Читать книгу Das lachende Baby - Caspar Addyman - Страница 22
Was ist Vergnügen?
ОглавлениеEin Rätsel im Zusammenhang mit dem milchtrunkenen Baby haben wir noch nicht vollständig gelöst: Was bereitet dem Baby daran so viel Vergnügen? Wir wissen, dass es isst, um zu wachsen, und dass es, wenn es Nahrung zu sich nimmt, auch emotional wächst. Wir wissen, dass ein voller Bauch den Vagusnerv stimuliert, eine ganze Kaskade chemischer Botenstoffe freizusetzen, wodurch sich die Spiegel von Insulin, Ghrelin, Leptin und anderen Hormonen ändern. Wir wissen, dass diese chemischen Veränderungen den Körper darauf vorbereiten, die Mahlzeit zu verdauen und das Baby in einen glücklichen milchtrunkenen Schlaf sinken zu lassen. Aber wir wissen immer noch nicht, was daran Vergnügen bereitet.
Wenn wir Gehirnspezialisten fragen, heißt es manchmal »dopaminbasierte Belohnungskreisläufe«. Als Antwort ist das weitgehend nutzlos. Wenn wir einen Psychoanalytiker fragen, hören wir, dass Wunscherfüllung glücklich mache. Das ist ebenfalls überwiegend nutzlos. Für sich allein sind die Antworten nicht falsch, aber sie tragen nicht viel zu unserem Verständnis bei. Warum bereitet uns Freude, was uns Freude bereitet? Warum lacht das eine Baby, wenn es die Treppe heruntergetragen wird, während ein anderes immer die Giraffe Sophie bei sich haben will? Warum mag ich Iron Maiden und Sie mögen Madonna? Warum liebt jemand die Oper?
Spielt das überhaupt eine Rolle? In den 1890er-Jahren bemerkte der Philosoph William James, es sei unsinnig, Fragen zu stellen wie: »Warum lächeln wir, wenn wir uns freuen, und runzeln nicht die Stirn?« Die meisten Menschen kämen nicht auf die Idee, so etwas zu fragen. Vielleicht lieben wir die Dinge, die wir tun, weil sie nun einmal liebenswert sind. Um es mit den Worten von James auszudrücken: Eine Henne würde es ungeheuerlich finden, wenn irgendein Lebewesen ein Nest mit Eiern nicht für absolut faszinierend und kostbar halten würde.
Ökonomen und Philosophen machen viel Aufhebens um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein. Die Ökonomen übersetzen heute die meisten Dinge zuerst in Geld und dann in unverständliche Gleichungen. Nicht umsonst bezeichnen sie die Ökonomie auch als die »trübsinnige Wissenschaft«. Und wenn Sie das Gegenteil von Vergnügen wollen, empfehle ich Ihnen, den Artikel über Vergnügen (pleasure) in der Stanford Encyclopaedia of Philosophy zu lesen (Katz 2016).
Aber wir wollen fair zu den modernen Philosophen und Ökonomen sein: Ihre Ideen sind wahrscheinlich so unklar geworden, weil alle einfachen Gedanken schon formuliert waren. Mit dem Satz »Ich stimme Aristoteles zu« oder durch Abkupfern bei John Maynard Keynes kann man nicht Karriere machen. Aus philosophischer Sicht haben die alten Griechen das meiste bereits gesagt. Plato teilte unsere geläufige Einschätzung, dass Vergnügen die Befriedigung biologischer Begierden und Bedürfnisse ist. Ein hungriges Baby ist nicht mehr hungrig. Ein Erwachsener, dem es zu heiß wird, geht aus der Sonne.
Aristoteles kümmerte sich nicht um solche animalischen Vergnügungen und meinte, Vergnügen rühre von dem Gefühl her, die Welt zu beherrschen. Ein gefüttertes Baby freut sich, dass es ihm gelungen ist, Nahrung zu bekommen. Eine erwachsene Person genießt Kunst, weil sie weiß, was es bedeutet, »gute« Kunst zu machen. Epikur, dessen Name zum Synonym für das Streben nach Daseinslust geworden ist, vertrat die schlichtere Ansicht, Vergnügen sei Freiheit von Schmerz, Furcht und »Unruhe in der Seele«. Ein Baby, das es warm hat und satt ist, ist glücklich, weil es nicht unglücklich ist, so wie eine Katze, die in der Sonne liegt. Epikur sagt, Vergnügen finde man in Erlebtem, nicht in Gedanken. Oft werden seine Ideen so gedeutet, als befürworte er einen unbekümmerten Hedonismus, aber seine Philosophie ist differenzierter: Er drängt uns, die Gegenwart zu genießen, weil der größte Feind des Vergnügens die Angst im Hinblick auf Vergangenheit oder Zukunft ist.
