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IX.

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Am nächsten Tag um die Mittagszeit erschien Amelia bei ihr zu Hause, aber da sie gerade mit Severino bei Tisch saß, plauderten sie nur über Belanglosigkeiten. Als sie auf der Straße standen, sagte Amelia zu ihr, sie sei an diesem Morgen bei einer Malerin gewesen, die Arbeit für sie hätte. Warum Ginia nicht mitkomme. Diese blöde Kuh wolle ein Bild von zwei Frauen malen, die sich umarmten, und so könnten sie gemeinsam Modell stehen. »Warum malt sie sich nicht selber vor dem Spiegel?«, erwiderte Ginia. »Soll sie sich zum Malen etwa nackt ausziehen?«, fragte Amelia lachend.

Ginia antwortete, sie könne die Schneiderei nicht verlassen, wie es ihr passe.

»Aber die bezahlt uns, weißt du?«, sagte Amelia. »Es ist ein Bild, für das sie lange brauchen wird. Wenn du nicht mitkommst, nimmt sie mich auch nicht.«

»Genügst du ihr allein nicht?«

»Sie will zwei Frauen darstellen, die miteinander ringen, verstehst du. Es müssen zwei sein. Es wird ein großes Bild. Wir brauchen uns nur hinzustellen, als tanzten wir.«

»Ich will nicht Modell stehen«, sagte Ginia.

»Wovor hast du Angst? Sie ist doch auch eine Frau.«

»Ich will nicht.«

Sie diskutierten bis zur Straßenbahn, und Amelia fing an, sie zu fragen, was sie eigentlich unter den Kleidern zu haben glaube, dass sie es hüten müsse wie das Allerheiligste. Sie sprach wütend, ohne Ginia anzusehen. Ginia antwortete nicht. Doch als Amelia zu ihr sagte, für Barbetta hätte sie bestimmt eingewilligt, sich auszuziehen, lachte Ginia ihr ins Gesicht.

Sie trennten sich so zerstritten, dass klar war, dass Amelia ihr nicht verzeihen würde. Aber Ginia, die anfangs die Achseln zuckte, bekam auf einmal Angst bei der Vorstellung, Amelia könne sie vor Guido und Rodrigues bloßstellen, und sie war nicht sicher, ob Guido nicht so leichtgläubig wäre, sie auch auszulachen. »Für ihn würde ich Modell stehen, wenn er es wollte«, dachte sie. Aber sie wusste genau, dass Amelia besser gebaut war als sie und dass ein Maler sie vorziehen musste. Amelia war mehr Frau.

Später ging sie auf einen Sprung im Atelier vorbei, um Amelia zuvorzukommen. Es war um die Zeit, zu der auch Guido, wie er ihr gesagt hatte, immer dort war. Sie fand die Tür verschlossen. Ihr fiel ein, dass Guido mit den anderen beiden im Café sitzen könnte. Sie ging am Café vorbei und schaute kurz durch die Scheiben, sah aber nur Amelia, die das Kinn auf die Faust stützte und rauchte. »Die Ärmste«, dachte sie, während sie nach Hause ging.

Nach dem Abendessen sah sie von der Straße aus Licht im Atelier und lief zufrieden hinauf; aber Guido war nicht da. Rodrigues öffnete ihr, ließ sie eintreten und sagte, sie müsse entschuldigen, doch er habe Hunger und esse gerade. Er aß Salami von einem Stück Papier, im Stehen an den Tisch gelehnt, in dem gleichen melancholischen Licht wie beim ersten Mal. Wie ein Junge biss er ins Brot, und wäre seine Gesichtshaut nicht so dunkel und sein Blick nicht so falsch gewesen, hätte Ginia ihn vielleicht sogar aufgezogen. Er fragte sie, ob sie etwas wolle, aber Ginia erkundigte sich nur nach Guido.

»Wenn er nicht kommt, hat er Ausgangssperre«, antwortete Rodrigues. »Dann muss er in der Kaserne bleiben.«

»Ich gehe wieder«, dachte Ginia, wagte es aber nicht zu sagen, weil Rodrigues sie mit diesen Augen anstarrte und sonst gemerkt hätte, dass sie nur Guidos wegen gekommen war. Unentschlossen betrachtete sie das Zimmer, das in diesem Licht wirklich armselig wirkte, und die auf dem Boden herumliegenden Papiertüten und Zigarettenstummel und fragte Rodrigues, ob er jemanden erwarte.

»Ja«, sagte Rodrigues und hörte auf zu kauen.

Nicht einmal da war Ginia fähig zu gehen. Sie fragte ihn, ob er Amelia gesehen habe.

»Ihr lauft ja ständig hintereinanderher«, sagte Rodrigues und sah sie an. »Warum eigentlich? Ihr seid doch beide Frauen.«

»Warum?«, fragte Ginia zurück.

