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I.

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Damals war immer Festtag. Es genügte, das Haus zu verlassen und die Straße zu überqueren, schon wurden die Mädchen wie verrückt, und alles war so schön, besonders nachts, dass sie, wenn sie todmüde zurückkehrten, immer noch hofften, dass etwas geschähe, dass ein Brand ausbräche, dass zu Hause ein Kind geboren würde oder dass es womöglich plötzlich Tag würde und alle Leute auf die Straße liefen und man immer weiter und weiter gehen könnte bis zu den Wiesen und hinter die Hügel. »Ihr seid gesund, ihr seid jung«, sagten sie, »ihr seid Mädchen und habt keine Sorgen, das ist selbstverständlich.« Doch sogar Tina, eine von ihnen, die hinkend aus dem Krankenhaus gekommen war und zu Hause nichts zu essen hatte, auch sie lachte unentwegt über nichts, und eines Abends, als sie hinter den anderen hertrottete, war sie stehengeblieben und hatte zu weinen begonnen, weil Schlafen eine Dummheit war und der Fröhlichkeit die Zeit stahl.

Wenn Ginia solche Krisen überfielen, ließ sie sich nichts anmerken, sondern begleitete eine der anderen heim und redete und redete, bis sie nichts mehr zu sagen wussten. Kam dann der Augenblick, sich zu verabschieden, so waren sie schon eine ganze Weile wie allein, und Ginia ging ruhig nach Hause, ohne der Gesellschaft nachzutrauern. Die schönsten Nächte waren natürlich samstags, wenn sie zum Tanzen gingen und am nächsten Tag ausschlafen konnten. Aber es genügte auch weniger, und manchmal, wenn sich Ginia morgens auf den Weg zur Arbeit machte, war sie schon glücklich über das Stück Straße, das sie erwartete. Die anderen sagten: »Wenn ich spät heimkomme, bin ich dann müde; wenn ich spät heimkomme, kriege ich eins hinter die Ohren.« Doch Ginia war nie müde, und ihr Bruder, der nachts arbeitete, sah sie nur zum Abendessen, und tagsüber schlief er. Mittags (Severino drehte sich im Bett um, wenn sie hereinkam) deckte Ginia den Tisch und aß hungrig, kaute dabei gemächlich und lauschte den Geräuschen im Haus. Die Zeit verstrich langsam, wie es in leeren Wohnungen so ist, und Ginia hatte Zeit, das Geschirr abzuwaschen, das im Spülbecken wartete, ein wenig sauber zu machen, sich dann auf dem Sofa unter dem Fenster auszustrecken und beim Ticken des Weckers aus dem Nebenzimmer einzuschlummern. Manchmal schloss sie auch die Fensterläden, damit es dunkel wurde und sie sich noch einsamer fühlte. Rosa würde sowieso um drei die Treppe herunterkommen und leise, um Severino nicht zu wecken, an der Türe kratzen, bis sie ihr antwortete, sie sei wach. Dann verließen sie gemeinsam das Haus und verabschiedeten sich an der Straßenbahn.

Ginia und Rosa hatten nichts gemein außer diesem Stück Weg und einem Stern aus kleinen Perlen im Haar. Doch als sie einmal an einem Schaufenster vorübergingen und Rosa sagte: »Wir sehen aus wie Schwestern«, merkte Ginia, wie ordinär dieser Stern war, und begriff, dass sie einen kleinen Hut tragen musste, wenn sie nicht auch wie eine Arbeiterin wirken wollte. Umso mehr, da Rosa, die noch von Vater und Mutter abhängig war, sich erst wer weiß wann einen würde leisten können.

