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Kapitel zwei Alles Gute zum Geburtstag

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Neugeborene Babys schreien, weil ihre Eltern sich nicht die Mühe gemacht haben, »Happy Birthday« für sie zu singen.

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Sie erinnern sich nicht an Ihren nullten Geburtstag, aber Ihre Mutter erinnert sich ganz sicher daran. In den letzten Monaten der Schwangerschaft brauchte sie keine Smartphone-App, um zu wissen, dass ihr Baby von einer hübschen kleinen Aubergine erst zu einer Honigmelone, dann zu einer Netzmelone und schließlich zu einer verdammten Wassermelone herangewachsen war. Neun Monate lang hatte sie sich diesen Tag ausgemalt. Die Tasche für die Party war schon seit Wochen gepackt. Vielleicht hatte es ein paar Fehlalarme gegeben. Aber dann war es endlich so weit.

Nun, fast so weit: Babys beeilen sich nicht gern bei ihrem großen Auftritt, auch der Körper der Mutter mag das nicht. Bei einer Erstgebärenden dauert eine normale Geburt etwa acht Stunden, und die Vorgänge laufen weitgehend automatisch ab. Das wichtigste Merkmal der Wehen sind regelmäßige, koordinierte Kontraktionen der Uterusmuskulatur, die wie beim Herz von Schrittmacherzellen kontrolliert werden. Häufigkeit und Intensität der Kontraktionen nehmen nach und nach zu, und der Abstand zwischen ihnen verringert sich von zehn Minuten am Anfang auf zwei Minuten am Schluss.

Wenn es keine medizinischen Komplikationen gibt, nimmt die Natur ihren Lauf. Aber die Natur kann Angst einflößend und tödlich sein. Von Philippa Gregory, Autorin historischer Romane, stammt der denkwürdige Satz: »Männer sterben im Krieg, Frauen bei der Geburt.« In der Vergangenheit hatten Mütter ein Risiko von eins zu hundert, bei oder nach der Geburt zu sterben. Und in manchen Teilen der Welt ist es immer noch so schlimm oder sogar schlimmer. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2015 betrug das Risiko für ein 15-jähriges Mädchen in Afrika, im Lauf ihres Lebens an einem Problem im Zusammenhang mit der Mutterschaft zu sterben, 1 zu 37. In Europa liegt dieses Verhältnis bei 1 zu 3400.

Babys sind noch schlechter dran. Weltweit kommt eines von 45 Kindern tot zur Welt. Und von den übrigen erleben 49 von 1000 ihren ersten Geburtstag nicht. Der Gesundheitsstatistiker Hans Rosling hat darauf hingewiesen, dass Mütter und Kleinkinder die verletzlichsten und am wenigsten sichtbaren Opfer von Kriegen, Hungersnöten und anderen humanitären Krisen sind. Der größte Gewinn für die Gesundheit der Menschheit wäre eine bessere Versorgung junger Mütter und ihrer Babys.

Im Allgemeinen Krankenhaus in Wien gab es in den 1840er-Jahren zwei Abteilungen für Geburtshilfe, die 1. Geburtshilfliche Klinik und die 2. Geburtshilfliche Klinik. Die Frauen wurden tageweise wechselnd in die eine oder andere Klinik aufgenommen. In der 1. Klinik kümmerten sich Medizinstudenten um die Gebärenden, in der 2. Klinik Hebammen. Frauen, die in die 1. Klinik aufgenommen wurden, baten inständig darum, in die 2. Klinik zu kommen, denn nach allgemeiner Auffassung lag auf der 1. Klinik ein Fluch. Die Daten aus den Jahren 1842 bis 1846 zeigten es eindeutig: In der Hebammenklinik war die Zahl der Todesfälle um 60 Prozent geringer. Ein junger Arzt namens Ignaz Semmelweis wurde damit beauftragt, das zu untersuchen. Er stellte keine Unterschiede bei den Kliniken an sich und bei den Entbindungsverfahren fest. Aber er machte den für die damalige Zeit ungewöhnlichen Vorschlag, die Medizinstudenten sollten ihre Hände mit stark gechlortem Wasser waschen. Als sie das taten, ging die Sterblichkeit in der 1. Klinik auf das Niveau der 2. Klinik zurück. Die Medizinstudenten waren oft direkt von Sektionen in ihren Anatomiekursen in die Entbindungsabteilung gekommen. Manchmal wuschen sie sich die Hände, aber nicht immer, und auf jeden Fall desinfizierten sie sie nicht, warum sollten sie? Es gab keinen Grund. Erst Jahrzehnte später bewiesen Louis Pasteur und Joseph Lister die Theorie, dass Krankheiten durch Keime verursacht werden.

