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Am Donnerstagmorgen machte sich Morgan so leise wie möglich ihr Frühstück in Sarahs Küche. Sarah schlief noch auf dem Sofa. Morgan schrieb ihr einen Zettel, auf dem sie ihre Cousine bat, bis Mittag reisefertig zu sein, sodass sie noch bei Zina Mittag essen könnten, bevor sie losfahren würden. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Laden, wo sie den beiden jungen Frauen, die für sie arbeiteten, genaue Instruktionen gab. Sie hoffte, dass sie ihnen das Geschäft für zwei Tage anvertrauen konnte. Anschließend fuhr sie nach Hause, um zu packen. Sie war hin- und hergerissen, was sie mitnehmen sollte. In Kenora hatte sie ein Motelzimmer für eine Nacht reserviert, und sie hoffte, dass sie den Freitag am Strand verbringen könnten. Allerdings war es jetzt schon so kühl, dass sie sich fragte, ob da ein Strandtag ein großes Vergnügen sein würde. Der Wettermann im Radio hatte zudem eine Kältewelle vorhergesagt. Aber Morgan verließ sich nie auf solche Prognosen. Niemand konnte sicher voraussagen, was das Wetter in dieser Gegend des Landes anstellen würde. Von Natur aus optimistisch, packte Morgan Sonnencreme, Sonnenbrille und Badesachen in ihre Tasche.

Bei sich zu Hause faltete Sarah gerade einen dicken Pullover zusammen, als es an der Tür klingelte. Sie legte den Pulli sorgsam auf die Regenjacke, die schon in ihrer kleinen Reisetasche lag, und humpelte durch den Flur. Sie kam immer besser mit den Krücken zurecht, auch wenn sich ihre Arme von dem abenteuerlichen Spaziergang neulich noch steif anfühlten. Sie konnte sich schon erheblich schneller bewegen, aber nicht schnell genug, um vor dem zweiten Klingeln an der Tür zu sein. Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Eigentlich sollte sie für die Fürsorge ihrer Freunde und Nachbarn dankbar sein, aber sie war es schon ein wenig leid, ständig wiederholen zu müssen, dass es ihr gut ginge.

Officer Daniel Bradley stand mit vor der Brust verschränkten Armen auf ihrer Veranda. »Ich wollte nur kurz vorbeischauen, um zu sehen, wie es Ihnen geht«, sagte er.

»Mir geht’s gut«, antwortete sie automatisch.

»Was macht das Bein?«

»Ist noch eingegipst.«

Daniel lächelte. »Nun, wenn es irgendwas gibt, das ich für Sie tun kann …«

»Da fällt mir im Moment nichts ein.« Sie überlegte, ob sie die seltsame Übereinstimmung mit dem Roman erwähnen sollte, entschied sich aber dagegen. Daniel dachte ja ohnehin, dass sie sich den Eindringling eingebildet hätte. Einen Verrückten aus einem Roman ins Spiel zu bringen, würde das Ganze vermutlich nur noch schlimmer machen.

»Möchten Sie, dass ich heute Abend noch mal vorbeischaue?«

»Danke, aber wir fahren nach Kenora und bleiben über Nacht, meine Cousine und ich.«

»Sie fahren zum See? Tolle Sache.«

»Ach, es ist rein geschäftlich.«

Für ein paar Sekunden herrschte ein unbehagliches Schweigen zwischen beiden, bis Daniel sanft anhob: »Du erkennst mich nicht, oder?«

Sarah schüttelte den Kopf.

»Ich habe mit deinem Cousin Sam auf der Highschool Football gespielt.«

Sarah musterte ihn genauer. Da war etwas an diesen Augen, diesen ungewöhnlich dunkelblauen Augen. »Du bist Danny? Danny Carriere?«

»Dan Bradley«, sagte er. »Aber stimmt schon, Alfred Carriere war mein Stiefvater. Er war mit meiner Mum verheiratet – sehr kurz.«

»Ja, ich erinnere mich. Sag mal, du warst doch praktisch der Star des Footballteams – also, du und Sam. Ich erinnere mich daran, wie ihr einmal den City Cup gewonnen habt.«

Daniel konnte sich noch weiter zurückerinnern. Zum ersten Mal hatte er Sarah bei der Party zu Sams vierzehntem Geburtstag gesehen. Sie war etwa sieben Jahre alt und so schüchtern, dass sie kein Wort herausbekam. Sie half Sams Mutter, den Kuchen aufzutragen, hob aber den Blick nicht vom Boden. Er erinnerte sich, dass Sam ihm einmal erzählt hatte, wieso Sarah in seine Familie aufgenommen worden war. Dass sie mit einer exzentrischen Mutter und ohne Vater auf irgendeiner entlegenen Insel aufgewachsen war. Wie sie zur Waise geworden und fortan auf Sams Mutter angewiesen gewesen war. Daniel war von der seltsamen, romantischen Geschichte beeindruckt gewesen. Er hatte vorher noch nie eine echte Waise gesehen. Jahrelang musste er jedes Mal an ihre Geschichte denken, wenn er sie auf dem Schulhof sah, wo sie sich abseits von den anderen Kindern hielt. So, als wüsste sie nicht einmal, wie man spielt.

»Stell dir das vor!«, rief Sarah aus. »Und jetzt bist du hier, deinem alten Wohnviertel zugeteilt. Was für ein Zufall!«

Daniel hatte hart daran gearbeitet und alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dieser Gegend zugeteilt zu werden, aber er sagte nichts davon.

Als Morgan kam, um Sarah abzuholen, winkte er zum Abschied.