Wenn sie vorbeisah, um Ginia zu wecken, kam Rosa herein, falls es nicht schon zu spät war; und Ginia ließ sich beim Aufräumen helfen und lachte halblaut über Severino, der, wie alle Männer, nicht wusste, was es hieß, einen Haushalt zu führen. Zum Spaß nannte Rosa ihn dann »deinen Mann«, aber nicht selten machte Ginia ein finsteres Gesicht und erwiderte, die ganze Arbeit mit dem Haushalt zu haben, aber keinen Mann, sei gar nicht lustig. Ginia meinte es nicht ernst – denn ihr Vergnügen bestand genau darin, diese Stunde allein zu Hause zu verbringen, ganz ihre eigene Herrin –, doch ab und zu musste man Rosa zu verstehen geben, dass sie keine Kinder mehr waren. Auch auf der Straße wusste Rosa sich nicht zu benehmen und schnitt Grimassen, lachte, drehte sich um – Ginia hätte sie verprügeln mögen. Aber wenn sie zusammen tanzen gingen, war Rosa unentbehrlich, denn sie duzte alle, und ihre Verrücktheiten zeigten den anderen, dass Ginia feiner war. In diesem schönen Jahr, als sie begannen, allein zu leben, hatte Ginia bald gemerkt, was sie von den anderen Mädchen unterschied, nämlich dass sie auch zu Hause allein war – Severino zählte nicht – und mit sechzehn Jahren wie eine Frau leben konnte. Deshalb ließ sie sich, solange sie den Stern im Haar trug, von Rosa begleiten, weil sie sie lustig fand. Im ganzen Viertel gab es keine Zweite, die, wenn sie wollte, so albern war wie Rosa. Sie konnte jeden aus der Fassung bringen, indem sie lachte und in die Luft schaute, und ganze Abende war alles, was sie tat und sagte, die reine Komödie. Und sie war angriffslustig wie ein Hahn. »Was hast du, Rosa?«, fragte einer, während sie noch warteten, dass das Orchester zu spielen anfing. »Angst« – und die Augen traten ihr dabei aus dem Kopf –, »ich habe da hinten einen alten Mann gesehen, der mich anstarrt, er wartet draußen auf mich, ich fürchte mich.« Der Junge glaubte es nicht. »Das wird dein Großvater sein.« – »Dummkopf.« – »Also tanzen wir.« – »Nein, ich habe Angst.« Nach der halben Runde hörte Ginia den Jungen rufen: »Du ungezogene Göre, eine Hexe bist du, hau ab und verschwinde. Geh doch zurück in die Fabrik!« Da lachte Rosa und brachte auch alle anderen zum Lachen, aber Ginia dachte im Weitertanzen, dass es wirklich die Fabrik war, die ein Mädchen so herunterkommen ließ. Übrigens brauchte man ja nur die Mechaniker anzusehen, die eine Bekanntschaft auch immer mit solchen Scherzen begannen.

War einer von ihnen mit von der Partie, konnte man sicher sein, dass noch vor dem Dunkelwerden ein Mädchen wütend wurde oder, wenn sie dümmer war, weinte. Sie trieben genau solche Späße wie Rosa. Immer wollten sie die Mädchen mit in die Wiesen nehmen. Man konnte sich nicht mit ihnen unterhalten, sondern musste gleich auf der Hut sein. Aber schön war, dass dann an manchen Abenden gesungen wurde, und sie sangen gut, vor allem wenn Ferruccio mit der Gitarre kam, ein großer Blonder, der ständig arbeitslos war, aber noch ganz schwarze, rissige Finger hatte von der Kohle. Es schien unmöglich, dass diese groben Hände so geschickt waren, und Ginia, die sie einmal unter der Achsel gespürt hatte, als sie alle gemeinsam von den Hügeln zurückkehrten, achtete darauf, sie nicht anzusehen, während sie spielten. Rosa hatte ihr gesagt, dass sich dieser Ferruccio zwei- oder dreimal nach ihr erkundigt habe, und Ginia hatte geantwortet: »Sag ihm, er soll sich zuerst die Fingernägel sauber machen.« Beim nächsten Mal erwartete sie, dass Ferruccio lachen würde, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt.

