäre sie womöglich nicht dort zu finden. Bis vor einigen Tagen hätte ich ›ganz sicher sogar‹ gesagt. Doch die letzten Überprüfungen hatten mich eines Besseren belehrt. Trotzdem war es, wie ich zuvor erklärt hatte: Ich glaubte weder an Magie noch an Zauberei, irgendwo würde es also einen Hinweis geben, wir mussten ihn nur endlich finden.

Natürlich hätte ich all das auch ganz bequem von meinem Bürosessel aus anfordern können, entspannt zurückgelehnt. Hatte ich sogar die letzten fünf Male. Inzwischen vertraute ich jedoch niemandem mehr. Irgendwer manipulierte die Protokolle, uns, das System, bestach Personen. Ich konnte es nicht beweisen, doch anders war all das nicht länger zu erklären.

Sicher war außerdem, dass mein Kopf rollen würde, sollte es mir dieses Mal nicht gelingen, das Problem aufzudecken. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem eigentlich meine nächste Beförderung anstand. Endlich die Führungsposition, auf die ich so lange und hart hingearbeitet hatte.

»Wie weit sind Sie?«, fragte ich nach dem zweiten Becher Wasser mit Kaffeesirup, weil es hier nichts anderes gab. Er imitierte den Geschmack nach Kaffeebohnen nur und das auf übelste Weise.

Diese billige Ersatzplörre trinken zu müssen, zehrte zusätzlich an meinen strapazierten Nerven. Inzwischen fühlte ich mich, als trüge ich persönlich die Schuld daran, dass die Dinge noch immer unaufhaltsam geschahen. So führte sich zumindest mein Chef auf.

»Bin gleich so weit, in fünfzehn Sekunden.«

»Bei mir noch siebenundzwanzig«, meldeten sich die beiden jungen Burschen nacheinander zu Wort.

Unvermittelt flackerte das Licht kurz auf, zeitgleich mit einem einsetzenden Sirenengeheul, das bereits verklang, noch ehe es richtig eingesetzt hatte und den wilden Flüchen der zwei Frischlinge.

Ich wandte mich ihnen zu und sie hätten gar nichts mehr zu sagen brauchen.

»Alles schwarz. Es hat gefunkt, zumindest bei mir. Der externe Datenträger stinkt verkohlt.«

»Überladung, bei mir ebenfalls.«

Das durfte doch nicht wahr sein. Warum gerade jetzt? Hatte sich denn alle Welt gegen mich verschworen?

Hinter meinen Schläfen begann es, dumpf zu pochen. »Wie lange wird es dauern, bis die Systeme hochgefahren sind?«

»Vermutlich einige Stunden. Der vorgeschaltete Check, der in solchen Situationen durchgeführt wird, ist äußerst gründlich. Gut für die Sicherheit, schlecht in diesem Fall für Sie. Der Notfallserver läuft natürlich, aber er enthält nicht die Protokolle, die Sie benötigen. Es tut mir leid«, entschuldigte sich der Chef der IT-Abteilung.

»Sie können ja nichts dafür«, beruhigte ich ihn und mich. Ich wusste, dass er recht hatte. Nichts und niemand könnte mir die Daten jetzt kurzfristig beschaffen, daher würde es rein gar nichts bringen, sich aufzuregen.

»Ich warte in der Offiziersmesse. Ich brauche einen echten Kaffee.«

»Man gewöhnt sich an alles.« Achselzuckend trank der IT-Chef einen weiteren Schluck. Ich würde mich an dieses Gebräu niemals gewöhnen.

Ich betrat den Gang und lief gemeinsam mit der Sicherheitscrew zurück. Die grobe Ausstattung aus Metall im Zusammenspiel mit der schneeweißen Decke, von der fünf kegelförmige, riesige Strahler herunterhingen, verstärkten den Eindruck eines unerfreulichen Ortes noch zusätzlich. Das riesengroße offene Deck bot kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken. Von hier aus sah ich direkt auf fünfundzwanzig der fünfzig Zellen, die anderen gegenüber befanden sich quasi unter mir.

Unsere Schritte hallten unnatürlich laut in der plötzlichen Stille, während wir die Metallstufen hinter uns zurückließen. Kaum unten angekommen, flackerte es erneut. Die Sirenen setzten ein, dreimal kurz hintereinander, dann anhaltend diesmal.

Der Blick, den mir ausgerechnet der Chef der Sicherheitscrew mit aschfahlem Gesicht zuwarf, ließ meinen Herzschlag aussetzen.

»Bitte, sagen Sie nichts«, bat ich gequält. Ich vertrug einfach keine weiteren schlechten Nachrichten. Und wenn mich ein Mann wie er, ein hünenhafter Bär, hinter dem ich mich dreimal verstecken könnte, derart verstört ansah, wollte ich die Gründe einfach nicht hören. Und ich weigerte mich, mich umzusehen, während er sich beständig im Kreis drehte.

»Sie sind ausgebrochen«, flüsterte er, »alle!«

Einen Ring um mich herum bildend, nahmen die acht Männer Aufstellung.

