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Saugen = Essen = Wohlbefinden
ОглавлениеDas Wichtigste beim Stillen ist jedoch die Zeit und nicht die Nahrung. Stillen bedeutet Wohlbefinden und Sicherheit. Für ein Baby liegt das Glück im Land von Milch und Mami.
Vor allem ganz am Anfang. In ihren ersten Lebenswochen müssen Babys lernen, »Saugen ist Essen, und wenn ich esse, geht’s mir gut«. Dieses Mantra formuliert Penelope Leach in ihrem Buch Die ersten Jahre deines Kindes, einem modernen Klassiker unter den Elternratgebern, von dem über drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Wenn Sie einen praktischen Ratgeber von einer Frau lesen wollen, die sich auch in der Wissenschaft auskennt, ist das meine erste Empfehlung. Das Buch erschien ursprünglich 1977 und wurde viele Male überarbeitet und neu aufgelegt, es ist ein würdiger Nachfolger von Dr. Benjamin Spocks Säuglings- und Kinderpflege aus dem Jahr 1946. Penelope Leach trägt Spocks Gedanken weiter, dass entspannte, souveräne Eltern es leichter haben und glückliche Babys aufziehen. Ihre Ratschläge orientieren sich immer am emotionalen Erleben des Kindes.
Ein Grund, warum Mütter das Stillen aufgeben, ist, dass das Baby Zeit braucht, um die Situation zu verstehen. Ein hungriges Baby weiß nicht, dass es Hunger hat oder dehydriert ist. Es kann quengelig oder apathisch sein oder wütend und unkooperativ. Das ist verständlich – auch wir Erwachsene werden manchmal unleidlich, wenn wir eigentlich nur eine Tasse Tee und einen Keks bräuchten. Für ein Baby erfüllt die Muttermilch den gleichen Zweck. Die Vormilch, die beim Stillen zuerst kommt, ist relativ wässrig. Sie löscht rasch den Durst. Die Nachmilch, die danach kommt, ist fettreicher. Sie bewirkt, dass das Baby sich am Ende satt und zufrieden fühlt, auch wenn das Ziel nicht immer einfach zu erreichen ist. Ein sehr aufgeregtes Baby kann nicht saugen. Das regt wiederum die Mutter auf, und die Stresshormone können die Milchproduktion hemmen. Beide müssen ruhig und miteinander verbunden sein, damit es mit dem Stillen klappt. Deshalb schärft Dr. Leach ihren Leserinnen und Lesern eines ein: dass Essen für Babys Gefühl bedeutet. Die kindlichen Gefühle sind so komplex, dass die Mahlzeiten kompliziert werden können.
Mit dem Stillen beginnt die Bindung. Bindung ist mehr als die wachsende Liebe der Eltern zu dem Baby, Bindung geht in beide Richtungen. Professor Ruth Feldman von der israelischen Bar-Ilan-Universität erforscht die Eltern-Kind-Beziehung seit den frühen 1990er-Jahren. Sie sagt, das Herz der Beziehung in den ersten Monaten sei, wie die reifen physiologischen Systeme der Eltern die unreifen Systeme des Kindes bei der Regulierung unterstützen. Und nach Professor Feldmans Ansicht hängt alles am Oxytocin.
Oxytocin ist alt. Es kommt bei vielen Spezies vor, deren letzter gemeinsamer Vorfahr vor 600 Millionen Jahren lebte. Seit damals gibt es Oxytocin, und es hat sich nicht verändert. Daraus können wir folgern, dass es sehr wichtig ist. Bei Menschen hilft es, die frühe Ausbildung der Verbindungen im Gehirn zu koordinieren, es ist zugleich ein Hormon und ein Neurotransmitter. Als Hormon gehört es zum endokrinen System und hat eine allgemeine Wirkung auf viele Organe und Bereiche des Gehirns. Als Neurotransmitter interagiert es mit Dopamin in unserem Belohnungszentrum und spielt eine zentrale Rolle in der Amygdala, dem emotionalen »Herz in unserem Kopf«.
Bei der Mutter sendet Oxytocin nicht nur Signale an die Brust, Milch fließen zu lassen (der sogenannte Let-Down-Reflex), es verändert auch das Gehirn. Direkt nach der Geburt eines Babys ist das Gehirn der Mutter so plastisch und anpassungsfähig wie nie mehr in ihrem Erwachsenenleben. Ein »Babygehirn« existiert tatsächlich und ist nützlich. Eine junge Mutter fühlt sich vielleicht vergesslich und unkonzentriert, aber sie wird empathischer, ist besser in der Lage, Gefühle zu spiegeln und zu regulieren. Oxytocin wirkt auch bei Vätern. Je mehr sie sich an der Betreuung des Kindes beteiligen, desto mehr verändert sich ihr Verhalten (R. Feldman 2012). Der Anstieg des elterlichen Oxytocinspiegels führt dazu, dass auch beim Kind der Spiegel ansteigt; allerdings ist die Wirkung bei Babys schwieriger zu messen, weil es keinen nicht-invasiven Test für Oxytocin gibt. Aber wir wissen, dass eine vorzeitige Geburt und Umgebungsstress den Oxytocinspiegel senken und einfühlsame Pflege ihn steigen lässt. Synchronie spielt bei der Einfühlung eine zentrale Rolle. Professor Feldman hat untersucht, wie Eltern und Babys durch Berührung, Augenkontakt, geteilte Gefühle und die Töne, die jeder macht, aufeinander reagieren. Diese Verbindungen sind am stärksten, wenn ein Baby trinkt. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es an der Brust trinkt oder die Flasche bekommt.
Wenn ein Neugeborenes trinkt, wird es eng am Körper gehalten, genau im richtigen Abstand, dass es den Herzschlag der Pflegeperson hört und ihr Gesicht sieht. Die Synchronie zwischen Elternteil und Baby ist eine Feedback-Schleife. Je stärker synchronisiert Elternteil und Baby von Anfang an sind, desto besser wird das Baby in der Lage sein, seinen Teil der Interaktion zu regulieren. Das verbessert die Qualität der Interaktion, und dadurch sind Elternteil und Kind noch stärker im Einklang. Emotionale Stabilität hilft dem Kind, mit der Welt zu interagieren, und die Effekte sind langfristig.
Professor Feldman hat viele Babys ab einem Alter von drei Monaten bis zur Adoleszenz beobachtet. Einige Kinder aus ihren Untersuchungen sind inzwischen 20 Jahre alt. Sie hat festgestellt, dass die aufmerksame Versorgung durch die Eltern in den ersten Jahren bewirkt, dass die Kinder als Teenager und auch später sozialer sind und mehr Empathie zeigen (R. Feldman 2007, 2015). Natürlich kann auch das Gegenteil passieren: Ein schlechter Anfang kann alles noch schwieriger machen. Aber die hoffnungsvolle Botschaft lautet, dass diese Systeme nicht starr sind und graduelle Verbesserungen sich ansammeln. Mehr Aufmerksamkeit heute macht die Dinge morgen leichter, und so weiter.