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VIII.

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Die Tür stand offen, und man sah das Fenster vor dem Himmel. Rodrigues’ Stimme klang laut und eindringlich. Ginia beugte sich vor und sah Guido, der am Tisch lehnte und zuhörte.

»Darf man hereinkommen?«, fragte sie leise, aber sie hörten sie nicht. In dem graugrünen Hemd kam Guido ihr vor wie ein Arbeiter. Er richtete die Augen auf sie, ohne sie zu sehen.

»Ich suche Amelia«, sagte Ginia beinahe flüsternd.

Da schwieg Rodrigues’ Stimme, und Ginia sah, dass er auf dem Sofa saß, das Knie zwischen den Händen, und sie anschaute.

»Ist Amelia nicht da?«

»Das hier ist doch nicht das Café«, sagte Rodrigues.

Ginia blickte Guido an und blieb stehen. Sie sah, wie er die Hände hinter dem Rücken auf den Tisch stützte und ganz kleine Augen machte. »Früher kamen nicht so viele Mädchen hierher«, sagte er. »Bist du es, der sie anzieht?«

Da senkte Ginia den Kopf und merkte am Tonfall, dass er nicht böse war. »Komm herein«, sagten sie zu ihr, »sei nicht albern.«

Dieser Nachmittag war der schönste, den Ginia je erlebt hatte. Sie fürchtete nur, dass Amelia käme und ihre üblichen Bemerkungen losließe, aber die Zeit verstrich und Guido und Rodrigues diskutierten immer weiter, und ab und zu sah Guido sie lachend an und sagte, sie solle Rodrigues auch einen Dummkopf nennen. Die Diskussion drehte sich um Malerei, und Guido sprach hitzig und sagte, Farben seien eben Farben. Rodrigues hielt sein Knie umfasst, stritt hartnäckig und schwieg zwischendurch oder lachte boshaft wie ein Gockel. Worum es eigentlich ging, verstand man nicht, aber es war ein Genuss, Guido zuzuhören, wenn er etwas sagte. Er war schlagfertig, und wenn Ginia ihm in die Augen sah, stockte ihr der Atem.

Draußen auf den Dächern lag noch ein wenig Sonnenlicht, und Ginia, die am Fenster saß, wandte den Blick vom Himmel zu den beiden und sah hinten den granatroten Vorhang und dachte, wie schön es wäre, dahinter versteckt, ohne dass irgendwer davon wüsste, jemanden zu beobachten, der sich allein im Zimmer glaubte. In diesem Augenblick sagte Guido: »Es ist kalt. Gibt es noch Tee?«

»Es gibt Tee und einen Kocher. Nur das Gebäck fehlt.«

»Heute macht uns Ginetta den Tee«, sagte Guido, indem er sich umdrehte. »Der Kocher steht hinter dem Vorhang.«

»Es wäre besser, wenn sie Kekse kaufen ginge«, sagte Rodrigues.

»Von wegen«, erwiderte Ginia. »Gehen Sie selber, Sie sind ein Mann.«

Und während die beiden wieder zu reden begannen, suchte Ginia hinter dem Vorhang den Spirituskocher und die Tassen und die Teedose. Nachdem sie das Wasser aufgesetzt hatte, spülte sie am Waschbecken die Tassen, in der Dunkelheit hinter dem Vorhang, die nur das Flämmchen ein wenig erhellte. Sie hörte die beiden Stimmen im Hintergrund; ihr war, als sei sie allein in jenem Winkel, wie in einer leeren Wohnung, und als herrsche eine große Ruhe um sie her, in der sie sich sammeln und nachdenken konnte. Nur undeutlich erkannte man in jenem Licht das zerwühlte Bett in dem schmalen Raum zwischen Wand und Vorhang. Ginia stellte sich Amelia vor, wie sie darauf lag.