Rodrigues grinste höhnisch. »Warum? Das müsst ihr doch selber wissen. Aus Intuition. Macht man das nicht so unter Frauen?«

Da kämpfte Ginia einen Augenblick mit sich und sagte: »Hat Amelia mich gesucht?«

»Nicht nur das«, sagte Rodrigues. »Sie will dich sprechen.«

Der Vorhang hinten im Zimmer öffnete sich, und heraus trat Amelia. Ungestüm kam sie näher, und Rodrigues biss in sein Brot und lief dabei um den Tisch, als spielten sie Fangen. Amelia trug keinen Hut und blieb wütend, wie sie zu sein schien, lachend mitten im Raum stehen. Aber ihr Lachen klang ungut. Sie sagte: »Wir wussten nicht, dass du es bist.«

»Ah, ihr wart gerade beim Abendessen«, sagte Ginia trocken.

»Ein kleines intimes Essen«, sagte Rodrigues. »Aber zu dritt wird es noch intimer.«

»Du suchst Guido«, sagte Amelia.

»Ich wollte nur kurz vorbeischauen, aber Rosa wartet auf mich. Es ist schon spät.«

»Bleib da, du dummes Ding«, rief Amelia hinter ihr her, aber Ginia sagte: »Ich bin kein dummes Ding«, und rannte die Treppe hinunter.

Als sie um die Ecke bog, glaubte sie, allein zu sein, doch sie hörte, wie jemand mit hastigen kleinen Schritten hinter ihr hereilte. Es war Amelia, ohne Hut. »Warum läufst du weg? Du wirst doch Rodrigues nicht geglaubt haben?«

Ohne stehenzubleiben, sagte Ginia: »Lass mich in Ruhe.«

Sie verbrachte mehrere Tage mit Herzklopfen, als liefe sie noch immer davon. Wenn sie an die beiden da oben im Atelier dachte, ballte sie die Fäuste. An Guido wagte sie nicht zu denken und wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, ihn wiederzusehen. Sie war überzeugt, dass sie auch ihn verloren hatte.

»Ich bin ein dummes Ding«, dachte Ginia zuletzt, »warum laufe ich dauernd davon? Ich habe immer noch nicht gelernt, allein zu sein. Sollen sie doch herkommen, wenn sie was von mir wollen.«

Von dem Tag an war sie gelassener, dachte ohne Aufregung an Guido und begann Severino zu beobachten, der zu Boden blickte, bevor er antwortete, wenn jemand etwas zu ihm sagte, und dem, der gesprochen hatte, niemals recht gab: Eher schwieg er. Er war gar nicht so dumm, obwohl er ein Mann war. Sie hatte sich bisher wie Rosa verhalten. Klar, dass die Leute mit ihr genauso umsprangen wie mit Rosa.

Sie ging nicht mehr ins Kino oder in das Tanzlokal, um die anderen zu suchen. Sie begnügte sich damit, ganz allein durch die Straßen zu wandern, gelegentlich bis ins Zentrum. Es war November, und an manchen Abenden nahm sie die Straßenbahn, stieg an den Bogengängen aus, drehte eine Runde und kehrte wieder heim. Immer hoffte sie, Guido zu begegnen, und blickte allen Soldaten unauffällig ins Gesicht. Nur aus Neugier wagte sie sich eines Abends mit klopfendem Herzen bis zu Amelias Café vor und sah undeutlich viele Leute, doch Amelia war nicht darunter.

Die Tage vergingen langsam, aber die Kälte half Ginia, zu Hause zu bleiben, und in all dem Trübsinn dachte sie, einen Sommer wie den letzten werde sie nie wieder erleben. »Ich war eine andere«, dachte sie, »ich kann unmöglich so verrückt gewesen sein. Nur durch ein Wunder habe ich das gut überstanden.« Dass es im nächsten Jahr wieder Sommer würde, kam ihr unglaublich vor. Und sie sah sich schon abends die Alleen entlanggehen, allein und mit geröteten Augen, von zu Hause zur Arbeit, von der Arbeit nach Hause, in der lauen Luft, wie ein Mädchen von dreißig Jahren. Am schlimmsten war, dass es ihr gar nicht mehr so viel Spaß machte wie früher, die halbe Stunde in der Dunkelheit auf dem Bett zu liegen. Auch wenn sie in der Küche hantierte, dachte sie an das Atelier, und ihr blieb immer Zeit, in die Luft zu schauen.

Später merkte sie, dass sie nicht mehr als vierzehn Tage auf diese Weise verbracht hatte. Immer wenn sie aus der Schneiderei kam, hoffte sie, an der Tür etwas Neues zu erfahren, und dass nie jemand dort stand und auf sie wartete, gab ihr das Gefühl, der Tag sei vergeudet, als sei es schon morgen, übermorgen und als warte sie auf etwas, das nie kommen würde. »Ich bin noch nicht einmal siebzehn«, dachte sie, »ich habe noch so viel Zeit.« Aber sie verstand nicht, warum Amelia, die ihr ohne Hut nachgelaufen war, sich nicht mehr blicken ließ. Vielleicht hatte sie nur Angst gehabt, sie würde reden.

