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Gregory Restall war sich nicht sicher, ob er sich geschmeichelt fühlen oder misstrauisch sein sollte. Letztlich entschied er, dass er die Situation genauso gut genießen konnte. Diese kleine Reporterin war süß, und sie zahlte, also gab er vor, aufmerksam zuzuhören, während er sein Messer in das Lendensteak stieß.

Cady war zu klein, um sich über den massigen Holztisch zu beugen, aber sie streckte ihre Hand aus und schaffte es, Gregorys Handgelenk zu berühren. Als der Kellner vorbeikam, lächelte er nachsichtig über diesen offensichtlichen Beweis der Zuneigung. Das war in dem schummrigen Steakhouse, einem der beliebtesten romantischen Lokale der Stadt, um sechs Uhr abends nichts Ungewöhnliches. Gregory zog seine Hand weg und nahm sich ein Brötchen aus dem Brotkorb. Cady seufzte und setzte ihren Appell fort. »Fran Dreisler von der Washington Post hat das Gleiche gesagt. Und der Chefredakteur der L. A. Times auch. Wenn ich ein Interview mit Walter White bekomme, werden sie’s drucken.«

Gregory löffelte Sauerrahm auf seine Ofenkartoffel und nickte bedächtig. Er war sich schon ziemlich im Klaren darüber, wo das hier hinführen würde, und er wollte es so lange wie möglich hinauszögern.

»So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben«, fuhr sie fort. »Sechs große Tageszeitungen und vielleicht – wenn die Bücher wirklich so einschlagen, wie Alfred es voraussagt – kann ich eine längere Reportage für, sagen wir, People oder fürs Time Magazine machen.« Sie schwieg und wartete auf eine Reaktion, aber Gregory konzentrierte sich auf sein Essen. »Ich werde eine Menge Kohle machen«, sagte sie.

Gregory blickte auf.

»Aber ich muss die Sache bis zum Wochenende im Kasten haben«, fügte sie hastig hinzu. »Wenn ich die Deadline nicht einhalte, wer weiß, was dann passiert? Vielleicht schnappt ihn mir jemand anderer weg. Dann war’s das mit meiner Exklusivität, und mein Interview wäre keinen Pfifferling mehr wert.«

Gregory schluckte. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich nicht weiß, wo er ist. Ich habe den Kerl nie gesehen. Wenn Alfred aus Toronto zurück ist –«

»Wenn Alfred aus Toronto zurück ist, wird es zu spät sein. Er hat mir versprochen, mir Walter White heute Abend vorzustellen, und dann wurde er plötzlich wegbeordert …« Cady verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund.

Gregory lächelte mitfühlend. Er wusste, dass sie log. Alfred hatte ihr nichts Derartiges versprochen, und wenn, dann hatte er sie an der Nase herumgeführt. Alfred hatte Gregory ausdrücklich angewiesen, keinerlei Fragen rund um Mr. White zu beantworten. Mr. White lege größten Wert auf seine Privatsphäre, und Alfred hätte ihm garantiert, dass es keinerlei Publicity geben würde. Gregory wusste, dass Alfred sogar plante, die zurückgezogene Art des Autors später als besonderen Clou in seiner Werbekampagne zu nutzen. Das würde den Midnight-Büchern eine noch geheimnisvollere Aura verleihen.

»Es tut mir Leid«, sagte er ihr. »Aber ich habe keinerlei Informationen über Walter White.«

»Aber es muss doch Verträge geben«, sagte Cady. »Papiere mit seiner Adresse drauf, Korrespondenz, solche Sachen – vielleicht ein Foto?«

»Falls solche Unterlagen existieren, befinden sie sich in Alfreds Geschäftsakten, oben in seinem Privatbüro im zweiten Stock. Da ich aber nicht dort oben arbeite, habe ich keinen Zugang zu diesen Unterlagen. Ich habe mit den Autoren, die veröffentlicht werden, ja nichts zu tun – nur mit den Absagen.«

»Aber du möchtest das Verlagsgeschäft doch erlernen, oder? Alfred sagt, dass du sehr intelligent bist. Sollte er dir da nicht auch mal Einblick in die wirklich Gewinn bringenden Bereiche des Verlags geben? Warum glaubt er, nur weil du noch ein Student bist, könntest du nicht mit echten Autoren umgehen? Vertraut er dir nicht?«

»Und ob er mir vertraut«, sagte Gregory rasch. »Er hat mir einen Schlüssel zu seinem Privatbüro gegeben, bevor er weggefahren ist – für den Notfall.«

»Das hier ist ein Notfall«, sagte Cady. »Wenn ich White nicht zu fassen kriege –«

»Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte zu suchen«, protestierte Gregory.

»Könntest du es nicht wenigstens versuchen?«, bat sie. »Könntest du die Akten nicht kurz durchgehen?«

»Warten Sie.« Gregory hob beide Hände. »Seien Sie mal für eine Minute still, ja? Lassen Sie mich nachdenken.«

»Ich würde dir deine Zeit angemessen honorieren.«

»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte er.

Als Morgan vom Supermarkt zurückkam, saß Sarah bewegungslos auf der Couch. Bloody Midnight lag in ihrem Schoß. Die letzte Seite des Buches war aufgeschlagen.

»Dieses Buch«, sagte sie zu Morgan.

»Ist es nicht toll?« Morgan trug die Einkäufe durchs Wohnzimmer in die Küche und räumte sie weg. Dann nahm sie den Telefonhörer ab und stellte fest, dass die Leitung immer noch tot war. Von ihrem Handy aus rief sie die Telefongesellschaft an und machte noch mal ordentlich Dampf. Dann schob sie zwei Tiefkühl-Fertiggerichte in den Ofen, schnappte sich eine Flasche Wein und zwei Gläser.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, saß Sarah immer noch bewegungslos mit dem aufgeschlagenen Buch da.

