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Sedna

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Ticke erwachte und streckte sich wohlig. Sedna war nicht in der Hütte. Sie stand auf und schlurfte nach draußen. Die Sonne hatte den Abendhimmel erröten lassen und machte sich jetzt ans Untergehen. Sie hatte also den Rest des Tages verschlafen. Die Alte saß am Rand der Plattform, den Rücken Ticke zugewandt, summte ein Lied und nähte. Sed war nirgends zu sehen.

„Na, aufgewacht?“, fragte Sedna, ohne sich umzudrehen.

Zögernd trat Ticke näher. Die Morre beunruhigte sie ein bisschen, sie wusste nicht so recht, wieso.

„Setz dich neben mich“, befahl Sedna jetzt, und Ticke gehorchte. Die Morre nähte schweigend, aber Ticke hatte das komische Gefühl, ganz genau betrachtet zu werden, ohne dass Sedna dazu den Kopf drehen musste.

„Warum wolltest du zu mir?“, fragte sie Ticke schließlich.

Ticke rutschte ein bisschen hin und her, dann aber antwortete sie: „Ich wollte wissen, wo Ari ist.“

„Das habe ich den anderen schon gesagt, sie ist weit weg und niemand kann ihr helfen.“

Ticke nickte und wusste nicht, was es weiter noch zu sagen gäbe. Beide betrachteten stumm den Sonnenuntergang.

Doch schließlich sagte die Morre: „Trotzdem gäbe es zwei, drei Dinge, die ich für dich tun könnte, vorausgesetzt du hast Mut.“

Automatisch schüttelte Ticke den Kopf. Mut, nein, den hatte sie nicht. Die Alte kicherte.

„Mal was anderes“, sagte sie dann. „Weißt du, was du bist?“

Verständnislos schüttelte Ticke noch einmal den Kopf.

„Du bist keine Raupenhüterin, deine Eltern waren Jäger. Vor vielen Jahren sind sie zum Baum gekommen.“

Ticke hatte irgendwie immer gewusst, dass es eine Zeit gegeben haben musste, in der ihre Eltern noch nicht auf dem Baum gelebt hatten, aber sie hatten niemals darüber gesprochen.

„Woher sind sie gekommen?“

Sedna zuckte die Achseln. „Weiß nicht, sie haben nie viel drüber gesagt. Ich hab deiner Mame geholfen, als sie dich gekriegt hat. War das letzte Mal, dass ich mit jemandem aus deiner Familie zu tun hatte. Du wolltest nicht raus und lagst auch noch mit dem Hintern zuerst. Sonst hätte sie mich sicher nicht gebraucht. Deine Schwester hat sie so gekriegt, war schneller draußen als ne hungrige Maus aus ihrem Loch, was man hörte.“

Ticke lauschte gespannt. Niemand hatte ihr je von früher erzählt. Nicht mal Son.

„War Son schon da, als meine Eltern zum Baum kamen?“

„War noch ganz klein, deine Mame hat ihn auf dem Rücken getragen.“

Ticke stellte sich den kleinen Son vor und ihre Mutter, die hellen Haare zu langen, dicken Zöpfen geflochten, wie Ticke jetzt, nur, dass die Zöpfe ihrer Mutter viel länger und dicker gewesen waren als Tickes, so schien es ihr jedenfalls in ihrer Erinnerung.

„Viele von uns wussten nicht so recht, was wir mit euch anfangen sollten. Es gab böse Stimmen, auch. Ihr habt von der Jagd gelebt, habt eure Bögen mitgebracht. Deine Mame war krank, als sie ankamen, ich hab sie gepflegt, hier.“ Sie nickte mit dem Kinn zu ihrer Hütte rüber.

„Damit sich keiner ihre Krankheit holt. Aber zwei Golke sind doch dran gestorben. War verdrummlich ansteckend. Hat euch nicht grad ein frohes Willkommen verschafft.“

Das konnte sich Ticke vorstellen. Die Schmetterlingsleute stritten sich immer und wegen allem, aber wenn etwas von draußen den Baum bedrohte, waren sie sich sofort einig darin, dagegen zu sein.

„Warum haben sie uns dann bleiben lassen?“, fragte sie.

„War ’n schlechtes Jahr, hat nicht geregnet, den ganzen Sommer. Die meisten Eier sind nicht geschlüpft. Die Blätter am Baum sind einfach braun geworden und abgefallen. Mit den Gräsern und anderen Bäumen wars nicht anders. Mitten in der Wiese ein brauner Fleck, groß wien See, da hat nix mehr gelebt. Dein Papu hat Fleisch gebracht. Er hat Tag und Nacht gejagt. Es gab viele Mäuse in dem Jahr, ne richtige Plage, aber das hat uns alle überleben lassen. So dumm waren die Schmetterlingsleute nicht, euch nicht aufzunehmen.“

Ticke nickte. Sedna schwieg. Sie beobachtete Ticke, die sich immer noch sehr benommen fühlte.

„Wirst du auch ne Jägerin werden?“

Ticke zuckte die Achseln. „Ich bin nicht mutig.“

Sedna kicherte leise. „Das sagt also die Reiterin der größten Erlenkreuzspinne.“

Sie kicherte noch einmal, als sie Ticke bei der Erinnerung schaudern sah. „Ich kann was für dich tun, Räupchen, ja, ich glaub’, ich werd was für dich tun.“

Sie erhob sich, schickte Ticke zurück ins Bett und rief nach Sed. Während Ticke noch vor sich hin grummelte, dass sie doch nicht schon wieder schlafen konnte, fielen ihr bereits die Augen zu.

Mädchen und Spinnen

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