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XIV.

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Am Abend kam auch Rodrigues ins Café und setzte sich an den Nebentisch, auf Ginias Seite.

»Wie geht es mit der Stimme?«, fragte er, weder ernst noch lachend.

Ginia versuchte gerade, Amelia zu trösten und ihr zu erklären, dass man wieder gesund werden könne, war aber froh, nicht weiterreden zu müssen. Rodrigues und sie sahen einander kaum an.

Auch Amelia schwieg, und Ginia wollte schon nach der Uhrzeit fragen, als Rodrigues ironisch sagte: »Tüchtig, tüchtig, du verführst also auch minderjährige Mädchen.«

Amelia verstand nicht sofort, und Ginia schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hörte sie Amelias drohende Stimme: »Was hat diese dumme Gans dir erzählt?«

Doch Rodrigues hatte Mitleid, denn er sagte: »Sie ist heute früh gekommen und hat mich geweckt, um mich zu fragen, wie es dir geht.«

»Sie hat wohl zu viel Zeit«, sagte Amelia.

Ginia bemühte sich in jenen Tagen, besonders gut zu sein, damit Guido wirklich zurückkäme, und besuchte auch Rodrigues wieder. Nicht mehr im Atelier, weil die Erinnerung sie abschreckte und Rodrigues außerdem ein Langschläfer war, sondern mittags in der Trattoria, in der er aß und in der auch Guido essen würde. Sie lag auf dem Weg, den die Straßenbahn nahm, und Ginia sah für einen Augenblick bei ihm vorbei, scherzte mit ihm und erkundigte sich, ob es Neuigkeiten gebe. Sie machte es wie Amelia und zog ihn auf. Aber Rodrigues hatte verstanden und rührte sie nicht mehr an. Sie verabredeten, dass sie am Sonntag ins Atelier kommen würde, um für Guido ein bisschen sauber zu machen. »Uns Syphilitikern«, sagte Rodrigues, »graut vor gar nichts.«

Amelia dagegen ging nicht mehr hin. Ginia verbrachte den Samstagnachmittag mit ihr und begleitete sie zu dem Arzt, der ihr die Spritzen gab. Sie blieben unentschlossen an der Tür stehen, und schließlich sagte Amelia: »Komm nicht mit hinauf, sonst findet er bei dir auch noch irgendeine Krankheit.« Dann sprang sie rasch die Stufen hoch und rief ihr noch »Ciao Ginia« zu, sodass Ginia, die vorher so fröhlich gewesen war, verzweifelt nach Hause zurückkehrte. Nicht einmal der Gedanke, dass Guido in einem Tag wieder da sein würde, konnte sie ausreichend trösten.

Auch der Sonntag verging wie im Traum. Ginia blieb den ganzen Nachmittag im Atelier und fegte, putzte, räumte auf. Rodrigues versuchte erst gar nicht, sie zu belästigen. Er half ihr, Berge von Papiertüten und Obstschalen wegzutragen. Dann klopften sie den Staub von den Büchern im Kamin ab und stellten sie in einer Reihe auf eine Kiste. Als sie die Pinsel auswuschen, hielt Ginia einen Augenblick entzückt inne: Der Terpentingeruch erinnerte sie an Guido, als stünde er neben ihr. Sie lächelte, weil Rodrigues nicht verstand.

»Er hat Glück, der Schweinehund«, sagte Rodrigues, als Ginia fertig war und mit dem Handtuch hinter dem Vorhang hervortrat. »Das hätte er nie erwartet.«

Dann tranken sie am Ofen Tee und blätterten einige Mappen von Guido durch, die sie unter den Büchern gefunden hatten, aber Ginia war enttäuscht, denn es waren nur Landschaften und der Kopf eines Alten. »Warte nur«, sagte Rodrigues, »ich weiß, was du suchst.«

Nach einer Weile begannen die Zeichnungen von Frauen. Sie sahen wie Modeskizzen aus. Ginia betrachtete sie belustigt, denn es war die Mode von vor zwei Jahren. Dann kamen weibliche Akte zum Vorschein. Dann kamen nackte Männer, und Ginia blätterte rasch um, weil Rodrigues, der an der Wand lehnte, sich vorbeugte. Zuletzt kam wieder eine angezogene Frau, ein Mädchen mit quadratischem, bäuerlichem Gesicht, Kopf und Schultern. »Wer ist das?«, fragte Ginia.

»Das wird seine Schwester sein«, sagte Rodrigues.