Als sie herauskam, merkte sie, dass die beiden Männer sie neugierig ansahen. Ginia hatte schon den Hut abgenommen, warf den Kopf zurück und nahm einen großen Teller vom Fensterbrett, der wie eine Palette ganz voller Farbflecke war. Doch Guido begriff blitzartig, stöberte zwischen den Kisten und hielt ihr einen sauberen Teller hin. Darauf stellte Ginia die noch feuchten Tassen, dann kehrte sie zu dem Kocher zurück und brühte den Tee auf.

Während sie tranken, erzählte Guido, die Tassen habe ihm ein Mädchen geschenkt, das ihn wie sie besuchen kam, um sich malen zu lassen. »Und wo ist dieses Bild?«, fragte Ginia. »Sie war doch kein Modell«, antwortete Guido lachend.

»Bleiben Sie noch lange beim Militär?«, fragte Ginia, langsam ihren Tee trinkend.

»Zu Rodrigues’ Bedauern bin ich in einem Monat fertig«, erwiderte Guido. Und dann sagte er: »Also bist du nicht mehr beleidigt?«

Ginia konnte gerade noch den Mund verziehen und leise lächelnd den Kopf schütteln.

»Dann wollen wir uns duzen«, sagte Guido.

Nach dem Abendessen zu Hause war es besonders schön. Amelia, die sie abholen kam, war ebenfalls fröhlich, »denn wenn Feiertag ist und die Leute nichts tun«, sagte sie, »bin ich glücklich«. Sie gingen zusammen spazieren und alberten herum wie zwei dumme Gören. »Wo warst du heute?«, fragte Amelia unterwegs. »Nichts Besonderes«, sagte Ginia, »gehen wir zum Tanzen auf den Hügel?« – »Es ist nicht mehr Sommer, weißt du, es ist zu matschig da oben.« Wie durch Zauberei befanden sie sich plötzlich in der Straße, in der das Atelier lag. »Ich komme nicht mit rauf«, sagte Ginia, »ich habe genug von deinen Malern.«

»Wer sagt denn, dass wir da hingehen? Heute Abend sind wir frei.« Sie kamen zur Brücke und blieben stehen, um die Kette der Lichtreflexe auf dem Wasser zu betrachten. »Ich habe Barbetta gesehen, und er hat mich nach dir gefragt«, sagte Amelia.

»Hat er es noch nicht satt, dich zu malen?«

»Ich habe ihn im Café getroffen.«

»Meinst du, er gibt mir meine Zeichnungen?«

Doch während Amelia sie ansah, dachte Ginia an etwas ganz anderes.

»Was habt ihr letztes Jahr gemacht, als du so oft bei Guido warst?«

»Was sollen wir schon gemacht haben? Man lachte und zerschlug Gläser.«

»Und dann habt ihr euch zerstritten?«

»Wie kommst du denn darauf? In einem Sommer ist er aufs Land gefahren, hat alles abgeschlossen und sich nicht mehr blicken lassen.«

»Wie hast du ihn kennengelernt?«

»Das weiß ich wirklich nicht mehr. Schließlich arbeite ich als Modell.«

Doch an diesem Abend war es unmöglich zu streiten, und während sie so am Wasser standen, war ihnen kalt geworden. Amelia hatte sich eine Zigarette angezündet und rauchte, an die steinerne Brüstung gelehnt.

»Sogar auf der Straße rauchst du?«, fragte Ginia.

»Ist das nicht das Gleiche wie im Café?«, erwiderte Amelia.