»Hat es dich umgehauen?«, fragte Morgan. »Ich war danach ganz schön außer mir.« Sie goss sich ein Glas Wein ein. »Möchtest du auch? Das wird deine Nerven beruhigen.«

»Morgan«, sagte Sarah langsam. »Dieses Buch – die Handlung –«

»Was ist damit?« Morgan sah ihre Cousine genauer an. »Um Gottes willen, was ist denn los?«

Sarah erzählte ihr alles.

»Bist du sicher, dass du nicht beim Lesen eingeschlafen bist? Dass es kein Alptraum war, den du wegen des Buches hattest? Ich meine ja nur, du bist früher geschlafwandelt und vielleicht –«

»Ich sage dir doch, dass ich das Buch nicht zu Ende gelesen hatte! Er ist eingebrochen, bevor ich es ausgelesen hatte.«

»Wer, Sarah? Wer könnte eingebrochen sein?«

»Es war jemand hier. Ich schwör’s! Ich weiß nicht, wer es war. Aber er war hier. Er stapfte ganz deutlich die Hintertreppe hoch. Er hat mich durchs Haus gejagt!«

»Aber hast du irgendjemand gesehen?«

»Ich habe jemand gehört

»Bist du sicher, dass du –«

Sarah packte Morgans Hand. »Es war so!«

»Okay. Okay.« Morgan schwieg. Sie leerte ihr Glas, ging in die Küche und kam mit einer zweiten Flasche zurück. Sarah schüttelte abwehrend den Kopf. Morgan goss sich noch ein großes Glas voll ein.

»Er muss mich tagelang beobachtet haben«, sagte Sarah. »Stell dir das vor! Mich durchs Fenster beobachtet haben. Muss gewartet haben, bis ich genau dieses Buch zu lesen begann. Und – o Gott – als dann das Licht ausging!«

»Das Licht ging aus?«

»Ja, die Birne in meiner Lampe war durchgebrannt.«

»Das hattest du noch gar nicht erwähnt.«

»Es schien mir nicht wichtig. Aber jetzt, wo ich den Schluss des Buches gelesen habe, ergibt es einen Sinn. Er versuchte, den Stromausfall im Buch nachzustellen. Wahrscheinlich ist er vorher hier drin gewesen und hat eine alte Glühbirne eingeschraubt.«

Morgan seufzte so schwer, als würde ihr gleich das Herz brechen. »Sarah, Liebes, denkst du nicht, dass das ein bisschen paranoid klingt?«

Sarah schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte sie. »Ich hatte den ganzen Abend das Gefühl, jemand würde mich beobachten. Das ist fast so, als ob –«

»Als ob du beim Lesen einschläfst, Sarah.« Morgans Stimme klang sanft. Zu sanft. Fast traurig. »Begreifst du nicht? Du hast Teile der Romanhandlung in deinen Traum eingebaut. Du musst so überspannt gewesen sein, dass du einen Alptraum hattest. Du bist geschlafwandelt. Du musst die Falltür offen gelassen haben und – ich will mir gar nicht ausmalen, was da noch hätte passieren können. Gott sei Dank kam Peter dann vorbei.« Morgan zündete sich noch eine Zigarette an, obwohl die vorige noch im Aschenbecher glimmte. »Was, sagst du, hat Peter in der Hand gehalten, als du ihn sahst?«

»Naja, es sah aus wie ein Brieföffner, eine glänzende Klinge von irgendwas – aber genau da liegt das Problem, ich bin mir nicht sicher – ich dachte – ach, ich weiß nicht.«

Die Cousinen saßen eine Weile schweigend da. Morgan nippte abwechselnd an ihrem Wein und zog an ihrer Zigarette. Sarah starrte an die Decke. Sie seufzte. Wenn selbst Morgan, der leichtgläubigste Mensch, den sie kannte, ihr nicht glaubte, würde ihr niemand glauben.

»Morgan – erzähl niemand, was ich dir gesagt habe, ja?«

»Keine Sorge. Kein Sterbenswort.«

»Nicht einmal Zina.«

Morgan zögerte eine Sekunde lang. »Nicht einmal Zina«, versprach sie dann. »Ich habe ihr schon erzählt, dass du die Treppe runtergefallen bist. Wir bleiben also einfach dabei. Aber hör mir zu, weil ich es dir nur einmal sagen werde. Ich glaube, dass du dich irrst. Du hast die Ereignisse in dem Buch mit deinem eigenen Traum durcheinander gebracht, und ich glaube nicht, dass außer Peter noch jemand im Haus war. Du bist geschlafwandelt und gestürzt.« Morgan beugte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. »Du hattest einen Schock, als Peter hier eintraf«, sagte sie. »Du lagst da mit einem gebrochenen Bein. Wahrscheinlich hast du fantasiert.«

Sarah versuchte zu lächeln. »Ich habe tatsächlich ein paar seltsame Träume gehabt«, gab sie zu. Aber sie erzählte Morgan nicht von ihnen. Aus irgendeinem Grund wollte sie den Traum von dem Wald und der lesenden Frau, die ihr so ähnlich gesehen hatte, nicht teilen. Dieser Traum berührte sie an einer Stelle, tief in ihrem Innern, und sie wollte sich später noch einmal mit ihm befassen. Viel später, wenn sie allein war.

Tod um Mitternacht

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