Doch dann kam der Tag, an dem Ginia aus dem Schneideratelier trat und sich noch mit beiden Händen den Hut zurechtrückte, als Rosa unvermutet am Haustor auf sie zusprang. »Was ist los?« – »Ich bin aus der Fabrik fortgelaufen.« Gemeinsam gingen sie den Bürgersteig entlang bis zur Straßenbahn, aber Rosa blieb stumm. Ginia war verärgert und wusste nicht, was sie sagen sollte. Erst als sie in der Nähe ihres Hauses aus der Straßenbahn stiegen, murmelte Rosa leise, dass sie Angst habe, schwanger zu sein. Ginia nannte sie ein dummes Ding, und sie stritten sich an der Ecke. Dann ging die Sache vorüber, denn Rosa hatte sich nur vor Schreck in diesem Zustand geglaubt, aber unterdessen war Ginia aufgeregter als sie, weil sie sich vorkam, als habe man sie betrogen und wie ein Kind behandelt, während die anderen sich amüsierten, und noch dazu Rosa, die kein bisschen Ehrgeiz hatte. »Ich bin mehr wert«, sagte Ginia, »mit sechzehn ist es noch zu früh. Selber schuld, wenn sie sich so wegwerfen will.« Das sagte sie, aber sie konnte nicht ohne Demütigung daran zurückdenken, denn die Vorstellung, dass die anderen Mädchen alle schon in den Wiesen gewesen waren, ohne es je zu erwähnen, während ihr, die allein lebte, die Hand eines Mannes noch Herzklopfen verursachte, diese Vorstellung nahm ihr den Atem. »Warum bist du an dem Tag zu mir gekommen, um es mir zu sagen?«, fragte sie Rosa eines Nachmittags, während sie zusammen aus dem Haus gingen. »Wem hätte ich es denn sonst sagen sollen?« – »Warum hast du mir vorher nie was gesagt?« Rosa, die jetzt beruhigt war, lachte. »Wenn man nichts sagt, ist es schöner. Es bringt Unglück, darüber zu reden.« Ginia dachte: »Sie ist ein dummes Ding. Jetzt lacht sie, aber vorher wollte sie sich umbringen. Sie ist noch gar keine Frau, das ist es.« Auch wenn sie allein durch die Straßen ging, dachte sie nun oft, sie seien alle zu jung und man müsste sofort zwanzig sein, um zu wissen, wie man sich verhalten solle.

Einen ganzen Abend lang beobachtete sie Rosas Liebsten – Pino mit der krummen Nase, einen kleinen Kerl, der nur Billard spielen konnte und nichts tat und beim Reden die Mundwinkel verzog. Ginia verstand nicht, warum Rosa immer noch mit ihm ins Kino ging, nachdem sie erfahren hatte, wie feige er war. Ihr wollte dieser Sonntag nicht aus dem Kopf gehen, an dem sie alle zusammen Boot gefahren waren und man gesehen hatte, dass Pinos Rücken voller Sommersprossen war, wie Rost sah es aus. Jetzt, da sie alles wusste, erinnerte sie sich, dass Rosa an jenem Tag mit ihm unter den Bäumen verschwunden war. Wie dumm sie gewesen war, es nicht zu begreifen. Aber noch dümmer war Rosa, und das sagte sie ihr auch noch einmal am Eingang zum Kino.

Wenn sie daran dachte, wie oft sie Boot gefahren waren! Man scherzte, lachte, neckte die Paare. Ginia, die mehr auf die anderen Mädchen achtete, hatte Rosa und Pino nicht bemerkt. In der Mittagshitze waren sie und die hinkende Tina allein im Boot zurückgeblieben. Die anderen, einschließlich Rosa, waren an Land gegangen, wo man sie schreien hörte. Tina, die Rock und Bluse anbehalten hatte, sagte zu Ginia: »Wenn niemand kommt, ziehe ich mich aus, um mich zu sonnen.« Ginia erwiderte, sie würde aufpassen, lauschte aber stattdessen den Stimmen und dem Schweigen am Ufer. Nach einiger Zeit war es ganz still auf dem ruhigen Wasser. Tina lag in der Sonne, ein Handtuch um die Hüften. Da war Ginia ins Gras gesprungen und barfuß ein paar Schritte gegangen. Auch die Stimme von Amelia, die alle anderen hinter sich hergezogen hatte, war nicht mehr zu hören. Dumm, wie sie war, hatte Ginia sich eingebildet, sie spielten Verstecken, und nicht nach ihnen gesucht, sondern war aufs Boot zurückgekehrt.

Der schöne Sommer

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