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So etwas wie ein Baby gibt es nicht

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So etwas wie ein Baby gibt es nicht, das heißt, wenn man ein Baby beschreiben will, beschreibt man immer ein Baby und eine andere Person. Ein Baby kann nicht allein existieren, sondern ist immer Teil einer Beziehung.

Donald Winnicott, The Child, the Family and the Outside World, 1964

Winnicott hatte eine sehr viel positivere Botschaft für die Mütter als Melanie Klein: Im Großen und Ganzen haben Mütter eine natürliche Einstellung zur Mutterschaft und besitzen ein instinktives Wissen, wie sie ihre Babys versorgen müssen, denn sie sind selbst einmal Babys gewesen. 1943 hielt Winnicott im BBC-Radio eine Reihe von Vorträgen unter dem Titel »Glückliche Kinder« und entdeckte dabei sein Talent, seine Gedanken mit einfachen Worten auszudrücken. Er wurde danach immer wieder eingeladen, so auch 1945 zu der Reihe »Ihr Baby kennenlernen«; dabei wandte er sich direkt an junge Mütter. Er versicherte den Müttern, sie würden »gut genug« für ihre Babys sein. In den ersten Monaten, in denen es um Halten, Füttern, Aufmerksamkeit für und Einstimmung auf das neue Baby gehe, sei die Mutter für das Baby die Welt.

Nach seiner Auffassung stärkt eine aufmerksame Mutter ihr Baby. Sie registriert, wann es Hunger hat, und wenn sie ihm rasch zu essen gibt, sorgt sie dafür, dass das Baby sich stark, ruhig und zuversichtlich fühlt. Die Mutter verkörpert für das Kind die Welt. Aufmerksamkeit mag als Kleinigkeit erscheinen, aber in der Welt eines Babys hat sie große Bedeutung. Ganz richtig lag Winnicott mit seiner Abneigung gegen »Menschen, die immer Babys auf ihren Knien auf und ab hüpfen lassen, damit sie lachen«. Für ihn war das eine egoistische Handlung, bei der der Erwachsene durch das Baby unterhalten werden will, statt sich auf die Bedürfnisse des Babys in diesem Moment einzustellen.

John Bowlbys Arbeit ähnelt der von Winnicott, ergänzt sie aber auch. Während Winnicott der Objektbeziehungstheorie verhaftet blieb, wurde Bowlby mehr von Biologie, Psychologie und anderen Naturwissenschaften beeinflusst. Konrad Lorenz hatte ihn inspiriert, er korrespondierte mit ihm und anderen Verhaltensforschern. Die Fähigkeit der Mutter, ihr Kind zu versorgen und eine Verbindung zu ihm herzustellen, führte er mehr auf von der Evolution angelegte Instinkte zurück als auf unbewusste Erinnerungen an ihre eigene Kindheit. Seiner Meinung nach waren aus der Sicht des Kindes reale Erfahrungen und Beziehungen wichtiger als Gedanken und Fantasien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Bowlby die Leitung der Kinderabteilung der Tavistock Clinic in London, eines Zentrums für die Erforschung und Behandlung seelischer Probleme, und bezeichnenderweise benannte er sie um in Abteilung für Kinder und Eltern. Während des Krieges hatte Bowlby sich mit gestörten Kindern und aus London evakuierten Kindern befasst. Er führte viele Probleme auf die Tatsache zurück, dass die Kinder lange von ihrer wichtigsten Bezugsperson getrennt gewesen waren. Ein paar Jahre später bildete er ein Team mit der Kanadierin Mary Ainsworth. Sie arbeiteten direkt mit Babys und Müttern und entwickelten das sehr einflussreiche Konzept der »Bindung«.

Intime Bindungen an andere menschliche Wesen sind der Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen dreht, nicht nur im Säuglings-, Kleinkind- oder Schulalter, sondern auch während der Adoleszenz und der reifen Jahre bis hinein in das Alter (Bowlby 1983 [1969], S. 576).

Ich untersuche das ausführlicher in späteren Kapiteln. An dieser Stelle soll es genügen, Bowlby und Winnicott für das zu würdigen, was sie mit ihrer Arbeit erreicht haben. Sie führten nicht nur die Theorien über die kindliche Entwicklung von den düsteren psychoanalytischen Fantasien Melanie Kleins ein gutes Stück auf den vernünftigeren Weg hin zu Ruth Feldmans Neurobiologie der Liebe, sondern hatten auch großen Einfluss auf das Leben vieler Familien. Dazu zählten jene, denen sie direkt mit ihrer klinischen Arbeit halfen, aber auch viele andere, weil ihre Arbeit die gesellschaftliche Wahrnehmung veränderte, was gute Elternschaft im Großbritannien der Nachkriegszeit bedeutete. Sie halfen Eltern, sich von der Vorstellung zu lösen, eine harte Hand und kühle Distanz seien nötig, um den Charakter des Kindes zu formen und zu große Anhänglichkeit zu verhindern, indem sie sehr klar darlegten, wie wertvoll Nähe, Liebe und Empathie sind. Sie bestärkten Mütter, ihren Instinkten mehr zu vertrauen als Autoritätspersonen. Bowlby und Winnicott hätten sicher als Erste gesagt, dass alle Mütter das meiste ganz allein herausfinden.

Die irische Romanautorin Anne Enright erzählt in ihrem Erfahrungsbuch Ein Geschenk des Himmels von ihren ersten Erlebnissen beim Füttern. Sie sitzt aufrecht in ihrem Krankenhausbett und wundert sich über ihre neugeborene Tochter, einen »weißen Dracula«, immer hungrig nach Milch, mit einem intensiven Blick und vielschichtigen Gefühlen, die sich im Gesicht spiegeln. Sie ist genauso verblüfft darüber, dass sie Milch produzieren kann, wie darüber, dass ihre Tochter sie aufnehmen kann. In den ersten Monaten erstaunen sie die Geheimnisse der Mutterschaft immer wieder. Erst sehr viel später kommt sie zu dem Schluss:

Die Mutterschaft fällt mir leicht. Doch ist es eine hart erkämpfte Leichtigkeit, auf die ich ziemlich stolz bin (Enright 2005, S. 244).

Das lachende Baby

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