»Mein Lieblings-Cop«, sagte Morgan zu Sarah, während sie ihm nachsah. »Was macht er hier?«

»Er war es, der mich ins Krankenhaus bringen ließ. Wusstest du, dass er in dieser Gegend aufgewachsen ist? Er kennt deinen Bruder.«

»Er kennt Sam? Hey, Klasse. Also das ist wieder mal typisch Winnipeg.« Morgan lachte. »Über drei Ecken kennt jeder jeden.«

Byron Hunt blickte gerade lange genug von seinem Notizbuch auf, um Morgan und Sarah zuzunicken, als sie Zinas Café betraten. Er erkundigte sich nicht nach Sarahs Bein, und sie war dankbar dafür. Wahrscheinlich hat er die ganze Geschichte schon sechsmal gehört, dachte sie sich. Nachdem sie die Speisekarte studiert hatte, fiel ihr auf, dass der Stapel mit Walter Whites neuem Roman deutlich geschrumpft war. Das ganze Viertel schien auf diese Buchreihe abzufahren.

Zina hatte zwar regen Mittagsbetrieb, schaffte es aber trotzdem, an ihren Tisch zu kommen und sie persönlich zu bedienen. Sie trug ein besticktes indisches Baumwollkleid aus den Siebzigern, auf dessen Taille dutzende kleiner Spiegel aufgenäht waren. Eines von Morgans tollen Fundstücken, das sie speziell für Zina reserviert hatte. Trotz seines Alters war es unverblichen scharlachrot und leuchtete genauso wie der Borschtsch, den Zina heute servierte.

»Dann fahrt ihr also gleich zum See«, sagte Zina, während sie zwei dampfende Teller vor Morgan und Sarah stellte. »Ihr habt’s gut, Mädels.«

»Das ist rein geschäftlich«, sagte Sarah.

»Es geht um Sarahs Erbe«, sagte Morgan. »Hat etwas mit dem Grundbesitz ihrer Mum zu tun.«

Byron blickte auf. »Mit dem Lake of the Woods?«

»Ja, genau«, sagte Morgan.

»Der Lake of the Woods wird grün vor Warten«, sagte Byron.

»Was ist das?«, fragte Morgan.

Byron lächelte. »Sag’s ihr, Sarah.«

»Ihr was sagen?«

»Der Lake of the Woods wird grün vor Warten«, wiederholte er. »Und jede weiße Welle kündet von deinem Kommen.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Sarah.

»Du kennst diese Zeilen nicht? Das ist ein Gedicht deiner eigenen Mutter!«

»Ihrer Mutter?«, fragte Zina.

»Carolyn Yeats. O. K., sie war ja nur die beste kanadische Dichterin des zwanzigsten Jahrhunderts.«

Sarah und Morgan tauschten einen Blick. Byrons Heldenverehrung für Carolyn hatte sie schon immer irritiert.

»Ich glaube kaum, dass sie jemals als die Beste galt –«, hob Sarah an.

»Das hätte sie aber sollen«, erklärte Byron. Er schien fast schon ärgerlich.

Neugierig wandte Zina sich an Sarah. »Deine Mutter war Schriftstellerin?«

»Eine Dichterin«, sagte Byron. »Sie hat fünf Gedichtbände geschrieben. Aber liest sie irgendjemand? Nein! Gott verhüte, dass ihre Gehirne je das Arbeiten anfangen! Sie könnten möglicherweise etwas empfinden!«

»Deine Mutter hat fünf Bücher geschrieben?«, fragte Zina.

»Fünf brillante, wunderbar durchkomponierte Bände«, verkündete Byron elegisch. »Sie gingen unter wie Steine, unbemerkt.« Er seufzte und sah mit verschleierten Augen aus dem Fenster. »Ich wollte sie immer kennen lernen. In meinem ersten Jahr auf dem College habe ich eine Arbeit über ihre Vorstellung von der Natur verfasst. Ich traute mich irgendwann sogar, ihr einen Brief zu schreiben. Aber dann erfuhr ich, dass sie schon Jahre tot war. Verdammt! Was für eine verpasste Gelegenheit –« Er sah auf. »Oh, Entschuldigung«, sagte er.

Sarah war ganz weiß im Gesicht.

»Tut mir Leid. Es ist nur so, dass ich immer das Gefühl hatte, sie gekannt zu haben.«

»Das hast du aber nicht«, sagte Morgan. Das war irgendwie gruselig. Als ob ihre Tante Carolyn sich mit einem Spinner wie Byron Hunt abgegeben hätte. Oder hätte sie das vielleicht? Byron hatte sie brillant genannt. Morgan spürte plötzlich, dass sie ihre Tante gar nicht gekannt hatte.

»Byron ist schon ein wahrer Romantiker«, sagte Zina und versuchte die Atmosphäre aufzulockern. »Er liest eine Menge Gedichte.«

Sarah schwieg weiterhin.

Byron erhob sich und stopfte sein Notizbuch in seine Mappe. »Ich geh dann mal lieber. Zina, was bin ich schuldig?«

Morgan und Sarah blickten den beiden nach, als sie zum Tresen gingen. »Was für ein unsensibler Blödmann!«, flüsterte Morgan.

Als sie Byron das Wechselgeld zurückgab, fragte Zina ihn mit leiser Stimme: »Wie war ihr Name noch mal? Der von Sarahs Mutter?«

» Carolyn Yeats.«

»Und sie war berühmt? Ich habe noch nie von ihr gehört.«

Byron sah sich im Buchladen um. »Von welchen Dichtern hast du denn schon gehört?«, fragte er.

»War sie reich?«

Byron schnaubte, nahm sein Wechselgeld und ging.

Tod um Mitternacht

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