»Richtung Sicherheitsschleuse, langsam«, wies er an, doch den Gedanken hatten wohl nicht nur wir. Fünf der Insassen sprangen uns in den Weg und es dauerte nur wenige Atemzüge, da stand ich plötzlich allein da.

Ich wusste nicht, was mit den anderen passiert war, sah nur noch um sich schlagende Menschen, ihr Geschrei dröhnte in meinen Ohren, ebenso wie der schrille Klang der Sirenen.

Panisch schlang ich mir Arme und Hände schützend um den Kopf und wünschte mich ganz weit fort. Vor Angst gab ich nur noch einen wimmernden Ton von mir und kämpfte darum, nicht meinen Blaseninhalt zu verlieren, als mich einer der Kerle ins Visier nahm und direkt auf mich zu ging.

Ich war niemals ein Feigling gewesen und trotzdem schien ich plötzlich unfähig, mich zu bewegen. Meine Beine weigerten sich und so stand ich wie erstarrt da, während der Mann langsam, beinahe schleichend, auf mich zukam. Es wirkte irgendwie träge, als bräuchte er sehr viel mehr Zeit. Ich hingegen verwünschte sie, die tickenden Sekunden, die ich mir einbildete zu hören, flehte stumm, dass sie doch einfach vorübergehen würden, er mich endlich erreichen sollte.

Brutal riss er mir die Arme herunter. In dem Moment, indem sich unsere Blicke begegneten, schien die Zeit plötzlich stillzustehen. Wir musterten einander. Sein erstaunlich aufgequollenes Gesicht erinnerte mich seltsamerweise an eine überreife Frucht, die jeden Augenblick aufplatzen würde. Seine Haut war vollkommen dreckig, übersät mit roten Flecken, Rotz lief aus seiner Nase.

Seine haselnussbraunen Augen offenbarten einen Hass, abgrundtief, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte und trotzdem ließ er einfach unvermittelt von mir ab. Ein zweiter Insasse folgte ihm und stieß mich beiseite, versehentlich, wie ich aus seiner Reaktion zu entnehmen glaubte.

Dennoch schlug ich hart mit dem Kopf auf den Boden, aber die erhoffte Ohnmacht kam nicht. Stattdessen musste ich mit ansehen, wie unzählige Wachen schreiend hereinliefen und sie regelrecht niedermetzelten, selbst diejenigen, die ruhig in ihren Zellen sitzen geblieben waren. Ich wollte aufstehen, einschreiten. Ich rief, dass sie aufhören sollten, doch niemand beachtete mich.

Die Diskussion, ob diese Art von Menschen, denen die Erlaubnis zur Teilnahme am öffentlichen Leben dauerhaft entzogen worden war, eliminiert werden sollten, dauerte bereits eine ganze Weile an. Die Mehrheit im CS-Regierungsrat stimmte immer wieder dafür, um dringend benötigte Ressourcen einzusparen. Dennoch hatten sie bisher gezögert, es auch umzusetzen. Und von einer etwaigen Genehmigung, die das Verhalten der Wachen legitimierte, wusste ich nichts. Ganz davon abgesehen, dass ich es für barbarisch hielt und vollkommen unangemessen.

Als drei Wachen den Mann packten, der mich verschont hatte und ihn über den Boden in die Mitte des Decks schleiften, schrie ich erneut, wieder erfolglos.

Dieser Antrieb aber erlöste mich wenigstens endlich aus meiner Starre. Ich erhob mich und taumelte auf sie zu, griff sogar nach dem Arm einer Wache, um seinem Schlag Einhalt zu gebieten, wurde von ihm jedoch einfach weggestoßen. Ich stürzte ein weiteres Mal, mit dem Kopf voran an einen der Pfeiler.

Mit aller Macht kämpfte ich gegen die nahende Ohnmacht, die mich zu überwältigen drohte, der ich aber nicht nachgeben wollte. Der Mann, der Insasse, der mich verschont hatte, er sah mich wieder an. Sein Blick war eine Mischung aus Furcht und Hoffnung.

Ich wollte die Wachen anbrüllen, sie dafür zur Verantwortung ziehen, mit welcher Grausamkeit sie hier vorgingen, denn die ganze Zeit, während sie wie wahnsinnig auf ihn einprügelten, lag er regungslos und ohne Gegenwehr am Boden. Bereits als sie ihn gepackt hatten, stellte er jeglichen Widerstand ein, doch das kümmerte die Wachen nicht im Geringsten. Sie schienen völlig außer Kontrolle.

Ununterbrochen hielt der Insasse den Blickkontakt zu mir. Mit seinem letzten Atemzug legte sich ein zartes Lächeln auf seine Züge. Er hatte es endlich hinter sich und ich fragte mich unvermittelt, wer hier eigentlich die massivsten irreparablen Fehlfunktionen aufzeigte, die Insassen oder die gestörten Bestien, die hier gerade zu Werke gegangen waren – ihre Wachen …

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