Eines Nachmittags kam Signora Bice und sagte, sie werde am Telefon verlangt. »Es ist eine Frau mit Männerstimme«, sagte sie zu ihr. Es war Amelia. »Hör zu, Ginia, erzähl doch, Severino sei krank, und komm zu uns. Guido ist auch da. Wir essen zusammen zu Abend.« – »Und Severino?« – »Lauf nach Hause, koch ihm die Pasta und komm dann her. Wir warten auf dich.«

Ginia gehorchte, lief nach Hause und sagte zu Severino, sie esse mit Amelia zu Abend; sie kämmte sich und ging. Draußen regnete es. »Amelias Stimme klingt wirklich, als hätte sie die Schwindsucht, die Ärmste«, dachte sie.

Sie war entschlossen, falls Guido nicht da wäre, sofort wieder zu gehen. Amelia und Rodrigues zündeten im Halbdunkel einen Petroleumofen an. »Und Guido?«, fragte Ginia. Amelia erhob sich, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und deutete auf den Vorhang. Guido streckte den Kopf heraus und rief ihr »Ciao« zu, und daraufhin lächelte Ginia ihm zu. Der Tisch war ein Durcheinander von Papptellern und Vorräten. In dem Augenblick leuchtete an der Decke der kreisförmige Widerschein des Ofens auf. »Knipst das Licht an«, rief Guido. »Nein, wir bleiben so, ist doch schön«, sagte Amelia.

Warm war es nicht, und man musste den Mantel anbehalten. Ginia ging zum Waschbecken, den Vorhang beiseite schiebend, und fragte von dort laut: »Was feiern wir heute Abend?« – »Dich, wenn du willst«, erwiderte Guido leise, während er sich die Hände abtrocknete. »Warum bist du nicht mehr gekommen?«

»Ich bin gekommen, aber Sie waren nicht da«, flüsterte Ginia.

»Sag Du zu mir«, sagte Guido, »heute Abend duzen wir uns alle.«

»Hatten Sie Ausgangssperre?«

»Hattest du Ausgangssperre«, sagte Guido und strich ihr mit den Fingern übers Haar.

Da knipsten sie hinter ihnen das Licht an, und Ginia ließ den Vorhang fallen und betrachtete das Bild mit der Melone.

Mit dem Essen warteten sie, bis der Raum sich aufwärmte. So im Mantel, die Hände in den Taschen, kam man sich vor wie im Café. Rodrigues goss sich zu trinken ein und füllte noch drei weitere Gläser. »Fang nicht jetzt schon an«, sagte Amelia. Rodrigues erwiderte, irgendwann müsse man anfangen. Dann trugen sie den Tisch zum Sofa, vorsichtig, um nichts zu verschütten, und Ginia gelang es, sich neben Amelia aufs Sofa zu setzen.

Es gab Salami, Obst, Süßigkeiten und zwei Fiaschi. Ginia überlegte, ob das wohl die Feste waren, die Amelia früher mit Guido gefeiert hatte, und als sie ein Glas Wein getrunken hatte, fragte sie ihn danach. Lachend begannen die beiden, sich all das Theater zu erzählen, das sie dort drin schon veranstaltet hatten. Neiderfüllt hörte Ginia zu, ihr war, als sei sie zu spät geboren, und sie fand sich albern. Sie begriff, dass man mit Malern unbefangen umgehen musste, weil sie ein anderes Leben führten als die übrigen Menschen, denn sogar Rodrigues, der nicht malte, schwieg und kaute, und wenn er etwas sagte, so nur, um sich lustig zu machen. Verstohlen sah er Ginia boshaft an, und ihre ganze Wut darüber, dass Guido sich mit Amelia amüsiert hatte, richtete sich gegen ihn.

»Es ist gemein«, sagte sie weinerlich, »mir diese Sachen zu erzählen, bei denen ich nicht dabei war.«

»Aber heute Abend bist du dabei«, erwiderte Amelia, »also amüsier dich.«

Da bekam Ginia Lust, eine schreckliche Lust, mit Guido allein zu sein. Und doch wusste sie, dass sie diesen Mut nur hatte, weil Amelia neben ihr saß. Sonst wäre sie davongelaufen.

»Ich habe immer noch nicht gelernt, ruhig zu bleiben«, dachte sie. »Ich darf mich nicht verunsichern lassen.«

Dann zündeten sich die anderen Zigaretten an und gaben ihr auch eine. Ginia wollte nicht rauchen, aber Guido setzte sich neben sie, gab ihr Feuer und sagte, sie solle nicht einatmen. Die anderen beiden kämpften auf der Sofaecke miteinander.

Da sprang Ginia auf, schob Guidos Hände weg, legte die Zigarette ab und durchquerte wortlos das Atelier. Sie hob den Vorhang und blieb im Dunkeln stehen. Hinter ihr redeten sie, aber es klang wie ein fernes Summen. »Guido«, flüsterte sie, ohne sich umzudrehen, und warf sich mit dem Gesicht nach unten aufs Bett.

Der schöne Sommer

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