Semmelweis informierte seine Vorgesetzten über das, was er her ausgefunden hatte. Er konnte nicht erklären, warum das Händewaschen half, deshalb folgten sie seinen Empfehlungen nicht. Kurz dar auf wurde er entlassen und kehrte in sein Heimatland Ungarn zurück. In den Krankenhäusern, in denen er arbeitete, gab es ähn liche Verbesserungen, doch seine neuen Kollegen wollten seine Methoden ebenfalls nicht übernehmen. Zwanzig Jahre lang führte er eine immer gereiztere Korrespondenz mit dem medizinischen Establishment in Europa, das ihn weitgehend ignorierte. 1865 starb er besiegt und gebrochen in einer Nervenheilanstalt. Im englischen Sprachraum bezeichnet der Begriff »Semmelweis-Reflex« die Ablehnung einer neuen Erkenntnis, wenn sie bestehenden Überzeugungen oder etablierten Paradigmen widerspricht.

Erstaunlicherweise könnte heute im Westen, wo es überall Zugang zu fortschrittlichen medizinischen Dienstleistungen gibt, die Lösung, wie Geburten sicherer werden könnten, ebenfalls in mehr Hebammen und weniger Ärzten bestehen. Diese Empfehlung sprachen zumindest Mary Newburn, Leiterin der politischen Abteilung des National Childbirth Trust, und ihre Kollegen in einem einflussreichen Bericht aus, der im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Johanson, Newburn und Macfarlane 2002). Sie argumentierten, die ganze Kultur rund um die Geburt müsse sich so verändern, dass »die Geburt als ein normaler physiologischer Vorgang« wahrgenommen werde, und man müsse ein »Eins-zu-eins-Verhältnis in der Betreuung während der Wehen anstreben«. Dass medizinisches Personal während der Geburt bereitsteht, ist wichtig, aber medizinisches Personal tendiert dazu, alles zu medikalisieren. In Finnland, wo die Geburt als normaler physiologischer Vorgang behandelt wird, erfolgen 11 Prozent der Entbindungen per Kaiserschnitt. In Großbritannien sind es 25 Prozent, in den Vereinigten Staaten 35 Prozent, in Deutschland fast jedes dritte Kind. Die geschätzte medizinische Notwendigkeit liegt bei 5 bis 10 Prozent. Weil die Ärzte Angst vor Prozessen haben und auf Nummer sicher gehen wollen, werden sie immer neue Tests und sogar überflüssige Operationen durchführen. Und das ist noch nicht alles.

Wenn den Müttern die Geburt als ein medizinisches Problem dargestellt wird, das behandelt werden muss, dann verlangen sie logischerweise mehr Behandlung. Sie haben mehr Angst vor der Geburt. Sie wollen mehr Rückenmarksanästhesien und Schmerzmittel. In einem medizinischen Umfeld ordnen sich die Hebammen den Medizinern unter. Selbst die Geburtshelfer sind der Meinung, dass sie viel zu sehr auf medizinische Verfahren setzen. Wenn die Geburt als ein natürlicher physiologischer Vorgang betrachtet wird, sind die Ergebnisse für Mutter und Baby besser und die Mütter haben ein angenehmeres Geburtserlebnis. Der Bericht empfahl, so oft wie möglich sollten Hebammen die Geburt leiten und nicht Ärzte. Sie sollte in einem nicht-medizinischen Rahmen stattfinden, und die Mütter sollten ihre Hebammen vorher kennenlernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können.

Ich habe mit zwei befreundeten Hebammen über ihre Rolle gesprochen, um einen besseren Eindruck von der Geburt zu bekommen. Corinne ist energiegeladen und resolut, nicht medizinisch orientiert und matronenhaft. Man würde eher erwarten, sie bei einer Demonstration gegen Ungerechtigkeit zu treffen als in einem Krankenhausflur. Womöglich haben wir uns tatsächlich da zum ersten Mal gesehen. Seit zehn Jahren »holt« Corinne Babys. Natalie ist klein, strahlend und wirkt immer noch ein bisschen holländisch, obwohl sie seit fast zwei Jahrzehnten in London lebt. Wir lernten uns vor 16 Jahren am ersten Tag unseres Psychologiestudiums kennen. Ich erinnere mich, dass sie immer als Erste ihre Studienarbeiten ablieferte und all die Praktikumsberichte schrieb, für die ich nie Zeit fand. Natalie lief zum Spaß Marathon, ein Hobby, das ich damals nicht verstand. Aber wahrscheinlich bereitet einen das gut auf die Aufgaben einer Hebamme vor.

