Читать книгу Selbstwirksam schreiben - Carmen C. Unterholzer - Страница 6
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Schreiben unterstützt uns bei Veränderungs- und Bewältigungsprozessen. Indem wir schreibend unsere Gedanken ordnen und Zusammenhänge klären, gelangen wir zu neuen Einsichten. Wir gewinnen Abstand, wir durchbrechen destruktive Muster. Diese Prozesse soll das Buch unterstützen. Es soll zeigen, wie Sie selbstwirksamer werden und die eigene Entwicklung schreibend in die Hand nehmen.
Vielleicht empfinden Sie die Arbeit mit diesem Buch als anstrengend. Ich versichere Ihnen: Die Mühe lohnt sich. Es könnte sein, dass Sie sich gewisse Fragen – Ihre Veränderung betreffend – nicht stellen wollen. Sie werden zweifeln: »Ach, das bringt ja doch nichts.« Oder: »Wozu soll ich mich abmühen?« Oder viel einfacher: »Morgen, morgen setze ich mich hin, morgen.« Und aus morgen wird übermorgen, aus übermorgen nächste Woche und so weiter. Es kann aber auch ganz anders sein: Sie nehmen die Hürde der Anstrengung und wenden sich interessiert den hier gestellten Fragen zu. Denn Sie können darauf vertrauen, dass dieses Buch Sie unterstützt, Ihre Selbstwirksamkeit zu entfalten, sie bewusst wahrzunehmen und sie gezielt einzusetzen. Oft ist der Blick auf die eigenen Stärken getrübt, der Zugang zu unseren Kompetenzen versperrt. Das Buch soll helfen, klarer, besser und vielleicht auch anders zu sehen.
Es ist ein Buch für Menschen, die sich intensiv mit sich selbst beschäftigen wollen. Lassen Sie sich beim Lesen und bei den Übungen Zeit, arbeiten Sie es in Ihrem Tempo durch. Es kann sinnvoll sein, es zwischendurch immer wieder den einen oder anderen Tag wegzulegen. Lesen Sie es nicht in einem Mal durch. Pausen zwischendrin erhöhen die Motivation dranzubleiben. Halten Sie immer wieder mal inne, lesen Sie den einen oder anderen Text noch mal und überprüfen Sie die Wirkung Ihres Schreibens.
Sie müssen auch nicht jede Schreibübung ausführen. Die Schreibanregungen sind das, als was sie bezeichnet werden: Anregungen. Wählen Sie aus dem Angebot der Übungen die für Sie passenden aus.
Hilfe zur Selbsthilfe
Sie als Leser:in und Nutzer:in dieses Buches stehen im Zentrum, Sie mit Ihrem Bedürfnis, mit Ihrem Wunsch, etwas, das in Ihrem Leben nicht passt, nicht mehr stimmig ist, zu verändern. Das Buch bietet Hilfe zur Selbsthilfe, es gibt Anregungen und Vorschläge, es begleitet Sie auf Ihrem Weg zur Veränderung. Die konkreten Schreibeinladungen lehnen sich zum einen an Methoden der systemischen Psychotherapie an, zum anderen an Methoden des kreativen Schreibens. Sie haben bereits vielen Menschen in meiner psychotherapeutischen Praxis geholfen.
Parallel zu einer Psychotherapie, einer Beratung oder einem Coaching kann Sie das Buch unterstützend begleiten. Auch ehemalige Therapieklient:innen profitieren davon, indem sie Veränderungen, die in der Therapie begonnen haben, schreibend fortsetzen und verfestigen. Das Buch richtet sich aber auch an Menschen, die keine Therapie machen, die gerne schreiben und die Erfahrung gemacht haben, dass es ihnen hilft. Ebenso können es Schreibunerfahrene nutzen, die mit Schreiben bisher noch wenig am Hut hatten, es aber probieren wollen.
Was Sie hier und auf den folgenden Seiten finden, ist eine Landkarte durch das Gebiet des Schreibens und des Sich-Veränderns. Sie bietet Ihnen Orientierung durch Markierungen, sie zeigt Wege auf, sie führt Sie langsam und behutsam ans Ziel. Es ist nicht der einzige Weg, sondern ein möglicher unter mehreren.
Sie können das Buch gezielt nutzen, indem Sie vorweg – bevor Sie mit der Arbeit am Buch beginnen – ein Vorhaben formulieren. Wo besteht Veränderungsbedarf, und was können Sie dafür tun? Wo legen Sie selbstschädigendes Verhalten an den Tag, das abzulegen an der Zeit wäre? Welches destruktive Muster würden Sie gerne unterbrechen? Damit Sie Ihr Ziel auch erreichen können, muss die Veränderung in Ihrem Einflussbereich liegen. Unsere Vorgesetzten, unsere Partner:innen werden wir nicht ändern, aber wir können unser Verhältnis zu ihnen verändern, unsere Einstellungen, Hoffnungen und Wünsche. Am Ende des Buches angelangt, werden Sie feststellen: Es hat sich tatsächlich was verändert.
