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Zina war glücklich. Exzellenter Umsatz. Mindestens dreißig Leute, die sie alle verköstigt hatte, füllten das Café. Sie lehnte sich für einen Moment mit dem Rücken an die Theke und betrachtete die Gesichter ihrer Gäste.

Viele Frauen. Alle Gründungsmitglieder des Mystery Book Club waren weiblich, aber nach und nach hatten ein paar Ehemänner und Freunde vorbeigeschaut, um »sich das mal anzusehen« – und hatten Feuer gefangen. Im Verlauf des letzten Jahres war die Zahl der männlichen Mitglieder gestiegen. Zehn von ihnen waren heute Abend unter den Gästen. Manche kannte sie nicht – ein gutes Zeichen dafür, dass ihr Kundenkreis wuchs –, aber die meisten waren Stammgäste aus der Nachbarschaft.

Alfred Carriere war zusammen mit seinem jungen Assistenten Gregory gekommen, um dabei zu helfen, die Midnight-Mystery-Reihe zu pushen. Er hatte auch seine Frau Betty mitgebracht. Zina zweifelte daran, dass Betty sich dafür interessierte, aber Alfred schleppte sie überall mit hin. Er ließ sie kaum aus den Augen. Betty saß brav neben ihm, in einer ihrer üblichen langweiligen Kombinationen: Heute Abend war es ein beigefarbener Hosenanzug mit einer babyrosa Rüschenbluse. Brrr. Und diese Frisur! Bettys stark dauergewellte braune Locken waren auf ihrem Kopf aufgetürmt wie versteinerte Meeresalgen. Alfred hatte seinen Stuhl ganz dicht neben Bettys gerückt und einen Arm fest um ihre Schulter gelegt, während er sich vornüberbeugte, um Gregory etwas ins Ohr zu flüstern. Zina sah Gregory nicken und grinsen, als hätte Alfred etwas weltbewegend Originelles gesagt. Sie wurde aus ihm nicht schlau. Entweder verehrte er Alfred oder er war der perfekte Arschkriecher.

Byron Hunt war ebenfalls anwesend – nicht wegen des Treffens, sondern weil er nie nach Hause ging. Auch Joe Delaney war da. Er war mit der Diskussionsleitung an der Reihe, aber Zina bezweifelte, dass er sich darauf vorbereitet hatte. Das Einzige, was Joe aus dem Effeff beherrschte, war das Herumblödeln. Er nahm die Bücher selten ernst. Er betrachtete diese sonntäglichen Treffen eher als gesellschaftlichen Event, und war dabei nicht der Einzige … Oh, was für eine Überraschung. Dieser charmante Student, den sie kürzlich kennen gelernt hatte, war gerade aufgetaucht. Wie hieß er doch gleich? Mark? Als er letzte Woche ein Exemplar von Bloody Midnight kaufte, hatte Zina ihm eine Kopie des Club-Newsletters mitgegeben und ihn für heute Abend eingeladen. Er stand etwas verloren in der Nähe des Ausgangs, und Zina entschloss sich, dafür zu sorgen, dass er sich willkommen fühlte und etwas bestellte.

Sie durchquerte den Raum und streckte ihm mit einem strahlenden Lächeln ihre Hand hin. »Mark, oder?«

»Ja. Hallo«, sagte er. »Sie haben ein volles Haus heute Abend. Ich frage mich gerade, wo ich mich hinsetzen soll.«

»Bleiben Sie zum Essen? Oder kommen Sie nur wegen des Buchclubs?«

»Beides. Ihr Tagesgericht klingt super, und ich möchte die Diskussion hören.« Er hielt sein Exemplar von Bloody Midnight hoch. »Das Buch hat mir gefallen.«

Zina entdeckte einen leeren Stuhl an Alfreds Tisch. »Kommen Sie mit. Ich stelle Sie ein paar Freunden vor.«

Er folgte ihr, während sie sich zwischen den kleinen Tischen durchschlängelte und an den Stühlen vorbeiquetschte, auf denen Morgan und Linda Rain saßen. Linda gehörte die Musikalienhandlung Hand-Made Harmony gleich nebenan. Das Lokal war so voll, dass Lindas Hündin im Durchgang liegen musste, und Zina versuchte, ihr nicht auf die Pfoten zu steigen.

