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1 WIE WIR SELBSTWIRKSAMER WERDEN
ОглавлениеWas verstehen wir unter Selbstwirksamkeit? Welche Faktoren beeinflussen sie positiv? Wie können wir diese positiven Aspekte nutzen und verstärken? Lassen Sie uns mit einer Geschichte einsteigen. Das Beispiel von Vera, eine meiner früheren Klient:innen, zeigt Antworten auf.
VERA ist die Letztgeborene einer kinderreichen Familie. Für die Eltern – hart arbeitende Landwirte, die sich abmühen, ihren kleinen Betrieb über Wasser zu halten – hatte Bildung wenig Bedeutung. So wurde aus Vera eine Einzelhandelskauffrau. Bereits mit 18 Jahren klagte sie über Rückenbeschwerden vom Stehen hinter der Verkaufstheke. »Arbeit ist kein Honiglecken«, so reagierten die Eltern auf ihr Leiden. Zehn Jahre lang fügte sie sich ihrem beschwerlichen Schicksal – ihren schmerzenden Rücken erduldete sie mal leiser, mal lauter klagend. Eine ihrer Schwestern tanzte aus der Reihe. Die Vorletztgeborene studierte an einer Kunstuniversität Film, ihr erster Spielfilm lief gerade in den Kinos an. Sie war es, die ihrer »kleinen« Schwester den Floh ins Ohr setzte: Sie solle doch über den zweiten Bildungsweg die Reifeprüfung nachholen, um ihrem Verkäuferinnendasein zu entkommen. »Wie soll ich das bei einer Arbeitszeit von vierzig Stunden schaffen?«, reagierte Vera auf den Vorschlag. Bereits in der Pflichtschule habe sie erlebt, dass sie zu dumm für eine weiterführende Schule sei. »Blödsinn«, entgegnete ihre Schwester. Auch sie war keine gute Schülerin, bis sie an der Kunstuniversität erfahren habe, wie viel Spaß es mache, etwas zu lernen, das einen wirklich interessiere. Die Idee der Schwester ließ Vera nicht mehr los. Ein halbes Jahr später saß sie abends in der Schule, drei Jahre darauf hatte sie das Reifezeugnis in der Tasche – Abschluss mit Auszeichnung. Beflügelt vom Erfolg begann sie ein Architekturstudium. Nach fünf Jahren hatte sie ihren Titel, kurz darauf eine Fixanstellung bei einer renommierten Architektin, in deren Büro sie bereits während des Studiums gejobbt hatte. Heute ist sie Partnerin in diesem Architekturbüro. Die Auftragslage ist gut, die Wettbewerbe sind interessant, die Arbeit als Architektin macht Spaß. Ab und zu spürt Vera noch ihren Rücken. Dann weiß sie: »Aha, ich muss wieder mehr auf meinen Körper hören und für einen besseren Ausgleich zwischen An- und Entspannung sorgen.« Was so leicht und locker klingt, war klarerweise nicht so einfach. Die Monate und Jahre, die zur Reifeprüfung führten, waren schwierig gewesen, für ihren Rücken eine Zumutung, für ihr Durchhaltevermögen eine gewaltige Herausforderung. In diesen schwierigen Zeiten hatte ihr dreierlei geholfen: Zum Ersten der Blick zurück auf das, was sie bereits geschafft hat. Zum Zweiten unterstützten sie die Gespräche mit ihrer Schwester, die sie stärkten und motivierten dranzubleiben, und zum Dritten waren ihr Ehrgeiz und ihre Selbstdisziplin wichtige Verbündete in dieser arbeitsintensiven Zeit.
Es müssen nicht immer so weitreichende Erfahrungen von Selbstwirksamkeit sein wie die von Vera. Oft sind sie weniger tiefgreifend, aber deshalb nicht weniger wichtig. Wir alle haben Selbstwirksamkeit erfahren, wir haben erfolgreich Projekte abgeschlossen, Präsentationen einwandfrei durchgeführt, Kinder gut durch Krisen begleitet, sind Freund:innen in schwierigen Zeiten stärkend zur Seite gestanden – es gibt wenig, was uns mehr ermutigt als Erfolge.
Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen in unsere Fähigkeiten und die Erfahrung, dass wir etwas bewirken, etwas verändern, dass wir gestalten können. Wer sich selbstwirksam erlebt, glaubt an seine Möglichkeiten, etwas zu beeinflussen, ist gesünder und zuversichtlicher. Sie/er ist gerüstet, um mit rasanten Veränderungen beruflicher und gesellschaftlicher Natur – und damit einhergehenden Verunsicherungen – besser umzugehen. Je öfter wir die Erfahrung machen, etwas gut zu meistern, je öfter wir gute Entwicklungen uns selbst zuschreiben, umso stabiler stehen wir in der Welt. Wir wissen, dass wir das, was wir uns vornehmen oder was andere von uns fordern, schaffen. Unsere Versagens- und unsere Zukunftsängste sind geringer. Erleben wir uns selbstwirksam, sind wir offen für Neues. Manche Sozialwissenschaftler:innen gehen noch einen Schritt weiter: Sie gehen davon aus, dass Menschen, die sich als selbstwirksam erleben, weniger anfällig für politischen Extremismus und totalitäre Tendenzen sind (El-Mafaalani 2020).
Wenn wir erleben, wie wir mit unserem Wissen, mit unseren Kenntnissen und mit unserer Einsatzbereitschaft Ziele erreichen, stärkt uns dies auch für künftige Herausforderungen. Zu wissen, zu erleben, dass wir Schwieriges aus eigener Kraft bewältigen, dass wir es sind, die es geschafft haben – nicht günstige Zufälle oder glückliche Fügungen –, führt zu dem, was Albert Bandura – ein Psychologieprofessor an der Universität Stanford – 1977 eine erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung genannt hat, also die Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können (Bandura 1977).