»Luisa?«

»Ich weiß nicht.«

Ginia studierte die großen Augen und den schmalen Mund. Sie ähnelte niemandem. »Sie ist schön«, sagte sie. »Sie hat nicht diesen verschlafenen Ausdruck, den ihr Maler sonst immer darstellt.«

»Sprich für ihn«, erwiderte Rodrigues, »ich habe nichts damit zu tun.«

Ginia war so froh, dass sie Rodrigues sogar erlaubt hätte, sie zu küssen, wenn er es nur gewusst hätte. Stattdessen kauerte er melancholisch auf dem Sofa, und wäre nicht durch die Scheiben noch ein wenig Licht gefallen, hätte Ginia sich vorgestellt, Guido säße neben ihr, und hätte ihn gestreichelt. Sie schloss die Augen, um es sich auszumalen.

»Wie schön es ist«, sagte sie laut.

Dann fragte sie Rodrigues noch einmal, ob er nicht die genaue Ankunftszeit am nächsten Tag wisse. Doch Rodrigues erwiderte, Guido komme möglicherweise mit dem Fahrrad zurück. Dann sprachen sie über Guidos Dorf, und ohne je dort gewesen zu sein, schilderte Rodrigues es ihr zum Spaß als eine Ansammlung von Schweine- und Hühnerställen, mit Straßen, die zu dieser Jahreszeit so aufgeweicht wären, dass man vielleicht gar nicht fortkommen konnte. Da zog Ginia einen Schmollmund und sagte, er solle aufhören.

Gemeinsam verließen sie das Atelier, und Rodrigues versprach, dass er keine Asche verstreuen werde. »Ich schlafe heute Nacht auf einer Parkbank. Ist dir das recht?« Sie traten lachend aus dem Haustor, und Ginia nahm die Straßenbahn und dachte an Amelia, an die Mädchen auf den Zeichnungen und verglich sich im Geist mit ihnen. Ihr war, als seien sie erst gestern auf dem Hügel gewesen, und jetzt kehrte Guido zurück.

Am nächsten Tag wachte sie niedergeschlagen auf. Im Handumdrehen war es Mittag. Sie hatte mit Rodrigues ausgemacht, dass sie sich, falls Guido kam, im Café treffen wollten. Auf Zehenspitzen schlich sie am Café vorbei und sah durch die Scheibe die beiden an der Theke stehen. Guido wirkte mager in seinem Regenmantel und stützte den Fuß auf die Stange. Wäre er allein gewesen, hätte Ginia ihn nicht erkannt. Da er den Regenmantel aufgeknöpft hatte, bemerkte sie, dass er eine graue Krawatte trug, nicht ihre. In Zivil sah Guido gar nicht mehr wie ein junger Bursche aus.

Er und Rodrigues unterhielten sich lachend. Ginia dachte: »Wäre doch Amelia da. Ich täte so, als wollte ich zu ihr.« Erst als sie sich in Erinnerung rief, dass sie ihm das Atelier geputzt hatte, konnte sie sich entschließen hineinzugehen.

Sie stand noch an der Tür, als Guido sie sah, und da trat sie auf ihn zu, als sei sie zufällig gekommen. Noch nie hatte Guido sie so eingeschüchtert wie in diesem Augenblick. Mitten zwischen all den Leuten streckte Guido ihr die Hand entgegen, während er, zu Rodrigues gewandt, weitersprach.

Sie sagten fast nichts zueinander. Guido hatte es eiliger als sie, weil jemand auf ihn wartete. Er ermunterte sie mit einem Lächeln, fragte: »Geht es dir gut?«, und rief, schon an der Tür: »Auf Wiedersehen!«

Töricht lächelnd lief Ginia zur Straßenbahn. Da nahm plötzlich jemand ihren Arm, und eine Stimme, Guidos Stimme, flüsterte ihr ins Ohr: »Ginetta!«

Sie blieben stehen, und Ginia hatte Tränen in den Augen. »Wo wolltest du hin?«, fragte Guido. – »Nach Hause.« – »Ohne mich zu begrüßen?« Guido drückte ihren Arm und sah sie mit seinen unwiderstehlichen Augen an. »Oh, Guido«, sagte Ginia, »ich habe so auf dich gewartet.«

Wortlos kehrten sie auf das Trottoir zurück, dann sagte Guido: »Geh jetzt nach Hause, und bitte nicht weinen, wenn du mich besuchen kommst.« – »Heute Abend?« – »Heute Abend.«

An jenem Abend wusch Ginia sich extra für Guido, bevor sie das Haus verließ. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, wenn sie an ihn dachte. Geplagt von tausend Ängsten stieg sie die Treppe hinauf. An der Tür zögerte sie, lauschte: Das Licht brannte, und niemand sprach. Da hustete sie, wie sie es schon einmal getan hatte, aber nichts rührte sich, und Ginia beschloss zu klopfen.

Der schöne Sommer

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