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XII.

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Als sie Guido am Abend, bevor er wegfuhr, zum letzten Mal traf, fühlte Ginia, dass Liebe machen, so wie es Guido gefiel, etwas zum Sterben war, und sie lag da wie betäubt, sodass Guido den Vorhang hob, um ihr Gesicht zu sehen, aber Ginia hielt seine Hände fest und wollte nicht. Als dann Rodrigues kam und Ginia fortging, während die beiden sich unterhielten, begriff sie, was es heißt, nicht verheiratet zu sein und nicht Tag und Nacht zusammen verbringen zu können. Verwirrt stieg sie die Treppe hinunter, und diesmal war sie überzeugt, nicht mehr sie selbst zu sein, und dass alle es merken würden. »Deshalb«, dachte sie, »ist Liebe machen verboten, das ist es.« Und sie fragte sich, ob auch Amelia, auch Rosa das durchgemacht hatten. In den Schaufenstern sah sie sich wie betrunken vorwärts gehen, spürte durch jenes verschwommene Bild, das wie ein Schatten vorüberglitt, dass sie eine andere war. Jetzt verstand sie, warum alle Schauspielerinnen so müde Augen hatten. Aber das konnte es nicht sein, wovon man schwanger wurde, denn Schauspielerinnen haben keine Kinder.

Kaum hatte Severino das Haus verlassen, schloss Ginia die Türe ab und zog sich vor dem Spiegel aus. Sie fand, sie war noch immer dieselbe, und es erschien ihr unmöglich. Sie fühlte sich, als sei ihre Haut vom Körper abgelöst, und wieder überliefen sie abklingende kühle Schauer. Aber sie hatte sich nicht verändert, sie war blass und weiß wie immer. »Wenn Guido hier wäre, könnte er mich sehen«, dachte sie rasch, »ich würde zulassen, dass er mich anschaut. Ich würde ihm sagen, dass ich jetzt wirklich eine Frau bin.«

Der Sonntag kam, und es war traurig, ihn ohne Guido zu verbringen. Amelia besuchte sie, und Ginia war glücklich, denn jetzt machte sie ihr keine Angst mehr. Nun, da sie Guido hatte, an den sie denken konnte, musste sie Amelia nicht mehr so ernst nehmen. Sie ließ sie reden und dachte unterdessen an ihr Geheimnis. Amelia, die Ärmste, war einsamer als sie.

Auch Amelia wusste nicht, wohin sie gehen könnten. Es war ein kurzer, kalter, neblig feuchter Nachmittag, der einem sogar die Lust nahm, das Fußballspiel auf dem Sportplatz anzusehen. Amelia bat sie um einen Kaffee und wollte zu Hause bleiben, auf dem Sofa liegen und plaudern. Aber Ginia setzte ihren Hut auf und sagte: »Komm. Ich will auf den Hügel gehen.«

Seltsamerweise ließ Amelia sich herumkommandieren: Sie war träge an jenem Tag. Sie nahmen die Straßenbahn, damit es schneller ging, und wussten nicht, warum. Ginia bestimmte, lief los und wählte den Weg, als hätte sie ein Ziel. Als sie die Steigung in Angriff nahmen, begann es zu nieseln, und Amelia jammerte und wollte umkehren. »Es ist nur Nebel«, sagte Ginia, »es ist nichts.« Sie wanderten inzwischen unter den Bäumen des Parks entlang, auf der einsamen Straße, wo es schien, als sei man aus der Welt, und wo man nur das Gluckern im Graben und hinter sich von ferne das Rattern einer Straßenbahn hörte. Hier atmete man eine feuchte Landluft, und es war gar nicht so kalt, sondern roch nach verfaultem Laub. Amelia wachte allmählich auf, und Arm in Arm trotteten sie über den Asphalt und sagten lachend, sie müssten wohl verrückt sein, denn nicht einmal Pärchen gingen bei einem solchen Wetter auf den Hügel.

