Читать книгу Das lachende Baby - Caspar Addyman - Страница 10
Heimliche Freude
ОглавлениеAber ich meine nicht diese Augenblicke. Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Baby seine Mutter zum ersten Mal direkt zum Lachen bringt, wenn sie spürt, dass es sich in ihrem Bauch bewegt. Eine gute Freundin hat mir erzählt, dass sie lachen musste, als sie merkte, dass ihre ungeborene Tochter Schluckauf hatte. Doch auch viel harmlosere Dinge bringen eine Mutter zum Lächeln. Oft ist es einfach die Freude über eine greifbare neue Realität.
An Chitra Ramaswamys Buch Expecting über ihre Schwangerschaft gefällt mir eine Passage ganz besonders. Darin schildert sie, wie sie mit Freunden zum Abendessen ausgeht, um ihren Geburtstag zu feiern. Im fünften Monat schwanger, kann sie die exotischen Köstlichkeiten auf der Speisekarte nicht wirklich genießen, und die Bewegungen ihres Babys lenken sie vom Gespräch mit ihren Freunden ab.
Ich nippte am Champagner, der eher wie Apfelmost schmeckte, und tat so, als würde ich der Unterhaltung folgen, während das Baby in meinem Bauch strampelte. Ich erzählte nichts von diesem kurzen Feuerwerk. Ich hatte nicht das Bedürfnis, dar über zu sprechen. Niemand anderer konnte es spüren, niemand anderer konnte es verstehen. Es war mein geheimer Morsecode, der eine Botschaft an mein Inneres sandte. Freude durchströmte mich. Es war einer der glücklichsten Augenblicke in meinem Leben, ich kann ihn zurückrufen, wann immer ich will, und ich tue es oft (Ramaswamy 2016, S. 84f.).
Diese ganz private Freude wurde zu einem der glücklichsten Augenblicke in ihrem Leben. Ramaswamy zitiert dazu auch eine Schlüsselszene aus Tolstois Anna Karenina, einem Meisterwerk des Realismus. Anna ist schwanger mit dem Kind ihres Geliebten Wronski, aber zwischen ihnen stehen hohe Hindernisse, denn sie ist mit einem anderen verheiratet. Sie hat geträumt, dass sie bei der Geburt sterben wird, und erzählt es Wronski, was zu einer weiteren angespannten Diskussion über ihre aussichtslose Affäre führt. Doch plötzlich werden Annas große Ängste von einem Glücksgefühl in den Hintergrund gedrängt, als sie spürt, wie sich das Baby in ihrem Bauch bewegt.
Jahrtausendelang waren die ersten Kindsbewegungen das erste große Ereignis in der Schwangerschaft. Bevor es Schwangerschaftstests und moderne medizinische Methoden gab, konnte eine Frau erst von da ab mit Sicherheit sagen, dass sie schwanger war. Die alten Griechen und Römer glaubten, in dem Augenblick ziehe die Seele in den Körper ein. Sie dachten, die Bewegungen zeigten den Zeitpunkt an, in welchem dem Fötus Leben »eingehaucht« werde – animus und anima sind die lateinischen Wörter für Geist und Seele, und beide haben ihre Wurzeln in einem noch viel älteren proto-indoeuropäischen Wort für Atem oder Atmen.
In der Rechtsordnung sind die ersten Kindsbewegungen ebenfalls der Zeitpunkt, der Leben von potenziellem Leben trennt. Im englischen Common Law war Abtreibung bis zu diesem Augenblick zulässig, und Angriffe auf eine Frau, die zu einer Fehlgeburt nach den ersten Kindsbewegungen führten, wurden schwerer bestraft. Bis 1869 vertrat sogar die katholische Kirche diese Auffassung; Abtreibungen vor den ersten Kindsbewegungen galten als Vernichtung von potenziellem Leben und nicht von tatsächlichem Leben. Die juristischen Definitionen drehen sich heute darum, ob der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist. Das englische Recht geht davon aus, dass ein Fötus ab der vollendeten 24. Woche »lebensfähig geboren werden kann«, und juristisch zur Person wird ein Baby in dem Augenblick, wenn es seinen ersten Atemzug tut, in Deutschland ab Beginn der Geburt.