Variable Schreibideen
Die Schreibanregungen sind sehr unterschiedlich. Manche sind zugespitzt auf Ihr »Veränderungsprojekt«, andere sind davon unabhängig. Es könnte sein, dass Sie kein konkretes Vorhaben verfolgen, sondern einfach gerne die Schreibübungen ausprobieren möchten. Formulieren Sie dafür die Anregungen einfach um. Wenn ich beispielsweise empfehle: »Fokussieren Sie auf ein dominantes Gefühl, das Ihnen bei Ihrem Veränderungsprojekt immer wieder in die Quere kommt«, dann könnten Sie daraus machen: »Fokussieren Sie auf ein Gefühl, das Ihnen im Alltag immer wieder in die Quere kommt und Sie in Ihrem Leben behindert.« Einige Anregungen sind mehrteilig und erfordern mehr Zeit, andere wiederum begnügen sich mit ein paar Sätzen. Fast immer folgen den Übungsvorschlägen Fragen. Sie sollen Ihren Nachdenk- und Schreibprozess anstoßen, sie können, müssen aber nicht schriftlich beantwortet werden.
Zwischendurch schlage ich zweimal vor, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Die Bilanzen laden zum Innehalten und Nachspüren ein, aber auch zum Evaluieren. Geht es in eine für mich gute Richtung? Was ist mir bereits gelungen? Wo und an was kann ich Veränderung festmachen? Bin ich schon so weit, dass ich mich von schädigenden Einstellungen verabschiedet habe, sodass ich erste konkrete Schritte setzen kann, oder sollte ich noch an meinen Glaubenssätzen arbeiten? Was bräuchte ich noch, um nicht nur meine Gedanken, sondern auch mein Handeln zu verändern? Fragen wie diese zu beantworten, gibt Ihnen Sicherheit und Mut zum Weiterschreiben.
Ist es besser, mit der Hand zu schreiben, oder ist es auch möglich mit dem Smartphone, Laptop oder Tablet? Ich schreibe lieber mit der Hand, da ich dabei gründlicher nachdenke. Die motorische Bewegung des händischen Schreibens wirkt nachhaltiger – so meine Erfahrung. Der Psychiater und Neurobiologe Manfred Spitzer würde mir zustimmen. Beim Tippen werden weniger Hirnregionen aktiviert, die Bewegungen sind einfacher. Deswegen bleibt auch weniger hängen, wenn Menschen tippen und nicht händisch schreiben. Spitzer verweist auf einen Begriff aus der Lern- und Gedächtnispsychologie, auf die »Verarbeitungstiefe« eines Sachverhalts: »Je tiefer er verarbeitet wird, desto besser wird er im Gedächtnis gespeichert« (Spitzer 2014, S. 63). Glaubt man Forscher:innen, erlebt die Handschrift gerade ein Revival (Böhm 2020).
Allerdings muss der Vorschlag, händisch zu schreiben, für Sie anschlussfähig sein. Überlegen Sie, bevor Sie die Schreibanregungen umsetzen, welche Art zu schreiben für Sie passt. Jugendliche und junge Erwachsene, die hauptsächlich mit digitalen Medien arbeiten, die als »digital natives« kaum mehr mit der Hand schreiben, werden eher zu motivieren sein, wenn sie zum Schreiben Laptop, Smartphone oder Tablet nutzen können. Lutz von Werder (2017) schlägt einen Kompromiss vor: Wenn wir unsere Kreativität nutzen, erste Ideen entwickeln und erste Entwürfe verfassen, ist der Griff zum Stift, zur Schreibfeder angezeigt. Überarbeiten wir unsere Texte hingegen, feilen und schleifen wir an ihnen und wollen wir sie anderen überreichen, ist der Rechner das Mittel der Wahl. Nun, wie auch immer Sie sich entscheiden, das Schreiben wird Wirkung zeigen.
Ihr gesammeltes Wissen
Legen Sie sich – sollten Sie händisch schreiben – ein Heft oder ein Buch zu, erstellen Sie – wenn Sie die digitale Variante des Schreibens bevorzugen – einen neuen und eigens für Ihre Texte vorgesehenen digitalen Ordner. Sie sollten Ihr Medium griffbereit haben, um es immer dann, wenn Sie gerade Zeit oder Lust haben, mit Ihren Texten zu füllen. Sammeln Sie Ihre Texte, sie sollen über die Zeit des Lesens und Arbeitens mit diesem Buch hinaus verfügbar sein. Dann können Sie in Zeiten der Krise, eines drohenden »Rückfalls«, oder wenn neue Probleme auftauchen, darauf zurückgreifen. So werden Ihre Texte zu Ihrem Erste-Hilfe-Buch, zu einer Schatzkiste mit vielen hilfreichen, selbst erschriebenen Anregungen, die Sie sich bewahren sollten.
Suchen Sie sich einen guten Schreibplatz. Schreiben Sie nicht dort, wo Sie üblicherweise arbeiten. Es kann eine neue, gemütliche Ecke im Zimmer oder der Küchentisch sein, ein angenehmes Kaffeehaus, in dem Sie ungestört schreiben können, in der warmen Jahreszeit bieten sich Garten oder Parks an. Kümmern Sie sich nicht um Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik. Sie schreiben die Texte in erster Linie für sich. Anders als bei Literat:innen geht es hier nicht primär um den Text, um das Produkt. Es geht um den Prozess, der Erkenntnisse bringt, Klarheit schafft, Transformation fördert oder Abstand von Schwierigem bewirkt. Ist die therapeutische Wirkung bei Schriftsteller:innen lediglich eine günstige Nebenwirkung, ist sie bei therapeutisch Schreibenden vorrangig – sie stellt das angestrebte Ziel dar.