»Alfred, habt ihr noch Platz frei?«

»Natürlich«, sagte er. Er streckte die Hand aus, um Marks Rechte zu schütteln, ohne seinen linken Arm von Bettys Schulter zu nehmen. »Alfred Carriere«, sagte er. »Von Carriere Publishing. Meine Frau Betty. Und das hier ist Gregory.«

»Das ist Mark«, sagte Zina. »Er ist ein neuer Nachbar und – wie ich hoffe – auch ein neues Mitglied im Club. Das Buch hat ihm sehr gefallen.«

»Schön zu hören«, sagte Alfred. »Es ist von uns. Das Erste aus einer Bombenreihe.«

»Die Story ist faszinierend«, sagte Mark, während er sich setzte. »Ich lese normalerweise keine Krimis, aber vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet, ist es sehr anspruchsvoll.«

»Finden Sie?«, schaltete Morgan sich ein. Sie beugte sich vom Nachbartisch herüber. Alfred stellte Mark Morgan und Linda vor, und schon bald entwickelte sich zwischen den beiden Tischen eine angeregte Diskussion.

»Soweit ich mich bei psychologischen Profilen auskenne«, fuhr Mark fort, »trifft der Autor mit seiner Charakterisierung haargenau diese Art von Obsession. Ist er eigentlich zufällig Psychiater?«

»Nein, er hat nur gut recherchiert«, sagte Alfred.

»Und gut geschrieben«, fügte Linda hinzu. »Die Obsession des Mörders ist doch so eine Art Begriffsverwechslung, oder? Sie könnte für die destruktive Natur menschlichen Verlangens im Allgemeinen stehen. Ich meine, dass er vor nichts zurückschreckt, nicht aufzuhalten ist –«

Morgan ignorierte Lindas Analyse. »Sind Sie Psychologe, Psychiater oder so was?«, fragte sie Mark.

Mark lachte. »Noch nicht. Ich studiere noch.«

»Gregory ist auch Student«, sagte Alfred. »An der Universität von Manitoba.«

»Da bin ich auch.« Mark lächelte Gregory zu. »Und was studierst du?«

Gregory hielt im Kauen seines Sandwiches nur so lange inne, wie er brauchte, um das Wort »Englisch« hervorzustoßen. Dann wischte er sich den Mund mit einer von Zinas blauen Servietten ab und biss erneut zu.

»Greg arbeitet bei Alfred«, klärte Betty Mark auf. Es war ihre erste Äußerung.

»Oh, ein toller Studentenjob!«, sagte Mark zu Gregory. »Ich bin nur Laborassistent – für einen Hungerlohn. Dann bist du also in der Verlagsbranche? Und was machst du da? Lektorieren?«

Gregory hatte gerade den Mund voll, sodass Morgan an seiner Stelle antwortete. »Greg ist so eine Art Laufbursche«, sagte sie. »Nicht wahr, Greg? Er ist ein vielseitiger Farbbandwechsler und Briefumschlagablecker.« Gregory hatte einmal angemerkt, dass Morgan sich wie eine sexbesessene Pennerin kleidete, und Morgan hatte ihm das nie verziehen.

Gregory warf ihr einen giftigen Blick zu, und Alfred sagte: »Gregory ist viel mehr als das, Morgan.«

»Ihr seid also nicht der Meinung, dass der Killer nur ein überzeichnetes Negativbeispiel der universellen –« Linda wurde von Zina unterbrochen, die Mark eine großzügige Portion Kichererbsen-Curry servierte und Linda aufforderte, still zu sein, weil das Treffen gleich beginnen würde.