In der privaten Geschichte einer Schwangerschaft sind die ersten Kindsbewegungen ein großer Meilenstein. Die allerersten Regungen sind greifbare Freude, buchstäblich ein »berührender« Augenblick. Von da an hat die Mutter eine neue Verbindung zu ihrem kleinen Mitbewohner und kann damit beginnen, Mutmaßungen über seine Persönlichkeit anzustellen. Sie vergleicht die Bewegungen im eigenen Leib mit dem, was andere Mütter erleben – wird er oder sie eher spät am Abend munter oder früh am Morgen? Wie reagiert er oder sie auf Musik, auf die Stimmungslage der Mutter, auf Kaffee oder Kuchen?
Eine Frau, die zum ersten Mal Mutter wird, spürt die Bewegungen ihres Kindes üblicherweise zwischen der 16. und der 20. Woche. Beim zweiten Kind werden die Kindsbewegungen bereits einige Wochen früher wahrgenommen, weil die Uteruswände dünner sind. Aber der Fötus bewegt sich schon lange, bevor die Mutter es registriert. Die ersten Bewegungen erfolgen vier bis acht Wochen nach der Empfängnis. Zu dem Zeitpunkt kann die Mutter noch nichts spüren, denn der Fötus ist erst so groß wie eine Linse.
Schon vor Einführung der hormonellen Schwangerschaftstests in den 1970er-Jahren merkten die meisten Frauen die starken Veränderungen in ihrem Körper, wenn ein befruchtetes Ei sich eingenistet hatte. Alles beginnt mit einer Flut von humanem Choriongonado tropin (für Eingeweihte hCG), das freigesetzt wird, wenn sich die Plazenta bildet. Das hCG informiert die Eierstöcke, dass eine Schwangerschaft eintritt, und bringt sie dazu, weiter Progesteron zu produzieren, während die Plazenta die Produktion von Östrogen übernimmt. Die Spiegel dieser beiden wichtigsten weiblichen Hormone steigen die gesamte Schwangerschaft hindurch an. Ein drittes wichtiges Hormon, Oxytocin, kommt später, um die Zeit der Geburt, ins Spiel.
Progesteron erhöht die Körpertemperatur der Mutter und steigert ihren Stoffwechsel, was zusätzliche Energie erfordert – einer der Gründe, warum werdende Mütter dauernd müde sind. Progesteron setzt auch die Muskelspannung herab, was in späteren Stadien der Schwangerschaft nützlich ist, aber am Anfang Auswirkungen auf Magen und Darm haben und Sodbrennen durch den Rückfluss von Magensäure verursachen kann. Das Östrogen verändert Geruchs- und Geschmackssinn, und man vermutet, dass es schuld ist an der Morgenübelkeit mit Erbrechen und Magenkrämpfen. Zu allem Überfluss hat die Frau gerade erst festgestellt, dass sie schwanger ist. Es ist nur nachvollziehbar, wenn sie sich ein bisschen wackelig fühlt und im Dunkeln tappt, und da ist die erste Bewegung des Babys beruhigend.