Das Wort »Hebamme« kommt vom althochdeutschen »Hevianna« und bezeichnet »die Ahnin, die das Neugeborene hält«. Wie Corinne sagt, ist die Rolle der Hebamme so alt wie die Menschheit. Denn zumindest seit wir aufrecht gehen, brauchen wir Hebammen. Durch den Übergang von vier Beinen auf zwei Beine hat sich unser Becken verändert, der Geburtskanal ist enger geworden. Außerdem wurde das Gehirn immer größer, und so benötigen unsere Babys mit den großen Köpfen Hilfe, wenn sie auf die Welt kommen. Zum Glück war der Grund, warum unsere Gehirne so groß wurden, dass wir eine soziale Spezies sind. So war auch Hilfe für Mütter in den Wehen zur Stelle.

Wenn ich Corinne und Natalie frage, was die wichtigste Aufgabe einer Hebamme ist, fallen ihre Antworten ziemlich ähnlich aus: Hebammen unterstützen die Mütter, damit sie das Geburtserlebnis bekommen, das sie haben wollen. Die moderne Geburtshilfe durch Hebammen ruht auf drei Schlüsselprinzipien: informierte Entscheidung, freie Wahl des Geburtsorts und kontinuierliche Betreuung. Am wichtigsten ist die informierte Entscheidung, und das ist mehr als informierte Zustimmung, denn es bedeutet Stärkung der eigenen Stimme und nicht, dass man sich fügt. Hebammen wollen, dass die Mutter das Gefühl der Kontrolle hat. Natalie sagt, in dem Zusammenhang sei es sehr hilfreich, einen Geburtsplan zu erstellen; dann würden die wichtigen Entscheidungen im Voraus getroffen. Das Letzte, was eine Frau in den Wehen gebrauchen kann, ist ein Schwall von Fragen, die sie beantworten soll. Sie kann auf dem Weg begleitet werden, den sie vorab gewählt hat, und die Hebamme wird ihn ihr erleichtern. Wenn ihre eigene Hebamme im entscheidenden Augenblick nicht verfügbar ist, kann sich eine andere Hebamme nach dem Plan richten.

Corinne erklärt, die meiste Zeit während der Wehen »ist es unsere Aufgabe, zuzuschauen und abzuwarten. Zu beobachten. Da zu sein und nichts zu tun. Auf die Bedürfnisse der Frau zu reagieren.« Manche brauchen eine beruhigende Hand, andere wollen lieber allein gelassen werden. Manche brauchen Eiswürfel, die sie zerbeißen können, oder etwas Süßes, damit sie durchhalten. Wenn die Geburt voranschreitet, schlagen die Hebammen der Mutter Optionen vor, statt Entscheidungen zu verlangen. Bei Komplikationen erklärt die beruhigende Stimme der Hebamme der Frau, was passiert und war um.

Wenn etwas die Ruhe unterbricht, kann das die Wehentätigkeit bremsen. Ina May Gaskin, eine Hebammenpionierin in Amerika, der die Wiedereinführung der natürlichen Geburt in den Vereinigten Staaten zugeschrieben wird, hat festgestellt:

Durch Beobachtung und Erfahrung lernten wir, dass die Anwesenheit einer einzigen Person, die sich nicht gut in die Mutter einfühlen kann, die Wehentätigkeit zum Stillstand bringen kann. Alle Frauen sind sensibel. Manche sind sogar extrem feinfühlig. Anhand der Beobachtung, dass die Wehen schwächer wurden oder aufhörten, wenn jemand das Entbindungszimmer betrat, der nicht achtsam mit den Gefühlen der Mutter war, stellten wir fest, dass wir recht hatten. Wenn der Betreffende das Zimmer wieder verließ, ging die Geburt wieder normal weiter (Gaskin 2017, S. 130).

Dieses Prinzip steht auch hinter Hypnobirthing. Manche Frauen erlernen in den letzten Monaten der Schwangerschaft Entspannungs- und Atemtechniken, die sie während der Wehen anwenden können. Sie lernen, sich selbst zu hypnotisieren, aber nicht, um in eine betäubende Trance zu sinken. Bei meiner Schwester Ishbel hat es funktioniert; sie war bei ihrer ersten Geburt so ruhig, dass man sie erst gar nicht im Krankenhaus aufnehmen wollte. Das Personal glaubte nicht, dass die Geburt schon so weit fortgeschritten war, und wollte sie wieder wegschicken. Auf ihre Empfehlung hin hat es meine Auberginen-Freundin Belinda auch versucht, mit ähnlichem Erfolg. Die Idee dabei ist nicht, Ängste und Schmerz zu blockieren, sondern die Frau soll sich der Gegenwart stärker bewusst werden, damit sie sich in der aktuellen Situation entspannen kann, statt sich Sorgen zu machen, was wohl passieren wird. Ruhig und zuversichtlich in die Geburt zu gehen hilft, dass die natürlichen Vorgänge die Frau so weit tragen, wie es möglich ist. Medikamente können später immer noch dazukommen. Das wichtigste Medikament produziert der Körper selbst – Oxytocin.

Das lachende Baby

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