Ein schönes Auto kam heran, überholte sie und verlangsamte die Fahrt. »So eins sollten wir haben«, sagte Amelia. Ein grauer Arm streckte sich aus dem Auto und machte ihnen Zeichen. »Darf ich Sie mitnehmen?«, fragte ein Gesicht mit Monokel, als sie in Hörweite waren. »Nehmen wir das Auto, Amelia?«, flüsterte Ginia lachend. »Lieber nicht«, sagte Amelia, »der bringt uns womöglich Gott weiß wohin und lässt uns dann stehen.«

Sie gingen weiter, und der Mann fuhr im Schritttempo hinterher, redete dummes Zeug und hupte. »Ich steige ein«, sagte Amelia, »das ist immer noch besser, als sich die Sohlen abzulaufen.«

»Kommt die kleine Blonde nicht mit?«, fragte der Mann, indem er heraussprang. Er war um die vierzig und sehr mager.

Sie nahmen Platz, Amelia in der Mitte und Ginia an die Tür gequetscht. Der magere Herr klemmte sich hinter das Steuer und legte Amelia als Erstes den Arm um die Schultern. Als Ginia diese knochige, dunkle Hand so nah an ihrem Ohr sah, dachte sie: »Wenn er mich anfasst, beiße ich ihn.« Aber sie fuhren sofort los, das Profil des Mannes, der eine hässliche Narbe an der Schläfe hatte, wandte sich aufmerksam der Straße zu, und Ginia überlegte, die Wange an die Scheibe gelehnt, wie schön es wäre, die sieben Tage, die Guido nicht da war, immerzu auf Reisen zu verbringen.

Doch es war bald vorbei. Das Auto bremste auf dem großen Platz und hielt an. Hier gab es keine schönen grünen Bäume mehr, sondern eine Leere voller Nebel und Telegrafendrähte. Der Hügelrücken sah aus wie ein kahler Berg. »Wollt ihr hier aussteigen?«, fragte der Herr und drehte sich um, ohne das Monokel fallen zu lassen.

Da sagte Ginia: »Geht ihr nur ins Café. Ich laufe zurück.«

Amelia blickte sie böse an. »Das ist idiotisch«, sagte der Mann. »Ich laufe«, wiederholte Ginia. »Ihr seid zu zweit und seid euch selbst genug.«

»Dummes Ding«, flüsterte Amelia ihr beim Aussteigen zu, »kapierst du nicht, dass der nicht redet, sondern zahlt?« Doch Ginia machte auf dem Absatz kehrt und rief: »Danke für alles. Bringen Sie meine Freundin gut nach Hause.«

Als sie an der Straße angelangt war, lauschte sie einen Augenblick, ob in der Stille des Nebels der Motor wieder ansprang. Dann lachte sie in sich hinein und machte sich auf den Weg bergab. »Oh, Guido, so verzeihst du mir«, dachte sie und betrachtete die Hänge, atmete die Kälte und den Geruch der Erde. Auch Guido war mitten auf dem kahlen Land, in seinen Hügeln. Vielleicht saß er zu Hause am Feuer und rauchte eine Zigarette, wie er es im Atelier machte, um sich aufzuwärmen. Da blieb Ginia stehen, denn plötzlich sah sie den Winkel hinter dem Vorhang vor sich, so geschützt und dunkel, als wäre sie dort. »Oh, Guido, komm zurück«, sagte sie und ballte die Fäuste in den Taschen.

Sie kam früh nach Hause, aber die noch feuchten Haare, die bespritzten Strümpfe und die Müdigkeit leisteten ihr Gesellschaft. Sie zog die Schuhe aus, legte sich auf das warme Bett und unterhielt sich mit Guido. Sie dachte an das schöne Auto, freute sich für Amelia und malte sich sogar aus, die Freundin habe diesen Herrn schon vorher gekannt.

Als Severino zurückkehrte, sagte sie ihm, sie sei es leid, in der Schneiderei zu arbeiten.