Im Dunkeln können wir lauschen. Das Leben im Mutterleib abzuhören war 200 Jahre lang ein wichtiger Bestandteil der Geburtshilfe. Das schlichte Stethoskop und sein moderner Verwandter, das Ultraschallgerät, wurden beide von Geburtshelfern erfunden. 1816 entwickelte René Laënnec das Stethoskop. Es war ihm unangenehm, dass er sein Ohr auf den Brustkorb einer Frau legen musste, um ihr Herz abzuhören, und so erfand er ein Hörrohr. Laënnec und seine Kollegen erkannten, dass die neue Erfindung ihnen auch ermöglichte, den Herzschlag eines ungeborenen Kindes abzuhören. Die ersten Berichte über die kindliche Herzschlagfrequenz stammen aus dem Jahr 1821, von Laënnecs Schüler Jean-Alexandre Le Jumeau de Kergaradec (Wulf 1985). Das Y-förmige Stethoskop tauchte 1851 auf und hat sich seither nicht sehr verändert. Damit kann man den Herzschlag eines Babys ab der 22. Schwangerschaftswoche hören, allerdings in Abhängigkeit von der Lage im Mutterleib (und je nachdem, wie laut die Geräusche im Bauch der Mutter sind). Mit einem Stethoskop könnte man sogar feststellen, ob es Zwillinge werden.
Die Messung der fötalen Herzfrequenz und ihrer Variation gibt den Ärzten Aufschluss über den Gesundheitszustand des Fötus. Die Herzfrequenz wird durch zwei komplementäre Systeme geregelt, das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Das sym pathische Nervensystem steigert die Herztätigkeit, und das parasympathische hemmt sie. Normalerweise befinden sie sich im Gleichgewicht, und die Herzfrequenz geht mal herauf und dann wieder zurück. Ein sehr schneller oder sehr langsamer Herzschlag oder auch fehlende Variabilität können für Ärzte ein Warnsignal sein.
Der Pionier beim Einsatz von Ultraschall in der Gynäkologie war Ian Donald, Geburtshelfer am Glasgow Royal Maternity Hospital. Er wusste, dass hochfrequente Schallwellen in der Industrie zum Einsatz kamen, um Fehler bei Schweißnähten und Verbindungen zu entdecken, und fragte sich, ob das nicht auch bei Gewebe funktionieren könnte. 1955 besuchte er den Anlagenbauer Babcock & Wilcox in Glasgow. Donald brachte zwei Wagenladungen medizinische Proben mit und stellte fest, dass der industrielle Ultraschall anomale Signale von Tumoren und Zysten aufspüren konnte. Zusammen mit seinen Kollegen baute er ein eigenes Gerät und begann mit dem Einsatz in der Diagnostik. Ihre Erkenntnisse fassten sie 1958 in einem Artikel für die Medizinzeitschrift The Lancet zusammen (Donald, Macvicar und Brown 1958). Damit lösten sie eine Revolution in der medizinischen Diagnostik aus.
Ultraschall und die Aufzeichnung der Herzschlagfrequenz sind die beiden wichtigsten Säulen bei der Überwachung der Entwicklung des Fötus. Entwicklungsforscher wie ich nutzen diese Verfahren, um festzustellen, was Babys im Mutterleib erleben. Dank der Herzfrequenzmessung können wir sagen, wenn ein Fötus durch etwas überrascht wird. Mit dem Ultraschall sehen wir, wie ein Fötus sich als Reaktion auf Geräusche, Bewegungen oder andere Reize bewegt. Zusammen mit dem, was wir über die Biologie des heranwachsenden Fötus wissen, ergibt sich ein Bild, was ein Fötus im Mutterleib lernen kann.
Der Ultraschall zeigt uns, dass der Zellklumpen, der einmal das Herz wird, bereits in der sechsten Woche nach der Empfängnis schlägt. Zu dem Zeitpunkt ist der Embryo so groß wie eine Linse, aber Ohren, Mund und Nase sind bereits zu erkennen. Augen und Nasenlöcher sind nur zwei schwarze Pünktchen, Arme und Beine kleine Stummel, Finger und Zehen durch eine Art Schwimmhäute verbunden. Doch ein sechs Wochen alter Embryo bewegt sich bereits als Reaktion auf Berührungen im Bereich von Mund und Nase. Das sind einfach nur Reflexe, aber sie zeigen, dass das Nervensystem sich langsam ausbildet. Wir bekommen eine Vorstellung, warum Babys die Welt erkunden, indem sie alles in den Mund stecken.