Aber sie setzten sich nicht in ein Café, weil Amelia schon genug davon hatte, die Tage dort zu verbringen. Sie machten sich vielmehr auf den Heimweg und blieben vor dem Kino stehen. Für den Film war es zu spät. Während sie die Fotos betrachteten, kam Severino heraus, missmutig, mit verärgertem Gesicht. Er grüßte Amelia mit einem Heben des Kinns, dann kehrte er um und begann, mit ihnen zu plaudern, und Ginia hatte ihn noch nie so ritterlich erlebt. Er sagte sogar ein paar Worte über Amelias Schleier. Um sie zum Lachen zu bringen, erzählte er ihnen den Film, und Amelia lachte, aber nicht wie im Café, wenn die Kellner etwas zu ihr sagten: Sie lachte mit geöffneten Lippen und ließ die Zähne sehen, wie man es unter Mädchen macht und wie sie es schon lange nicht mehr machte. Ihre Stimme klang recht rau: Das muss vom Rauchen kommen, dachte Ginia. Severino ging mit ihnen in die Bar und spendierte beiden einen Kaffee und sagte zu Amelia, sie sollten sich einmal für einen Sonntag verabreden. »Zum Tanzen?« – »Sicher.« – »Dann kommt Ginia auch mit«, sagte Amelia. Ginia kicherte.

Sie begleiteten Amelia bis vor die Haustür, und als die Tür zufiel, gingen sie zusammen heim. »Guido ist fast so alt wie Severino«, dachte Ginia, »er könnte mein Bruder sein.« – »Wie seltsam das Leben ist«, dachte sie, »Guido, den ich gar nicht kenne, würde sich bei mir einhaken, wir würden an den Ecken stehenbleiben, er würde mir sagen, dass ich eine Frau bin, und wir würden uns ansehen. Für ihn bin ich Ginetta. Man muss sich nicht kennen, um sich zu mögen.« Und nachdenklich trottete sie neben Severino her, kam sich dabei vor, als sei sie noch ein Kind, und fragte ihn auf einmal, ob ihm Amelia gefalle, merkte aber, dass sie etwas gesagt hatte, was er nicht erwartete.

»Was macht sie tagsüber?«, erwiderte Severino.

»Sie steht Modell.«

Severino begriff nicht, denn er fing an zu erklären, wie gut sie die Kleider zur Geltung bringe, und daraufhin wechselte Ginia das Thema und fragte ihn, ob es schon Mitternacht sei.

»Gib acht«, sagte Severino, »Amelia ist auf Draht, und du wirkst neben ihr wie ein dummes Ding.«

Ginia sagte ihm, sie sähen sich nur selten, und Severino schwieg, dann zündete er sich im Gehen eine Zigarette an, und sie kamen vor der Haustür an, als sei jeder für sich allein.

Ginia schlief in jener Nacht wenig, und die Decken lasteten schwer auf ihr, aber sie malte sich viele Dinge aus, die immer überspannter wurden, je mehr die Zeit verging. Sie stellte sich vor, dass sie allein in dem zerwühlten Bett in jenem Winkel des Ateliers läge und hörte, wie Guido sich auf der anderen Seite des Vorhangs bewegte, dass sie mit ihm zusammenlebte, ihn küsste und für ihn kochte. Wer weiß, wo Guido zu essen pflegte, als er noch nicht Soldat war. Dann dachte sie, dass sie nie geglaubt hätte, sie könne sich mit einem Soldaten befreunden, aber in Zivil war Guido bestimmt ein sehr schöner Mann, so blond und stark, und sie versuchte, sich an seine Stimme zu erinnern, die sie schon vergessen hatte, während ihr die von Rodrigues noch genau im Ohr klang. Sie musste ihn wiedersehen, und sei es auch nur, um ihn reden zu hören. Je länger sie darüber nachdachte, umso weniger begriff sie, warum Amelia sich mit Rodrigues eingelassen hatte anstatt mit ihm. Sie war froh, dass sie nicht wusste, was Amelia und Guido miteinander gemacht hatten zu der Zeit, als sie die Gläser zerschlugen.

Als der Wecker klingelte, schlief sie nicht und dachte in der wohligen Wärme des Bettes an viele Dinge. Beim ersten Licht bedauerte sie, dass nun schon Winter war und man nicht mehr in der Sonne die schönen Farben sehen konnte. Wer weiß, ob Guido auch daran dachte, da er doch behauptete, die Farben seien alles. »Wie schön«, sagte Ginia und stand auf.

Der schöne Sommer

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