Adam Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft, hatte ebenfalls kluge Dinge über das Vergnügen zu sagen. Smiths Ideen zu Freihandel und Marktwirtschaft fußten auf seinen Gedanken über die Menschen und die Gesellschaft. Seiner Ansicht nach war Epikurs Vorstellung von Vergnügen zu vereinfachend und ichbezogen. Im ersten Satz seines 1851 erschienenen Buchs Theorie der ethischen Gefühle erklärt Smith seine gesamte Philosophie:
Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein (Smith 1977 [1851], S. 5).
Mit anderen Worten: Es bereitet uns Vergnügen, Sinn für das Wohlergehen von anderen zu haben. Mit diesem Prinzip der »gegenseitigen Sympathie« erklärt Smith Freude, Schmerz, Ärger und Kummer. Ziemlich am Anfang seines Buches stellt er das Leid des Kleinkinds, das nur »das Unbehagen des gegenwärtigen Augenblicks« empfinden kann, dem Kummer der Mutter gegenüber, der daraus erwächst, dass sie sich die Hilflosigkeit und Not ihres Kindes vorstellt.
Die Glücksforschung steckt selbst noch in den Kinderschuhen. Die Forscher versuchen, unsere kleinen Freuden zu verstehen, und damit rücken die Babys wieder in den Mittelpunkt. Was Glück betrifft, stimmen die Neurowissenschaftler gern Aristoteles darin zu, dass sich zwei Formen unterscheiden lassen: die Lust des Augenblicks und tiefere Befriedigung oder hedonia und eudaimonia, wie die alten Griechen sagten. Die Forschung hat sich größtenteils auf hedonistische Lust konzentriert und weniger auf eudämonistische Lebenszufriedenheit, weil Sinn und Zufriedenheit schwierig zu fassen sind. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Zufriedenheit schwer zu erreichen und noch schwerer festzuhalten ist. Sie ist nicht nur flüchtig, sondern rätselhaft und von einer Person zur anderen komplett verschieden. Außerdem braucht sie Zeit. Etwas ist vielleicht erst rückblickend befriedigend. Deshalb ist es nicht überraschend, dass es bisher noch nicht gelungen ist, Zufriedenheit im Gehirn zu lokalisieren.
Vergnügen ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl. Die Neurowissenschaftler Kent Berridge und Morten Kringelbach sprechen von einem »hedonistischen Glanz«, der über bestimmten Erfahrungen liege und sie von anderen unterscheide. Außerdem glauben sie, dass zum Vergnügen drei Bestandteile gehören: Wollen, Mögen und Lernen. Mögen ist die Erfahrung des Vergnügens, Wollen und Lernen passieren vorher und nachher, sie sind die Vorwegnahme und das Nachleuchten (Berridge und Kringelbach 2011).
Der größte Teil der Forschungen zu Vergnügen und Lust dreht sich um die Lust am Essen, nicht zuletzt, weil in Tierexperimenten die Belohnung durch Futter wunderbar funktioniert. Man kann eine Maus oder einen Affen schlecht nach ihren Lieblingssongs fragen, aber bei ihren Essensvorlieben sind sie sehr auskunftsfreudig. Das Gleiche gilt für Babys. Sobald ein Baby anfängt, feste Nahrung zu sich zu nehmen, müssen sich die Eltern auf viele Jahre mit Wutanfällen und Verweigerung einstellen, wenn ihr Kind etwas zu essen bekommt, das es nicht mag. Oder normalerweise schon mag, aber gerade heute nicht, vielen Dank Mami. Für jeden Gesichtsausdruck, der Abscheu vor Essen anzeigt, gibt es ein Pendant, das Entzücken signalisiert. Den Gemüserebellionen steht das Eiscremelächeln gegenüber.
Erstaunlicherweise sind es in unserer erweiterten Affenfamilie immer die gleichen Gesichtsausdrücke, die diese Vorlieben übermitteln. Dieses Wissen verdanken wir einem ungewöhnlichen Experiment, das Berridge und sein Team 2001 unternommen haben (Steiner, Glaser, Hawilo und Berridge 2001). Zuerst gaben sie neugeborenen Babys (mit Saccharose) gesüßtes Wasser und (mit Chinin versetztes) bitteres Wasser und filmten die Gesichter, die sie dabei zogen. Dann wiederholten sie das mit einer bunten Schar unserer Affenverwandten. Sie testeten insgesamt elf andere Arten, darunter alle Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen) und viele Affen mit fantasievollen Namen wie die Rotkopfmangabe und den Östlichen Graukehl-Nachtaffen. Zur Vervollständigung nahmen sie noch einen Mongozmaki dazu.
Die grundlegende Erkenntnis war nicht allzu überraschend: Alle elf anderen Arten zogen Süßes dem Bitteren vor. Bemerkenswert war, dass sie das mit beinahe identischen Gesichtsausdrücken signalisierten. Menschenbabys und Affenbabys kniffen gleichermaßen die Augen zu und zogen die Nase kraus, wenn sie das bittere Gemisch bekamen, und streckten bei der süßen Limonade die Zunge vor. Und als die Videos noch einmal sorgfältig in Zeitlupe analysiert wurden, breiteten sich die Ausdrücke in genau der gleichen Geschwindigkeit über die Gesichter aus, wenn man die jeweilige Größe berücksichtigte. Bei einem Gorilla breitete sich die Grimasse also langsamer aus als bei einem Goldhandtamarin, aber es war dieselbe Grimasse. Interessanterweise drückten nur Menschen und die anderen Menschenaffen Vergnügen durch Lächeln aus.