Zina läutete mit einer kleinen Glocke, um allen zu verkünden, dass es sieben Uhr sei und Joe Delaney gleich das Wort ergreifen werde. Dann quetschte sie sich wieder an Lindas Hund vorbei und fand einen freien Platz neben Cady Brown, der Reporterin, die eine Geschichte über den Buchclub machen wollte.

»Toller Roman«, bemerkte Cady. »Hat mich die ganze Nacht wach gehalten.«

»Ich hab ihn nicht zu Ende geschafft«, gestand Zina. »Er war mir ein bisschen zu –«

»Ach, du musst ihn unbedingt ganz lesen, Zina!«, rief Linda. »Er ist überwältigend.«

Zina unterdrückte ein Lächeln. Linda verlieh dieses Prädikat jedem zweiten Buch, das sie las, und Zina erwog kurz, ihr das zu sagen. Doch sie wollte Linda nicht kränken. Sie war schließlich ihre beste Kundin. Ihre Blindheit hielt sie nicht davon ab, ihrer Leidenschaft für Kriminalromane zu frönen. Die meisten Bestseller waren als Hörbücher zu bekommen, und wenn nicht, wechselten sich die anderen Clubmitglieder dabei ab, kapitelweise auf Lindas viel genutzten Kassettenrekorder zu sprechen.

»Was denken Sie, Cady?«, fragte Linda. »Besitzt dieser Roman nicht eine überwältigende symbolische Struktur?«

»Fragen Sie mich nicht so was«, sagte Cady. »Ich lese einfach nur, um rauszufinden, wer der Täter war. Was gibt’s zum Nachtisch, Zina? Irgendwas riecht da fantastisch.«

»Abwarten.« Zina lachte. Cady war so zierlich, sie wirkte geradezu erschreckend zerbrechlich, aber Zina hatte sie schon während eines Treffens einen halben Schokoladenkuchen verdrücken sehen. Vielleicht war das der Grund, warum es mit ihrem Artikel so lange dauerte. Sie wollte nicht auf die Gratis-Leckereien verzichten.

»Guten Abend, allerseits.« Joe Delaney stand im vorderen Teil des Cafés und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu ziehen. »Guten Abend und ein herzliches Willkommen an alle neuen Mitglieder. Ich bin Joe Delaney, Ihr Moderator an diesem Sonntag. Ich werde mit meiner eigenen Kritik an Bloody Midnight beginnen, einfach um die Diskussion in Gang zu bringen.« Er griff in die Tasche seiner Jeans und zog ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier hervor.

Er hat sich tatsächlich vorbereitet, dachte Zina. Als Joe seine Rezension vorlas, war sie sogar noch mehr beeindruckt. Er hatte sich offenbar eingehend mit dem Buch auseinander gesetzt. Gut, der leicht ironische Ton, den er anschlug, passte eigentlich nicht zu einer so schrecklichen Geschichte. Aber sie konnte an den Lachern erkennen, dass die Zuhörer seinen Sinn für Humor zu schätzen wussten.

Nach Joes Präsentation teilte sich der Club in kleinere Gruppen auf. Zina und Javier gingen in die Küche, um die Kirsch-Brownies aufzuschneiden und zu servieren.

»Dieses Buch Bloody Midnight«, begann Javier und verstummte dann.

»Ja?« Zina schob ein extra großes Stück für Joe auf einen Teller, weil er es sich verdient hatte.

»Wie kann Mitternacht blutig sein – das ist doch zwölf Uhr nachts, oder?«

»Das stimmt.« Zina fragte sich, wie viel von Joes Ausführungen Javier verstanden hatte. »Manchmal nennt man es auch Geisterstunde – die Zeit, wenn Geister und Gespenster auf der Erde umgehen.«

»Aber ihr Kanadier – ihr glaubt doch nicht an so was.«

Zina lachte. »Also, teilweise ja, teilweise nein.«

»Ah«, machte Javier, als hätte er das verstanden.

