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VI.

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Als sie sich auf der Straße vor der Haustür verabschiedeten, hatte es zu regnen aufgehört. Ginia sah noch das schmutzige, tropfende, von jener grellen Lampe erhellte Zimmer vor sich. Mehrmals hatte Guido das Licht angeknipst, um nachzuschenken oder etwas zu suchen, und Amelia hatte sich auf dem Sofa die Augen zugehalten und gerufen, er solle es wieder ausmachen, und man hatte sehen können, dass Rodrigues regungslos zu ihren Füßen an der Wand kauerte.

»Haben die beiden niemanden, der ihnen das Zimmer fegt?«, fragte Ginia, während sie allein nach Hause gingen.

Amelia sagte, Guido sei vertrauensselig, dass er Rodrigues den Atelierschlüssel überlasse.

»Hat Guido diese Bilder gemalt?«

»An seiner Stelle hätte ich Angst, dass dieser Portugiese sie verkauft und das Zimmer ohne Absprache untervermietet.«

»Hast du für Guido Modell gestanden?«

Im Gehen erzählte Amelia, wie sie Rodrigues kennengelernt hatte, als sie noch jünger war und für irgendwen Modell stand. Rodrigues kam, genau wie jetzt, ins Atelier hereingeschneit und setzte sich, als wäre er im Café; still hockte er da, sah von ihr zum Maler und sagte nie etwas. Schon damals trug er die weiße Krawatte. Ebenso machte er es bei einem anderen Modell, das sie kannte.

»Malt er denn nicht auch?«

»Da müsste eine schon sehr verzweifelt sein, um sich nackt vor ihn hinzustellen, glaubst du nicht?«

Ginia hätte Guidos Bilder gern noch einmal angeschaut, denn sie wusste, dass man Farben nur bei Tag richtig sieht. Wäre sie sicher gewesen, Rodrigues nicht dort anzutreffen, hätte sie all ihren Mut zusammengenommen und wäre allein hingegangen. Sie stellte sich vor, wie sie hinaufstieg, klopfte, Guido in seinen Soldatenhosen vorfand und ihn anlachte, um das Eis zu brechen. Das Schöne an diesem Maler war, dass er gar nicht wie ein Maler wirkte. Ginia erinnerte sich daran, wie er ihr mit einem aufmunternden Lächeln die Hand gedrückt hatte, und an seine Stimme im dunklen Zimmer und an sein Gesicht, wenn er das Licht anknipste und sie ansah, als wären sie beide, unabhängig von Rodrigues und Amelia, ein Paar. Aber jetzt war Guido nicht da, und man musste mit dem anderen rechnen.

Am nächsten Tag im Café fragte sie Amelia, ob Guido wenigstens am Sonntag freihabe. »Früher hätte ich es gewusst«, sagte Amelia. »Aber wir sehen uns schon länger nicht mehr.«

»Rodrigues hat zu mir gesagt, ich dürfe in sein Atelier kommen, wann ich will.«

»Sieh mal an«, erwiderte Amelia.

Aber er ließ sich mehrere Tage lang nicht im Café blicken. »Ich wette, er wartet darauf, dass wir ihn besuchen, jetzt, wo er über ein Bett verfügt, um uns gebührend zu empfangen. Das sähe ihm ähnlich.«

»Da kann er lange warten«, antwortete Ginia.

Als sie noch einmal darüber nachdachte, kam Ginia zu dem Schluss, dass Amelias Verhalten, sich in Anwesenheit anderer ins Bett zu legen und das Licht auszumachen, doch nicht so frech war, denn auch Guido und Rodrigues hatten nichts dabei gefunden. Was sie quälte, war die Vorstellung, was Amelia zu anderen Zeiten auf diesem Bett getrieben haben mochte, als das Zimmer nur Guido allein gehörte.

»Wie alt ist Guido?«, fragte sie.

»Früher war er so alt wie ich.«

Aber Rodrigues ließ sich nicht blicken, und eines Morgens kam Ginia, die einige Besorgungen erledigen musste, durch die Straße jener Nacht. Sie blickte hoch und erkannte die dreieckige Vorderfront des Ateliers. Ohne lange zu überlegen, stieg sie die Treppe hinauf, die kein Ende nahm, aber oben im letzten Flur gab es mehrere Türen, und sie konnte sich nicht entscheiden. Sie begriff, dass Guido nicht berühmt war, da er nicht einmal ein Namensschild hatte, und im Hinuntergehen dachte sie gerührt an die Lampe an jenem Abend, die für einen Maler tödlich sein musste. Als sie dann Amelia traf, sagte sie ihr nichts von dem Besuch.

Eines Tages, als sie sich unterhielten, fragte sie Amelia, warum Männer Maler wurden. »Weil es Leute gibt, die Bilder kaufen«, erwiderte Amelia. »Aber nicht von allen«, sagte Ginia, »was ist mit den Malern, denen niemand was abkauft?«

»Das ist eben Geschmackssache«, sagte Amelia, »die meisten hungern.«

»Sie malen, weil es sie befriedigt«, sagte Ginia.

»Also bitte! Würdest du dir ein Kleid schneidern, um es dann nicht zu tragen? Am schlauesten macht es Rodrigues, er behauptet, er sei Maler, aber niemand hat ihn je mit einem Pinsel in der Hand gesehen.«

An genau diesem Tag saß Rodrigues im Café und zeichnete ganz konzentriert auf einen Block. »Was machen Sie da?«, fragte Amelia und nahm ihm das Blatt weg. Auch Ginia betrachtete es neugierig, aber sie sahen nur ein Gewirr von Linien, die den Bronchien eines Menschen ähnelten. »Was ist das? Ein Kopfsalat?«, fragte Amelia. Rodrigues antwortete weder Ja noch Nein, und darauf blätterten sie den Skizzenblock durch, der viele Zeichnungen enthielt: Einige glichen Pflanzenskeletten, und manchmal waren es Gesichter, aber ohne Augen, mit schwarz schraffierten Flecken; bei manchen begriff man nicht, ob es Gesichter oder Landschaften waren. »So sehen die Sachen nachts bei Gaslicht aus«, sagte Amelia. Rodrigues lachte spöttisch, aber Ginia ärgerte sich nicht, er tat ihr eher leid.