Die Schlussfolgerung aus dieser Studie lautet nicht nur, dass alle Affenbabys Limonade mögen, sondern dass unsere hedonistischen Reaktionen Millionen Jahre alt sind. Es ist nicht überraschend, dass die Früchte liebenden Mitglieder der Primatenfamilie allesamt Süßes mögen. Aber unser jüngster gemeinsamer Vorfahr mit den südamerikanischen Affen lebte vor 30–65 Millionen Jahren. Die Lemuren sind sogar noch entferntere Verwandte. Die Ausdrücke auf den Affengesichtern waren nicht alle identisch, aber doch so ähnlich, dass wir zuversichtlich sagen können, dass die Reaktionen gleich waren.
Der Einwand liegt auf der Hand: »Na und? Die einfachen Genüsse von Babys und Affen sind eines, aber über die raffinierten Vergnügungen von Erwachsenen sagt das nicht viel.« Vielleicht doch. Denn selbst die raffiniertesten erwachsenen Gelüste wie die nach gutem Essen, teurem Wein und abstrakter Kunst spiegeln das gleiche grundlegende Vergnügen wider, das wir in dem glücklichen Gesicht eines Seidenäffchen-Babys erkennen.
So sieht es Paul Bloom, ein kanadischer Psychologe, der an der Universität Yale arbeitet. Er ist Experte für Babys und hat drei Bücher über sie und das, was wir von ihnen lernen können, geschrieben. Aber er hat auch sehr viel über andere Themen publiziert, unter anderem über Moral, Empathie und Vergnügen. In seinem Buch Sex und Kunst und Schokolade: Warum wir mögen, was wir mögen (2011) vertritt er die »essenzialistische« Position, dass alle Dinge, die uns Vergnügen bereiten, etwas gemeinsam haben, das sie vergnüglich macht. Zum Beispiel verliert ein Kunstwerk, das einem großen Künstler zugeschrieben wird, den Kunstkenner sehr schätzen, schlagartig an Wert und Faszination, wenn sich herausstellt, dass es eine geniale Fälschung ist, weil nun die Essenz des Meisters nicht mehr da ist.
Bloom spricht in seinem Buch nicht viel über Babys, aber ihre Freuden und Vorlieben sind der Ursprung dessen, was wir mögen und was uns Vergnügen bereitet. Eine meiner liebsten Süßigkeiten als Kind waren Cherry Lips, harte, wie Lippen geformte kirschrote Bonbons, deren Konsistenz und Geschmack an Plastik erinnerten. Meine Mutter aß sie in großen Mengen, als sie mit mir schwanger war. Wahrscheinlich stammte meine Vorliebe daher. (Woher ihre Gier danach stammte, wissen wir nicht.)
Julie Mennella hat untersucht, wie Geschmacksvorlieben von Müttern an ihre Babys weitergegeben werden. Sie arbeitet am Monell Chemical Senses Centre in Philadelphia, und ihre frühesten Forschungen zeigten, wenn Mütter in der Schwangerschaft oder während der Stillzeit viel Karottensaft getrunken hatten, mochten ihre Babys Getreidebrei mit Karottengeschmack, sobald sie mit fester Nahrung begannen (Mennella, Jagnow und Beauchamp 2001). Passenderweise war sie durch frühere Untersuchungen mit Kaninchen zu dieser Studie angeregt worden. 1994 hatten Agnes Bilko und ihr Team festgestellt, dass kleine Kaninchen eine besondere Vorliebe für Wacholderbeeren zeigten, wenn ihre Mütter damit gefüttert worden waren. Diese Vorliebe wurde sogar dann weitergegeben, wenn die Wacholderbeeren den Kaninchenbabys nur im Kot der anderen Kaninchen im Nest begegneten. Natürlich konnte man diesen Versuch nicht mit Menschenbabys wiederholen, aber die Forschung zeigt, dass Vorlieben mit dem zusammenhängen, was Babys im Mutterleib oder durch die Muttermilch kennenlernen.
Mennellas Forschungsteam testete Vanille, Anissamen, Minze und Knoblauch, und alle entsprechenden Vorlieben können von der Mutter an das Baby weitergegeben werden. Unsere landestypischen Essensvorlieben könnten mit der Muttermilch auf uns übergegangen sein. Mennella, die Amerikanerin italienischer Abstammung ist, erklärt auf diese Weise gern ihre Vorliebe für Gerichte mit viel Knoblauch. Doch solche Vorlieben haben Grenzen. Viele grüne Gemüse sind ziemlich bitter, und kleine Kinder nehmen Bitteres intensiver wahr. Kinder dazu zu bringen, dass sie Gemüse essen, übersteigt immer noch die Fähigkeiten der Wissenschaft.