»Darum sind diese Bücher hier so beliebt«, erklärte sie. »Uns ist langweilig, deshalb lieben wir den Thrill. Die Leute mögen es, sich zu fürchten. In unserem Alltag gibt es nichts, wovor man Angst haben müsste.« Sie nahm das Tablett mit dem Dessert und trug es durch die Schwingtüren.

»Es gibt doch Verbrechen«, sagte Javier. »Autounfälle, Krankheiten, den Tod.«

Aber Zina hörte ihn nicht mehr.

»Was mich irritiert hat«, sagte Mark Curtis gerade, »war, dass der Detektiv seiner Verlobten kein Wort gesagt hat. Ich meine, wenn er nur irgendeine Andeutung gemacht hätte-«

»Sexist«, unterbrach Morgan ihn. »Er nahm an, sie könnte nicht damit umgehen. Er dachte, er müsste es allein regeln.«

»Und sie glaubte, er habe ihr den Schmuck geschickt«, sagte Joe. »Das war auch sexistisch.«

»Das ist doch etwas anderes«, widersprach Morgan. »Jetzt gib dem Opfer nicht die Schuld!«

»Der Diamantring als ultimative Warnung. Glaubst du nicht, dass das eine feministische Message ist?«, fragte Cady. »Ich meine, ihr wisst schon, die Ehe als Machtkampf.«

»Es kam mir beim Lesen nicht wie ein feministisches Buch vor!«, rief Morgan. »All diese armen toten Frauen!«

»Aber du übersiehst die Ironie«, konterte Linda. »Die sexistische Einstellung des Detektivs ist eindeutig die Ursache –«

»Was Süßes?«, fragte Zina. Die Diskussion verstummte schlagartig, während die Gäste sich bei den Brownies bedienten.

»Wie kommst du mit dem Artikel weiter?«, fragte Zina Cady.

»Gut«, sagte Cady. »Alles, was ich noch brauche, ist ein Aufhänger.«

»Ein Aufhänger?«

»Ja, weißt du, etwas, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erregen, etwas, woran sie hängen bleiben.«

»Wie wär’s mit dieser neuen Buchreihe?«, schlug Zina vor. »Schau mal«, sie zeigte auf das Regalbord mit den Exemplaren von A Chill at Midnight. »Jede Woche wird ein neuer Titel erscheinen.«

Cady nahm eines der Bücher aus dem Regal und begann, den Text auf der Rückseite zu lesen.

»Hey«, rief sie, »die tödliche Kälte eines Winters in Winnipeg! Es spielt in unserer Stadt! Jetzt habe ich einen Aufhänger.«

»Es spielt in Winnipeg?« Zina wünschte, sie hätte dem Werbematerial, das Alfred ihr überlassen hatte, mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Sie linste über Cadys Schulter und las: Große Ungewissheit beschleicht die Bewohner einer Stadt im Norden, die von einem wahnsinnigen Schneesturm heimgesucht wird.

»Das wird die Leute hier sicher ansprechen!«, sagte Cady. »Wer ist dieser Walter White? Lebt er hier in Winnipeg?«

»Frag Alfred«, riet Zina ihr. »Alfred Carriere, der da drüben, bei der Telefonkabine. Er hat die Reihe neu herausgebracht. Und er vertreibt sie auf lokaler Ebene.« Zina wandte sich an Morgan. »Kommt Sarah heute Abend nicht?«

»Ja genau, wo ist Sarah?«, fragte Byron. »Normalerweise ist sie doch immer die Erste beim Sonntagabend-Mist-Club.«

»Halt die Klappe, Byron.« Morgan suchte in der Menge nach dem Gesicht ihrer Cousine, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass Sarah nicht da war. »Ich hätte sie anrufen sollen«, gab sie zu. »Heute ist ihr Geburtstag, und ich habe sie total vergessen.«

»Wenn heute ihr Geburtstag ist, hat sie wahrscheinlich was Besonderes vor«, vermutete Zina. »Vielleicht hat sie eine Verabredung mit einem Verehrer.«

»Sarah?«, sagte Morgan. »Das bezweifle ich.«

Tod um Mitternacht

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