Читать книгу Selbstwirksam schreiben - Carmen C. Unterholzer - Страница 9
Blick auf Ressourcen
ОглавлениеJahrzehntelang orientierte sich die Psychologie an Defiziten, Diagnosen und Störungen. Im Fokus war das Kranke, die Schwäche, die Störung. Als um die Wende zum 20. Jahrhundert Sigmund Freud die Psychoanalyse entwickelte, verfestigte sich ein bestimmter Blick auf Menschen. Im Fokus waren ihre Neurosen, Komplexe und Mängel. Auch andere psychodynamische Ansätze arbeiteten defizitorientiert – in der Annahme, das Erkennen, das Bewusstwerden der Defizite sei wesentlich für ihre Auflösung.
Einer der ersten, die sich um einen anderen Zugang zu Menschen und deren Problemen bemühte, war der israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky.
Abb. 2: Kohärenzerleben nach Antonovsky (1997)
Er entwickelte eine Art »Gegenprogramm« zur Pathogenese, oder besser, eine Ergänzung dazu: die Salutogenese. Sie nimmt in Augenschein, was Menschen gesund werden lässt und was sie gesund hält. Wesentlich dabei sei das Kohärenzgefühl, ein »dynamisches wie beständiges Gefühl des Vertrauens« (Antonovsky 1997, S. 16). Je ausgeprägter es ist, desto gesünder bleibt ein Mensch oder desto schneller wird er wieder gesund. Dieser »sense of coherence« besteht aus drei Komponenten: aus der Verstehbarkeit, dem Gefühl der Handhabbarkeit und dem Gefühl der Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (siehe Abb. 2).
Mit »Verstehbarkeit« meint Antonovsky die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Lebensereignissen herzustellen, sie zu erklären und sie einzuordnen.
Das Gefühl von Handhabbarkeit benennt unsere Fähigkeit zu realisieren, dass wir über geeignete Ressourcen verfügen, um die Anforderungen, die das Leben uns stellt, zu bewältigen. Belastende Ereignisse gehören zum Leben, aber wir tragen das Vertrauen in uns, dass wir mit ihnen umgehen können, da wir über ausreichend Handlungs- und Bewältigungsmöglichkeiten verfügen.
Die Sinnhaftigkeit betrifft unsere Einschätzung, dass schwierige Zeiten und Krisen es wert sind, Energie zu investieren. Wer dies als sinnvoll betrachtet, ist bereit, Herausforderungen anzunehmen und sie mit Bedeutung zu versehen.
Die Abbildung 2 verdeutlicht die drei Komponenten des Kohärenzerlebens.
Ressourcen- und resilienzorientierte Therapierichtungen rücken in den letzten Jahrzehnten zunehmend stärker in den Vordergrund. Der Begründer der modernen Hypnotherapie, Milton H. Erickson, ist selbst das beste Beispiel für ein ressourcenorientiertes Leben.
Als 18-Jähriger erkrankte er an Poliomyelitis. Die Kinderlähmung bedrohte zunächst sein Leben, dann fesselte sie ihn an den Rollstuhl. Durch intensive Autohypnose schaffte er es, seine Nerven wieder zu aktivieren und die erschlafften Muskeln zu stärken. Nach einem Jahr konnte er wieder auf Krücken gehen. Um sich weiter zu kräftigen, paddelte er, noch deutlich geschwächt, 600 Meilen den Mississippi hinunter und wieder hinauf. Danach brauchte er seine Gehhilfen nicht mehr. Erst im Alter holte ihn die Poliomyelitis wieder ein, und er verbrachte die letzten Jahre – in seinem Haus in Phoenix – lehrend im Rollstuhl. Er war der Überzeugung, dass Menschen über alle Fähigkeiten verfügen, die sie brauchen, um im Leben erfolgreich zu sein. Sie hätten im unbewussten Erfahrungsschatz alle wichtigen Kompetenzen gespeichert, die sie für eine gesunde Lösung aller Probleme brauchen. Oft seien sie nicht zugänglich, noch öfter würden sie nicht ausreichend aktiviert und genutzt. Die Selbstheilungskräfte und kreativen Ressourcen von Menschen lägen im Unbewussten brach. Sie gelte es ins Bewusstsein zu holen und für den Heilungsprozess zu nutzen. Rigide, einengende Denkmuster versperrten den Zugang zu diesem Schatz (Schmidt 1980).
Der Begriff Ressource ist eng verknüpft mit jenem der Resilienz. Interessanterweise ist Resilienz ein Begriff aus der Werkstofftechnik. Er bezeichnet die Eigenschaft eines Materials, nach starker Verformung wieder die ursprüngliche Gestalt annehmen zu können. Ähnliches meinen wir, wenn wir von resilienten Menschen sprechen. Wer resilient ist, weiß in schwierigen Situationen die ihr/ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Rosemarie Welter-Enderlin, eine Schweizer Psychotherapeutin und Fachfrau in Sachen »Resilienz« definiert diesen Begriff folgendermaßen: »Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen« (Welter-Enderlin u. Hildenbrand 2006, S. 13).
Schreibanregung Nr. 1
Sie haben nun einiges über Selbstwirksamkeit und über günstige Faktoren gelesen. Vielleicht wollen Sie das Gelesene noch mal vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen und die für Sie wichtigen Schlüsse daraus ziehen. Machen Sie es jedoch nicht in Ihrer üblichen Art, sondern nutzen Sie Ihre Kreativität.
Gestalten Sie ein »Akrostichon« – der Begriff stammt aus dem Griechischen: akros ist die »Spitze«, stichon ist der »Satz«, die »Zeile«.
Verwenden Sie die Buchstaben des Wortes »Selbstwirksamkeit« als Anfangsbuchstaben einer jeweiligen Zeile. Die Zeile kann aus einem einzigen Wort, aber auch aus einem vollständigen Satz bestehen.
Was fällt Ihnen zum Begriff »Selbstwirksamkeit« ein?
Als Anregung hier Veras1 Akrostichon:
Sich gut um sich kümmern
Erfolge wahrnehmen und sich mit
Lieben Menschen umgeben
Blicke werfen auf das, was gelingt
Sinn suchen
Trost finden
Werte nicht aus den Augen verlieren
Irrelevantes vergessen
Relevantes erkennen
Kreativ
Sein
Achtsam sein
Mut haben und Ausdauer
Keine Scheu vor Veränderung – im Gegenteil
Erfolge anderer wahrnehmen und aus
Ihnen lernen
Trau dich