»Da ist nichts Schönes dabei«, sagte Amelia, »wenn Sie mich so porträtieren würden, würde ich Sie nicht mehr grüßen.«

Rodrigues sah sie wortlos an.

»Ein schönes Modell ist zu schade für Sie«, fuhr Amelia fort. »Wo finden Sie Ihre Modelle? Auf dem Klo?«

»Ich brauche keine Modelle«, sagte Rodrigues. »Ich achte das Papier.«

Darauf sagte Ginia ihm, sie wolle Guidos Bilder noch einmal sehen. Rodrigues steckte den Skizzenblock in die Tasche und sagte: »Zu Ihren Diensten.«

Schließlich gingen sie alle beide hin, am folgenden Sonntag, und Ginia schwänzte einen Teil der Messe, um rechtzeitig zu kommen. Sie hatten verabredet, sich am Haustor zu treffen, aber es war niemand da, und Ginia stieg allein hinauf. Erneut stand sie unsicher vor den vier Türen im Flur, konnte sich nicht entscheiden und ging die Treppe bis zur Hälfte wieder hinunter. Doch dann fand sie sich albern, kehrte um und lauschte an der letzten Tür. Da trat aus einer anderen eine ungekämmte Frau im Morgenrock, die einen Eimer trug. Ginia richtete sich gerade noch rechtzeitig auf und fragte sie, wo der Maler wohne. Die Frau würdigte sie keines Blickes und erwiderte nichts und verschwand über den Flur. Ginia, rot und zitternd, hielt den Atem an, bis alles still war, dann rannte sie die Treppe hinunter.

Ab und zu betrat jemand das Haus oder kam heraus und betrachtete sie im Vorübergehen. Ginia begann, verzweifelt auf und ab zu laufen, vor allem auch, weil auf der Straßenseite gegenüber ein Metzgergeselle am Türrahmen lehnte und sie hämisch anstarrte. Sie überlegte, ob sie die Portiersfrau fragen sollte, wo das Atelier war, doch nun konnte sie ebenso gut auf Amelia warten. Es war beinahe Mittag.

Am schlimmsten war, dass sie für diesen Nachmittag keine Verabredung mit Amelia hatte, sie würde ihn also allein herumbringen müssen. »Alles, alles geht mir schief«, dachte sie. In diesem Augenblick erschien Rodrigues im Haustor und winkte ihr.

»Amelia ist oben«, sagte er unbekümmert, »sie sagt, Sie sollen raufkommen.«

Wortlos stieg Ginia mit ihm hinauf. Es war tatsächlich die letzte Tür, hinter der kein Mucks zu hören gewesen war. Amelia, auf dem Sofa, rauchte, als säße sie im Café. »Warum bist du nicht raufgekommen?«, fragte sie sofort ganz ruhig. Ginia schimpfte sie eine blöde Gans, aber Amelia und Rodrigues sagten so überzeugt, sie hätte doch heraufkommen sollen, dass es unmöglich war zu streiten. Und sie konnte auch nicht herausschreien, dass sie an der Tür gelauscht hatte, denn das wäre noch schlimmer gewesen. Doch es genügte zu sehen, wie still die beiden waren, um zu begreifen, dass das Sofa bestimmt etwas zu erzählen gehabt hätte. »Sie halten mich wohl für blöd«, dachte Ginia und versuchte zu erkennen, ob Amelias Haar zerzaust war und was ihr Rodrigues’ Augen verrieten.

Amelias Hut – der mit dem Schleier – lag hingeworfen auf dem Tisch, und Rodrigues stand mit dem Rücken zum Fenster und fixierte ihn mit ironischem Blick.

»Wer weiß, ob Ginia der Schleier steht«, sagte Amelia aus heiterem Himmel.

Ginia schnitt eine Grimasse, und ohne sich zu rühren, begann sie, die kleinen Bilder über Amelias Kopf zu betrachten. Aber diese armseligen Farben interessierten sie nicht mehr. Sie schnupperte und erkannte in dem kalten Mief Amelias Parfüm. Sie konnte sich nicht erinnern, wonach das Zimmer beim letzten Mal gerochen hatte.

Dann ging sie durchs Zimmer und sah sich die Bilder an den Wänden an. Eingehend betrachtete sie eine Landschaft oder einen Obstteller, blieb stehen, konnte sich nicht entschließen, die Augen abzuwenden; niemand sprach. Es gab auch einige Frauenporträts: Sie kannte keines dieser Gesichter. Am Ende des Zimmers angekommen, stand sie vor dem langen Vorhang aus schwerem, ausgefranstem Stoff, der die ganze Wand bedeckte. Ihr fiel ein, dass Guido dahinter die Gläser hervorgeholt hatte, und halblaut fragte sie: »Ist es gestattet?«, aber die beiden hörten es nicht, weil Rodrigues gerade sprach, also öffnete sie einen Spalt, um einen Blick hineinzuwerfen, sah aber nur ein zerwühltes Bett und ein Waschbecken. Auch dort drinnen roch es nach Amelia, und Ginia merkte es, als sie dachte, dass es schön sein müsse, allein in diesem Eckchen zu schlafen.

Der schöne Sommer

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