»Dann such dir was anderes«, sagte er friedlich. »Aber lass nicht mehr so oft das Essen ausfallen. Teil dir die Zeit besser ein.«

»Es gibt so viel zu tun.«

»Mama hat immer gesagt, du könntest auch gleich zu Hause bleiben. Bei dem, was du verdienst.«

Ginia sprang vom Sofa auf: »Dieses Jahr sind wir nicht auf den Friedhof gegangen.«

»Ich war allein dort«, sagte Severino. »Tu nicht so, du weißt es ganz genau.«

Doch Ginia hatte es nur so dahingesagt. Ohne das bisschen, das sie verdiente, hätte sie sich nichts mehr zum Anziehen leisten und keine Gummihandschuhe kaufen können, um beim Spülen die Hände zu schonen. Und für das Parfüm, den Hut, die Cremes, die Geschenke für Guido hätte sie kein Geld mehr gehabt, sondern wäre eine Arbeiterin gewesen wie Rosa. Was ihr fehlte, war Zeit. Sie brauchte eine Arbeit, die nur den Vormittag in Anspruch nahm.

Andererseits hatte eine Beschäftigung auch ihr Gutes. Was hätte sie an den Tagen ohne Guido getan, wenn sie mit ihren Gedanken hätte zu Hause sitzen oder den ganzen Tag draußen herumstreunen müssen? Sie hätte sich nur den Kopf zerbrochen. So dagegen kehrte sie am nächsten Morgen in die Schneiderei zurück, und der Tag ging vorbei. Sie lief nach Hause, kochte Severino ein schönes Abendessen und beschloss, ihn all die Tage gut zu behandeln, denn danach würden die Mahlzeiten tatsächlich ausfallen.

Amelia ließ sich nicht blicken. Mehrmals war Ginia am Abend versucht auszugehen, erinnerte sich aber, dass sie sich selbst versprochen hatte, es nicht zu tun, und hoffte, Amelia werde sie besuchen. Einmal kam Rosa vorbei, die sich ein Kleid nähen wollte, um ihr den Schnitt zu zeigen, und Ginia wusste kaum noch, worüber sie mit ihr reden sollte. Sie sprachen über Pino, aber Rosa sagte nicht, dass sie nun einen anderen hatte. Sie beklagte sich vielmehr, dass sie sich tödlich langweile, und erklärte: »Was willst du? Wenn eine heiratet, hat sie das Nachsehen.«

Ginia merkte, dass sie nicht mehr schlafen konnte, weil sie immerzu an Guido dachte, und wurde manchmal wütend, weil er nicht begriff, dass er wiederkommen musste. »Wer weiß, ob er Montag zurückkommt«, überlegte sie, »womöglich kommt er gar nicht.« Insbesondere hasste sie Luisa, die nur seine Schwester war und das Vergnügen hatte, ihn den ganzen Tag zu sehen. Eine solche Ungeduld erfasste sie, dass sie erwog, ins Atelier zu gehen, um von Rodrigues zu erfahren, ob Guido sein Wort hielt.

Stattdessen ging sie ins Café und traf Amelia. »Wie war es am Sonntag?«, fragte sie sie. Amelia, die rauchte, lächelte nicht einmal und erwiderte langsam: »Gut.« – »Hat er dich nach Hause gefahren?« – »Natürlich«, sagte Amelia.

Dann fragte sie: »Warum bist du weggelaufen?«

»War er beleidigt?«

»Ach was«, sagte Amelia und blickte sie starr an. »Er hat nur gesagt: Sehr witzig, die Kleine. Warum bist du weggelaufen?«

Ginia fühlte, wie sie errötete: »Hör zu, er war lächerlich mit diesem Monokel.«

»Dumme Gans«, sagte Amelia.

»Und Rodrigues?«

»Er ist gerade fort.«

Sie schlenderten zusammen nach Hause, und Amelia sagte: »Heute Abend besuche ich dich.«

An jenem Abend sprach keine davon, auszugehen. Als Ginia mit dem Abspülen fertig war, setzte sie sich auf den Rand des Sofas, auf dem Amelia sich ausgestreckt hatte.

Eine Weile schwiegen sie, dann flüsterte Amelia mit ihrer rauen Stimme: »Sehr witzig, die Kleine.« Ginia schüttelte den Kopf und blickte zur anderen Seite. Amelia streckte den Arm aus und berührte ihre Haare. »Lass mich«, sagte Ginia.

Mit einem tiefen Seufzer stützte sich Amelia auf den Ellbogen.

»Ich bin in dich verliebt«, sagte sie heiser. Da drehte Ginia sich ruckartig zu ihr um. »Aber ich kann dir keinen Kuss geben. Ich habe Syphilis.«

Der schöne Sommer

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